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Dienstleistungen als Teil der Miete – Wegfall und Mietanpassung

LG Gießen – Az.: 7 T 349/22 – Beschluss vom 08.12.2022

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 21.10.2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 1.655,15 Euro

Gründe:

I.

Nach Erledigung des Rechtsstreits streiten die Parteien über die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO.

Im Wohnraummietvertrag vom 20.09.2021 vereinbarten die Parteien unter § 17: „Als Gegenleistung für die niedrige Miete wird vereinbart: das Treppenhaus sowie die Kellerräume nach Bedarf (mindestens einmal monatlich) zu wischen, die anfallende Wäsche (ca. zwei Ladungen pro Woche) zu waschen und zu trocknen, kleinere Hilfen im täglichen Leben des Vermieters, die dieser nicht mehr selber wahrnehmen kann, zu erledigen, den Garten zu pflegen, den Laufweg je nach Witterung zu räumen und die Mülltonnen rechtzeitig zur Leerung raus und nach der Leerung wieder rein zu stellen. Sollte eine dieser Gegenleistungen entfallen, so muss neu über die Miethöhe verhandelt werden“.

Der Beklagte zog am 15.10.2021 in die streitgegenständliche Wohnung ein.

Nach einem Sturz am 15.01.2022 und einem anschließenden Krankenhausaufenthalt entschied sich der Kläger, fortan in einem Seniorenheim zu leben.

Dienstleistungen als Teil der Miete – Wegfall und Mietanpassung
(Symbolfoto: CravenA/Shutterstock.com)

Am 07.03.2022 ließ der Kläger dem Beklagten einen neuen Mietvertrag übermitteln. Der Beklagte lehnte die Vertragsänderung ab. Mit Schreiben vom 30.03.2022 erklärte der Kläger gegenüber dem Beklagten die Kündigung zum 31.03.2022, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Die Verpflichtungen aus § 17 des Mietvertrages würden zukünftig wegen des Umzugs in ein Seniorenheim dauerhaft wegfallen. Sollte der Mietvertrag vom 07.03.2022 nicht zustande kommen, solle der Beklagte die Wohnung bis zum 30.04.2022 räumen.

Die Gartenpflege erledigte der Beklagte entgegen der Verpflichtung aus § 17 des Mietvertrags nicht.

Mit der Klageschrift vom 22.07.2022 begehrte der Kläger als Vermieter vom Beklagten als Mieter die Räumung und Herausgabe von Mieträumen und anteilig überlassenen Gemeinschaftsräumen eines Wohnhauses in Gießen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm ein Kündigungsrecht zustünde, weil die Vertragsgrundlage durch den Wegfall der in § 17 des Mietvertrags geregelten Pflichten entfallen sei. Trotz eines Angebotes und eines gemeinsamen Gespräches sei es nicht zu einer Neuregelung der Mietvereinbarung gekommen.

Der Beklagte ist der Ansicht, dass sich aus einer Nichterfüllung der in § 17 des Mietvertrags geregelten Pflichten kein Kündigungsrecht, sondern lediglich eine Verhandlungspflicht der Parteien ergebe. Der vorgelegte Mietvertrag vom 07.03.2022 habe nicht zur Disposition gestanden, sodass ein Verhandeln zwischen den Parteien nicht stattgefunden habe.

Am 31.08.2022 ist der Beklagte aus dem streitgegenständlichen Mietobjekt ausgezogen.

Mit Schriftsatz vom 02.09.2022 hat der Kläger die Klage für erledigt erklärt und beantragt, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

Mit Schriftsatz vom 05.09.2022 hat der Beklagte erklärt, er werde sich der Kündigungserklärung nicht entgegenstellen. Die Kosten des Rechtsstreits seien dem Kläger aufzuerlegen.

Mit Beschluss vom 21.10.2022 hat das Amtsgericht Gießen die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91a ZPO gegeneinander aufgehoben, da eine Beweisaufnahme unterblieben sei. Der Beschluss ist dem Beklagten am 25.10.2022 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 03.11.2022 (eingegangen beim Amtsgericht am selben Tage) hat der Beklagte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 21.10.2022 eingelegt und beantragt, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen. Es lägen weder die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung noch einer Verwertungskündigung vor, da die Parteien die Rechtsfolge des Entfallens einer Gegenleistung aus § 17 des Mietvertrags ausdrücklich geregelt hätten. Danach sei neu über die Miethöhe zu verhandeln. Ein Recht zur Kündigung sehe § 17 gerade nicht vor. In der Vorlage eines neuen Mietvertrages sei aber keine Verhandlung zu sehen, sodass die Kündigung unwirksam gewesen sei.

Mit Beschluss vom 28.11.2022 hat das Amtsgericht Gießen der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Gießen zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig, §§ 91a Abs. 2, 567 ff. ZPO.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Wegen des Verbotes der reformatio in peius hat es bei der vom Amtsgerichts festgesetzten Kostenaufhebung zu verbleiben.

Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen hinsichtlich der Hauptsache hat das Gericht von Amts wegen über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO. Dabei wird im Allgemeinen der ohne die Erledigung zu erwartende Verfahrensausgang den Ausschlag für die Kostenauferlegung geben. Da vom bisherigen Sach- und Streitstand auszugehen ist, sollen neue Tatsachenvorträge und Beweisangebote in den Rechtsstreit nicht mehr eingeführt werden. Kommt es deshalb nicht mehr zur Durchführung einer (ohne die Erledigung gebotenen) Beweisaufnahme, so sind die Kosten in der Regel gegeneinander aufzuheben (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 91a Kosten bei Erledigung der Hauptsache, Rn. 26 m.w.N.).

Entgegen der nahezu unbegründeten Kostenentscheidung des Amtsgerichts kam es im vorliegenden Fall nicht auf eine Beweisaufnahme an. Vielmehr stritten die Parteien vor der Erledigung lediglich um ein vermeintlich aus § 17 des Mietvertrags hergeleitetes Kündigungsrecht, ohne dass das Ergebnis des Rechtsstreits von einer Beweiserhebung (zu welchem Beweisthema auch immer) abhängig gewesen wäre.

Dem Kläger stand nach dem Scheitern der Verhandlungen über den neuen Mietvertrag vom 07.03.2022 ein außerordentliches Kündigungsrecht mit einer Kündigungsfrist von mindestens 15 Kalendertagen zum Monatsende gegen den Beklagten gem. § 543 Abs. 1 BGB zu.

Danach kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Der von dem Kläger in der Kündigung vom 30.03.2022 angegebene Grund war der zukünftige Wegfall der Leistungsverpflichtung aus § 17 des Mietvertrages, welche der Kläger nach seinem Einzug in einem Seniorenpflegeheim nicht mehr in Anspruch nehmen konnte sowie die fehlende Einigung auf den Mietvertragsentwurf vom 07.03.2022.

Zwar ist der Beklagte für den Umstand des klägerischen Auszugs aus dem Wohnhaus in ein Pflegeheim nicht verantwortlich gewesen, sodass es sich nicht um eine verhaltensbedingte Kündigung handelt.

Bei der erforderlichen Abwägung der beiderseitigen Interessen ist aber auch zu berücksichtigen, dass § 17 des Mietvertrages ausdrücklich Leistungspflichten als Gegenleistung für eine vergünstigte Miete definiert hat und damit nicht nur Nebenleistungspflichten, sondern sogar Hauptleistungspflichten des Beklagten begründet hat. Insofern handelt es sich um einen mit dem Mietvertrag gekoppelten Dienstvertrag, welcher im vertraglichen Synallagma einen Teil der Gegenleistung für die Überlassung des Mietraums dargestellt hat. Zwar bedeutet das nicht, dass die gesetzlichen Bestimmungen über den Dienstvertrag unmittelbar auf das hiesige Mietverhältnis anzuwenden sind. Allerdings sind die gesetzlich vorgeschriebenen Eigenschaften eines Dienstverhältnisses bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen im Rahmen der außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages zu berücksichtigen. So ist es dem Dienstherrn gem. § 621 Nr. 3 BGB möglich, das Dienstverhältnis bei einer nach Monaten zu bemessenen Vergütung spätestens am 15. eines Monats für den Schluss des Kalendermonats ordentlich zu kündigen. Auf die Verpflichtungen aus § 17 des Mietvertrages übertragen bedeutet dies, dass der Kläger als Vermieter ein berechtigtes Interesse hat, die vom Beklagten angebotenen Dienste mit einer Vorlaufzeit von einem halben Monat zum Schluss des Kalendermonats nicht mehr in Anspruch zu nehmen.

Wenn mithin ein berechtigtes – und im Kündigungsschreiben vom 30.03.2022 entsprechend geäußertes – Interesse des Klägers an der Beendigung der Dienstpflichten bestand, ist damit automatisch das vertragliches Synallagma gestört worden. Für diesen Fall haben die Parteien unter § 17 des Mietvertrages vereinbart, dass bei Wegfall einer der Gegenleistungen neu über die Miethöhe zu verhandeln sei.

Der Begriff der Verhandlungen wird in § 203 BGB verwendet und bedeutet, dass die Parteien einen Meinungsaustausch über ein Begehren des Gläubigers betreiben. Dabei ist eine Bereitschaft zu einem besonderen Entgegenkommen nicht notwendig, solange eben nur das Gespräch andauert (vgl. Staudinger/Peters/Jacoby (2019) BGB § 203, Rn. 7, 8 m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen war in der Übersendung des neuen Mietvertrages vom 07.03.2022 ein Angebot auf Abschluss zu erkennen. Allein aus der Tatsache, dass der Mietvertragsentwurf bereits vorformuliert war, ergibt sich noch nicht die fehlende Verhandlungsbereitschaft des Klägers, sondern nur die unbedingte Bereitschaft, den künftigen Mietvertrag zu den beschriebenen Konditionen abschließen zu wollen. Jedenfalls aber ist mit dem Angebot der Wille verbunden, auch zukünftig ein Mietverhältnis mit dem Beklagten – jedoch zu einem höheren Mietzins und ohne die Verpflichtungen aus dem früheren § 17 – zu begründen. Da auf ein Angebot nach der allgemeinen Verkehrsauffassung eine Reaktion erwartet wird und sich aus diesen beiden Erklärungen das Meinungsbild der Parteien ergibt, ist die Abgabe eines Angebotes im Allgemeinen als Beginn einer Verhandlung zu qualifizieren. Wie bereits zuvor definiert, gilt dies auch dann, wenn eine Kompromissbereitschaft nicht besteht. Offensichtlich ist es nicht zum Abschluss des Mietvertrages gekommen, sodass die Verhandlung gescheitert ist.

Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Rechtsfolge des § 17 des Mietvertrages aber nicht allein in der Verhandlung über einen neuen Mietzins zu erkennen. Ansonsten könnte sich der Mieter nach einer nur vordergründigen Beteiligung an einer Verhandlung jedes Mal einer Mieterhöhung entziehen, auch wenn er keine der vertraglichen Verpflichtungen aus § 17 erfüllt hätte.

Dies würde dem Sinn und Zweck der dienstlichen Gegenleistungen nicht gerecht werden. Vielmehr muss die Nichterfüllung der dienstlichen Hauptleistungspflicht des Mieters auch zur Sanktion in Form der Kündigung berechtigen, was sich bereits aus § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB für den Fall eines monetären Mietzinses als Gegenleistung des Mieters ergibt.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist weiterhin zu berücksichtigen, dass der Wegfall der Geschäftsgrundlage durch den Auszug des Klägers in ein Pflegeheim durch eine Entscheidung einer Partei herbeigeführt wurde. Es wäre insofern unbillig, der Partei ein außerordentliches Kündigungsrecht zuzugestehen, die den Umstand der Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses selbst herbeigeführt hat. Diese Argumentation berücksichtigt aber nicht die besonderen Umstände des vorliegenden Falles. Der Kläger hat dem Beklagten nach dem tatsächlichen Wegfall der Verpflichtungen aus § 17 des Mietvertrages den Abschluss eines neuen Mietvertrages vorgeschlagen, der unbestritten eine Mietzahlung in ortsüblicher Höhe vorgesehen hat. Der Kläger hat dadurch offenbart, dass er das vertraglich vereinbarte Synallagma wiederherstellen will. Dass sich der Beklagte darauf nicht eingelassen hat, liegt wiederum in dessen Verantwortungsbereich.

Insgesamt wäre es für den Kläger unzumutbar gewesen, den Mietvertrag über die Kündigungsfrist für Dienstverträge hinaus fortzusetzen in dem Wissen, dass der Beklagte einen erheblichen Teil seiner Gegenleistung nicht erfüllen wird. Der Fall nähert sich insofern dem Kündigungsgrund des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB an, da die Gewissheit bestanden hat, dass der Beklagte den dienstlich zu leistenden Teil seiner Miete nicht erbringen wird.

Da das Mietverhältnis mit dem Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung auch erst etwa ein halbes Jahr bestand und die Vereinbarung über die fünfjährige Bindung unwirksam war, ist ein weiteres schützenswertes Interesse des Beklagten an der Fortsetzung des Mietverhältnisses über die Frist bis zum Monatsende hinaus nicht erkennbar.

Nach alledem hätte die außerordentliche Kündigungserklärung des Klägers vom 30.03.2022 den Mietvertrag zum 30.04.2022 beendet (Kündigungsfrist des dienstvertraglichen Teils), sodass die Räumungsklage auch ohne Beweisaufnahme für den Kläger erfolgreich ausgegangen wäre.

Die Entscheidung des Amtsgerichts war jedoch wegen des Verbotes der reformatio in peius nicht zu Lasten des Beschwerdeführers abzuändern (vgl. Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 572 Gang des Beschwerdeverfahrens, Rn. 39), sodass es bei der gegenseitigen Kostenaufhebung zu verbleiben hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da es im vorliegenden Fall um die Anwendung bereits allgemein anerkannter Rechtssätze auf den Einzelfall geht, § 574 Abs. 1, Abs. 2 ZPO.

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