LG Oldenburg – Az.: 8 O 1268/20 – Urteil vom 26.10.2020
1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts Oldenburg vom 30.06.2020, Geschäftsnummer 8 O 1268/20, wird aufrechterhalten.
2. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages fortgesetzt werden.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Frage, ob die auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes wegen der Corona-Pandemie behördlich verfügte Schließung des Ladenlokals der Beklagten, die dort ein Modegeschäft betreibt, zu einer Mietminderung um 100% führt.
Die Beklagte ist Mieterin des Ladenlokals …. Die Vermietung erfolgte zum Betrieb eines „Bekleidungs-Einzelhandelsgeschäftes mit angrenzendem Sortiment“.
Weiter heißt es im Vertrag: „Änderungen des Nutzungszweckes sind mit schriftlicher Zustimmung des Vermieters statthaft.“
Wegen der Einzelheiten der getroffenen Vereinbarungen wird auf den Mietvertrag mit der Fa. …, Inhaber …, vom 07.12.2020 verwiesen (Bl. 6-10 d.A.).
Die Klägerin ist als Erbin Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes …. Der monatliche Mietzins betrug zuletzt 4.165,00 € brutto zuzüglich 102,26 € Nebenkosten.
Aufgrund der Corona-Pandemie durfte die Beklagte aufgrund behördlicher Anordnung, die auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes erfolgte, in der Zeit vom 17.03.2020 bis zum 18.04.2020 das Geschäft nicht öffnen und keine Bekleidung verkaufen.
Die Beklagte kündigte an, den Mietzins aufgrund der behördlichen Schließung um 100% mindern zu wollen. Sie zahlte in der Folge die Miete für die Monate April und Mai nicht. Eine Zahlung von 102,26 € vom 11.05.2020 hat die Klägerin auf die Nebenkostenvorauszahlung für April 2020 verrechnet.
Für April 2020 besteht ein Zahlungsrückstand von 4.165,00 € und für Mai in Höhe von 4.267,26 €.
Die Klägerin meint, die behördlich veranlasste Schließung des Ladenlokals führe nicht zu einer Mangelhaftigkeit der Mietsache. Es habe sich hier das Verwendungsrisiko der Mieterin verwirklicht.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.165 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.04.2020 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.267,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.05.2020 zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 808,13 € zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.
Das Gericht hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Die Beklagte hat keine Verteidigungsanzeige übersandt. Daraufhin hat das Gericht antragsgemäß ein der Klage stattgebendes Versäumnisurteil vom 30.06.2020 erlassen. Hiergegen hat die Beklagte Einspruch eingelegt.
Die Klägerin beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil vom 30.06.2020 aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil vom 30.06.2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie meint, die behördlich angeordnete Schließung des Ladenlokals in der Zeit vom 17.03.2020 bis zum 18.04.2020 stelle einen Mangel der Mietsache dar. Dieser würde eine Minderung der Mieten um 100% für die Monate April und Mai rechtfertigen.
Sie behauptet dazu weiter, auch in den Folgemonaten sei ein erheblicher Umsatzrückgang zu verzeichnen gewesen. Im Übrigen habe sich die Beklagte in einer existenzbedrohenden Notlage befunden.
Sie meint weiter, soweit kein Mangel der Mietsache vorliege, müsse eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erfolgen, die ebenfalls eine 100prozentige Mietminderung für die Monate April und Mai rechtfertige.
Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der zulässige Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 30.06.2020 hat keinen Erfolg.
Die Klägerin kann gem. § 535 Abs. 2 BGB die Zahlung der Mieten für die Monate April und Mai 2020 in Höhe von unstrittig 4.165,00 € und 4.267,26 € verlangen. Die Beklagte kann sich weder auf eine Mietminderung noch auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die Unmöglichkeit der Leistungserbringung durch die Klägerin berufen.
1. Ein Sachmangel der Mietsache, der gemäß § 536 Abs. 1 BGB den Mieter von der Zahlung der Miete befreien würde, liegt hier nicht vor.
Öffentlichrechtliche Gebrauchshindernisse begründen nur dann einen Sachmangel, wenn sie unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und ihre Ursache nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters haben (BGH, Urteil vom 22.06.1988 – VII ZR 232/87; BGH, Urteil vom 13.07.2011, XII ZR 189/09). Ist die Mietsache als solche weiter zur Nutzung grundsätzlich geeignet und nur der geschäftliche Erfolg des Mieters betroffen, realisiert sich das von dem Mieter zu tragen Verwendungsrisiko und nicht das Gebrauchsüberlassungsrisiko, welches tatsächlich von dem Vermieter zu tragen wäre.
Die behördliche Anordnung zur Schließung des streitgegenständlichen Geschäftes beruht ersichtlich nicht auf einer Beschaffenheit der Mietsache. Es handelt sich vielmehr um eine infektionsschutzrechtlich begründete Entscheidung der Gesundheitsbehörden, bestimmte Arten von Einzelhandelsgeschäften zu schließen, wohingegen andere zur Versorgung der Bevölkerung erforderliche Geschäfte weiter haben öffnen können. Vor diesem Hintergrund beruht die konkrete Schließung nicht auf der Tatsache, dass hier ein Ladenlokal vermietet worden ist, sondern auf der konkreten Verwendung durch die Beklagte. Die Beurteilung ändert sich auch nicht dadurch, dass im Mietvertrag die Vermietung zum Betrieb eines BekleidungsEinzelhandelsgeschäftes vereinbart worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Vertrag ebenfalls die Möglichkeit der Nutzungsänderung vereinbart worden ist. Insoweit handelt es sich bei dem zunächst angegebenen Vermietungszweck lediglich um die Konkretisierung der durch die Beklagte beabsichtigten Verwendung des Ladenlokals, die entsprechend den obigen Ausführungen das Verwendungsrisiko betrifft (ebenso LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020, 5 O 66/20; LG Zweibrücken, Urteil vom 11.09.2020, HKO 17/20).
Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Landgerichts München im dortigen Verfahren 3 O 4495/20 überzeugt insoweit nicht. Die Entscheidung stützt sich unter anderem auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zu behördlichen Auflagen. Dabei wird übersehen, dass die Rechtsprechung betreffend ein Tanzverbot eine öffentlichrechtlich missbilligte Eigenschaft der Mietsache betraf. Ferner war der heute vorausgesetzte Objektbezug einer öffentlichrechtlichen Einschränkung in der damaligen Rechtsprechung nicht von entscheidender Bedeutung (vergl. LG Heidelberg aaO, Rn. 37).
2. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Klägerin die Leistung unmöglich geworden sei, so dass der Anspruch auf die Gegenleistung gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfällt.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verwendungsrisiko im Mietrecht dem Mieter zugewiesen worden ist. Wie auch im Rahmen von § 536 BGB können daher allenfalls solche Störungen zu einer Unmöglichkeit führen, die in der Beschaffenheit, der Lage oder dem Zustand der Mietsache begründet sind. Aus diesem Grunde werden die Vorschriften des allgemeinen Leistungsstörungsrechts nach Übergabe der Mietsache durch das besondere mietrechtliche Gewährleistungssystem verdrängt (LG Heidelberg, aaO. Rn.40 mit weiteren Nachweisen).
Entsprechend diesen Grundsätzen und den obigen Ausführungen ist daher im vorliegenden Fall der Klägerin die Hauptleistungspflicht, die Überlassung der Mietsache, für den Zeitraum der behördlichen Schließung von Geschäften des Bekleidungseinzelhandels für den Publikumsverkehr nicht unmöglich geworden.
3. Letztlich ist hier auch keine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorzunehmen.
Unabhängig davon, ob das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage als eng begrenzter Ausnahmetatbestand hier überhaupt Anwendung findet, erscheint im vorliegenden Fall ein Festhalten am Vertrag jedenfalls nicht unzumutbar.
Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich hier das die Beklagtenseite treffende Verwendungsrisiko verwirklicht hat. Weiter ist der eng begrenzte Zeitraum der Schließung von viereinhalb Wochen zu berücksichtigen. Ferner können auch die gesetzlichen Regelungen im Rahmen der Gesetzgebung zu Covid-19 nicht außer Acht gelassen werden. Insoweit ist im Rahmen dieser Gesetzgebung die Hauptleistungspflicht des Mieters bestehen geblieben. Lediglich die Möglichkeit, wegen Mietrückständen zu kündigen, wurde eingeschränkt. Im Gegenzug sind umfangreiche staatliche Hilfen beschlossen worden, die jeweils den Betreibern von Einzelhandelsunternehmen oder Restaurants gewährt werden, um laufende Betriebskosten (z.B. Miete) decken zu können. Auch im Hinblick auf diese Ausgleichsmaßnahmen, die lediglich auf der Mieterseite gewährt wurden, erscheint ein Festhalten an dem Vertrag nicht unzumutbar.
Soweit die Beklagte pauschal behauptet, die Situation sei für sie existenzbedrohend, ist der Vortrag derart ungenau, dass er nicht ausreicht. Die Beklagte hat lediglich Umsatzzahlen der hier streitgegenständlichen Filiale vorgelegt. Vortrag zur konkreten Ertragssituation und zum Umfang staatlicher Hilfen fehlt.
4. Die Zinsen kann die Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß den §§ 286, 288 BGB verlangen. Der Leistungszeitpunkt ist entsprechend § 3 des Mietvertrages nach dem Kalender bestimmt.
Entsprechendes gilt für die außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung. Hier kann die Klägerin die geltend gemacht 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 808,13 EUR brutto nach einem Streitwert von bis zu 9000 € verlangen.
Die weitere Verzinsung der Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus den §§ 291, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 91 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit gemäß § 709 ZPO.