Das Landgericht Itzehoe hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass der Streitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf maximal 500 Euro festgesetzt werden kann. Dies gilt, wenn zu keinem der Tagesordnungspunkte eine Beschlussfassung stattgefunden hat und somit kein wirtschaftlicher Wert dem Streitgegenstand beigemessen werden kann.
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Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Anfechtungsklage gegen Nichtbeschluss: Streitwert auf 500 Euro festgesetzt
- Der Fall vor dem Landgericht Itzehoe im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Anfechtungsklage gegen Nichtbeschluss – Mindeststreitwert
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Itzehoe
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Streitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss ist nach § 48 GKG auf maximal 500 Euro festzusetzen.
- § 49 GKG zur Streitwertbemessung bei Beschlussklagen ist nicht anwendbar, da kein Beschluss vorliegt.
- Bei einem Nichtbeschluss erfolgt keine Abstimmung, daher ist dem Streitgegenstand kein Wert beizumessen.
- Die geringste Gebührenstufe von bis zu 500 Euro ist in solchen Fällen des Nichtbeschlusses sachgerecht.
- Ein Negativbeschluss liegt nicht vor, da hierzu eine Abstimmung über einen Beschlussantrag erforderlich ist.
- Die Streitwertberechnung richtet sich nach den §§ 48, 49 GKG, nicht nach der früheren WEG-Sonderregelung in § 49a GKG a.F.
- Die Beschwerde der Kläger gegen die niedrige Streitwertfestsetzung durch das Amtsgericht war unbegründet.
Anfechtungsklage gegen Nichtbeschluss: Streitwert auf 500 Euro festgesetzt
Wohneigentumsrecht ist ein Themengebiet, das für viele Menschen von großer Relevanz ist. Ob es um den Kauf einer Eigentumswohnung, die Verwaltung einer Wohnungseigentumsgemeinschaft oder Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern geht – juristische Fragen tauchen immer wieder auf. Insbesondere wenn es um Beschlüsse in der Eigentümerversammlung geht, können Unklarheiten und Konflikte entstehen. Nicht selten kommt es vor, dass Eigentümer solche Beschlüsse anfechten möchten, etwa weil sie der Meinung sind, dass eine Entscheidung fehlerhaft zustande gekommen ist. In solchen Fällen stellt sich die Frage, wie der Streitwert für eine solche Anfechtungsklage zu bemessen ist. Dieses Thema beleuchtet das folgende Gerichtsurteil näher.
Der Fall vor dem Landgericht Itzehoe im Detail
Anfechtungsklage gegen Nichtbeschluss: Streitwert auf 500 EURO festgesetzt
Im vorliegenden Fall befasste sich das Landgericht (LG) Itzehoe mit der Frage, wie der Streitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zu bemessen ist. Der Sachverhalt stellte sich wie folgt dar: In einer WEG-Versammlung wurden zu zwei Tagesordnungspunkten (TOP) Informationen über geplante Sanierungsmaßnahmen gegeben, jedoch keine Beschlüsse gefasst. Die Klägerinnen, zwei Wohnungseigentümerinnen der Gemeinschaft, gingen fälschlicherweise davon aus, es seien zu diesen TOPs Beschlüsse gefasst worden und erhoben daher Anfechtungsklage.
Das Amtsgericht (AG) Elmshorn setzte den Streitwert des Verfahrens auf 500 Euro fest, da es sich bei den beiden Tagesordnungspunkten um Nichtbeschlüsse handelte und somit der Streitwert nach der geringsten Gebührenstufe des Gerichtskostengesetzes (GKG) bemessen werden müsse. Gegen diese Streitwertfestsetzung legten die Klägerinnen Beschwerde ein, da ihrer Ansicht nach der Streitwert auf Basis des Wertes der geplanten Sanierungsmaßnahmen zu bestimmen sei.
Entscheidung des LG Itzehoe: Keine Beschlussfassung, kein Streitwert
Das Landgericht Itzehoe bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts und wies die Beschwerde der Klägerinnen zurück. In der Begründung führte das LG aus, dass der Streitwert für das amtsgerichtliche Verfahren mit Recht auf maximal 500 Euro festgesetzt wurde. Entscheidend für die Streitwertberechnung sei die Tatsache, dass zu den beiden streitigen Tagesordnungspunkten überhaupt keine Beschlussfassungen stattgefunden haben. Es liege somit kein Beschluss vor, der angefochten werden könne.
Anwendung des § 48 GKG: Kein wirtschaftlicher Wert bei Nichtbeschluss
Das LG verwies auf die einschlägigen Vorschriften zur Streitwertbestimmung in den §§ 48, 49 GKG. Da keine Beschlüsse gefasst wurden, sei der speziell für Beschlussklagen geltende § 49 GKG nicht anwendbar. Stattdessen sei der Streitwert nach § 48 GKG zu bemessen, der für vermögensrechtliche Streitigkeiten Anwendung findet. Nach dieser Vorschrift ist der Streitwert grundsätzlich nach dem Wert des Streitgegenstands zu bestimmen. Im vorliegenden Fall könne dem Streitgegenstand, also den beiden Tagesordnungspunkten, kein wirtschaftlicher Wert beigemessen werden, da es zu keiner Entscheidung der WEG gekommen ist. In solchen Fällen sei es sachgerecht, den Streitwert nach der geringsten Gebührenstufe und damit auf maximal 500 Euro festzusetzen.
Unterscheidung zum Negativbeschluss
Das Gericht grenzte den vorliegenden Fall von der Konstellation eines Negativbeschlusses ab. Bei einem Negativbeschluss erfolge, im Gegensatz zu den hier vorliegenden Nichtbeschlüssen, eine Abstimmung über einen Beschlussantrag. Jedoch fehle es an der erforderlichen Anzahl an Ja-Stimmen, sodass es zu keiner positiven Beschlussfassung komme. Da eine Abstimmung stattfindet, komme bei einem Negativbeschluss die Festsetzung eines höheren Streitwerts in Betracht.
✔ FAQ zum Thema: Anfechtungsklage gegen Nichtbeschluss – Mindeststreitwert
Was versteht man unter einem „Nichtbeschluss“ in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) und warum ist dies für eine Anfechtungsklage relevant?
Unter einem „Nichtbeschluss“ in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) versteht man Folgendes:
Ein Nichtbeschluss liegt vor, wenn ein Beschluss nicht einmal die Mindestvoraussetzungen erfüllt, um überhaupt als Beschluss zu gelten. Es fehlt dann bereits der Anschein eines ordnungsgemäßen Beschlusses.
Beispiele für Nichtbeschlüsse sind:
- Es wurde überhaupt nicht abgestimmt
- Die Abstimmung erfolgte nicht in einer Eigentümerversammlung
- Es wurde über einen nicht angekündigten Tagesordnungspunkt abgestimmt
- Die Beschlussfassung erfolgte unter Verstoß gegen zwingende Formvorschriften wie das Schriftformerfordernis bei Umlaufbeschlüssen
Die Abgrenzung zwischen einem nichtigen Beschluss und einem Nichtbeschluss ist nicht immer eindeutig. Nichtige Beschlüsse weisen immerhin noch den Anschein eines ordnungsgemäßen Beschlusses auf, während dies bei Nichtbeschlüssen von vornherein nicht der Fall ist.
Die Unterscheidung ist für Anfechtungsklagen relevant:
Bei der Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf festzustellen, dass überhaupt kein Beschluss gefasst wurde. Eine inhaltliche Überprüfung des Streitgegenstands findet nicht statt.
Für die Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss gilt daher nur der Mindeststreitwert. Außerdem unterliegt sie nicht der einmonatigen Anfechtungsfrist, die für die Anfechtung von fehlerhaften, aber formell existenten Beschlüssen gilt.
Im Ergebnis sind Nichtbeschlüsse also noch gravierender fehlerhaft als nichtige Beschlüsse und können jederzeit mit einer Anfechtungsklage angegriffen werden, bei der das Gericht lediglich das Nichtvorliegen eines Beschlusses feststellt.
Wie wird der Streitwert für eine Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss festgesetzt und welche Gesetze sind dabei maßgeblich?
Bei einer Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss beschränkt sich die gerichtliche Prüfung darauf festzustellen, dass überhaupt kein Beschluss gefasst wurde. Eine inhaltliche Überprüfung des Streitgegenstands findet nicht statt. Daher ist für die Anfechtungsklage gegen einen Nichtbeschluss lediglich der Mindeststreitwert anzusetzen.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 49 GKG. Wird ein nach Inkrafttreten des WEMoG gefasster Abrechnungsbeschluss gem. § 28 Abs. 2 WEG mit dem Ziel angefochten, den Beschluss insgesamt für ungültig erklären zu lassen, ist der Streitwert nach dem Gesamtbetrag der abgerechneten Kosten (Abrechnungssumme) zu bemessen.
Die Wertfestsetzung gemäß § 49 GKG beruht auf einer mehrstufigen Berechnung. Einerseits ist das Interesse des Klägers nach § 49 S. 2 GKG und andererseits das Interesse aller Wohnungseigentümer jeweils selbständig zu bestimmen. Für die Streitwertfestsetzung ist sodann auf das Interesse aller Wohnungseigentümer abzustellen, wenn der siebeneinhalbfache Wert des Einzelinteresses des Klägers und der auf seiner Seite beigetretenen oder der Wert seines Wohnungseigentums diesen Wert übersteigt.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 68 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 32 Abs. 2 RVG: Diese Gesetzesparagraphen regeln die Zulässigkeit von Beschwerden und legen die rechtlichen Rahmenbedingungen fest, unter denen Beschwerden eingelegt werden können.
- §§ 48, 49 GKG: Diese Paragraphen des Gerichtskostengesetzes sind entscheidend für die Festsetzung des Streitwerts bei gerichtlichen Verfahren. Sie bestimmen, wie der Wert des Streitgegenstands ermittelt wird und welches Verfahren bei bestimmten Klagearten anzuwenden ist.
- § 48 Abs. 1 GKG: Dieser Paragraph regelt die Bemessung des Streitwerts bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Er legt fest, dass der Wert des Streitgegenstands maßgeblich ist und wie dieser zu bestimmen ist.
- § 68 Abs. 3 GKG: Diese Vorschrift betrifft die Kostenentscheidung und legt fest, welche Partei die Gerichtskosten tragen muss.
➜ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Itzehoe
LG Itzehoe – Az.: 11 T 46/22 – Beschluss vom 24.05.2023
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Elmshorn vom 27.09.2022, Az. 48 C 6/22 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
Die Beschwerde ist nach § 68 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 32 Abs. 2 RVG zulässig. Denn die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben die mit dem Ziel der Festsetzung eines höheren Streitwerts eingelegte Beschwerde im eigenen Namen eingelegt.
In der Sache hat die Beschwerde aber keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat den Streitwert für das amtsgerichtliche Verfahren mit Recht auf (bis zu) 500,00 Euro festgesetzt.
Da die beiden Klagen Mitte des Jahres 2022 und damit nach Inkrafttreten des WEMoG erhoben wurden, bestimmt sich der Streitwert nach den §§ 48, 49 GKG und nicht nach dem früher für WEG-Verfahren maßgeblichen § 49a GKG a.F.
Im vorliegenden Verfahren, bei dem sich die beiden Klägerinnen gegen vermeintlich auf einer Versammlung vom 23.05.2022 zu TOP 5 und 6 gefasste Beschlüsse gewandt hatten, obgleich zu den beiden Tagesordnungspunkten jeweils nur eine Information zu beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen und keine Beschlussfassungen erfolgt war, bestimmt sich der Streitwert nach § 48 GKG. Der allein für Beschlussklage maßgebliche § 49 GKG ist nicht einschlägig, da er voraussetzt, dass Gegenstand der Klage überhaupt ein Beschluss ist. Dies war hier aber nicht der Fall, da zu den beiden Tagesordnungspunkten eben gerade keine Beschlüsse gefasst wurden. Der von Seiten der Beschwerdeführer gezogene Vergleich zu einem Negativbeschluss kommt nicht in Betracht. Denn bei einem Negativbeschluss erfolgt im Unterschied zu den vorliegenden „Nichtbeschlüssen“ eine Abstimmung über einen Beschlussantrag, es fehlt aber die erforderliche Anzahl an „Ja-Stimmen“, so dass es zu keiner positiven Beschlussfassung kommt.
Nach § 48 Abs. 1 GKG ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auf den Wert des Streitgegenstands abzustellen. Sofern – wie hier – zu einem Tagesordnungspunkt schon keine Abstimmung erfolgt, ist mit dem betreffenden Tagesordnungspunkt keinerlei Wirkung und damit auch kein Wert verbunden, da es zu keiner Entscheidung, auch nicht – wie bei einem Negativbeschluss – zu einer ablehnenden Entscheidung, gekommen ist. In solchen Fällen, bei denen dem Streitgegenstand bei der erforderlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise kein Wert beigemessen werden kann, ist es sachgerecht, den Streitwert nach der geringsten Gebührenstufe und damit – wie vom Amtsgericht entschieden – auf bis zu 500,00 Euro festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.