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Ausschlussfrist bei Betriebskostenabrechnungsklausel zulässig?

Oberlandesgericht Thüringen – Az.: 7 U 48/12 – Urteil vom 04.07.2012

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15.12.2011 wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.159,87 EUR nebst Jahreszinsen hieraus in Höhe von acht Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2011 zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die Betriebskostenabrechnung der Klägerin für 2009 der Beklagten am 14.01.2011 zuging. Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung hat Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1, 517, 519, 520 ZPO). Sie ist auch in der Sache begründet.

Denn das Landgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Betriebskostennachzahlungsanspruch aus § 4 Nr. 1 des Mietvertrags, wonach die Beklagte die Betriebskosten zu tragen hat.

Das Landgericht hat eine Versäumung der hier vertraglich vereinbarten gewerberaummietrechtlichen Nebenkostenabrechnungsfrist angenommen, allerdings zu Unrecht die Wirksamkeit dieser Klausel (§ 4 Nr. 8 des Mietvertrags) bejaht.

1.) Diese ist nach § 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Es handelt sich unstreitig um eine allgemeine Geschäftsbedingung des hier vorliegenden Formularmietvertrags. Die Beklagte bezeichnet sie selbst als „Formularklausel“ (Klageerwiderung Seite 2). Ein individuelles Aushandeln nach § 305 Abs. 1 S. 3 BGB oder eine Individualabrede nach § 305b BGB liegen nicht vor. Formularklausel und Individualabrede schließen sich begrifflich aus. Denn eine Individualabrede unterliegt nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB.

a.) Die Klägerin als Vermieterin ist berechtigt, sich gegenüber der Beklagten auf eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB zu berufen. Denn unstreitig ist die Beklagte – also die Mieterin – Verwenderin der mietvertraglichen allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Bestandteil die Klausel ist (Klageerwiderung Seite 2).

b.) Die Klausel § 4 Nr. 8 des Mietvertrags lautet:

„Die Abrechnung der Betriebskosten erfolgt jährlich. Abrechnungszeitraum ist das Kalenderjahr.

Der Vermieter ist verpflichtet, innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Abrechnungszeitraums über die Betriebskosten abzurechnen. Die Parteien sind sich diesbezüglich einig, dass es sich hierbei darüber hinaus um eine Ausschlussfrist handelt. Rechnet der Vermieter nicht fristgerecht ab, ist der Mieter zum Einbehalt der Betriebskostenvorauszahlung gemäß § 4 Ziff. 9 berechtigt.“

c.) Infolge der Einbeziehung dieser Klausel weicht der Mietvertrag vom dispositiven Recht ab, nämlich von § 578 BGB. Darin hat der Gesetzgeber für das Gewerberaummietrecht einzelne Vorschriften des Wohnraummietrechts zwar für anwendbar erklärt, aber nicht die Jahresabrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 BGB. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber vielmehr aus dem Gewerberaummietrecht ausdrücklich ausgeklammert (BGH NJW 2011, 445 ff.).

d.) Soweit die Beklagte geltend macht, es liege keine Abweichung vom dispositiven Recht vor, weil es im Gewerberaummietrecht eine Abrechnungsfrist im Sinne von § 556 Abs. 3 BGB nicht gebe, verfängt dieser Einwand nicht.

Richtig ist zwar, dass § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit Vorschriften, von denen abgewichen wird, nur positiv gesetzte Vorschriften meint (Stoffels, AGB-Recht, 2003, Rn. 509, 510). Fehlt ein gesetzliches Pendant, so ist die Inhaltskontrolle an § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB auszurichten (Stoffels, AGB-Recht, 2003, Rn. 510 a.E.), wonach eine Unwirksamkeit nur bei Gefährdung des Vertragszwecks bejaht werden kann. Ist das Klauselthema hingegen schlicht ungeregelt geblieben, fehlt es an einer Leitnorm, von der abgewichen wird (Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2006, § 307 Rn. 244).

Im vorliegenden Fall braucht nicht geprüft zu werden, ob eine Abweichung vom dispositiven Recht im Einzelfall auch dann vorliegen kann, wenn eine Vertragsklausel einen vom Gesetz nicht normierten Regelungsgegenstand einführt.

Denn hier liegt dem Fehlen einer gesetzlichen Regelung eine Wertung zugrunde, die in § 578 BGB getroffen worden ist (s. oben). Danach hat der Gesetzgeber § 556 BGB für das Gewerberaummietrecht ausgeklammert. In einem solchen Fall stellt das Hinzufügen einer Vertragsklausel eine Abweichung vom dispositiven Recht dar (Staudinger/Coester, BGB, Neubearb. 2006, § 307 Rn. 244).

e.) Allerdings ist es grundsätzlich zulässig, eine entsprechende Jahresabrechnungsfrist auch in Gewerberaummietverträgen zu vereinbaren. Dies folgt aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 305 BGB a.F.; jetzt: § 311 Abs. 1 BGB n.F.; BGHZ 8, 23 ff., juris Tz. 18). Eine solche vertragliche Regelung darf aber nicht gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) verstoßen, wenn sie wie hier als Formularklausel vereinbart wird.

2.) Im vorliegenden Fall verstößt die Klausel in zumindest dreifacher Hinsicht gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Zwar können hierbei nicht die vom sozialen Mieterschutz geprägten Maßstäbe des Wohnraummietrechts übernommen werden. Denn im Gewerberaummietrecht stehen sich die Vertragspartner im Regelfall auf Augenhöhe gegenüber. Auch können nicht diejenigen Maßstäbe übernommen werden, die von einer Verwendereigenschaft des Vermieters ausgehen. Wie erwähnt ist im vorliegenden Fall der Mieter Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Gleichwohl ist anerkannt, dass auch in unternehmerischen Vertragsbeziehungen unangemessene Benachteiligungen nicht hingenommen werden können (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl. 2012, § 307 Rn. 38 ff.). Dies folgt aus § 310 Abs. 1 S. 2 BGB.

Ferner gilt auch im unternehmerischen Bereich der Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung (§ 305c Abs. 2 BGB).

a.) Eine unangemessene Benachteiligung liegt darin, dass § 4 Nr. 8 des Mietvertrags bei Fristablauf ein Erlöschen des Anspruchs auf Betriebskostennachzahlung vorsieht, ohne auf die Möglichkeit fehlenden Verschuldens der Klägerin Rücksicht zu nehmen. Eine Verzugsregelung, die eine Rechtsfolge im Falle von Verzögerungen auch bei fehlendem Verschulden begründet, stellt eine Haftungsverschärfung dar, die in allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht begründet werden kann (Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Aufl. 2012, § 286 Rn. 32; § 276 Rn. 25; § 307 Rn. 32).

Soweit der Bundesgerichtshof eine Jahresabrechnungsfrist im Gewerberaummietrecht aus dem Grundsatz der Verwirkung (§ 242 BGB) herleitet (BGH NJW 2011, 445), hat auch er darauf hingewiesen, dass diese nur im Regelfall gelte und nur dann, sofern nicht die Fristüberschreitung unverschuldet ist (BGHZ 184, 117 f., Tz. 38; Schmid, Handbuch der Mietnebenkosten, 12. Aufl. 2011, Rn. 3147; Langenberg, in: Schmidt/Futterer, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 556 Rn. 450).

Es gilt nicht die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Denn es geht nicht um einen Schadensersatzanspruch, sondern um die Kategorie der Verwirkung.

b.) Die Ausgestaltung als Ausschlussfrist stellt ebenfalls eine unangemessene Benachteiligung dar, da Ausschlussfristen in das gesetzliche Leitbild der Verjährung eingreifen (BGHZ 148, 74 ff., Tz. 26) und diese unangemessen verschärfen. Der Anspruch auf Betriebskostennachzahlung verjährt nach drei Jahren (§ 195 BGB; BGH WuM 2012, 317 f., Tz. 8). Durch eine Ausschlussfrist wird diese Verjährungsfrist, die mit der Erteilung der Jahresabrechnung beginnt, im Extremfall auf Null reduziert.

c.) Diese Benachteiligungen werden nicht durch Vorteile für die Vermieterin ausgeglichen, vielmehr kommt als weiterer Nachteil das Recht der Mieterin hinzu, Betriebskostenvorauszahlungen einzubehalten. Darin liegt eine nochmalige unangemessene Benachteiligung der Vermieterin. § 4 Nr. 8 des Mietvertrags entbehrt daher einer interessengerechten Balance. Ob dieses Recht zum Einbehalt der Vorauszahlungen vorliegend auch der zeitlichen Begrenzung entbehrt, kann dahinstehen.

d.) Ob § 4 Nr. 8 des Mietvertrags auch gegen § 308 Nr. 5 BGB verstößt, d.h. eine Ausschlussfrist einen rechtsgeschäftlichen Forderungsverzicht fingiert, kann dahinstehen. Denn bereits die oben genannten Benachteiligungen führen zur Unwirksamkeit. Aus gleichem Grund kann dahinstehen, ob die Klausel dem Vermieter auch die sog. Abrechnungsspitze nimmt (hierzu: BGH NJW 2008, 142 ff.; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 556 Rn. 12 a.E.). Nicht geprüft zu werden braucht auch, ob die Klausel dem Vermieter darüber hinaus bei fristgemäßer Abrechnung das Recht der mieterschädlichen Abrechnungskorrektur nimmt.

3.) Die Klägerin hat ihren Betriebskostennachzahlungsanspruch nicht verwirkt (§ 242 BGB). Hierfür genügt nicht der bloße Zeitablauf, vielmehr muss ein sog. Umstandsmoment hinzukommen, das ein Vertrauen der Mieterin dahin begründet, die Vermieterin werde ihren Nachzahlungsanspruch nicht mehr geltend machen (BGH NJW 2011, 445 ff., Tz. 15; BGHZ 184, 117 ff., Tz. 32; OLG Düsseldorf, ZMR 2000, 215 f.; OLG Köln, NZM 1999, 170 f.; Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl. 2009, Rn. V 370). Ein solches Umstandsmoment ist weder dargetan noch ersichtlich.

4.) Der Nachzahlungsanspruch ist der Höhe nach unstreitig.

5.) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 2 BGB. Die Klägerin hat die Beklagte unstreitig zur Zahlung bis 30.04.2011 aufgefordert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht gegeben sind.

 

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