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Corona -WEG-Ein-Mann-Versammlungen – Beschlüsse anfechtbar

AG Kaufbeuren – Az.: 5 C 34/21 WEG – Urteil vom 09.09.2021

In dem Rechtsstreit erlässt das Amtsgericht Kaufbeuren aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2021 folgendes Endurteil

1. Die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 15.12.2020 zu den Tagesordnungspunkten 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 werden für ungültig erklärt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist Im Kostenausspruch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 26.143,48 festgesetzt.

Gründe:

Nachdem das Verfahren erst seit einem Zeitpunkt nach dem 01.12.2020 anhängig war, war gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 GKG für die Festsetzung des Streitwerts bereits § 49 GKG n.F. anzuwenden.

TOP 3a: Streitwert 6.106,61 (Gesamtinteresse = Verwaltervergütung für restliche Bestellungszeit = 14.244,48 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 14.244,48 x 57,16/1000 x 7,5 = 6.106,61 Euro)

TOP 3b: Streitwert 428,70 (Gesamtinteresse = 1.000,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 1.000,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 428,70 Euro)

TOP 3c: Streitwert 214,35 (Gesamtinteresse = 500,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 500,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 214,35 Euro)

TOP 3d: Streitwert 214,35 (Gesamtinteresse = 500,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 500,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 214,35 Euro)

TOP 3e: Streitwert 214,35 (Gesamtinteresse = 500,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 500,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 214,35 Euro)

TOP 4: Streitwert 9.860,10 (Gesamtinteresse = Höhe der Sondervergütung = 23.000,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 23.000,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 9.860,10 Euro)

TOP 6: Streitwert 8.590,58 (Gesamtinteresse = Verwaltervergütung für die beschlossene Laufzeit = 20.038,68 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 20.038,68 x 57,16/1000 x 7,5 = 8.590,58 Euro)

TOP 7: Streitwert 214,35 (Gesamtinteresse = 500,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 500,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 214,35 Euro)

TOP 9: Streitwert 214,35 (Gesamtinteresse = 500,00 Euro, auch hier geht es nur darum, das Mehrheitsumlaufverfahren zu beschließen; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 500,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 214,35 Euro)

TOP 10: Streitwert 85,74 (Gesamtinteresse = 200,00 Euro; gemäß § 49 S. 2 Alt. 1 GKG begrenzt auf 7,5-faches Einzelinteresse des Klägers = 200,00 x 57,16/1000 x 7,5 = 85,74 Euro)

Bei dem in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis zum Streitwert war das Gericht bei der Berechnung versehentlich (wie der Klägervertreter in der Klagebegründungsschrift) von einem Miteigentumsanteil des Klägers von 57,61/1000 statt richtig 57,1611000 ausgegangen. Es ergeben sich daher leichte Abweichungen in der endgültigen Berechnung.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gültigkeit von Beschlüssen der Eigentümerversammlung vom 15.12.2020 der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ### in ### betreffend Beschlüsse über Verwalterabberufung/Verwalterbestellung und weitere damit in Zusammenhang stehende Fragen sowie die Beauftragung eines Rechtsanwalts.

Der Kläger ist zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer eines 57,16/1000 Miteigentumsanteils an der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ### in ### und Sondereigentümer der Einheit Nr. 7. Die Gemeinschaft besteht aus insgesamt 21 Einheiten, wovon zwei im Eigentum der Zeugin ### und noch drei im Eigentum der ### stehen.

Die Eigentümer stammen aus mindestens 15 verschiedenen Haushalten.

In einer Eigentümerversammlung am 03.11.2020 wurde der damalige Verwalter ### abberufen und die Eigentümern ### zur „kommissarischen Verwalterin“ der beklagten Gemeinschaft gewählt.

Die entsprechenden Beschlüsse der Eigentümerversammlung vorn 03.11.2020 lauteten:

TOP 4:

Die aktuelle Hausverwaltung, ### soll mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund vorzeitig abberufen werden und der Verwaltervertrag soll mit sofortiger Wirkung gekündigt werden!

TOP 5:

Bis zur Wahl eines neuer Verwalters soll ### als kommissarischer Verwalter die Geschäfte der ETG führen.

TOP 6:

Der kommissarische Verwalter soll die Ermächtigung erteilt werden, alle Unterlagen und Daten der ETG vom abgerufenen Hausverwalter abzuholen. Bei Verweigerung und/oder Verzögerung soll auch die Genehmigung miterteilt werden, einen Rechtsanwalt zur Durchsetzung des ETG-Beschlusses zu beauftragen.

TOP 7:

Der kommissarische Verwalter soll Kontovollmacht über alle Konten der ETG erhalten.

TOP 8:

Dem abgerufenen Hausverwalter sollen mit sofortiger Wirkung alle Vollmachten für die ETG widerrufen bzw. entzogen werden, insbesondere die Kontovollmachten sowie jede weitere Vertretung vor Dritten untersagt werden.

Diese Beschlüsse wurden ebenfalls angefochten. Das Verfahren wird vor dem Amtsgericht Kaufbeuren unter dem Aktenzeichen 5 C 1232/20 WEG geführt. Ein Verwaltervertrag zwischen der Eigentümerin ### und der Gemeinschaft wurde nicht geschlossen. Eine Vergütung wurde bislang nicht geltend gemacht.

Mit Schreiben vom 10.11.2020 erklärte der damalige Verwalter ### den bestehenden Verwaltervertrag fristlos, vorsorglich zum nächstmöglichen Zeitpunkt, zu kündigen. Wegen des konkreten Inhalts wird auf das als Anlage B1 vorgelegte Schreiben verwiesen.

Mit Schreiben vom 03.12.2020, welches dem Kläger am 05.12.2020 zugegangen ist, lud die Eigentümerin ### unter Beifügung einer Tagesordnung zu einer außerordentlichen Eigentümerversammlung am 15.12.2020 um 10:30 Uhr in die ###. Bezüglich des genauen Inhalts der Einladung und Tagesordnung wird auf die Anlage K5 verwiesen. Die Eigentümerversammlung fand sodann am 15.12.2020 ab 10:35 Uhr statt. Persönlich anwesend war ### als Vertreter der ### sowie die Eigentümerin ### welche auch die anderen Eigentümer mit Ausnahme des Eigentümers der Einheit Nr. 18 (###) vertrat. Der Kläger hatte für die Eigentümerversammlung die Eigentümerin ### (weisungsgebunden) bevollmächtigt.

In der Eigentümerversammlung am 05.12.2020 wurden folgende Beschlüsse gefasst:

TOP 3a:

Der Beschluss zu TOP 4 der a.o. ETV vom 03.11.2020 Mal bestätigt.

TOP 3b:

Der Beschluss zu TOP 5 der a.o. ETV vom 03.11.2020 wird bestätigt.

TOP 3c:

Der Beschluss zu TOP 6 der 2.0. ETV vom 03,11.2020 wird bestätigt.

TOP 3d:

Der Beschluss zu TOP 7 der a.o. ETV vorn 03.11.2020 wird bestätigt.

TOP 3e:

Der Beschluss zu TOP 8 der a.o. ETV vom 03.11.2020 wird bestätigt.

Stimmenverhältnis jeweils:. 485,36/1000 ja, 361.11/1000 nein, 111,48/1000 Enthaltungen

TOP 4

Die Kanzlei ### wird beauftragt, Ansprüche der WEG ### gegen die Hausverwaltung ### aus der Zeit als bestellte Hausverwalter zu prüfen und diese gegebenenfalls außergerichtlich und gerichtlich geltend zu machen, wobei die Honorierung nach RVG erfolgen soll. Stimmenverhältnis 449,06/1000 ja, 402,66/1000 nein, 106,23/1000 Enthaltung

TOP 6:

Die Firma ### wird vom 16.1.2.2020 bis 16.12.2023 zum Verwalter der Wohnungseigentümergemeinschaft WEG ### bestellt. Die Bestellung erfolgt zu den Konditionen des als Anlage zum Protokoll beigefügten Angebots.

Die Miteigentümerin ### wird bevollmächtigt, mit Wirkung für und gegen alle Eigentümer, die Bestellung Erklärung abzugeben und den Verwaltervertrag zu unterzeichnen.

Stimmenverhältnis 389,01/1000 Angebot A, 180,42/1000 Angebot 5, 73,11/1000 Angebot C

TOP 7

Es wird beschlossen, dass die Wohnungseigentümer über die Bestellung einer neuen Hausverwaltung und den Abschluss eines Verwaltervertrages im Umlaufverfahren gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG neu mit Mehrheitsbeschluss abstimmen, wenn die Abstimmung in der außerordentlichen Eigentümerversammlung zu TOP 6 keine absolute Mehrheit für einen Verwalter erzielen konnte.

Stimmenverhältnis 642,54/1000 ja, 288,00/1000 nein, 27,41/1000 Enthaltung

TOP 9

Es wird beschlossen, dass die Wohnungseigentümer über die Kündigung des Mandats mit ### und über die Bevollmächtigung und Beauftragung der Rechtsanwälte ### in den Verfahren vor dem Amtsgericht Kaufbeuren mit den Aktenzeichen 5 C 60/19 und 5 C 1135/17 im Umlaufverfahren gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG neu mit Mehrheitsbeschluss abstimmen.

Stimmenverhältnis 485,36/1000 ja, 403,63/1000 nein, 68,96/1000 Enthaltung

TOP 10

Es wird beschlossen, dass ### im Rahmen ihrer Tätigkeit als kommissarischer Verwalterin Auslagenersatz für angefallene Kosten (wie etwa für Reisen, Telefon, Porto. Papier) erhält und für sie eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für den Zeitraum der kommissarischen Verwaltertätigkeit auf Kosten aller Wohnungseigentümer abgeschlossen wird.

Stimmenverhältnis 593,13/1000 ja, 361,11/1000 nein, 63,71/1000 Enthaltung

Die Klagepartei trägt vor, der Kläger habe sich nicht ausreichend auf die Eigentümerversammlung vorbereiten können. Im Falle einer längeren Vorlaufzeit hätte er sich mit einem Anwalt und anderen Eigentümern besprochen und in Bezug auf die Beschlussthemen weitere Erkundigungen eingezogen und sich insbesondere in Bezug auf andere Angebote für eine neue Verwaltung umgehört, Bei ordnungsgemäßer Einberufung der Eigentümerversammlung wären die Beschlüsse nicht genauso gefasst worden. Der Kläger wäre selbst zur Versammlung gekommen und hätte sich gegen die Beschlüsse ausgesprochen.

Die Klagepartei ist der Ansicht, dass alle Beschlüsse sowohl wegen eines Verstoßes gegen § 24 Abs. 4 WEG n.F. wegen Nichteinhaltung der Ladungsfrist, wegen eines Verstoßes gegen § 24 Abs. 1, 3 WEG n.F. wegen Einberufung durch einen Unberechtigten, als auch deshalb für ungültig zu erklären seien, weil die Abhaltung einer Eigentümerversammlung am 15.12.2020 gegen die 10, BaylfSMV verstoßen habe, da Versammlungen öffentlich-rechtlich untersagt gewesen seien. Das Recht der Eigentümer auf persönliche Teilnahme an der Eigentümerversammlung sei durch die Möglichkeit allein der Stimmrechtsbevollmächtigung eingeschränkt gewesen.

Betreffend die Anfechtung der Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 3a bis 3e bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fort, auch wenn der frühere Verwalter ### zwischenzeitlich sein Amt selbst niedergelegt haben sollte. Es handele sich um Zweitbeschlüsse zur Absicherung der Erstbeschlüsse aus der Eigentümerversammlung vom 03.11.2020. Die Kündigung sei die Reaktion auf diese Erstbeschlüsse gewesen. Diesbezüglich bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers insbesondere im Hinblick auf etwaige Schadensersatzansprüche des früheren Verwalters gegen die Gemeinschaft und einem diesbezüglichen internen Regress. Würden die Zweitbeschlüsse in der vorliegenden zeitlichen Konstellation in Bestandskraft erwachsen, wäre auch dem Rechtsstreit bezüglich der Erstbeschlüsse das Rechtsschutzbedürfnis entzogen. Auch in Bezug auf die Beschlüsse, die die kommissarische Verwaltung betreffen, bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers fort. Denn auch diesbezüglich seien noch Aufwendungsersatz-Ansprüche der kommissarischen Verwalterin nebst internem Regress möglich.

Der Beschluss zu TOP 4 sei außerdem zu unbestimmt und es sei unzulässig, die Entscheidungskompetenz der Eigentümer auf einen beauftragten Anwalt zu übertragen.

Die Beschlüsse zu TOP 7 und TOP 9 widersprächen außerdem ordnungsgemäßer Verwaltung, weil sie überobligatorisch seien.

Der Beschluss zu TOP 10 sei außerdem zu unbestimmt. Es sei nicht ersichtlich, um welche Auslagen es gehe und der Beschluss enthalte keine Kostenobergrenze.

Die Klagepartei beantragte zunächst:

Die in der Eigentümerversammlung der WEG ## am 15.12.2020 zu TOP 3, TOP 4, TOP 6, TOP 7, TOP 9, TOP 10 gefassten Beschlüsse werden für ungültig erklärt.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung.

Die beklagte Partei trägt vor, dass auch bei Teilnahme aller Wohnungseigentümer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein abweichendes Beschlussergebnis zustande gekommen wäre.

Die beklagte Partei ist der Ansicht, dass ein Ladungsmangel nicht vorliege. Zum einen sei die kommissarische Verwalterin zur Ladung berechtigt gewesen. Ihr Bestellungsbeschluss sei zumindest schwebend wirksam. Bei der Ladungsfrist handele es sich nur um eine Sollvorschrift. Aufgrund der nur kommissarischen Verwaltung habe es dringliche Gründe für die Einberufung der Eigentümerversammlung gegeben. Auch seien Einberufungsmängel nicht kausal gewesen. Das höchstpersönliche Teilnahmerecht der Eigentümer sei vorliegend nicht berührt gewesen. Ein Verstoß gegen die 10. BaylfSMV hätte keine Auswirkungen auf die Beschlüsse gehabt.

In Bezug auf die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 3a bis 3e sei die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Zum einen diene sie nur der Herbeiführung eines verwalterlosen Zustandes und sei rechtsmissbräuchlich. Zum anderen sei aufgrund der Kündigung des vormaligen Verwalters ### eine Rückgängigmachung von dessen Abberufung ohne Auswirkung. Weder der vormalige Verwalter noch der Kläger hätten Schadensersatzansprüche. Nachdem seit dem 16.12.2020 die neue Verwalterin die Verwaltung übernommen habe und die Eigentümerin ### damit nicht mehr kommissarische Verwalterin sei, habe auch die Anfechtung der die kommissarische Verwaltung betreffenden Beschlüsse keine Auswirkung mehr.

Der Beschluss zu TOP 4 sei nicht zu unbestimmt und nehme den Eigentümern keine Entscheidungskompetenz.

Der Beschluss zu TOP 7 sei nicht über obligatorisch, weil zum Zeitpunkt der Ladung nicht absehbar gewesen sei, ob es zu einem Mehrheitsbeschluss für einen der drei vorgeschlagenen Verwalter kommen würde.

Der Beschluss zu TOP 10 sei nicht zu unbestimmt, weil Auslagen nur nach Nachweis erstattet würden.

Mit Schriftsatz vorn 26.04.2021 erklärte die Klagepartei den Rechtsstreit in Bezug auf die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 9 für erledigt. Mit Schriftsatz vom selben Tag stimmte die beklagte Partei der Erledigterklärung zu.

In der mündlichen Verhandlung am 23.072021 erklärten die Parteien sodann den Rechtsstreit übereinstimmend auch in Bezug auf die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 6 für erledigt.

In der mündlichen Verhandlung am 23.07.2021 hat das Gericht Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugin ###. Bezüglich des Ergebnisses der Zeugeneinvernahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2021 Bezug genommen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenbestandteilen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist, soweit nach der teilweisen übereinstimmenden Erledigterklärung (betreffend die Beschlüsse zu den TOP 6 und 9) noch über sie zu entscheiden war, überwiegend zulässig und begründet.

Soweit im Antrag in der Klageschrift vom 15.012021 noch der Beschluss zu TOP 5 mit aufgezählt worden war, so ist eine Anfechtung dieses Beschlusses jedoch nie rechtshängig geworden, nachdem die Klagepartei mit Schriftsatz vom 26.01,2021 – noch vor Klagezustellung – klargestellt hatte, dass dieser Beschluss nicht angefochten wird (vgl. Musielak/Voit/Foerster, 17. Aufl. 2020, ZPO § 269 Rn, 6).

I.

Die Klage ist nur in Bezug auf die Anfechtung der Beschlüsse zu den TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 zulässig. In Bezug auf die Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 3c und 7 ist sie unzulässig.

1. Die Klage wurde vor dem nach § 43 Abs. 2 Nr. 4 WEG n.F. örtlich und nach § 23 Nr. 2c GVG sachlich zuständigen Gericht erhoben.

2. Es besteht im Hinblick auf die Beschlüsse zu den TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 auch weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers, nicht jedoch im Hinblick auf die Beschlüsse zu TOP 3c und 7.

Im Hinblick auf die Beschlüsse zu den TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 ist ein erledigendes Ereignis nicht eingetreten und auch sonst das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht entfallen. Die Erledigung der Hauptsache tritt vielmehr nur ein, wenn sich die Sach- oder Rechtslage durch ein Ereignis derart verändert hat, dass der Verfahrensgegenstand fortgefallen ist und die Fortführung des Verfahrens keinen Sinn mehr hätte (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10. Januar 1997 – 2Z BR 35/96). Von einer Erledigung ist insbesondere nicht bereits automatisch dann auszugehen, wenn ein Beschluss bereits vollzogen wurde. Denn wegen § 23 Abs. 4 S. 2 WEG (alte wie neue Fassung) ist ein Beschluss trotz Anfechtung weiter gültig und zu vollziehen, sodass es ein vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommener häufiger Fall ist, dass angefochtene Beschlüsse während eines laufenden Anfechtungsverfahrens vollzogen werden. Dadurch soll einer Anfechtungsklage, die grundsätzlich ja auf die im Interesse aller stehende Durchsetzung der Einhaltung der für eine Eigentümergemeinschaft geltenden Regeln abzielt (Bärmann/Roth, 14. Aufl. 2018, WEG § 46 Rn. 112), nicht automatisch die Grundlage entzogen werden. Eine Erledigung bzw. das Fehlen bzw. der Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses kann daher nur angenommen werden, wenn tatsächlich keinerlei Auswirkungen des angefochtenen Beschlusses mehr denkbar sind.

a) Entgegen der Ansicht der beklagten Partei sind jedoch in Bezug auf die Beschlüsse zu den TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 noch Auswirkungen denkbar. Dies betrifft zum einen die Möglichkeit des Bestehens von Schadensersatzansprüchen des vormaligen Verwalters gegenüber der Gemeinschaft (aus denen sich dann mögliche Regressansprüche gegenüber den einzelnen Eigentümern ergeben könnten) in Bezug auf die Beschlüsse zu den TOP 3a, 3e und 4. Entgegen der Ansicht der beklagten Partei ist die vorliegende Konstellation nicht vergleichbar mit derjenigen des bloßen Ablaufs der Bestellungszeit eines Verwalters (wobei auch in dieser Konstellation in Rechtsprechung und Literatur nicht unstreitig ist, ob dann das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung des Abberufungsbeschlusses automatisch entfällt). Soweit die beklagte Partei im Schriftsatz vorn 01.09.2021 erstmals vorträgt, die streitgegenständliche Gemeinschaft führe Vergleichsverhandlungen mit dem vormaligen Verwalter ### so ist dieser Vortrag zum einen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt. Zum anderen würde aber das bloße Führen von Vergleichsverhandlungen vor Abschluss eines wirksamen und unwiderruflichen Vergleichs etwaige Schadensersatzansprüche ohnehin nicht entfallen lassen. Ebenso wenig wirkt sich die (bestandskräftige) Bestellung eines neuen Verwalters auf das Anspruchsverhältnis der Gemeinschaft zum früheren Verwalter aus.

Zum anderen, und dies betrifft die Beschlüsse zu den TOP 3b, 3d und 10, kann die Frage, ob die „kommissarische Verwalterin“ wirksam durch Beschluss bestellt worden ist, durchaus auch noch Auswirkungen auf die Rechtsbeziehung der „kommissarische Verwalterin“. und der Gemeinschaft in Bezug auf Haftungs- und Aufwendungsersatzfragen haben, unabhängig davon, ob die Eigentümerin ### bereits Ersatzansprüche geltend gemacht hat oder nicht.

b) Hingegen besteht In Bezug auf die Beschlüsse zu den TOP 3c und 7 kein Rechtsschutzbedürfnis (mehr).

In Bezug auf den Beschluss zu TOP 3c betreffend die Übergabe der Verwaltungsunterlagen kann sich die Anfechtung des Beschlusses weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht auswirken, weil alle Verwaltungsunterlagen zwischenzeitlich an die aktuelle Verwalterin übergeben worden sind, und zwar in jedem Fall zu einem Zeitpunkt nach dem Kündigungsschreiben des vormaligen Verwalters ###. Die Aussage der Zeugin ### der vormaligen ### habe bei Abholung der Unterlagen mitgeteilt, dass es sich um die vollständigen Unterlagen handelte, ist glaubhaft.

Ebenso ist, glaubhaft, dass die Zeugin ### alle Unterlagen auch an die neue Verwalterin übergeben hat. Zu welchem genauen Zeitpunkt dies erfolgte, ist vorliegend nicht entscheidend. Denn der Rechtsstreit wurde diesbezüglich nicht für erledigt erklärt, sodass es nicht darauf ankommt, ob die Unterlagen vor oder nach Eintritt der Rechtshängigkeit vollständig übergeben worden sind. Auch in rechtlicher Hinsicht sind aus dem Beschluss keinerlei Wirkungen mehr denkbar, insbesondere da die Kündigung des vormaligen Verwalters nicht auf der Frage der Übergabe der Verwaltungsunterlagen beruhte.

Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung (MüKoZPO, ZPO vor § 253 Rn. 16, beck-online) bestand schließlich ein Rechtsschutzbedürfnis auch nicht mehr in Bezug auf den Beschluss zu TOP 7, mit dem eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren gemäß dem neuen § 23 Abs. 3 Salz 2 WEG in Bezug auf die neue Verwalterbestellung geregelt werden sollte. Denn die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in Bezug auf die Anfechtung des Beschlusses zu TOP 6 (betreffend die Bestellung der neuen Verwalterin) übereinstimmend für erledigt erklärt. Der Beschluss über die Bestellung der neuen und aktuellen Verwalterin ist damit bestandskräftig geworden. Ausweislich des Wortlauts des Beschlusses zu TOP 7 hätte dieser jedoch nur Wirkung entfaltet, solang ein bestandskräftiger Beschluss über die Bestellung einer neuen Verwalterin nicht bestand.

c) Betreffend die Anfechtung der Beschlüsse zu den TOP 3c und 7 war die Klage daher mangels Rechtschutzbedürfnis als unzulässig abzuweisen.

II.

In Bezug auf die Anfechtung der Beschlüsse zu den TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10 ist die Klage auch begründet, da diese bereits an einem formellen Mangel leiden.

Nachdem die angefochtenen Beschlüsse nach Inkrafttreten des WEMoG gefasst wurden, ist für deren Rechtmäßigkeit die neue Rechtslage maßgeblich. Die Gültigkeit von Beschlüssen ist grundsätzlich auf Grundlage der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltenden Rechtslage zu beurteilen (BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 – V ZR 74/08 BGHZ 179, 230-238, Rn. 12).

1. Zwar liegt kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1, 3 WEG n.F. vor. Zum Zeitpunkt der Einladung zur streitgegenständlichen Eigentümerversammlung war die Eigentümerin ### Verwalterin im Sinne von § 24 Abs. 1 WEG n.F.. Ihr Bestellungsbeschluss ist nicht nichtig.

Zwar galten zum Zeitpunkt der Fassung des Bestellungsbeschlusses betreffend die „kommissarische Verwalterin“ ### am 03.112020 ebenfalls Beschränkungen nach einer BaylfSMV.

Die in einer zu Zeiten der Corona-Pandemie trotz geltendem Versammlungsverbot durchgeführten Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse sind jedoch (entgegen der Ansicht des Amtsgerichts München, Urteil vorn 29.10.2020, Az. 483 C 8456120) nicht nichtig, sondern nur anfechtbar.

Denn aus Sicht des Gerichts, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, liegt kein derart eklatanter Verstoß vor, dass dieser zwingend die Nichtigkeit sämtlicher in einer Versammlung gefassten Beschlüsse zur Folge haben müsste. Denn es besteht trotz Corona-Pandemie und Versammlungsverboten weiterhin ein grundsätzliches Bedürfnis der Eigentümer, ihre WEG-Angelegenheiten durch Beschlussfassung zu regeln. Ein reiner Verweis auf das Umlaufverfahren genügt hierzu nicht, denn hierzu war nach § 23 Abs. 1 WEG a.F. ausnahmslos Einstimmigkeit erforderlich und einstimmige Beschlüsse bringen (größere) Eigentümergemeinschaften in den seltensten Fällen zustande, und auch nach neuem Recht setzen Mehrheitsumlaufbeschlüsse eine vorbereitende Beschlussfassung nach § 23 Abs. 3 S. 2 WEG n.F. voraus, die wiederum ihrerseits in Präsenz oder einstimmigem Umlaufbeschluss zu erfolgen hätte. Dem berechtigten Anliegen der Eigentümer auf angemessene Selbstverwaltung durch Mehrheitsbeschluss trotz Corona-Pandemie auf der einen Seite und dem ebenso berechtigten Anliegen der Eigentümer, dass Mehrheitsbeschlüsse nur nach ordnungsgemäßer Durchführung einer Eigentümerversammlung mit entsprechenden Diskussions- und Abstimmungsmöglichkeiten wirksam gefasst werden können, wird nur dadurch sinnvoll Rechnung getragen, indem die Beschlüsse einer Versammlung in Corona-Zeiten nicht als nichtig angesehen werden dürfen, sondern nur als anfechtbar. Denn wenn alle Eigentümer mit dem Ergebnis einverstanden sind und kein Eigentümer die in einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse anficht, besteht auch kein Grund, warum die gefassten Beschlüsse nicht in Bestandskraft erwachsen sollten.

Allein die Anfechtung des Bestellungsbeschlusses macht die Verwalterin ebenfalls nicht zur Unberechtigten. Auch eine rückwirkende Ungültigerklärung des Bestellungsbeschlusses führt nicht zum nachträglichen Verlust der Einberufungsbefugnis des zunächst wirksam bestellten Verwalters (Bärmann/Merle, 14. Aufl. 2018, WEG § 24 Rn. 29, noch zum insoweit aber unveränderten alten Recht; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 24 Rn. 37).

2. Auch ist nicht davon auszugehen, dass vorliegend ein Verstoß gegen § 24 Abs. 4 Satz 2 WEG n. F. vorliegt. Zwar ist die Sollfrist von 3 Wochen unstreitig unterschritten. Die verbleibende Zeit zwischen Ladung und Versammlung betrug jedoch noch 10 Tage, darunter 6 vollständige Werktage. In einem solchen Zeitraum ist es für die Eigentümer durchaus noch möglich, entsprechende Vorbereitungen zu treffen und Erkundigungen einzuholen. Demgegenüber stand tatsächlich eine nicht unerhebliche Dringlichkeit der Situation, da es im Interesse aller Eigentümer war, den instabilen Zeitraum der „kommissarischen Verwaltung“ so schnell wie möglich zu beenden und eine neue normale Verwaltung zu installieren, insbesondere auch im Hinblick auf die Größe und Zerstrittenheit der Eigentümergemeinschaft und die aus anderen Verfahren gerichtsbekannt ungeklärten Verhältnisse betreffend Buchhaltung und Finanzen.

3. Die Beschlüsse sind jedoch jeweils wegen eines Verstoßes gegen das Teilnahmerecht der Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung gemäß § 23 Abs. 1 WEG n.F. i.V.m. § 3 Abs. 1, § 5 S. 1 10. BaylfSMV für ungültig zu erklären.

Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung am 15.12.2020 waren Eigentümerversammlungen (welche nicht dem grundgesetzlich geschützten Versammlungsrecht unterliegen) gemäß § 5 S. 1 der 10, BaylfSMV vollständig untersagt. Das tatsächliche Zusammentreffen der Personen ### und ### war zwar als solches nicht verboten, da das Zusammentreffen von 2 Personen aus 2 verschiedenen Haushalten nicht untersagt war. Die Anwesenheit nur einer einzigen zusätzlichen Person aus einem weiteren Haushalt wäre aber von den Kontaktverboten nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 S.1 Nr. 5 der 10. BaylfSMV umfasst gewesen. Daneben bestand zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung eine allgemeine Ausgangsbeschränkung nach § 3 Abs. 1 10. BaylfSMV, welche das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubte.

Die auf einer unter diesen Umständen dennoch abgehaltenen Eigentümerversammlung gefassten Beschlüsse sind (auch im Fall einer sogenannten Ein-Mann-Versammlung oder – wie vorliegend – von der Personenzahl her Infektionsschutzrechtlich gerade noch zulässigen Vertreterversammlung) auf Anfechtung hin für ungültig zu erklären, weil darin ein Verstoß gegen das persönliche Teilnahmerecht der Eigentümer liegt. Eine Beschlussfassung im Wege der obligatorischen Vollmachtserteilung ist auch in § 23 WEG n.F. ausdrücklich nicht vorgesehen Eigentümer haben auch in Zeiten der Corona-Pandemie nicht nur das Recht, ihren Willen durch das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von ihnen gewünschten Willensbildung zu beeinflussen (LG Frankfurt, Urteil vom 17.12.2020, 2-13 S 108/20; Schmidt/Zschieschack, COVID-19, 2. Aufl., § 4 Rn. 25; AG Lemgo, ZWE 2020, 480 mit Anm. Greiner). Demzufolge sieht der BGH in der Teilnahme an einer Versammlung auch eines der elementaren Kernrechte der Eigentümer (BGH, NJW 2020, 653 Rn. 18).

Hinzukommt vorliegend noch, dass die Einladung zur Eigentümerversammlung auch noch so formuliert Ist, dass darin eine regelrechte „Ausladung“ der Eigentümer zu sehen ist. Im Einladungsschreiben wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Versammlung direkt abgesagt werden muss, wenn tatsächlich ein Eigentümer vom Recht auf persönliche Teilnahme Gebrauch machen wollte, Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass es sich bei der anvisierten „schriftlichen Stimmabgaben“ nicht um eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren handeln soll, sondern Mehrheitsbeschlüsse wie bei einer Eigentümerversammlung in Präsenzform gefasst werden sollen. Dies stellt eine eindeutige Umgehung auch des § 23 Abs. 3 S. 1 WEG n.F. dar, denn ein Beschluss über die Zulässigkeit des Mehrheitsbeschlusses auch im Umlaufverfahren nach § 23 Abs. 3 S. 2 WEG n.F. lag nicht vor, Die Formulierung der Einladung war für die Eigentümer nur dahingehend zu verstehen, dass einzige Möglichkeit der Beteiligung an der Beschlussfassung für sie ist, der Eigentümerversammlung fernzubleiben und der kommissarischen Verwalterin eine Vollmacht zu erteilen, also auf ihr Recht auf persönliche Teilnahme an der Diskussion und Meinungsbildung vollständig zu verzichten.

Einer Verletzung des Teilnahmerechts der Eigentümer steht auch nicht entgegen, dass der Kläger (ebenso wie die meisten der anderen Eigentümer) tatsächlich selbst eine Stimmrechtsvollmacht an die kommissarische Verwalterin erteilt hatte. Denn zum einen waren in den Wochen vor der streitgegenständlichen Eigentümerversammlung die geltenden Corona-Regeln mehrfach und in kurzer Zeit immer wieder geändert worden, sodass es den einzelnen Wohnungseigentümern nicht vorgeworfen werden kann, quasi sicherheitshalber Stimmrechtsvollmachten zu erteilen, um zumindest auf das Stimmrecht nicht ganz zu verzichten. Auch war die Rechtslage zur Frage der Zulässigkeit und Form der Abhaltung von Eigentümerversammlungen in Corona-Zeiten höchst unklar bzw. unübersichtlich, sodass es kein widersprüchliches Verhalten darstellt, wenn Eigentümer zunächst dem vom Verwalter vorgeschlagenen Verfahrensgang entsprechen, sich hinterher aber rechtlich informieren und sich dann auf die Unzulässigkeit der Durchführung der Versammlung berufen.

Die unter Verstoß gegen bzw. Umgehung des § 23 WEG n.F. gefassten Beschlüsse sind für ungültig zu erklären, ohne dass es eines Kausalitätsnachweises bedürfte. Denn nach der Rechtsprechung des BGH stellt der Entzug des persönlichen Teilnahmerechts an einer Eigentümerversammlung einen so schwerwiegenden Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Eigentümer dar, dass die Feststellung, dass sich der Beschlussmangel auch auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt hat, nicht erforderlich ist (BGH, Urteil vom 14. Februar 2020 – V ZR 159/19). Hieran ändert auch nichts, dass die Beschlüsse in der Einladung ausführlich formuliert/kommentiert waren. Dies ersetzt nicht die Diskussion und Abstimmung in einer Eigentümerversammlung, ganz besonders nicht in einer Gemeinschaft in einer derart prekären Lage. Zudem ist auch der Rückschluss der beklagten Partei fehlerhaft, dass alle Eigentümer auch bei Durchführung der Eigentümerversammlung entsprechend ihren abgegebenen Vollmachtsweisungen abgestimmt hätten. Würde man dieser Argumentation folgen, wäre eine tatsächlich abgehaltene Eigentümerversammlung mit tatsächlicher Anwesenheit der Eigentümer ja immer obsolet, weil man die dort vor Beschlussfassung geführten Diskussionen dann von vornherein als bloßes wirkungsloses Schauspiel abtun würde.

Schließlich stellt es auch nicht etwa keinen gravierenden Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht im Sinne der BGH-Rechtsprechung dar, weil vorliegend nicht nur das Teilnahmerecht eines einzigen Eigentümers betroffen war, sondern das alle Eigentümer. Vielmehr ist der Verstoß umso gravierender, je mehr Eigentümer davon betroffen sind, da umso mehr Eigentümern die Möglichkeit genommen wird, das Ergebnis der Willensbildung zu beeinflussen.

Der Beschluss zu TOP 10 ist schließlich auch deshalb für ungültig zu erklären, weil er auch inhaltlich nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht. Zwar ist der Beschluss aus Sicht des Gerichts nicht von vornherein zu unbestimmt, da insbesondere einzelne Kostenarten beispielhaft aufgeführt sind. Die Beschlussfassung ohne Kostenobergrenze ohne Kenntnis der Eigentümer über die ungefähre Größenordnung angefallener Kosten entspricht jedoch nicht ordnungsgemäßer Verwaltung, nachdem insbesondere unter dem Gesichtspunkt „Reisen“ nicht nur völlig unbedeutend geringe Kosten im Raum stehen hätten können.

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 91a ZPO.

Soweit die angefochtenen Beschlüsse für ungültig zu erklären waren (TOP 3a, 3b, 3d, 3e, 4 und 10), fallen der Beklagten gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zur Last.

Auch in Bezug auf die übereinstimmend für erledigt erklärten Anfechtungsanträge betreffend die Beschlüsse zu TOP 6 und 9 hat die Beklagte gemäß § 91a ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gemäß § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet das Gericht diesbezüglich über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Dies erfolgt im Wege einer summarischen Prüfung der grundsätzlichen Erfolgsaussichten der Klage. Auch in Bezug auf die Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 6 und 9 hätte der Kläger voraussichtlich mit seiner Klage obsiegt, sodass auch diesbezüglich der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind. Denn auch diese Beschlüsse hätte wegen des Verstoßes gegen § 23 WEG n.F. für ungültig erklärt werden müssen (s.o.). Insbesondere ist im Hinblick auf TOP 9 das erledigende Ereignis auch erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit eingetreten, sodass die Klage entgegen der Ansicht der beklagten Partei nicht von Anfang an unzulässig war. Die Klage wurde laut der in den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 06.02.2021 zugestellt. Der Umlaufbeschluss wurde unstreitig erst am 18.02.2021, also danach, verkündet. Die Zustellung vom 23.02.2021 betrifft nicht die Klagezustellung selbst, sondern nur die gesonderte Verfügung über das schriftliche Vorverfahren. Auch bestand in Bezug auf den Beschluss zu TOP 6 ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Insbesondere ist die Anfechtung des Verwalterbestellungsbeschlusses unter TOP 6 nicht von vornherein rechtsmissbräuchlich. Zwar ist die Rechtsfolge einer erfolgreichen Anfechtungsklage betreffend einen Verwalterbestellungsbeschluss, dass die Gemeinschaft, sofern nicht zwischenzeitlich eine anderweitige Verwalterbestellung erfolgt ist, verwalterlos wird. Richtig ist auch, dass der verwalterlose Zustand einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, insbesondere nach der neuen Rechtslage und insbesondere bei einer größeren Gemeinschaft, höchst problematisch ist. Die Anfechtung eines Verwalterbestellungsbeschlusses ist dennoch nicht gleichzusetzen mit der mutwilligen Herbeiführung eines verwalterlosen Zustandes. Denn dann wäre jeder Verwalterbestellungsbeschluss der Überprüfung auf seine Ordnungsgemäßheit hin entzogen. Insbesondere in der vorliegenden Eigentümergemeinschaft ist aufgrund der Vorgeschichte eine ordnungsgemäß durchgeführte Bestellung eines neuen Verwalters existenziell wichtig, damit das Vertrauen der Eigentümer in eine Verwaltung wiederhergestellt werden kann. Insofern bestand in jedem Fall ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers als Mitglied der streitgegenständlichen Gemeinschaft.

Auch unter Berücksichtigung des Unterliegens des Klägers in Bezug auf die Anfechtung der Beschlüsse zu TOP 3c und 7 hat die Beklagte gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits insgesamt zu tragen, weil von den jeweiligen Teilstreitwerten her ein Fall der Geringfügigkeit vorliegt.

V.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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