LG Berlin – Az.: 64 S 39/17 – Beschluss vom 29.11.2017
Die Kammer beabsichtigt, die weiter gehende Berufung der Klägerin gegen das am 25. Januar 2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg – 231 C 387/16 – durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, sofern der Beklagte die Klage in Höhe von 108,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. April 2016 und 48,73 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten anerkennt.
Gründe
Der Beschluss beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die zulässige Berufung im Wesentlichen keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Die Berufung ist entgegen der Ansicht des Beklagten zulässig, insbesondere hinreichend begründet worden. Die Klägerin hat in der fristgerecht vorgelegten Berufungsbegründung die Rechtsausführungen des Amtsgerichts umfassend angegriffen.
1.
Hinsichtlich des im Hinblick auf eine denkbare Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung 2015 als derzeit unbegründet abgewiesenen Klagebetrages von 108,10 € hat sie zwei rechtliche Argumente vorgebracht, die jedes für sich ausreichen, der Klage insoweit zum Erfolg zu verhelfen.
a)
Sie hat zum einen ausgeführt, dass ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten nicht bestanden habe, da als Ergebnis der Nebenkostenabrechnung 2015 entgegen der Ansicht des Amtsgerichts voraussichtlich ein Guthaben zu erwarten sei, nachdem schon die Nebenkostenabrechnung 2014 mit einem Guthaben geschlossen habe; überdies habe die Klägerin in 2015 für zehn Monate Heizkostenvorschüsse gezahlt, aber nur während einer halben Heizperiode Kosten verursacht.
Darin liegt ein zulässiger Berufungsangriff, der nach Ansicht der Kammer außerdem begründet ist. Der Beklagte hat nicht schlüssig dargetan, dass und aus welchen Gründen für das Jahr 2015 mit drastisch höheren Nebenkosten zu rechnen gewesen sei als im Jahr 2014. Unter Berücksichtigung des weiteren unstreitigen Umstandes, dass die Klägerin im Jahr 2015 Nebenkostenvorauszahlungen für zehn Monate erbrachte, für die besonders heizkostenintensiven Monate November und Dezember 2015 aber keine Heizkosten tragen muss, fehlt es an einer tragfähigen Basis für die Annahme des Amtsgerichts, die Nebenkostenabrechnung für das Jahre 2015 könne zu einer Nachforderung führen.
Dem Beklagten wird daher anheim gestellt, die Klage in Höhe von 108,10 € nebst den auf diesen Teilbetrag entfallenden Nebenforderungen anzuerkennen.
b)
Die Klägerin hat ferner unbestritten vorgetragen, dass der Beklagte ihr eine Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2015 bisher nicht vorgelegt habe, obwohl die Abrechnungsfrist des § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB seit dem 1. Januar 2017 abgelaufen ist. Kann der Beklagte eine Nachforderung für das Abrechnungsjahr 2015 mithin nicht mehr geltend machen, ist die Klage in Höhe von 108,10 € auch deswegen jedenfalls inzwischen begründet.
2.
Soweit das Amtsgericht den weiter gehenden Zahlungsantrag von 1.111,50 € zurückgewiesen hat, hat die Klägerin in der Berufungsbegründung sowohl die Haupt- als auch die Hilfsbegründung des Amtsgerichts angegriffen. Sie hat geltend gemacht, dem Beklagten stünde die im Wege der Aufrechnung für den Zeitraum Dezember 2013 bis einschließlich Dezember 2014 zuerkannte restliche Miete in Höhe von 85,50 € je Monat nicht zu. Rückstände auf die Nettokaltmiete bestünden auf Grund der den Mietzahlungen zu Grunde liegenden Tilgungsbestimmung der Klägerin vom 2. Dezember 2013 nicht, denn die Klägerin habe die von der Tilgungsbestimmung abweichende Verrechnung des Beklagten entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch nicht nachträglich genehmigt, indem sie sich auf die Ergebnisse der von diesem für die Jahre 2013 und 2014 erteilten Abrechnungen berufen habe. In der Berufung auf die Abrechnungsergebnisse liege entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch kein treuwidriges Verhalten, denn der Beklagte habe wissentlich inhaltlich falsche Abrechnungen erstellt und sei insofern nicht schützenswert, sondern daran gebunden, dass ihm auf die Nebenkosten der Jahre 2013 und 2014 keine weiteren Zahlungen zustünden.
Die mithin auch insoweit zulässige Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das Amtsgericht hat die Klage in Höhe von 1.111,50 € einschließlich der auf diesen Betrag entfallenden Nebenforderungen im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass ihre Mietzahlungen gemäß § 366 Abs. 1 BGB zunächst auf die Nettokaltmiete zu verrechnen waren. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 mitgeteilt hatte, dass sie den monatlichen Betriebskostenvorschuss ab Dezember 2013 um 85,50 € reduzieren werde, lag eine für den Beklagten verbindliche Tilgungsbestimmung vor; er durfte die monatlichen Teilzahlungen der Klägerin in Höhe von 829,50 € auf die Gesamtmiete, die nach den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts weiterhin 915,00 € betrug, nicht abweichend von der Vorgabe der Klägerin verrechnen.
Richtig ist auch, dass ein Vermieter rückständige Nebenkostenvorschüsse nach Erteilung der Jahresabrechnung nicht mehr als solche, sondern nur noch als Teil des Abrechnungssaldos geltend machen kann. Die Klägerin macht weiter zu Recht geltend, dass ein Vermieter an das Ergebnis einer fristgerecht erteilten Abrechnung regelmäßig gebunden ist und weiter gehende Nebenforderungen nach Ablauf der Abrechnungsfrist grundsätzlich nur noch unter der Voraussetzung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 556 Abs. 3 Satz 3 2. Halbsatz BGB geltend machen kann; das gilt sowohl für Änderungen der auf den Mieter entfallenden Kosten (vgl. BGH – VIII ZR 190/06 -, Urt. v. 12.12.2007, GE 2008, 327 f., zitiert nach juris) als auch für Korrekturen der als erbracht berücksichtigten Vorschüsse (vgl. BGH – VIII ZR 133/10 -, Urt. v. 30.03.2011, GE 2011, 814, zitiert nach juris). Die vom Vermieter einzuhaltende Abrechnungsfrist dient ebenso wie die Einwendungsfrist für den Mieter dem Rechtsfrieden; die Regelungen in § 556 Abs. 3 BGB sollen gewährleisten, „dass die Mietvertragsparteien nach überschaubarer Zeit Klarheit über ihre Verpflichtungen aus einem abgeschlossenen Abrechnungszeitraum erlangen“ (vgl. BGH – VIII ZR 296/09 -, Urt. v. 12.01.2011, GE 2011, 331 ff., Rn. 21, zitiert nach juris).
Von diesem Grundsatz und der beidseitigen Bindung an das Abrechnungsergebnis gibt es jedoch Ausnahmen. Ein schutzwürdiges Vertrauen der Vertragsparteien in die Richtigkeit und Verbindlichkeit der Abrechnung kann nämlich insoweit nicht entstehen, als ihnen ein Fehler des Abrechnungswerks positiv bekannt ist. In solchen Fällen kann sich die Berufung auf den Ablauf der in § 556 Abs. 3 BGB bestimmten Fristen und die Verbindlichkeit des Abrechnungsergebnisses als treuwidrig darstellen, sodass eine Korrektur offensichtlicher Fehler auch nach Fristablauf möglich bleibt. So kann ein Vermieter sich nach § 242 BGB hinsichtlich solcher im Abrechnungsergebnis berücksichtigter Kosten nicht auf ein Vertrauen in die Verbindlichkeit der Abrechnung berufen, die er in der Abrechnung selbst als „nicht umlagefähig“ bezeichnete (vgl. BGH – VIII ZR 209/15 -, Urt. v. 11.05.2016, GE 2016, 854 ff., Rn. 28, zitiert nach juris). Umgekehrt kann ein Mieter sich auf fehlerhaft zu seinen Gunsten berücksichtigte Vorschusszahlungen dann nicht berufen, wenn auf Grund besonderer Umstände feststeht, dass er diesen Fehler des Abrechnungswerks sofort erkannte und deshalb insoweit keinen Schutz verdient (vgl. BGH – VIII ZR 133/10 -, Urt. v. 30.03.2011, GE 2011, 814, Rn. 15, zitiert nach juris).
Die Bindung an das Abrechnungsergebnis entfällt allerdings nicht schon dann, wenn der Vermieter Tilgungsbestimmungen seiner Mieter routinemäßig ignoriert oder unabhängig von den tatsächlich geleisteten Zahlungen stets die geforderten Sollvorschüsse als geleistet in die Abrechnung einstellt (vgl. LG Bonn – 6 S 43/13 -, Urt. v. 16.01.2014, ZMR 2014, 638 ff.; LG Berlin – 65 S 318/12 -, Urt. v. 15.02.2013, GE 2013, 421; LG Aachen – 2 S 245/15 -, Urt. v 10.03.2016, ZMR 2016, 778 f.; a. A. LG Berlin – 63 S 124/16 -, Urt. v. 27.01.2017, GE 2017, 297; alle zitiert nach juris). Mag die Abrechnung in solchen Fällen auch erkennbar unrichtig sein, steht nicht ohne weiteres fest, dass der Mieter den Fehler auch seinem konkreten Ausmaß nach tatsächlich bemerkt und deshalb auf das Abrechnungsergebnis insoweit nicht vertrauen darf. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die den Schluss zulassen, dass der Mieter treuwidrig handelt, indem er ein Vertrauen auf das Abrechnungsergebnis auch insoweit in Anspruch nimmt, als er von Anfang an um einen konkreten Fehler des Abrechnungswerks wusste. Solche besonderen Umstände lagen im oben zuletzt zitierten Fall des BGH darin, dass die Mietvertragsparteien gerade einen Rechtsstreit über die Höhe der zu leistenden Vorschüsse geführt hatten, deshalb ein Zahlungstitel über rückständige Vorschussforderungen des Vermieters vorlag und der Mieter daher genau wusste, in welcher konkreten Höhe er die in der Abrechnung angegebenen Vorschusszahlungen tatsächlich nicht erbracht hatte.
Ähnlich liegt es hier, denn die Parteien hatten sich in der zweiten Jahreshälfte 2013 über die Höhe der Betriebskostenvorschüsse auseinander gesetzt; die Klägerin hatte mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 die Kürzung ihrer Vorschusszahlungen um 85,50 € monatlich angekündigt und ihre Mietzahlungen im Zeitraum ab Dezember 2013 entsprechend reduziert, obwohl der Beklagte mit Schreiben vom 27. Januar 2014 darauf hinwies, dass ihm die vereinbarte Miete weiterhin in voller Höhe zustehe. Der Klägerin war vor diesem Hintergrund bewusst, dass sie die in den Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2013 und 2014 berücksichtigten Sollvorschüsse um 1.111,50 € (13 x 85,50 €) gekürzt und der Beklagte ihre Mietzahlungen insoweit fehlerhaft nicht auf die Nettokaltmiete, sondern auf die Betriebskosten verrechnet hatte. Die Klägerin handelt treuwidrig, indem sie versucht, den Beklagten an diesem Abrechnungsfehler festzuhalten, obwohl sie ihn sogleich erkannte und deswegen insoweit keinen Schutz verdient. Dem Amtsgericht ist deshalb im Ergebnis darin beizupflichten, dass die Klägerin dem Beklagten die Erfüllung der zur Aufrechnung gestellten Mietforderungen nicht entgegen halten kann; indem sie das eigentlich falsche Abrechnungsergebnis als den Beklagten bindend für sich in Anspruch genommen hat, hat sie die Abrechnung gebilligt und damit die ihrer Tilgungsbestimmung widersprechende Verrechnung der Mietzahlungen genehmigt.
In dieser rechtlichen Würdigung liegt keine zur Zulassung der Revision führende Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Zwar nahm der Vermieter in der Streitsache VIII ZR 133/10 kurz nach Ablauf der Abrechnungsfrist eine Korrektur der Abrechnung vor, weil der Mieter versucht hatte, über das fehlerhafte ausgewiesene Guthaben zu verfügen und dem Vermieter der offensichtliche Fehler der Abrechnung dadurch bewusst geworden war. Die entscheidende Gemeinsamkeit beider Fälle liegt aber darin, dass der Mieter einen offensichtlichen und von ihm als solchen erkannten Fehler der Abrechnung wider besseren Wissens zu seinen Gunsten auszunutzen suchte. Darauf, wann und auf welche Weise die Mietvertragsparteien den offensichtlichen Fehler der Abrechnung korrigieren, kommt es nicht entscheidend an.
Die Kammer regt deshalb an, dass der Beklagte die Klage im skizzierten Umfang anerkennen und die Klägerin die weiter gehende Berufung zurücknehmen möge. Sie weist vorsorglich darauf hin, dass sich die Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren in diesem Falle halbieren würden (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz).
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.