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Auslegung WEG-Teilungserklärung – Mehrheitsprinzip bei baulichen Veränderungen

LG Hamburg – Az.: 318 S 112/18 – Urteil vom 26.06.2019

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 20.11.2018, Az. 303c 7/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf € 13.650,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft P. Str. …, … H.. Sie streiten in der Berufung noch über die Gültigkeit von drei Beschlüssen, die auf der Eigentümerversammlung vom 02.03.2018 zu TOP 6a, 6b und 6f (Austausch der Balkonverkleidung und Finanzierung) gefasst wurden. Gemäß § 13 (1) der zwischen den Parteien geltenden Teilungserklärung (Anlage B 3 = Bl. 52 ff. d.A.) können bauliche Veränderungen i.S.d. § 22 Abs. 1 WEG, die über eine ordnungsgemäße Instandsetzung hinausgehen, mit einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 aller Stimmen nach MEA beschlossen werden, sofern dadurch nicht die Rechte einzelner Wohnungseigentümer erheblich beeinträchtigt werden. Gemäß § 13 (2) der Teilungserklärung genügt für bestimmte Modernisierungsmaßnahmen die einfache Stimmenmehrheit nach Miteigentumsanteilen.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird im Übrigen auf den Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 ZPO).

Das Amtsgericht hat die streitgegenständlichen Beschlüsse mit Urteil vom 20.11.2018 für ungültig erklärt. Bezüglich der TOPs 6a und 6b hat es zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beschlüsse widersprächen ordnungsgemäßer Verwaltung, weil Rechte der Klägerin im Sinne von § 13 (1) der Teilungserklärung erheblich beeinträchtigt würden, so dass es gemäß § 22 Abs. 1 WEG ihrer Zustimmung bedurft hätte. Die Architektur der Anlage sei geprägt durch das Aufeinandertreffen des hellen Steins der Außenfassade mit dunklen Balkonverkleidungen, Umrahmungen und Kassetten am Dachabschluss. Dieser Kontrast sei im Fall der geplanten Auswechslung kaum noch wahrnehmbar. Aufgrund der erheblichen optischen Veränderung des architektonischen Gesamteindruckes und der Eigenart des Gebäudes durch die geplante Ersetzung der mit braunem Farbanstrich versehenen Balkonverkleidungen durch mit Sichtschutzfolie versehenem Glas sei eine erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin gegeben. Dabei sei unerheblich, wo sich die Sondereigentumseinheit der Klägerin befinde, denn kein Eigentümer müsse es dulden, dass die Anlage, an der er Anteile halte, ein völlig anderes optisches Gepräge erhalte. Schließlich stelle die beschlossene Änderung auch keine technisch bessere oder wirtschaftlich sinnvollere Lösung im Vergleich zu einer „mahagonifarbenen“ Verkleidung dar. Da die Beschlüsse zu Top 6a und 6b ungültig seien, gelte dies auch für den Beschluss zu TOP 6f, der eine Sonderumlage zur Finanzierung der zuvor beschlossenen Maßnahmen vorsehe. Auf die Frage, ob der Beschluss zu TOP 6f auch wegen der darin enthaltenen „Haftungsfreistellung“ der Verwaltung ordnungsgemäßer Verwaltung widerspreche, weil unklar sei, ob sich die Freistellung nur darauf beziehe, dass eine Auftragsvergabe auch dann erfolgen solle, wenn die Sonderumlage nur noch in Höhe von maximal € 3.000,00 ausstehe (vgl. Bl. 89 d.A.), komme es nicht an.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 23.11.2018 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am 21.12.2018 über E-Fax eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 23.01.2019 über E-Fax eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagten tragen vor, das Amtsgericht habe die Privilegierung modernisierender Instandsetzungsmaßnahmen gemäß § 22 Abs. 2 WEG nicht hinreichend berücksichtigt. Durch die beschlossene Maßnahme werde die „Eigenart der Anlage“ nicht geändert. Eine Umgestaltung der Wohnanlage liege nicht vor. „Eigenart“ sei nicht „Erscheinungsbild“. Ohnehin sei der Begriff „Eigenart der Wohnanlage“ eng auszulegen, weil wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen bei älteren Wohnanlagen im „Dynamisierungsinteresse“ erwünscht seien. Der Begriff sei enger zu verstehen als jede nicht ganz unerhebliche Veränderung des optischen Gesamteindrucks. Im vorliegenden Fall werde das charakteristische Aussehen der gesamten Wohnanlage nicht verändert. Es sei zu berücksichtigen, dass im Erscheinungsbild der Anlage die bestehenden Holzelemente bereits unterschiedliche Farbgebungen aufwiesen und dass die Klinkersteine deutlicher hervorträten und prägender seien als die Holzelemente. Eine Änderung der Farbgebung gehe mit dem Wechsel des Materials einher. Hinzu komme, dass ein ausreichender Eindruck aufgrund der zur Akte gelangten Lichtbilder ohnehin nicht gewonnen werden könne. Der Beschluss zu TOP 6f betreffe nicht nur den Austausch der Balkonbrüstungen, sondern auch weitere Maßnahmen (Fensteraustausch), die nicht streitgegenständlich seien.

Die Beklagten beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 20.11.2018, Az. 303c 7/18, abzuändern, soweit es die auf der Eigentümerversammlung vom 02.03.2018 zu den Tagesordnungspunkten 6a, 6b und 6f gefassten Beschlüsse für ungültig erklärt hat, und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung und trägt vor, die beschlossene Maßnahme führe zu einer erheblichen Veränderung des charakteristischen Aussehens der Gesamtanlage, denn die Holzbalkone seien für den Charakter des Gebäudes prägend. Auch im Rahmen einer Modernisierungsmaßnahme sei es nicht zulässig, den Gesamteindruck des Gebäudes zu verändern.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg, weil das Amtsgericht die auf der Eigentümerversammlung vom 02.03.2018 zu TOP 6a, 6b und 6f gefassten Beschlüsse zu Recht für ungültig erklärt hat.

1.

Die angefochtenen Beschlüsse widersprechen ordnungsgemäßer Verwaltung, weil es nach den Regelungen der Teilungserklärung der Zustimmung der Klägerin zu den beschlossenen Maßnahmen bedurft hätte.

a) Die maßgeblichen Regelungen bzgl. der Zulässigkeit baulicher Veränderungen finden sich in § 13 (1) und (2) der zwischen den Parteien geltenden Teilungserklärung (Anlage B 3 = Bl. 52 ff. d.A.). Danach ist zwar die Regelung des § 22 Abs. 1 WEG abbedungen, wonach bauliche Veränderungen und Aufwendungen, die über die ordnungsgemäße Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, der Zustimmung jedes Wohnungseigentümers bedürfen, dessen Rechte über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. Insoweit wird ein Mehrheitsprinzip eingeführt, wonach bauliche Veränderungen mit einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 aller Stimmen nach MEA gefasst werden können (vgl. hierzu Vandenhouten in: Niedenführ/Vandenhouten, WEG, 12. Aufl., § 22 Rn. 159). Dies steht nach § 13 (1) der Teilungserklärung allerdings unter dem Vorbehalt, dass hierdurch die Rechte einzelner Wohnungseigentümer nicht erheblich beeinträchtigt werden dürfen. Diese Regelungen der Teilungserklärung sind dahingehend auszulegen, dass für die Bestimmung, ob eine „erhebliche Beeinträchtigung“ vorliegt, nicht der Maßstab des § 14 Nr. 1 WEG gelten soll, wonach bereits jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung einen Nachteil darstellt. In diesem Fall würde das grundsätzlich der erleichterten Beschlussfassung dienende Mehrheitsprinzip ausgehöhlt. Es muss vielmehr eine höhere Schwelle überschritten sein, um eine erhebliche Beeinträchtigung anzunehmen. Soweit gemäß § 13 (2) der Teilungserklärung für bestimmte Modernisierungsmaßnahmen die einfache Stimmenmehrheit nach Miteigentumsanteilen genügt, ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 WEG eine unbillige Beeinträchtigung einzelner Wohnungseigentümer oder Änderung der „Eigenart“ der Wohnanlage nicht zulässig ist.

b) Dies zugrunde gelegt, ist es nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht eine Zustimmung der Klägerin als erforderlich angesehen hat. Zwar liegt eine erhebliche Beeinträchtigung nicht schon darin, dass sich bei Umsetzung der geplanten Maßnahme gegebenenfalls eine Veränderung des Sichtschutzes ergibt oder das Anbringen von Blumenkästen erschwert wird. Zutreffend hat das Amtsgericht jedoch angenommen, dass sich aufgrund der Änderung der Balkonverkleidungen das optische Erscheinungsbild und das charakteristische Aussehen der Anlage erheblich verändern. Dies hat die Klägerin auch innerhalb der maßgeblichen Frist geltend gemacht.

Eine Änderung der „Eigenart“ der Wohnanlage kann auch durch eine nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks erfolgen, wobei in Abgrenzung zu § 14 Abs. 1 WEG nicht schon jede nicht ganz unerhebliche Veränderung ausreicht. Der optische Gesamteindruck muss vielmehr erheblich nachteilig beeinträchtigt sein (Vandenhouten in: Niedenführ/Vandenhouten, a.a.O., § 22 Rn. 178). Dies kann der Fall sein, wenn eine Maßnahme im Widerspruch zu einer spezifischen Eigenart der Wohnanlage steht. Soweit das Amtsgericht es als charakteristisch für die Anlage angesehen hat, dass die Außenfassade durch eine vom Kontrast zwischen hell und dunkel (Klinker und Holzoptik) gekennzeichnete farbliche Struktur geprägt wird, geht dies aus den zur Akte gelangten Fotografien (Anlagen B 5 = Bl. 75 ff. d.A., K 3 = Bl. 113 ff. d.A., BK 1 = Bl. 204 ff. d.A.) deutlich hervor. Von den Parteien wird nicht in Abrede genommen, dass diese die örtlichen Gegebenheiten darstellen. Dass die bestehenden Holzelemente bereits unterschiedliche Farbgebungen aufweisen (helleres und dunkleres Holz), ändert daran nichts. Einer Inaugenscheinsnahme bedarf es bei allem nicht. Ob die Anlage einen „Charme der Sechzigerjahre“ aufweist, ist unerheblich, weil das charakteristische Aussehen nicht gleichbedeutend ist mit einer architektonisch besonders anspruchsvollen Gestaltung des Gebäudes.

c) Auch der zu TOP 6f gefasste Beschluss entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, weil er der Finanzierung der zu TOP 6a und 6b beschlossenen Maßnahmen dient. Da diese Beschlüsse aus den oben genannten Gründen ungültig sind, bedarf es einer Finanzierung der darin genannten Maßnahmen nicht. Dies führt dazu, dass der Beschluss zu TOP 6f insgesamt für ungültig zu erklären ist. Dass darin auch die Finanzierung eines Austauschs der Fenster der Westfront geregelt ist, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Zwar findet auf Beschlüsse der Wohnungseigentümer die Regelung des § 139 BGB entsprechende Anwendung, so dass ein Beschluss auch teilweise für ungültig erklärt werden kann, wenn der unbeanstandet gebliebene Teil sinnvollerweise allein Bestand haben kann und anzunehmen ist, dass ihn die Wohnungseigentümer so beschlossen hätten (BGH, Beschluss vom 10.09.1998 – V ZB 11/98, zitiert nach juris). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Selbst wenn es zuträfe, dass – wie die Beklagten einwenden – der Sanierungsbeschluss, durch den der Fensteraustausch beschlossen wurde, nicht angefochten wurde, enthält der Beschluss zu TOP 6f keine Differenzierung hinsichtlich der Kosten der einzelnen Maßnahmen. In welcher Höhe die beschlossene Sonderumlage welche Maßnahmen finanzieren soll, erschließt sich nicht. Dass die Sonderumlage in Höhe von € 35.000,00 auch für den Finanzbedarf bzgl. des Fensteraustauschs angemessen ist und bei Entfallen des Austauschs der Balkonverkleidung in gleicher Weise beschlossen worden wäre, kann daher nicht zugrunde gelegt werden.

Soweit der Beschluss zu TOP 6f auch eine „Haftungsfreistellung“ der Verwaltung enthält, dürfte sich aus dem Zusammenhang hinreichend entnehmen lassen, dass sich dies nur darauf bezieht, dass eine Auftragsvergabe auch dann erfolgen solle, wenn die Sonderumlage nur noch in Höhe von maximal € 3.000,00 aussteht. Ob dies angesichts der finanziellen Situation der Wohnungseigentümergemeinschaft ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht, so dass der Beschluss auch aus diesem Grund für ungültig zu erklären ist, kann letztlich dahinstehen.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 und 2 ZPO.

Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung durch das Revisionsgericht.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 49a GKG.

 

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