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Baulärmbelästigungen durch Nachbarn rechtfertigen Mietminderung

LG Berlin – Az.: 65 S 99/19 – Urteil vom 30.10.2019

In dem Rechtsstreit hat das Landgericht Berlin – Zivilkammer 65 – aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2019 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 9. April 2019 – 10 C 246/18 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 99,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 9. Oktober 2018 sowie ausgerechnete Zinsen in Höhe von 5,76 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 90% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 10% zu tragen; die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 88% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 12%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

II.

Baulärmbelästigungen durch Nachbarn rechtfertigen Mietminderung
Symbolfoto: Von Lisa-S /Shutterstock.com

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist teilweise begründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

a) Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht den von der Klägerin gegen die Beklagten geltend gemachten Zahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 99,96 Euro aus § 535 Abs. 2 BGB bejaht.

Ohne Erfolg berufen die Beklagten sich auf eine weiter gehende Herabsetzung der Miete nach § 536 Abs. 1 BGB in dem Zeitraum Mai bis Juli 2017 wegen der von den Bewohnern der Nachbarwohnung (Mieterin und deren Mitbewohner) ausgehenden Belästigungen.

Das Amtsgericht hat das ihm im Rahmen der Bestimmung des Maßes der Gebrauchsbeeinträchtigung, die aufgrund des aus den Belästigungen (unstreitig) resultierenden Mangels der Mietsache eingetreten ist, eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt.

Es ist in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass die Umstände des Einzelfalls umfassend zu würdigen sind. Letztere hat es nachfolgend im Einzelnen lückenlos dargestellt. Es hat – anders als die Beklagten es in der Berufung beanstanden – insbesondere – auch – die von der Mieterin H. und ihrem Mitbewohner ausgehende permanente Bedrohungssituation ausdrücklich gewürdigt, die sich aus den Beleidigungen und Bedrohungen angesichts des Umstandes ergab, dass nie klar war, wann die Beklagten auf die Mieterin und deren Mitbewohner treffen würden und wie deren Reaktion ausfiel.

Ebenso sorgfältig hat das Amtsgericht sodann die Bemessung der konkreten Minderungsquote begründet. Soweit die Beklagten eine um 4% höhere Mietminderung für eingetreten erachten, beruht dies auf einer abweichenden Würdigung der vom Amtsgericht umfassend berücksichtigten Umstände des Einzelfalls, ohne dass sich Anhaltspunkte für einen Ermessensfehlgebrauch ergäben.

Soweit – wie hier – konkrete Anhaltspunkte keine Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, hat das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, die dieses nach § 286 ZPO zu würdigen hatte. Die Vorschrift fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und (ausnahmsweise; vgl. § 286 Abs. 2 ZPO) gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf (und muss).

b) Zu Recht wenden die Beklagten sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung weiterer Miete für den Zeitraum Mai bis Oktober 2018 in Höhe von insgesamt 717,95 Euro. Ein Anspruch aus § 535 Abs. 2 BGB besteht nicht, denn die Miete war in dem Zeitraum wegen des vom Nachbargrundstück ausgehenden Baulärms infolge der Errichtung eines 8-geschossigen Wohnhauses auf einer Fläche von 8.000 qm gemäß § 536 Abs. 1 BGB gemindert.

Nach dieser Vorschrift ist die Miete kraft Gesetzes gemindert, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihr Tauglichkeit zu vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder (erheblich) mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht.

Ein Mangel der Mietsache ist gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Der vertraglich geschuldete Zustand bestimmt sich vorrangig nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Mietvertragsparteien, die auch durch schlüssiges Verhalten getroffen werden können. Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung können dabei auch Umstände sein, die – als sogen. Umweltfehler – von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken, wie etwa Immissionen. Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben, § 242 BGB, nach der Verkehrsanschauung bestimmt (vgl. BGH, Urt. v. 29.04.2015 – VIII ZR 197/14, WuM 2015, 478, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 152/12, in NJW 2013, 680).

Umstände, die den Rückschluss zuließen, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrages hinsichtlich künftiger von Dritten verursachter Lärmbelästigungen den zur Zeit des Vertragsschlusses bestehenden Zustand für die gesamte Dauer des auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrages als unverändert bestehen bleibend wenigstens stillschweigend vereinbart, hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

Ebenso zutreffend ist es davon ausgegangen, dass sich der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand in einem solchen Fall – den oben dargestellten Maßstäben des BGH entsprechend – unter Berücksichtigung des Nutzungszweckes und des Grundsatzes von Treu und Glauben nach der Verkehrsanschauung bestimmt.

Richtig ist auch, dass der Vermieter bei (vorübergehend erhöhten) Lärmbelästigungen, die von öffentlichen Straßen ausgehen (BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 152/12, aaO) oder (dauerhaft) von einem Nachbargrundstück auf die Mietsache einwirken (BGH, Urt. 29.04.2015 – VIII ZR 197/15, aaO), regelmäßig keinen Einfluss darauf hat, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisses während der gesamten Dauer des Mietvertrages unverändert fortbestehen.

Anders verhält es sich jedoch schon im Ansatz, wenn die vom Nachbargrundstück ausgehenden Lärmbelästigungen nicht durch einen Dritten, sondern – wie hier – den Vermieter selbst verursacht werden, weil er der Bauherr ist. Die Mietminderung tritt dann – der gesetzlichen Anordnung in § 536 Abs. 1 BGB gemäß – kraft Gesetzes ein, denn unabhängig davon, ob der Vermieter im Bereich der Mietsache selbst oder auf einem Nachbargrundstück Bauarbeiten ausführt, ist die der („Bolzplatz-„)Entscheidung des BGH vom 29. April 2015 (VIII ZR 197/14, aaO) zugrunde liegende Situation nicht gegeben. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung begründen (nur) nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen durch Dritte und auch nur dann keinen zur Mietminderung führenden Mangel der Mietwohnung, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- und Entschädigungsmöglichkeit (als unwesentlich und ortsüblich im Sinne des § 906 BGB) hinnehmen muss (vgl. BGH, Urt. v. 29. April 2015 – VIII ZR 197/14).

Danach lässt sich schon nicht feststellen, dass bei vorübergehend erhöhten Geräuschimmissionen – etwa durch eine (Groß-)Baustelle – eine Mietminderung stets ausgeschlossen wäre. Nach den vom BGH entwickelten Maßstäben ist das vielmehr nur und erst dann der Fall, wenn die vom Vermieter als Einwand geltend gemachten, daher auch von ihm vorzutragenden und gegebenenfalls zu beweisenden Voraussetzungen des § 906 BGB vorliegen (vgl. insoweit differenzierend: LG München I, Urt. v. 14.01.2016 – 31 S 20691/14, NZM 2016, 237; [u.a.] Kammer, Urt. v. 23.01.2019 – 65 S 170/18, ZMR 2019, 405). Es kann auch keinesfalls unterstellt werden, dass sich von Großbaustellen in der unmittelbaren Nachbarschaft der Mietsache oder Straßenlärm ausgehende Lärmbelastungen in den Innenstadtlagen Berlins (oder anderer Großstädte) stets in üblichen Grenzen halten, ohne dass die Umstände des Einzelfalls – das konkrete Bauvorhaben und die Bauphasen (großräumige Abrissarbeiten, Arbeiten im Zusammenhang mit der Gründung von Gebäudekomplexen) – einer Prüfung bzw. Einbeziehung bedürften (vgl. die anders gelagerte Situation in BGH, Urt. v. 19.12.2012 – VIII ZR 152/12).

Entscheidend hier ist jedoch, dass – wie dargestellt – die vom Nachbargrundstück ausgehenden Geräuschimmissionen hier nicht durch Dritte, sondern durch die Klägerin selbst verursacht werden; sie ist sowohl Vermieterin als auch Bauherrin. Der Umstand, dass sie als städtisches Wohnungsbauunternehmen mit dem Bauvorhaben dringend benötigten Wohnraum in Berlin schafft, entlastet sie nicht, denn § 536 Abs. 1 BGB enthält weder Verschuldens- noch sonst geeignete Elemente, die eine Berücksichtigung dieses Einwandes zuließen.

Die von den Beklagten in Ansatz gebrachte Mietminderung ist jedenfalls für den hier geltend gemachten Zeitraum nicht zu beanstanden. Die Beklagten haben Lärmprotokolle vorgelegt und die Lärmbelastungen unter Beschreibung der Bauphasen und der zum Einsatz gebrachten Baugeräte beschrieben, ohne dass die Klägerin dem – angesichts eigener Kenntnis – zumutbar konkret entgegen getreten wäre. Die Geräuschimmissionen stehen – so der Vortrag der Beklagten – im Zusammenhang mit der Errichtung des Rohbaus ab Mai 2018; das in Bebauung befindliche Grundstück grenzt unmittelbar an das Schlafzimmer der von den Beklagten gemieteten Wohnung. Die Lärmbelastungen fanden in dem hier maßgeblichen Zeitraum (Mai bis Oktober) werktags und samstags statt.

Im Ansatz zu Recht verweist die Klägerin zwar darauf, dass die von Bauvorhaben ausgehenden Lärmimmissionen durchaus variieren. Nach den vom BGH entwickelten Maßstäben muss bei – wie hier – wiederkehrenden Beeinträchtigungen durch Lärm dessen ungeachtet kein detailliertes Lärmprotokoll vorgelegt werden; es genügt eine Beschreibung der Art der Beeinträchtigungen, der Tageszeiten, zu denen sie in welcher Frequenz und über welche Zeitdauer sie ungefähr auftreten (BGH, Urt. v. 29.02.2012 – VIII ZR 155/11, WuM 2012, 269, Beschluss vom 22.08.2017 – VIII ZR 226/16 WuM 2017, 587). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten jedenfalls angesichts des Umstandes, dass die Klägerin diesem nicht konkret entgegen getreten ist, obwohl sie als Bauherrin Kenntnis von der Lärmsituation haben muss.

Treten zur Minderung der Miete führende Belästigungen in unterschiedlicher Intensität oder periodisch auf, kann dem – wie hier geschehen – durch die Bemessung der Minderungsquote Rechnung getragen werden (vgl. nur BGH, Beschl. 04.09.2018 – VIII ZR 100/18, ZMR 2019, 478).

c) Der Zinsanspruch folgt unter dem Gesichtspunkt des Verzuges aus §§ 286, 288 BGB.

2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Gesetzes, seiner Materialien und höchstrichterlich bereits entwickelter Maßstäbe.

 

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