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Corona-Pandemie –  Wegfall Geschäftsgrundlage- Mietreduzierung

KG – Az.: 8 U 85/21 – Urteil vom 04.11.2021

Die Berufung der Beklagten gegen das am 07.05.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin -23 O 177/20- wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von

110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der

Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Corona-Pandemie -  Wegfall Geschäftsgrundlage- Mietreduzierung
(Symbolfoto: CorinnaL/Shutterstock.com)

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil zur Zahlung von Nutzungsentschädigung für die Monate April, Mai, November und Dezember 2020 sowie Januar 2021 in Höhe restlicher 60.975 Euro verurteilt und ausgeführt, dass eine Entgeltreduzierung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) infolge pandemiebedingter Einschränkungen des Hotel/Pensionsbetriebs nach dem Ende des Mietverhältnisses zum 31.03.2020 und gemäß dem Charakter des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung nicht in Betracht komme. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Landgerichtsurteils wird Bezug genommen.

Die Beklagte trägt zur Berufungsbegründung vor:

a) Die Kündigung des Klägers vom 02.10.2019 sei nicht wegen eines Schriftformverstoßes wirksam. Bei lebensnaher Betrachtung müsse man bei fehlender Angabe des Optionsberechtigten im Mietvertrag davon ausgehen, dass das Optionsrecht nur dem Mieter zustehe. Ein Optionsrecht für den Vermieter werde nur in sehr seltenen Fällen, nämlich in weniger als 0,001 % der Fälle, vereinbart (Sachverständigengutachten). Mangels näherer Bezeichnung des Berechtigten sei daher dahin auszulegen, dass das Recht dem Mieter zustehe.

b) Im Übrigen sei die Auffassung des Landgerichts, dass eine Schriftformverletzung bereits den Ausgangsvertrag erfasse, nicht zutreffend. Ein Schriftformverstoß in einer Optionsklausel könne nicht anders behandelt werden als ein solcher in einem reinen Verlängerungsvertrag, könne also nur den Optionszeitraum betreffen. Auch die Initiative des Bundesrates zur Abschaffung bzw. Einschränkung des § 550 BGB zeige, dass die Tendenz zurück zum Erwerberschutz gehe.

c) Zudem würde nach Sinn und Zweck von Art 240 § 7 EGBGB und § 313 BGB der Wegfall der Geschäftsgrundlage auch gegenüber einer Nutzungsentschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB) greifen. In Pandemiezeiten seien sowohl die vereinbarte als auch die ortsübliche Miete reduziert. Dem Vermieter bleibe unbenommen, einen weiteren Schaden nach § 546 a Abs. 2 BGB geltend zu machen.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des am 07.05.2021 verkündeten Urteil des Landgerichts Berlin -23 O 177/20- abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Die mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache und in der Berufung der Beklagten gegen die Verurteilung zur Räumung und Herausgabe (8 U 1106/20) wurden am 04.11.2021 parallel geführt.

B.

Die Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von Miete bzw. Nutzungsentschädigung (§ 546a Abs. 1 BGB) für April und Mai 2020 in Höhe von je 17.850 Euro und für November 2020 bis Januar 2021 von je (17.850 Euro ./. vorgerichtliche Zahlung von nur 500 Euro, die in diesem Rechtsstreit unstreitig ist ./. Zahlung vom 03.03.2021 von 8.925 Euro =) 8.425 Euro, insgesamt somit von 60.975 Euro, verurteilt, sowie ferner zur Zahlung von Verzugszinsen auf die gezahlten Beträge bis zum Zeitpunkt der Zahlung am 03.03.2021.

Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass das Hotel wegen des Verbots der Beherbergung von Touristen und von Seminarveranstaltungen im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.04. bis 25.05.2020 ohne nennenswerten Umsatz (laut Klageerwiderung „faktisch geschlossen“) und im Zeitraum November 2020 bis Januar 2021 geschlossen war. Diese Umstände stehen der Mietzahlungspflicht vorliegend nicht entgegen.

1) Soweit in der Klageerwiderung geltend gemacht wird, dass für die Zeit der „faktischen Schließung“ überhaupt keine Miete zu zahlen sei, ist das unschlüssig.

a) Die Miete ist nicht nach § 536 BGB gemindert. Das Gewährleistungsrecht ist in Fällen der pandemiebedingten Geschäftsschließung nicht einschlägig (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.02.2021 – 7 U 109/20; LG Zweibrücken, Urteil vom 11.09.2020 – HK O 17/20; LG Frankfurt a. M., Urteil vom 02.10.2020 – 2-15 O 23/20, Grundeigentum 2020,1495, Rn. 23 ff.; LG München II, Urteil vom 06.10.2020 – 13 O 2044/20, BeckRS 34263 Rn. 19 f.; LG Mönchengladbach, Urteil vom 02.11.2020 – 12 O 154/20; LG Wiesbaden, Urteil vom 05.11.2020 – 9 O 852/20, MDR 2021,28, Rn. 13 ff.; LG Stuttgart, Urteil vom 19.11.2020 – 11 O 215/20, BeckRS 2020, 32275 Rn. 15 ff.; Artz/Streyl in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 1. Auflage 2020 Rn. 72; grds. Leo/Götz NZM 2020, 402, 403; grds. Lützenkirchen MietRB 2020, 111, 112; Martens in: Beck OGK, Stand 01.01.2021, BGB, § 313, Rn 242; Zehelein NZM 2020, 401; a.A. für Minderung: LG München I, Urteil vom 22.09.2020 – 3 O 4495/20; LG Kempten, Urteil vom 07.12.2020 – 23 O 753/20, BeckRS 2020, 37736 Rn. 21 ff.; Bieber GE 2020, 657, 658; tendenziell Geib in: BeckOGK/Geib, Stand: 01.01.2021, Art. 240 EGBGB § 2 Rn. 16).

Ein Mangel der Mietsache, der gemäß § 536 BGB bei Aufhebung oder erheblicher Minderung ihrer Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch eine Mietminderung begründet, liegt vor, wenn ihr tatsächlicher vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht, welcher sich in erster Linie nach den (auch konkludenten) Beschaffenheitsvereinbarungen der Vertragsparteien bestimmt und auch Umstände umfassen kann, die von außen auf die Mietsache unmittelbar einwirken. Soweit Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (BGH, Urteil vom 19.12.2012 – VIII ZR 152/12, MDR 2013, 262, Rn. 8).

Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen, die dem vertragsgemäßen Gebrauch eines Mietobjekts entgegenstehen, begründen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann einen Sachmangel, wenn sie unmittelbar auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Sache beruhen und nicht auf persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters. Der Vermieter von Gewerberäumen ist gemäß § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB lediglich verpflichtet, den Mietgegenstand während der Vertragslaufzeit in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht. Das Verwendungsrisiko trägt dagegen grundsätzlich der Mieter (BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09, NJW 2011, 3151 Rn 8 f. mwN).

Danach liegt hier kein Sachmangel vor, weil die hoheitlichen Maßnahmen wegen der Pandemie (wie in der Regel) nicht an die baulichen Gegebenheiten der Mietsache anknüpfen, sondern an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr, der Infektionen begünstigt. Das Mietobjekt ist nach Beschaffenheit und Lage für den vereinbarten Zweck weiterhin geeignet.

b) Ist die Gebrauchsgewährungspflicht des Vermieters in der beschriebenen Weise begrenzt, so verstößt der Mietvertrag weder im Sinne von § 134 Abs. 1 BGB gegen ein Verbotsgesetz noch liegt Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB vor (ebenso OLG Karlsruhe aaO,. Rn 18 f.), welche die Mietzahlungspflicht gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB entfallen ließe (vgl. LG Frankfurt a.M., Urteil vom 02.10.2020 – 2-15 O 23/20, aaO, Rn 27 f.). Abgesehen davon käme § 536 BGB bei nach Übergabe entstandenen Mängeln Vorrang zu (vgl. Emmerich in: Staudinger, BGB, Bearb. 2018, vor § 536 Rn 48, 59; Häublein in: Münchener Kommentar zum BGB, vor § 536 R.7; Weidenkaff in: Palandt, BGB, 80. Auflage, § 536 Rn 7).

2) Die Miete ist vorliegend auch nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf die Hälfte herabzusetzen.

a) Zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass eine Entgeltreduzierung nach § 313 BGB gegenüber einer Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB nicht in Betracht kommen würde.

§ 313 BGB führt nicht zu einer automatischen Reduzierung, sondern gibt dem von einer Geschäftsgrundlagenstörung Betroffenen nur einen Anspruch auf Vertragsanpassung (s. § 313 Abs. 1: „verlangt werden“ und BGH NJW 2012, 373 Rn 22 ff; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 313 Rn 41). Bereits dies dürfte nahelegen, dass eine solche Anpassung nach Ende des Mietvertrags nicht mehr in Betracht kommt.

Jedenfalls muss die Auflösung oder Anpassung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage „zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweislich erscheinen“ (BGH NJW 2010, 1874 Rn 24 m.N.). Daraus folgt sodann die „Unzumutbarkeit“ des Festhaltens am unveränderten Vertrag (vgl. BGH NJW 2015, 2328 Rn 46).

Folglich kommt eine Anpassung nach § 313 BGB schon dann nicht in Betracht, wenn der Betroffene ein kurzfristiges Kündigungsrecht hat und mit diesem das untragbare Ergebnis selber abwenden kann (s. Guhling/Günter/Leonhard, Gewerberaummiete, 2. Aufl., § 313 Rn 11; Bub/Treier, Handbuch Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl., Rn II 2008; allg. BGH WM 1978, 322).

Erst recht muss eine Anpassung der Nutzungsentschädigung ausscheiden. Das Mietverhältnis wandelt sich nach Beendigung in ein auf Abwicklung angelegtes gesetzliches Schuldverhältnis um. Der Nutzungsentschädigungsanspruch soll durchaus Druck auf den früheren Mieter ausüben, die geschuldete Rückgabe zu vollziehen (s. BGH NJW 2015, 2795 Rn 18 ff, 21; NJW 2017, 1022). Damit wäre die Annahme einer Unzumutbarkeit der unreduzierten Zahlung in Höhe der vereinbarten Miete unvereinbar.

b) Das Landgerichtsurteil ist damit in Ergebnis und Begründung zutreffend, wenn die Kündigung des Klägers vom 02.10.2019 das Mietverhältnis gemäß §§ 550, 578, 580 a Abs. 2 BGB zum 31.03.2020 beendet hat und die hier streitgegenständlichen Zahlungsansprüche ab April 2020 somit als solche auf Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB zu qualifizieren sind.

Ein Formmangel kommt vorliegend nur in Betracht, soweit die Optionsregelung in § 2 Nr. 3 MV nicht die Angabe enthält, ob das Optionsrecht dem Mieter, dem Vermieter oder beiden Parteien zustehen soll. Wegen des Nichtvorliegens anderer Formmängel wird auf die Ausführungen des Senats in dem am 04.11.2021 verkündeten Urteil in der auf Räumung gerichteten Parallelsache (8 U 1106/20; 13 O 335/19) verwiesen.

Ebenso wie in 8 U 1106/20 braucht der Senat jedoch auch im hiesigen Rechtsstreit letztlich nicht zu entscheiden, ob ein Formmangel vorliegt, oder ob allein der empirische Umstand, dass Optionsrechte in der Praxis in aller Regel (nur) dem Mieter eingeräumt werden, einen hinreichenden Anhaltspunkt für die Auslegung bietet und ein dahin gehender Parteiwille trotz fehlender Angabe des Berechtigten in der Urkunde einen der Schriftform des § 550 BGB genügenden Ausdruck findet. Dies dürfte davon abhängen, ob man eine Verkehrssitte im Sinne einer gleichmäßigen und einheitlichen Übung in bestimmten Verkehrskreisen annimmt, aus der sich ergibt, was nach der üblichen Überzeugung gemäß §§ 133, 157 BGB Vertragsinhalt ist (s. BGH NJW 2010, 1135 Rn 11; NJW 2004, 2961, Rn 16; NJW 2001, 2464), oder ob man in der Angabe des Optionsberechtigten (nicht anders als etwa in der Angabe des Optionszeitraums, s. BGH NJW-RR 1987, 1227) gerade das Element sieht, das der Disposition der Parteien unterliegt, und das daher in der Urkunde selber bestimmbar ausgewiesen sein muss.

Fraglich, für den vorliegenden Rechtsstreit aber ebenso nicht erheblich, ist weiter die Folge eines die Optionsregelung betreffenden Formmangels, nämlich ob bereits der Ursprungsmietvertrag in der Frist des § 580 a Abs. 2 BGB kündbar ist – wie das Landgericht mit eingehender Begründung angenommen hat -, oder etwa eine Kündigung wegen Anwendung von § 550 S. 2 BGB erst zum Ablauf eines Jahres nach Beginn des Optionszeitraums möglich ist (vgl. BGH NJW-RR 1987, 1227), womit die Kündigung vorliegend erst zum 31.10.2021 wirksam wäre.

c) Der Senat braucht die soeben angesprochenen Fragen nicht zu entscheiden, weil auch ein weiterhin auf Miete gerichteter Anspruch nicht nach § 313 BGB reduziert ist. Die Beklagte hat die Voraussetzungen einer solchen Reduzierung nicht dargetan.

aa) Die Geschäftsgrundlage wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, beim Vertragsschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des eigenen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille auf diesen Vorstellungen aufbaut (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2019 – VIII ZR 234/18, NZM 2020, 322; BGH, Urteil vom 24.03.2010 – VIII ZR 160/09, NJW 2010, 1663, Rn 17). Zur Geschäftsgrundlage der Parteien als Vermieter und Mieterin von Geschäftsräumen zur Nutzung als Hotel gehörte danach die Vorstellung, dass es nicht zu einer Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens infolge pandemiebedingter Nutzungsuntersagungen und -beeinträchtigungen kommen würde, so dass das Auftreten der Pandemie mit den entsprechenden weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale Leben eine schwerwiegende Änderung der für die Vertragslaufzeit vorgestellten Umstände bedeutet und damit das reale Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 24.02.2021 – 5 U 1782/20 mwN; ferner- auch zum Folgenden – Senat, Urt. v. 01.04.2021 – 8 U 1099/20).

Die Beklagte konnte die Räume, die sie vor Beginn der Covid-Pandemie gemietet hatte, durch das Verbot der Beherbergung von Touristen nicht in der vertraglich vorgesehenen Weise für ihr Gewerbe nutzen.

Das hypothetische Element ist erfüllt, wenn die vertragsschließenden Parteien bzw. eine der Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie die Veränderung der Umstände, welche zur Geschäftsgrundlage gehören, vorhergesehen hätten (vgl. MüKo-BGB/Finkenauer, 8. Aufl., § 313 BGB, Rn 58).

Es liegt nahe, dass die Vertragsparteien, wenn sie die Veränderung vorhergesehen hätten, den Mietvertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätten (BT-Drs. 19/25322 aaO; Artz/Streyl aaO, Rn. 77), wenngleich sich im Einzelfall aus den vertraglichen Regelungen ein anderer Parteiwille ergeben kann (BT-Drs. 19/25322 a.a.O. unter Verweis auf LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/20 zu sechsmonatigem Kündigungsrecht bei wesentlicher Änderung der Verkehrs-/Einzelhandelssituation).

Es ist zu vermuten, dass eine Mietabsenkung für den Zeitraum eines mehrmonatigen Beherbergungsverbots für Touristen vereinbart worden wäre, wenn die Parteien die Beschränkungen im Zuge der Covid-Pandemie vorhergesehen hätten (hypothetisches Element).

Kernfrage im Rahmen von § 313 Abs. 1 BGB ist das normative Element, nämlich ob einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Dagegen spricht zunächst, dass das Verwendungsrisiko grundsätzlich beim Mieter liegt (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 189/09, aaO, Rn 8 f.). Denn für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für die Vertragspartei – abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt – regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGH, Urteil vom 23.10.2019 – XII ZR 125/18 – BGHZ 223, 290 Rn. 37 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 16.02.2000 – XII ZR 279/97 – NJW 2000, 1714).

Es geht hier aber nicht um ein „normales“ Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw. Verwendung des Mietobjekts, sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der großen Geschäftsgrundlage ist. Das mit der Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden (vgl. OLG Dresden, aaO, Rn 40; LG Mönchengladbach, Urteil vom 02.11.2020 – 12 O 154/20, Rn 41). Der aufgrund der Pandemie staatlich angeordnete Shutdown stellt einen derart tiefgreifenden, unvorhersehbaren, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Vertragsparteien liegenden und potentiell existenzgefährdenden Eingriff in die im Vertrag vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit dar, dass – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – die Nachteile solidarisch von beiden Vertragsparteien zu tragen sind und die Miete bei vollständiger Betriebsuntersagung zur Hälfte zu reduzieren ist (so OLG Dresden, aaO, Rn 44; Senat, Urt. v. 01.04.2021 – 8 U 1099/20; LG München I, Urteil vom 05.10.2020 – 34 O 6013/20; LG Mönchengladbach a.a.O. Rn. 45; Artz/Streyl a.a.O. Rn. 80 ff., 93).

Die Beschränkungen im Zuge der Covid-Pandemie stellen einen extremen Ausnahmefall im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung dar, auch wenn man ältere Entscheidungen zum Vergleich heranzieht. So ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für einen Mietvertrag über ein Schuhgeschäft auf dem Gelände eines ehemaligen Energiekombinats wegen eines beabsichtigten Kraftwerkneubaus bejaht worden (BGH ZMR 1996, 309 Rn. 30 f.) und für einen Pachtvertrag wegen abgeschnittenen Milchbezuges aus der Sowjetischen Besatzungszone immerhin in Betracht gezogen und offengelassen worden (BGH NJW 1958, 785). Eine Halbierung der Mietbelastung bei völliger Betriebsuntersagung steht auch im Einklang dazu, dass einem Reiseveranstalter nach Kündigung wegen höherer Gewalt, nämlich dem Tschernobyl-Unglück, gegenüber dem Reisenden ein hälftiger Anspruch auf Hotel-Stornokosten analog § 651j Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. zugesprochen wurde (BGH NJW 1990, 572).

Es ist für einen Anspruch aus § 313 BGB nicht unabdingbar, dass eine konkrete Existenzbedrohung für den Mieter anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten positiv festgestellt wird, sondern es sind die „unter Umständen existenziell bedeutsame Folgen“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung zu vermuten, wenn eine angeordnete Schließung oder eine Betriebseinschränkung, die – wie hier – einer Schließung nahe kommt, einen Monat oder länger andauert (ebenso Artz/Streyl a.a.O. Rn. 79).

bb) Der Anspruch auf Mietanpassung wegen einer untragbaren Unzumutbarkeit für den Mieter setzt jedoch voraus, dass die Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung von ersparten Aufwendungen und anderweitigen Einnahmen, insbesondere staatlichen Hilfen, besteht (s. dazu Senat, Urt. vom 01.04.2021, a.a.O., Rn 113; OLG Frankfurt, Urt. v. 17.09.2021 -2 U 147/20 und Urt. v. 19.03.2021 -2 U 143/20; OLG Köln, Beschl. v. 31.05.2021 -22 U 205/20 betr. fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs mangels Vortrags des Mieters zu staatlichen Hilfen; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.02.2021 -7 U 109/20; BeckOK BGB/Zehelein, Stand 1.2.2021, § 535 Rn 520a; s.a. BT-DrS 19/25322, S. 21).

Der Senat vermag der Ansicht der Beklagten nicht zu folgen, dass in einer „ersten Stufe“ die Miete hälftig zu teilen sei, und staatliche Hilfen nur in einer „zweiten Stufe“ insoweit relevant sein sollen, als sie den (Gesamt-)Verlust des Mieters unter den Betrag der hälftigen Mietsenkung drücken (so unter Hinweis auf die Kommentierung ihres Prozessbevollmächtigten in BeckOK MietR/M. Schultz, 25. Ed. 1.8.2021, EGBGB Art. 240 § 7 Rn 18).

Der Senat ist der Auffassung, dass staatliche Hilfen, auch wenn sie nach dem Zuwendungsverhältnis nicht zweckgebunden sein mögen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.03.2021 -VII ZB 24/20, Rn 11; BFH, Beschl. v. 09.07.2020 -VII S 23/20 (AdV), Rn 27), vom Mieter – anteilig neben der Abdeckung anderer Betriebskosten – für die Mietzahlung zu verwenden ist und der Mieter sich gegenüber dem Vermieter nur auf eine Unzumutbarkeit der gleichwohl verbleibenden Mietbelastung berufen kann.

Ein Anspruch auf hälftige Mietreduzierung nach § 313 BGB ist von der Beklagten danach nicht schlüssig dargetan.

(1) Sie hat im Termin am 04.11.2021 nach intensiver Erörterung letztlich vorgetragen, dass Ende Dezember 2020 an sie eine staatliche Hilfszahlung von 195.764,86 Euro erfolgt ist (s. a. Monatsreporting für 2020 in Anlage 7 zum Schriftsatz vom 01.04.2021, unter „sonstige neutrale Erträge“). Selbst wenn man ihrem Vortrag folgend die Hilfszahlung auf ihre beiden nach ihrer Angabe etwa gleich großen Hotels aufteilt, verbleibt eine Hilfszahlung für das vorliegende Objekt von knapp 98.000 Euro, welche die angegebenen negativen Betriebsergebnisse für November und Dezember 2020 (11.880,56 Euro bzw. 3.626,78 Euro) mehr als abdeckt, auch wenn man die vereinbarte Miete (und nicht nur die angegebenen Raumkosten von 2.598,32 Euro bzw. 96,19 Euro) einrechnet. Zahlen für Januar 2021 trägt die Beklagte nicht vor. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die Aufbringung der Gesamtmiete im Zeitraum November 2020 bis Januar 2021 (zusammen: 53.550 Euro) für die Beklagte zu einem untragbaren Ergebnis geführt hätte und im Zeitpunkt der Kündigung vom Januar 2021 ein Anspruch auf Vertragsanpassung für diesen Zeitraum bestand.

Nicht ausreichend ist für einen Anspruch auf Mietreduzierung nach § 313 BGB, dass die Aufstellung Anlage 7 zum Schriftsatz vom 01.04.2021 einen Jahresverlust von ca. 318.000 Euro (offenbar wiederum für beide Hotels) ausweist. Eine Anpassung der Miete ist nur für die konkreten Zeiträume möglich, in denen die Miete wegen pandemiebedingter staatlicher Bekämpfungsmaßnahmen und damit unmittelbar verbundener Betriebsbeeinträchtigungen nicht erwirtschaftet werden kann. Die Beklagte war in der Verwendung der staatlichen Hilfe dem Kläger gegenüber nicht frei (s.o.), erst recht konnte sie diese nicht zum Ausgleich eines beliebigen Jahresverlustes einsetzen.

(2.) Für die Klageforderungen betreffend April und Mai 2020 gilt nichts anderes. Die Beklagte hat sich insoweit nicht ausdrücklich zu erhaltener Unterstützung geäußert. Die Jahresübersicht in Anlage 7 weist „sonstige neutrale Erträge“ nicht nur – wie dargelegt – in Dezember 2020 aus, sondern auch in Höhe von 65.731,07 Euro in April 2020 und zudem auch in Höhe von 89.388,62 Euro in September 2020. Unklar ist, was es mit den ausgewiesenen „sonstigen betrieblichen Erlösen“ von 17.928,81 Euro und 15.229,36 Euro im April bzw. Mai 2020 auf sich hat. Der Senat hat die Beklagte zudem im Termin am 04.11.2021 darauf hingewiesen, dass eine konkrete Aufschlüsselung der in Anlage 7 ausgewiesenen Unterstützungsleistungen auf die beiden Hotels fehlt.

(3) Im Übrigen kann der (von der Klägerin bestrittene) Vortrag der Beklagten, nur die genannte Unterstützung erhalten zu haben, gemäß § 296 Abs. 2, § 525 Satz 1 ZPO nicht berücksichtigt werden. Es war grob nachlässig, hierzu erst in der mündlichen Verhandlung am 04.11.2021 vorzutragen. Der Ausweisung „sonstiger neutraler Erträge“ im genannten Monatsreporting, die im Schriftsatz vom 01.04.2021 auch nicht angesprochen wurde, war kein Sachvortrag zu staatlicher Unterstützung zu entnehmen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 08.04.2021 fehlenden Vortrag der Beklagten zu staatlicher Förderung gerügt. Der Senat hat mit Beschluss vom 11.03.2021 im parallel geführten Räumungsrechtsstreit der Parteien 8 U 1106/20 darauf hingewiesen, es bleibe zu prüfen, in welchem Umfang staatliche Unterstützungsleistungen an die Beklagte erfolgt sind, und den Parteien mit Verfügung vom gleichen Tage Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen eingeräumt. Dass staatliche Hilfen grundsätzlich zu berücksichtigen sind, hat sowohl die von der Beklagten mehrfach in Bezug genommene Bundestags-Drucksache 19/25322 als auch das Urteil des Senats vom 01.04.2021 – 8 U 1099/20 ausgesprochen. Zu diesem zentralen Punkt trotz Aufforderung des Senats im Parallelverfahren nicht vorzutragen, war grob nachlässig, d. h. die prozessuale Sorgfalt ist in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen worden, was jedem, der einen Prozess führt, hätte einleuchten müssen (vgl. BGH NJW 1987, 501). Die Beklagte hat die Verspätung ihres Vorbringens auf diesbezüglichen Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht entschuldigt. Dem Vorbringen nachzugehen, nämlich der Beklagten Gelegenheit zu geben hierfür Beweis anzutreten und diesen ggf. zu erheben, würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern.

3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Es gibt keinen Grundsatz, dass die Miete wegen pandemiebedingter Beeinträchtigungen des Gewerbemieters trotz staatlicher Hilfszahlungen nach § 313 BGB hälftig zu reduzieren ist, und es ist auch nicht ersichtlich, dass der Senat mit seiner Entscheidung von anderen Gerichtsentscheidungen abweicht.

 

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