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BGH-Urteil: Spottbillige Miete für Luxuswohnung – Wann ist ein Mietvertrag ungültig?

Ein Traum wird wahr: Eine riesige Altbauwohnung in bester Stadtlage für einen Bruchteil der ortsüblichen Miete. Doch kann so ein Deal rechtens sein? Der Bundesgerichtshof musste genau das klären und lieferte eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen für Mieter und Vermieter.

Eine besonders niedrige Miete für ein Luxus Apartment in Berlin sorgt für Zündstoff. Ist der Mietvertrag gültig?
Laut BGH macht ein extrem günstiger Mietpreis allein einen Mietvertrag noch nicht unwirksam oder sittenwidrig. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Fall: Ein Mietvertrag über eine 177 qm große Wohnung in Berlin für nur 600 € Kaltmiete wurde von der Vermieter-GmbH angefochten (Vorwurf: Sittenwidrigkeit, Kollusion).
  • Kernfrage: Ist ein extrem günstiger Mietvertrag automatisch unwirksam?
  • BGH-Entscheidung: Nein, ein auffällig niedriger Mietpreis allein macht einen Vertrag nicht automatisch sittenwidrig (§ 138 BGB) oder wegen Kollusion nichtig.
  • Keine automatische Kollusion: Für Kollusion muss ein bewusstes, unlauteres Zusammenwirken des Mieters und des Vermietervertreters zum Schaden des Vermieters nachgewiesen werden.
  • Missbrauch der Vertretungsmacht (§ 242 BGB): Ein Vertrag kann unwirksam sein, wenn der Mieter wusste oder hätte erkennen müssen, dass der Vertreter des Vermieters (z.B. Geschäftsführer) seine Befugnisse missbraucht. Die Hürden hierfür liegen niedriger als bei Kollusion, aber der günstige Preis allein reicht auch hierfür nicht zwingend aus.
  • Keine automatische Wissenszurechnung (§ 166 BGB): Das (angebliche) Wissen eines Lebenspartners oder Mitbewohners über problematische Umstände beim Vertragsschluss wird dem Mieter nicht automatisch zugerechnet, nur weil sie zusammenleben. Eine Zurechnung erfordert eine bewusste Einschaltung als Vertreter oder „Wissensvertreter“.
  • Beweislast: Der Vermieter muss die Kollusion oder die Kenntnis/das Kennenmüssen des Mieters vom Machtmissbrauch konkret beweisen.
  • Ergebnis im Fall: Der BGH hat das Urteil des Landgerichts Berlin, das den Vertrag für nichtig hielt, aufgehoben und den Fall zur erneuten Prüfung zurückverwiesen. Der Ausgang ist offen.
  • Praktische Bedeutung: Stärkt tendenziell die Position von Mietern mit sehr günstigen Alt- oder Neuverträgen; Vermieter (insbesondere Unternehmen) müssen interne Kontrollen sicherstellen und können Verträge nicht allein wegen des Preises kippen.

Der schmale Grat zwischen Glücksgriff und Sittenwidrigkeit

Stellen Sie sich vor, Sie finden eine 177 Quadratmeter große Wohnung in Berlin für nur 600 Euro Kaltmiete im Monat. Ein Angebot, das fast zu gut klingt, um wahr zu sein, besonders in Zeiten angespannter Wohnungsmärkte. Genau solch ein Fall landete vor dem Bundesgerichtshof (BGH), Deutschlands höchstem Zivilgericht.

Die zentrale Frage: Ist ein derart günstiger Mietvertrag automatisch ungültig, weil er „sittenwidrig“ ist oder durch unlautere Absprachen („Kollusion“) zustande kam? Die Entscheidung des BGH (Az. VIII ZR 152/23 vom 26. März 2025) bringt Licht ins Dunkel und erklärt, wann ein Schnäppchen-Mietvertrag Bestand hat und wann er tatsächlich gekippt werden kann. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe des Falls, erklärt die juristischen Feinheiten verständlich und zeigt die praktischen Auswirkungen für Mieter und Vermieter auf.

Der Fall: 177 Quadratmeter Berlin für 600 Euro – Zu schön, um wahr zu sein?

Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand ein Mietvertrag, der im Jahr 2017 abgeschlossen wurde. Eine Frau mietete als alleinige Vertragspartnerin eine großzügige Fünfzimmerwohnung mit 177 Quadratmetern Wohnfläche in Berlin. Vermieterin war eine GmbH, also eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der die Wohnung gehörte. Der vereinbarte Preis war bemerkenswert niedrig: 600 Euro Kaltmiete monatlich. Inklusive Nebenkosten sollte die Bruttomiete 1.010 Euro betragen.

Zusätzlich enthielt der Vertrag eine weitere Besonderheit: Die Mietzahlungen sollten erst im September 2018 beginnen, also über ein Jahr nach Vertragsabschluss. Als Gegenleistung für diese mietfreie Zeit verpflichtete sich die Mieterin, die Wohnung auf eigene Kosten fachgerecht renovieren zu lassen. Ausgenommen davon waren nur Arbeiten, die ohnehin in die Verantwortung des Vermieters fallen (sogenannte Instandhaltungsmaßnahmen). Die Frau zog mit ihrem Lebensgefährten und den gemeinsamen Kindern in die Wohnung ein.

Der Streit eskaliert: Vorwürfe der Kollusion und Sittenwidrigkeit

Knapp vier Jahre nach Einzug der Familie änderte sich die Situation. Die GmbH, vertreten durch eine neue Geschäftsführung, forderte die Familie zur Räumung und Herausgabe der Wohnung auf. Der Vorwurf wog schwer: Der Mietvertrag sei ungültig. Er sei durch sogenanntes kollusives Verhalten zustande gekommen und zudem wegen der extrem niedrigen Miete sittenwidrig.

Kollusives Verhalten bedeutet, dass zwei oder mehr Parteien in betrügerischer Absicht zusammenwirken, um einen Dritten zu schädigen oder zu benachteiligen. Im Mietrecht kann dies beispielsweise vorliegen, wenn Vermieter und Mieter bewusst zusammenarbeiten, um die Rechte eines Dritten (etwa eines anderen Mietinteressenten oder eines Gläubigers) zu umgehen.

Sittenwidrigkeit wegen extrem niedriger Miete bedeutet in dem Zusammenhang, dass der Mietvertrag gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt, weil die vereinbarte Miete ungewöhnlich niedrig ist. Ein Vertrag ist sittenwidrig, wenn er gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Bei Mietverträgen kann dies der Fall sein, wenn die Miete deutlich unter dem Marktwert liegt und dies auf verwerflichen Motiven basiert.

Ein solcher Mietvertrag kann rechtlich anfechtbar oder sogar nichtig sein. Die Nichtigkeit würde bedeuten, dass der Vertrag von Anfang an keine rechtliche Wirkung entfaltet hat. Eine detailliertere Betrachtungsweise dieser beiden Begriffe finden Sie weiter unten,

Was war passiert?

Der Geschäftsführer der GmbH, der den Mietvertrag damals im Namen der Gesellschaft unterzeichnet hatte, war inzwischen abgelöst worden. Die neue Leitung warf ihm vor, er habe bei Abschluss des Mietvertrages bewusst zum Nachteil der GmbH gehandelt. Angeblich habe er mit dem Lebensgefährten der Mieterin (der selbst nicht Vertragspartei war) zusammengearbeitet, um der GmbH zu schaden. Die eigentliche Absicht der GmbH sei es gewesen, die Wohnung zu verkaufen, nicht sie zu vermieten – schon gar nicht zu solch günstigen Konditionen. Die vereinbarte Miete von 600 Euro für eine so große Wohnung in Berlin sei, selbst unter Berücksichtigung der Renovierungsarbeiten, ein klarer Verstoß gegen die „guten Sitten“.

Da die Familie sich weigerte auszuziehen, zog die GmbH vor Gericht. Der Fall durchlief mehrere Instanzen mit unterschiedlichen Ergebnissen:

  • Amtsgericht Charlottenburg: Das erste Gericht wies die Klage der GmbH ab. Der Mietvertrag wurde als gültig angesehen.
  • Landgericht Berlin: In der nächsten Instanz (Berufung) sah die Sache anders aus. Das Landgericht gab der GmbH weitgehend recht und verurteilte die Familie zur Räumung. Die Begründung: Der Vertrag sei nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – dem Paragrafen zur Sittenwidrigkeit – unwirksam. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der frühere Geschäftsführer und der Lebensgefährte der Mieterin zum Nachteil der GmbH zusammengewirkt hätten. Dem Lebensgefährten sei zudem bekannt gewesen oder hätte zumindest grob fahrlässig unbekannt sein müssen, dass der Geschäftsführer gar nicht befugt war, einen solchen Vertrag abzuschließen. Er habe gewusst, dass die Wohnung verkauft werden sollte. Dieses Wissen des Lebensgefährten rechnete das Landgericht der Mieterin über § 166 BGB (Wissenszurechnung) zu.

Gegen dieses Urteil legte das Paar Revision beim Bundesgerichtshof ein – die letzte Möglichkeit, die Entscheidung überprüfen zu lassen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Günstig ist nicht automatisch sittenwidrig (BGH VIII ZR 152/23)

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Landgerichts Berlin auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung dorthin zurück. Die Begründung der Karlsruher Richter ist für das Verständnis von Mietverträgen und Vertretungsregelungen von großer Bedeutung. Sie stellten klar, dass die Argumentation des Landgerichts nicht ausreicht, um die Unwirksamkeit des Mietvertrages zu begründen.

Klarstellung: Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) vs. Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Ein zentraler Punkt der BGH-Entscheidung ist die saubere Trennung zweier juristischer Konzepte, die das Landgericht laut BGH vermischt hatte:

Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB (Kollusion)

Ein Vertrag ist sittenwidrig und damit von Anfang an nichtig (ungültig), wenn er gegen das Anstandsgefühl aller „billig und gerecht Denkenden“ verstößt. Im Kontext von Vertretungshandeln liegt Sittenwidrigkeit insbesondere dann vor, wenn der Vertreter (hier der Geschäftsführer) und der Vertragspartner (hier die Mieterin bzw. ihr Umfeld) bewusst und gezielt zusammenwirken, um dem Vertretenen (der GmbH) zu schaden. Dies nennt man Kollusion. Hierfür ist also eine aktive, unlautere Absprache oder zumindest ein bewusstes Ausnutzen der Situation zum Schaden des anderen erforderlich.

Unwirksamkeit wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Es kann auch Fälle geben, in denen keine bewusste Kollusion vorliegt, der Vertrag aber dennoch problematisch ist. Dies ist der Fall, wenn der Vertreter zwar formal die Befugnis zum Vertragsabschluss hat (seine Vertretungsmacht), diese aber intern missbraucht – also gegen die Weisungen oder Interessen des Vertretenen handelt. Wenn der Vertragspartner diesen Missbrauch erkannt hat oder hätte erkennen müssen (also bei offensichtlichen Anzeichen nicht die Augen verschließen darf), kann sich der Vertretene nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen. Die Hürden liegen hier etwas niedriger als bei der Kollusion, da kein bewusstes Zusammenwirken zum Schaden erforderlich ist, sondern „nur“ die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis vom Missbrauch der Vertretungsmacht.

Der BGH kritisierte, dass das Landgericht Berlin diese beiden Fälle nicht sauber getrennt habe. Es hatte für die Annahme der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) ausreichen lassen, dass der Lebensgefährte den Missbrauch der Vertretungsmacht kannte oder hätte kennen müssen – Kriterien, die eigentlich eher zum § 242 BGB (Treu und Glauben) passen.

Fehlende Beweise für Kollusion der Mieterin

Für eine echte Kollusion (§ 138 BGB) hätte das Landgericht nachweisen müssen, dass die Mieterin selbst bewusst mit dem Geschäftsführer zusammengewirkt hat, um die GmbH zu schädigen. Dafür fanden die BGH-Richter jedoch keine ausreichenden Feststellungen im Urteil des Landgerichts. Es war nicht ersichtlich, dass die Frau überhaupt Kenntnis von internen Vorgängen bei der GmbH oder von angeblichen Absprachen zwischen dem Geschäftsführer und ihrem Lebensgefährten hatte.

Wissenszurechnung (§ 166 BGB): Partnerwissen ist nicht automatisch eigenes Wissen

Das Landgericht hatte argumentiert, dass das Wissen des Lebensgefährten (der ja angeblich wusste, dass der Geschäftsführer seine Befugnisse überschritt) der Mieterin zugerechnet werden müsse. Hierfür zog es § 166 BGB heran. Doch auch hier widersprach der BGH.

§ 166 BGB regelt die Zurechnung von Wissen bei Stellvertretung. Das bedeutet: Handelt jemand als offizieller Stellvertreter für eine andere Person, wird sein Wissen in Bezug auf das Geschäft grundsätzlich der vertretenen Person zugerechnet.

Im vorliegenden Fall war der Lebensgefährte aber nicht als Stellvertreter seiner Partnerin aufgetreten, als der Mietvertrag unterschrieben wurde. Die Frau hatte selbst unterschrieben. Eine Wissenszurechnung könnte zwar auch in anderen Konstellationen erfolgen, etwa wenn die Frau ihren Lebensgefährten explizit beauftragt hätte, die Vertragsangelegenheiten für sie zu regeln (als sogenannter „Wissensvertreter“) oder zumindest wusste und billigte, dass er dies tat. Aber auch dafür fehlten dem BGH konkrete Feststellungen des Landgerichts.

Allein die Tatsache, dass die beiden ein Paar sind und zusammen mit ihren Kindern in der Wohnung leben, reicht für eine solche Wissenszurechnung nicht aus. Der BGH betonte: „Die willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter darf nicht schlicht vermutet werden.“

Die Miete allein reicht nicht aus

Schließlich stellte der BGH klar, dass auch die sehr günstigen Mietkonditionen allein nicht ausreichen, um anzunehmen, die Mieterin hätte erkennen müssen, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht (§ 242 BGB). Eine Kaltmiete von 600 Euro für 177 Quadratmeter in Berlin sei zwar auffällig niedrig, aber eben „immerhin (noch)“ 600 Euro.

Auch die Mietbefreiung für das erste Jahr im Gegenzug für Renovierungsarbeiten sei für sich genommen kein zwingender Beweis dafür, dass die Mieterin hätte stutzig werden und von einem unlauteren Handeln des Geschäftsführers ausgehen müssen. Es müssten weitere, konkrete Anhaltspunkte hinzukommen, die den Verdacht eines Missbrauchs für den Vertragspartner offensichtlich machen.

Rechtliche Hintergründe verständlich erklärt

Um die Entscheidung des BGH vollständig zu verstehen, ist es hilfreich, die zentralen juristischen Begriffe noch einmal etwas genauer zu betrachten:

Was bedeutet „Sittenwidrigkeit“ (§ 138 BGB) im Vertragsrecht?

Stellen Sie sich vor, jemand schließt einen Vertrag, der so unfair oder anstößig ist, dass er dem allgemeinen Gerechtigkeits- und Anstandsgefühl der Gesellschaft widerspricht. Genau das meint Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB. Solche Verträge sind von Anfang an nichtig, also rechtlich unwirksam.

Typische Beispiele für sittenwidrige Geschäfte sind:

Wucher: Jemand nutzt die Notlage oder Unerfahrenheit eines anderen aus, um unverhältnismäßig hohe Zinsen oder Preise zu verlangen.

Verträge, die zu Straftaten anstiften oder diese belohnen.

Extreme Knebelungsverträge, die eine Partei völlig unangemessen benachteiligen und ihre wirtschaftliche Freiheit massiv einschränken.

Im Fall der Berliner Wohnung argumentierte die GmbH, die extrem niedrige Miete in Kombination mit den Umständen des Vertragsschlusses sei ein Verstoß gegen die guten Sitten. Der BGH hält hier jedoch fest, dass ein auffälliger Preis allein noch keine Sittenwidrigkeit begründet. Es müssen erschwerende Umstände hinzukommen, die auf eine verwerfliche Gesinnung oder Ausbeutung schließen lassen.

Was ist „Kollusion“?

Wie bereits weiter oben erwähnt, ist Kollusion eine spezielle Form der Sittenwidrigkeit. Sie liegt vor, wenn zwei Parteien (hier: der Vertreter der GmbH und die Mieterseite) heimlich und bewusst zusammenarbeiten, um einer dritten Partei (hier: der GmbH) gezielt zu schaden. Es ist also eine Art Komplott im Vertragsrecht. Wenn Kollusion nachgewiesen wird, ist der daraus resultierende Vertrag ebenfalls nach § 138 BGB nichtig. Der Nachweis ist oft schwierig, da er voraussetzt, dass das bewusste und gewollte Zusammenwirken zum Nachteil des Dritten bewiesen wird. Im Berliner Fall fehlte laut BGH genau dieser Nachweis bezogen auf die Mieterin selbst.

Der Missbrauch der Vertretungsmacht und Treu und Glauben (§ 242 BGB)

Viele Verträge werden nicht von den Parteien selbst, sondern durch Vertreter geschlossen. Ein Geschäftsführer handelt zum Beispiel für eine GmbH, ein Prokurist für ein Unternehmen, oder jemand erteilt einer anderen Person eine Vollmacht. Diese Befugnis, für jemand anderen zu handeln, nennt man Vertretungsmacht.

Missbrauch der Vertretungsmacht liegt vor, wenn der Vertreter zwar nach außen hin im Rahmen seiner Befugnisse handelt (er darf z.B. Mietverträge für die GmbH abschließen), dabei aber gegen interne Vorgaben, Weisungen oder die Interessen des Vertretenen verstößt. Im Berliner Fall: Der Geschäftsführer durfte zwar formal Verträge schließen, handelte aber gegen die (angebliche) interne Weisung, die Wohnung zu verkaufen und nicht zu vermieten.

Ein solcher Missbrauch führt nicht automatisch zur Unwirksamkeit des Vertrages. Der Vertragspartner (hier die Mieterin) kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass der Vertreter handeln darf. Eine Ausnahme gilt jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB): Wenn der Vertragspartner den Missbrauch der Vertretungsmacht kannte oder ihn kennen musste (weil die Umstände so offensichtlich waren, dass sich der Verdacht aufdrängen musste), dann ist er nicht schutzwürdig.

Der Vertretene (die GmbH) kann sich dann auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen. Die Anforderungen sind hier niedriger als bei der Kollusion – es reicht die (fahrlässige) Unkenntnis vom Missbrauch, kein bewusstes Schädigungsvorsatz. Aber auch hier stellte der BGH fest: Allein die günstigen Konditionen reichten nicht aus, um der Mieterin eine solche Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis zu unterstellen.

Die Zurechnung von Wissen (§ 166 BGB): Wann weiß man, was der Andere weiß?

Das Recht muss oft klären, wessen Wissen zählt, wenn mehrere Personen beteiligt sind. § 166 BGB regelt dies für die Stellvertretung. Wenn ein Vertreter (z.B. ein Makler, der eine Wohnung für Sie sucht) bestimmte Dinge weiß (z.B. von versteckten Mängeln), wird dieses Wissen unter bestimmten Umständen Ihnen als Vertretenem zugerechnet, auch wenn Sie selbst davon nichts wussten.

Das Gericht kann Wissen aber auch dann zurechnen, wenn jemand nicht formal als Stellvertreter auftritt, aber als „Wissensvertreter“ agiert. Das ist der Fall, wenn jemand bewusst eine andere Person einschaltet, um Informationen zu beschaffen oder Verhandlungen zu führen, und sich deren Wissen dann zurechnen lassen muss. Ein Alltagsbeispiel: Sie schicken einen Freund los, um für Sie ein gebrauchtes Auto zu kaufen, weil er sich damit auskennt. Wenn der Freund bei der Besichtigung einen schweren Unfallschaden entdeckt, können Sie später nicht behaupten, Sie hätten davon nichts gewusst – das Wissen des Freundes wird Ihnen zugerechnet.

Im Berliner Fall versuchte das Landgericht, das (angebliche) Wissen des Lebensgefährten der Mieterin zuzurechnen. Der BGH lehnte dies ab, da keine Anhaltspunkte dafür festgestellt wurden, dass die Mieterin ihren Lebensgefährten bewusst als Wissensvertreter eingesetzt hatte. Die reine Partnerschaft und das gemeinsame Wohnen genügen dafür nicht.

[themifybox]Wichtig: Der BGH stellt klar: Ein auffällig günstiger Mietvertrag ist nicht automatisch sittenwidrig oder durch Kollusion zustande gekommen. Es müssen konkrete Beweise vorliegen, dass der Mieter bewusst zum Nachteil des Vermieters handelte oder zumindest wusste (oder wissen musste), dass der Vertreter seine Befugnisse missbraucht.[/themifybox]

Praktische Bedeutung für Mieter und Vermieter

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat erhebliche praktische Konsequenzen für den Immobilienmarkt und das Mietrecht.

Was bedeutet das Urteil für Mieter mit günstigen Verträgen?

Für Mieter, die das Glück hatten, einen vergleichsweise günstigen Mietvertrag abzuschließen, ist das Urteil eine Beruhigung. Es bestätigt, dass ein niedriger Preis allein kein Grund ist, die Gültigkeit des Vertrages in Frage zu stellen. Vermieter können einen solchen Vertrag nicht einfach unter Verweis auf die „Sittenwidrigkeit“ kündigen oder für nichtig erklären lassen, nur weil er aus heutiger Sicht oder im Vergleich zu Nachbarwohnungen sehr günstig erscheint.

Allerdings bedeutet das Urteil keinen Freibrief. Wenn zu dem günstigen Preis weitere verdächtige Umstände hinzukommen, die darauf hindeuten, dass der Mieter wusste oder wissen musste, dass der Vertreter des Vermieters seine Kompetenzen überschreitet oder kollusiv handelt, kann der Vertrag weiterhin angreifbar sein. Mieter sollten bei extrem ungewöhnlichen Angeboten, insbesondere wenn sie von Vertretern (z.B. Hausverwaltern, Geschäftsführern) gemacht werden, die möglicherweise in einem Interessenkonflikt stehen, eine gewisse Vorsicht walten lassen. Der gesunde Menschenverstand ist hier gefragt.

Was müssen Vermieter (insbesondere Unternehmen) beachten?

Für Vermieter, insbesondere für Unternehmen wie GmbHs oder große Wohnungsgesellschaften, unterstreicht das Urteil die Wichtigkeit klarer interner Regelungen und Kontrollmechanismen für ihre Vertreter (Geschäftsführer, Prokuristen, Verwalter). Wenn ein Vertreter einen Vertrag abschließt, der zwar formal im Rahmen seiner Befugnisse liegt, aber den internen Zielen oder Weisungen des Unternehmens widerspricht, ist es schwer, diesen Vertrag später anzufechten.

Der Vermieter muss im Streitfall konkret beweisen, dass der Mieter entweder bewusst an einer Schädigung des Vermieters mitgewirkt hat (Kollusion, § 138 BGB) oder zumindest den Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Vertreter kannte oder hätte erkennen müssen (§ 242 BGB). Die bloße Behauptung, der Preis sei zu niedrig oder der Vertreter habe „Mist gebaut“, reicht nicht aus. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, Vertreter sorgfältig auszuwählen und ihre Kompetenzen klar zu definieren und zu überwachen.

Typische Szenarien und Fallstricke

In welchen Situationen könnte die Frage der Sittenwidrigkeit oder des Missbrauchs der Vertretungsmacht bei Mietverträgen relevant werden?

Freundschaftsdienste: Ein Geschäftsführer vermietet eine Firmenwohnung weit unter Marktwert an einen guten Freund. Hier könnte der Verdacht der Kollusion oder des Missbrauchs näher liegen, insbesondere wenn die GmbH davon nichts weiß.

Interne Vermietungen: Ein Abteilungsleiter vermietet eine Werkswohnung zu extrem günstigen Konditionen an einen Mitarbeiter seiner Abteilung, möglicherweise um ihn zu halten oder zu belohnen, obwohl andere Richtlinien gelten.

Alte Verträge vs. Neue Verträge: Langjährig bestehende, ursprünglich marktübliche Mietverträge, die aufgrund von Mietpreisbremsen oder Indexierungsregeln heute sehr günstig erscheinen, sind in der Regel unproblematisch. Anders kann es bei neu abgeschlossenen Verträgen aussehen, die von Anfang an ohne ersichtlichen Grund extrem vom Marktniveau abweichen.

  • Renovierung gegen Mietnachlass: Wie im BGH-Fall kann eine Vereinbarung über umfangreiche Renovierungen durch den Mieter gegen Mietnachlass oder mietfreie Zeit grundsätzlich zulässig sein. Wichtig ist aber, dass die Relation zwischen Leistung (Renovierungskosten/-aufwand) und Gegenleistung (Mietvorteil) nicht völlig außer Verhältnis steht.

Ausblick: Wie geht es weiter im Berliner Fall?

Der Bundesgerichtshof hat den Fall nicht endgültig entschieden, sondern an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Das bedeutet, das Landgericht muss nun unter Beachtung der Vorgaben des BGH den Sachverhalt erneut prüfen. Es muss insbesondere untersuchen, ob es doch konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Mieterin selbst von einem Fehlverhalten des damaligen Geschäftsführers wusste oder hätte wissen müssen, oder ob sie ihren Lebensgefährten tatsächlich als Wissensvertreter eingesetzt hat. Nur wenn solche Beweise gefunden werden, könnte der Mietvertrag doch noch für unwirksam erklärt werden. Der Ausgang des Verfahrens ist also weiterhin offen.

Zusammenfassung: Die Kernaussagen des BGH-Urteils

Das Urteil des Bundesgerichtshofs im Fall der günstigen Berliner Wohnung (VIII ZR 152/23) sendet klare Signale: Ein auffällig niedriger Mietpreis allein macht einen Mietvertrag noch nicht sittenwidrig oder aufgrund von Kollusion nichtig. Es müssen konkrete Beweise hinzukommen, die auf ein bewusstes unlauteres Zusammenwirken zwischen Mieter und Vermietervertreter zum Schaden des Vermieters (Kollusion, § 138 BGB) schließen lassen. Alternativ muss nachgewiesen werden, dass der Mieter wusste oder grob fahrlässig nicht wusste, dass der Vertreter des Vermieters seine Befugnisse missbraucht (§ 242 BGB). Das Wissen eines Partners oder Mitbewohners wird dem Mieter nicht automatisch zugerechnet (§ 166 BGB), es sei denn, dieser wurde bewusst als Vertreter oder Wissensvertreter eingeschaltet. Die Entscheidung stärkt tendenziell die Position von Mietern mit günstigen Verträgen, mahnt aber auch Unternehmen zur Sorgfalt bei der Kontrolle ihrer Vertreter.

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