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Eigenbedarfskündigung – bei Depression des Mieters

LG München I – Az.: 14 S 22534/14 – Urteil vom 30.11.2016

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 07.11.2014 (Az. 411 C 15579/14) abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird das Mietverhältnis zwischen den Parteien über das Einfamilienhaus in 8… auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Hinsichtlich des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Amtsgerichts München vom 07.11.2014 Bezug genommen. Zusammenfassend bzw. ergänzend hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Die Parteien streiten um Räumung und Herausgabe eines Einfamilienhauses in M aufgrund einer von der Klägerin mit Schreiben vom 31.07.2008 ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung. Die Parteien führten bereits in den Kalenderjahren 2008 bis 2010 einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit mehrerer von der Klägerin ausgesprochener Eigenbedarfskündigungen unter dem Aktenzeichen 422 C 22574/08. Mit rechtskräftigem Endurteil vom 02.06.2010 wies das Amtsgericht München die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage der Klägerin ab und setzte das Mietverhältnis bis zum 30.06.2014 fort. Wörtlich heißt es hierzu im Tenor des Endurteils vom 02.06.2010 unter Ziffer 2:

„Das Mietverhältnis wird auf unbestimmte Dauer bis zum Wegfall der Räumungsunfähigkeit der Beklagten zu 2), längstens bis 30.06.2014, fortgesetzt.“

Aus dem Tatbestand des Vorurteils des Amtsgerichts München ergibt sich, dass die Beklagten im damaligen Verfahren den Eigenbedarf der Klägerin bestritten hatten aber hilfsweise ausdrücklich beantragt hatten, die Fortsetzung des Mietverhältnisses gem. § 574a BGB auf unbestimmte Dauer bis zum Wegfall des Räumungshindernisses längstens bis 30.06.2014 auszusprechen.

Eigenbedarfskündigung – bei Depression des Mieters
(Symbolfoto: Prostock-studio/Shutterstock.com)

Das Amtsgericht hat im Endurteil vom 02.06.2010 die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung vom 31.07.2008 nach Beweisaufnahme festgestellt, aber wegen in der Person der Beklagten zu 2) liegender Härtegründe das Mietverhältnis nach § 574 Abs. 1 BGB fortgesetzt. In dem damaligen Verfahren hatte das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten durch die Landgerichtsärztin beim Landgericht München I, Dr. M erholt. Diese war in ihrem schriftlichen Gutachten vom 07.12.2009 hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Beklagten zu 2) von einer mittelgradig bis schweren chronifizierten depressiven Störung ausgegangen und hatte ausgeführt, eine Prognose über den Gesundheitszustand der Beklagten zu 2) könne für die nächsten 5 Jahre nicht abgegeben werden, mit einer wesentlichen Besserung sei jedoch nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen (Gutachten vom 07.12.2009, Bl. 227 im beigezogenen Verfahren 422 C 22574/08). In den Entscheidungsgründen des rechtskräftigen Urteils vom 02.06.2010 heißt es auf S. 8 hierzu wörtlich: „Trotz grundsätzlich wirksamer Eigenbedarfskündigung war daher nach § 574a antragsgemäß zu bestimmen, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Dauer bis zum Wegfall der Räumungsunfähigkeit der Beklagten, längstens bis 30.06.2014, fortgesetzt wird“ (Bl. 286 im Verfahren 422 C 22574/08).

Mit Schreiben vom 23.05.2014 forderte die Klägerin die Beklagten zur Räumung und Herausgabe des Anwesens zum 30.06.2014 auf. Hierauf antworteten die Beklagten am 26.06.2014 und beantragten die erneute Fortsetzung des Mietverhältnisses unter Hinweis auf die unveränderte Erkrankung der Beklagten zu 2).Mit Schriftsatz vom 01.07.2014 erhob die Klägerin erneut Klage auf Räumung und Herausgabe des gemieteten Einfamilienhauses in M gegen die Beklagten. Eine erneute Kündigung sprach sie nicht aus. Die Beklagten machten im Wesentlichen geltend, dass ein Eigenbedarf der Klägerin weiterhin nicht bestehe. Insbesondere hätte die Klägerin entgegen ihrem Tatsachenvortrag im Vorverfahren weder ihren damaligen Lebensgefährten geheiratet noch Nachwuchs bekommen. Die schwere depressive Symptomatik der Beklagten zu 2) habe sich nicht gebessert und sogar noch erheblich verschlechtert. Es sei über die bereits damals bestehende psychische Erkrankung noch eine Herzerkrankung, insbesondere Herzrhythmusstörungen, zusätzlich aufgetreten. Die Klägerin trägt hierzu vor, die Beklagte zu 2) sei völlig gesund und nehme ohne Einschränkungen am gesellschaftlichen Leben teil.

Das Amtsgericht hat mit Endurteil vom 07.11.2014 der Räumungsklage stattgegeben und die Widerklage auf Feststellung, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde, abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass das Gericht an die Feststellungen zur Wirksamkeit der Kündigung im Ausgangsverfahren 422 C 22574/08 gebunden sei. Eine erneute Festsetzung nach § 574c Abs. 1 BGB komme nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht „ausreichend nachvollziehbar vorgetragen“ habe, dass sich ihr Gesundheitszustand und damit die bereits damals festgestellte soziale Härte wesentlich verschlechtert hätte. Da das Amtsgericht in dem damaligen Verfahren das Mietverhältnis lediglich auf bestimmte Zeit verlängert habe, würden gleichbleibende gesundheitliche Umstände eine erneute Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund eines Härtewiderspruches nicht rechtfertigen. Es könne daher als wahr unterstellt werden, dass die im Ausgangsverfahren 422 C 22574/08 festgestellten Härtegründe bei der Beklagten zu 2) nach wie vor bestehen würden.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge vollumfänglich weiterverfolgen.

Die Beklagten beantragen:

1) Das Urteil des AG München 411 C 15579/14 vom 07.11.2014 wird abgeändert.

2) Die Klage wird abgewiesen.

3) Es wird festgestellt, dass das streitgegenständliche Mietverhältnis sich auf unbestimmte Zeit fortsetzt.

4) Hilfsweise: den Beklagten wird eine Räumungsfrist von einem Jahr eingeräumt.

Die Klägerin beantragt: Zurückweisung der Berufung.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und den Sachverständigen Dr. T in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2014 ergänzend angehört. Die Kammer hat ferner in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2014 die Klägerin persönlich angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien im Bezugsverfahren, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. D vom 03.02.2016 sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 05.08.2015 und 16.11.2016 Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Zwar steht die Wirksamkeit der Kündigung vom 31.07.2008 aufgrund des rechtskräftigen Urteils vom 02.06.2010 fest. Auf den erneuten Härtewiderspruch der Beklagten war die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage jedoch erneut abzuweisen und auf die Widerklage das Mietverhältnis zwischen den Parteien – diesmal auf unbestimmte Zeit – fortzusetzen, § 574c Abs. 1 Alternative 2, 574 Abs. 1, 574a Abs. 2 S. 2 BGB.

1) Da das Mietverhältnis zwischen den Parteien bereits mit Endurteil vom 02.06.2010 aufgrund eines Härtewiderspruchs der Beklagten fortgesetzt wurde, regelt sich die Entscheidung über die erneute Fortsetzung aufgrund eines Härtewiderspruchs des Mieters nach § 574c Abs. 1 BGB. Danach kann der Mieter die weitere Fortsetzung eines Mietverhältnisses, das durch Urteil auf bestimmte Zeit fortgesetzt wurde, nur verlangen, wenn dies durch eine wesentliche Änderung der Umstände gerechtfertigt ist oder wenn Umstände nicht eingetreten sind, deren vorhergesehener Eintritt für die Zeitdauer der Fortsetzung bestimmend gewesen waren.

a) Die Kammer geht hierbei in Übereinstimmung mit den Gründen des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils zunächst davon aus, dass das Mietverhältnis im Ausgangsverfahren gemäß Endurteil vom 02.06.2010 auf bestimmte Zeit fortgesetzt wurde. Zwar ist der Tenor unter Ziffer II. insoweit widersprüchlich, weil es einerseits heißt, das Mietverhältnis wird „auf unbestimmte Dauer“ fortgesetzt, andererseits aber längstens aber „bis 30.06.2014“. Da jedoch im Urteilstenor wie auch in den Entscheidungsgründen ausdrücklich das Datum 30.06.2014 genannt wird, kann der Tenor und damit auch die Wirkungen des Urteils nur dahingehend ausgelegt werden, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf bestimmte Zeit im Sinne des § 574c Abs. 1 BGB gewollt war. Eine derartige Auslegung folgt zum einen aus dem Umstand, dass der Regelfall einer Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574a BGB die Fortsetzung auf bestimmte Zeit ist (vgl. Schmidt- Futterer/Blank § 574a Rn. 11; Staudinger-Rolfs § 574a Rn. 15). Zum anderen entspricht eine diesbezügliche Auslegung zu Ziffer II. des Tenors den damaligen Hilfsantrag der Beklagten, die selbst nur eine Fortsetzung bis längstens 30.06.2016 beantragt hatten (Tatbestand des Endurteils vom 07.06.2010, dort S. 2). Ob das Amtsgericht bereits damals wegen der Ungewissheit des Fortfalls der in der Person der Beklagten zu 2) liegenden Härtegründe eine Fortsetzung auf unbestimmte Zeit hätte aussprechen können, ist insofern nicht maßgeblich. Zwar hätte das Amtsgericht möglicherweise wegen der Vorschrift des § 308a Abs. 1 ZPO auch ohne Bindung an § 308 Abs. 1 ZPO das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortsetzen können, da im Bezugsverfahren kein ausdrücklicher Widerklageantrag gestellt worden war, die Kammer ist aber wegen der Rechtskraft des Urteils an einer derartigen Auslegung gehindert. Ob die Formulierung des Tenors bei einem früheren Wegfall der Härtegründe auch eine Räumungsklage der Vermieterin und Klägerin vor Ablauf des 30.06.2014 theoretisch ermöglicht hätte, muss an dieser Stelle nicht erörtert werden, da die Klage erst nach dem 30.06.2014 erhoben wurde. Der Tenor kann mithin nur dahingehend ausgelegt werden, dass das Mietverhältnis auf bestimmte Zeit bis 30.06.2014 verlängert wurde und damit ein Fall des § 574c Abs. 1 BGB vorliegt.

b) Einer erneuten Kündigung seitens der Klägerin bedurfte es bei einer Fortsetzung des Mietverhältnis auf bestimmte Zeit nicht. Dies ergibt sich bereits aus dem Umkehrschluss zu § 574c Abs. 2 BGB bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit, denn dort bedarf es ausdrücklich einer erneuten Kündigung des Mietverhältnisses. Bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses auf bestimmte Zeit bedarf es hingegen einer erneuten Kündigung nicht, weil das Mietverhältnis mit Ablauf der Fortsetzungszeit ohne Weiteres endet und der Mieter die Mietsache herausgeben muss (vgl. Schmidt-Futterer/Blank § 574c Rn. 4). Die Wirksamkeit der ursprünglichen Kündigung aus dem Jahr 2008 steht damit weiterhin fest, ob das berechtigte Interesse der Klägerin damit zum jetzigen Zeitpunkt noch besteht, darf die Kammer nicht mehr prüfen. Das konkrete Erlangungsinteresse der Klägerin war somit lediglich im Rahmen der Interessenabwägung nach festgestellten Härtegründen der Beklagten zu berücksichtigen (§ 574 Abs. 3 BGB, dazu unten).

2) Die Beklagten haben bereits in ihrer Klageerwiderung in erster Instanz vom 11.09.2014 die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 Abs. 1 BGB verlangt und unter Vorlage von Attesten ausdrücklich ausgeführt, dass die Härtegründe auf Seiten der Beklagten zu 2) „in vollem Umfang“ fortbestehen würden (Klageerwiderung vom 11.09.2014, dort S. 3, Bl. 38 d. A.). Vorliegend können die Beklagten nach § 574c Abs. 1, 2. Alternative BGB die erneute Fortsetzung des Mietverhältnisses wegen der bestehenden und im Vorverfahren festgestellten Härtegründe verlangen, ohne dass eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten sein muss. Nach § 574c Abs. 1 Alternative 2 BGB kann der Mieter eine weitere Fortsetzung auch verlangen, wenn Umstände nicht eingetreten sind, deren vorgesehener Eintritt für die Zeitdauer der Fortsetzung bestimmend gewesen war. § 574c BGB soll die wiederholte Verlängerung eines bereits früher aufgrund der Sozialklausel fortgesetzten Mietverhältnisses ermöglichen. Der Mieter soll einen Anspruch auf weitere Fortsetzung auch dann haben, wenn Umstände nicht eingetreten sind, von deren Eintritt bei Bemessung einer bestimmten Zeitdauer für die frühere Fortsetzung des Mietverhältnisses ausgegangen worden war (Staudinger-Rolfs § 574c Rn. 5 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien BT- Drucksache V/1743, 4). Der Nichteintritt erwarteter Umstände ist insbesondere dann anzunehmen, wenn das Mietverhältnis wegen einer Erkrankung des Mieters auf bestimmte Zeit verlängert worden ist, wider Erwarten nach Ablauf der entsprechend bemessenen Zeit die Gesundheit aber noch nicht wiederhergestellt ist (Staudinger-Rolfs § 574c Rn. 13, BeckOGK/Emanuel § 574c Rn. 10). Vorliegend ergibt sich sowohl aus dem Tenor des rechtskräftigen Urteils vom 02.06.2010 als auch den aus den Entscheidungsgründen (Endurteil S. 8 unten) dass der Wegfall der Räumungsunfähigkeit der Beklagten zu 2) maßgeblicher Umstand für die Fristbestimmung zum 30.06.2014 war. Die Fristbestimmung im seinerzeitigen Urteil wurde maßgeblich von der Erwartung des Amtsgerichtes geprägt, dass die aufgrund des Gutachtens nicht absehbare Wiederherstellung der Gesundheit der Beklagten zu 2) und die damit einhergehende Räumungsunfähigkeit bis zu diesem Zeitpunkt wieder hergestellt sein wird. Der Wegfall der Räumungsunfähigkeit als solcher ist nicht nur ausdrücklich in Ziffer II. des Tenors des Endurteils vom 02.06.2010 genannt, sondern ergibt sich auch aus den Entscheidungsgründen des Urteils. Das Amtsgericht führt in den damaligen Urteilsgründen aus, dass aufgrund des erholten Sachverständigengutachtens eine Prognose für die nächsten 5 Jahre nicht abgegeben werden kann und der weitere Behandlungsverlauf abzuwarten sei. Geht man davon aus, dass der Ausspruch der Fortsetzung eines Mietverhältnisses auf bestimmte Zeit regelmäßig die Prognose des Fortfalls der ursprünglichen Härtegründe zugrundeliegt (vgl. MüKo-Häublein, § 573 Rn. 4), so kann es entgegen der Entscheidungsgründe des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils nicht maßgeblich darauf ankommen, ob sich der gesundheitliche Zustand der Beklagten zu 2) erheblich verschlechtert hat. Maßgeblich ist vielmehr nach § 574c Abs. 1 Alternative 2 BGB, ob sich der vom Amtsgericht seiner Prognose hinsichtlich der Bestimmung der Fortsetzungszeit zugrundeliegende Erwartung, dass sich der Gesundheitszustand der Beklagten zu 2) hinsichtlich ihrer Räumungsunfähigkeit verbessere, nicht eingetreten ist. Die Beklagten mussten daher entgegen der amtsgerichtlichen Annahme nicht vortragen und den Nachweis führen, dass sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Beklagten zu 2) wesentlich verschlechtert haben. Ausreichend war vielmehr der hier geführte Nachweis, dass die auf der psychischen Erkrankung der Beklagten zu 2) fußenden Härtegründe nach wie vor unverändert vorliegen.

Dass der Eintritt einer Verbesserung des Gesundheitszustandes von der Beklagten zu 2) wider Treu und Glauben verhindert worden sei (dazu Schmidt- Futterer/Blank § 574c Rn. 7) ist schon nicht vorgetragen. Im Übrigen steht durch vorgelegten Attestes sowie das erholte Gutachten des Sachverständigen Dr. D fest, dass sich die Beklagte zu 2) in engmaschiger fachärztlicher und psychotherapeutischer Behandlung befindet.

3) Der Härteeinwand wurde fristgerecht erhoben, § 574b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 und 2 BGB. Zwar haben die Beklagten den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei erst mit Schreiben vom 26.06.2014 (Anlage B 5) über das weitere Vorliegen der Härtegründe und des unveränderten Gesundheitszustands der Beklagten zu 2) informiert und damit die 2-Monatsfrist des § 574b Abs. 2 S. 1 BGB gerade nicht eingehalten, allerdings kann der Mieter seinen Anspruch auf erneute Fortsetzung bei Wahrung der Schriftform noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits geltend machen, wenn der Vermieter ihn nicht rechtzeitig vor Ablauf der 2-Monatsfrist auf die Möglichkeit sowie Form und Frist eines erneuten Fortsetzungsverlangens hingewiesen hat (so zutreffend Staudinger-Rolfs § 574c Rn. 18). Dass die Klägerin die Beklagten vor Ablauf der Frist spätestens am 30.04.2016 auf die 2-Monatsfrist hingewiesen hat, wird schon seitens der Klagepartei nicht vorgetragen. Damit war die erneute Geltendmachung des Härteeinwands gemäß Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26.06.2014 in jedem Falle rechtzeitig.

Zwar wird teilweise auch vertreten, dass im Falle eines wiederholten Fortsetzungsbegehrens nach einer Verlängerung auf bestimmte Zeit überhaupt keine Frist für eine Erhebung des Härteeinwandes gelten soll (so Schmidt-Futterer/Blank § 574c Rn 10; Palandt/Weidenkaff § 574c Rn 10), die Kammer folgt hier aber der oben genannten Ansicht von Rolfs, der zutreffend darauf abstellt, dass es maßgeblich auf den Zweck der Vorschrift des § 574b BGB, also Rechtsklarheit für den Vermieter, ankommen muss. Die noch strengere Ansicht, wonach es einer Hinweispflicht des Vermieters bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses für bestimmte Zeit nicht bedarf (so MüKo/Häublein § 574c Rn. 7 und NK-BGB/Hinz § 574c Rn. 6) ist nicht überzeugend. Zwar ist dieser Meinung zuzugestehen, dass der Mieter im Falle einer erneuten Vertragsverlängerung nicht in gleicher Weise schutzbedürftig ist, weil er bereits eine Vertragsverlängerung erreicht und mit dem Verfahren sowie der gerichtlichen Befristung weitgehend vertraut ist (so Hinz in NK-BGB § 574c Rn. 6). Allerdings weiß der Mieter, der wie hier eine gerichtliche Fortsetzung über mehrere Jahre erstritten hat, in der Regel nicht, ob der Vermieter nach Ablauf einer derart langen Zeit überhaupt noch beabsichtigt, in die Wohnung einzuziehen. Auch bedarf es im Falle des § 574c Abs. 1 BGB gerade keiner neuen Kündigung, mit der der Vermieter zum Ausdruck bringt, dass er Räumung und Herausgabe nach wie vor anstrebt. Der Mieter müsste somit quasi ins Blaue hinein von sich aus zwei Monate vor Ablauf der Frist einen erneuten Härtewiderspruch erheben, obwohl er gar nicht weiß, ob der Vermieter die Wohnung überhaupt noch benötigt. Aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ist es daher geboten, die Frist des § 574b Abs. 2 S. 1 BGB nur dann gelten zu lassen, wenn der Vermieter den Mieter – erneut – auf die Möglichkeit der Erhebung des Härteeinwandes und die Frist hingewiesen hat. Daher wäre es vorliegend Sache der Klägerin gewesen, die Beklagten vor dem 30.04.2014 auf die Notwendigkeit eines erneuten Widerspruchs hinzuweisen. Da es hieran fehlt, konnten die Beklagten – wie geschehen – mit Schreiben vom 26.06.2014 ein erneutes Fortsetzungsverlangen fristgerecht stellen.

Unabhängig davon könnte sich die Klägerin nicht auf eine Versäumung der Frist des § 574b Abs. 2 S. 1 BGB berufen. Das Schutzbedürfnis der Beklagten gebietet es jedenfalls im hier vorliegenden Fall auch auf die Möglichkeit einer wiederholten Fortsetzung hingewiesen zu werden, nachdem der Tenor des Fortsetzungsurteils widersprüchlich war und das Amtsgericht im Endurteil vom 02.06.2010 auch von einer „unbestimmten“ Verlängerung sprach. Jedenfalls aufgrund des widersprüchlichen Urteilstenors war im hier vorliegenden Einzelfall die Frist des § 574b Abs. 2 BGB selbst dann nicht zu wahren, wenn man mit der oben zitierten abweichenden Meinung grundsätzlich davon ausgeht, dass der Mieter auch ohne entsprechenden Hinweis des Vermieters bei einer Vertragsfortsetzung auf bestimmte Zeit rechtzeitig einen erneuten Widerspruch einzulegen hat. Damit ist der Härteeinwand mit dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Beklagten wenige Tage vor Ablauf der Frist des 30.06.2015 vorliegend gewahrt und konnte im Prozess Berücksichtigung finden.

4) Aufgrund des von der Kammer erholten und von den Beklagten bereits in erster Instanz beantragten Sachverständigengutachtens Dr. D steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass Härtegründe in der Person des Beklagten im Sinne von § 574 Abs. 1 BGB entgegen der Annahme im rechtskräftigen Endurteil des Amtsgerichts München vom 02.06.2010 unverändert fortbestehen.

Für die durch das Gericht vorzunehmende Interessenabwägung sind zunächst die Interessen der Beklagten an der Fortführung des Mietverhältnisses zu ermitteln. Erforderlich ist dabei, dass die Vertragsbeendigung für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die nicht zu rechtfertigen ist. Unter einer Härte sind dabei alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können (Schmidt-Futterer/Blank § 574 Rn. 20). Hierbei muss der Eintritt der Nachteile nicht mit absoluter Sicherheit feststehen, es genügt vielmehr, wenn solche Nachteile mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (LG München I, NJW-RR 2014, 1108; Schmidt-Futterer/Blank § 574 Rn. 20). Ob der Mieter sich im Falle einer erneuten Fortsetzung nach § 574c Abs. 1, 2. Alternative BGB lediglich auf die Umstände stützen kann, die bereits bei der erstmaligen Fortsetzung auf bestimmte Zeit für die Entscheidung des Gerichtes leitend gewesen sind oder ob er diese auch auf andere Umstände stützen kann, braucht vorliegend nicht zu entschieden werden. Denn aufgrund des erholten Sachverständigengutachtens steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die chronifizierte schwere depressive Episode der Beklagten zu 2) unverändert fortbesteht. Vorliegend sind mithin als Härtegründe die gesundheitlichen Einschränkungen der Beklagten zu 2) zu berücksichtigen. Eine Räumungsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit ist als Härtegrund im Rahmen des § 574 BGB zu berücksichtigen, ungeachtet des Umstandes, ob es sich um körperliche, geistige oder seelische Erkrankungen handelt (Schmidt-Futterer/Blank § 574 Rn. 47). Eine Räumungsunfähigkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn der Mieter aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden und dorthin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert werden würde (LG München I a. a. O.; Bundesverfassungsgericht NJW-RR 1993, 463; BGH NZM 2005, 143).

a) Wie sich aus dem umfassenden schriftlichen Gutachten des Sachverständigen D vom 03.02.2016 sowie den mündlichen Ausführungen des Gutachters in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 16.11.2016 ergibt, leidet die Beklagte aus psychiatrischer Sicht nach den Kriterien der ICD-10 an einer schweren depressiven Episode ohne psychotischen Symptome, die sich bereits 2003 im Zuge der Frühpensionierung der Beklagten zu 2) als Lehrerin manifestierte und seitdem trotz ambulanter Medikation und Psychotherapie nicht remittierte, sondern einen chronifizierenden Verlauf nahm. Eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bis zum heutigen Zeitpunkt gegenüber der damaligen Erwartung nicht eingetreten. Auch wenn der Sachverständige nach seiner Anamnese keine konkreten Anhaltspunkte für eine akute Suizidalität der Beklagten zu 2) erkennen konnte und diese eigenen Angaben nach auch bisher keinen Suizidversuch unternommen hatte, empfindet die Beklagte zu 2) nach den Aussagen des Sachverständigen die Gefahr einer Räumung als eine für sie „existentielle Bedrohung“. Aufgrund des Krankheitsbildes, so der Sachverständige, könne im Falle einer Zwangsräumung eine Dekompensation bis hin zu einer akuten Suizidalität nicht ausgeschlossen werden. Die tatsächliche Gefahr eines Suizids im Falle einer Zwangsräumung hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 10 bis 20 % angenommen. Aufgrund des von ihm festgestellten Krankheitsbildes, so der Sachverständige Dr. D ist die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung im Falle der Zwangsräumung im Vergleich zu 2009 in unveränderter Form gegeben. Die vom Sachverständige diagnostizierte schwere depressive Episode geht dessen Angaben nach nicht notwendigerweise damit einher, nicht mehr am gesellschaftlichen Leben oder am Straßenverkehr teilnehmen zu können, sondern betrifft – so der Sachverständige – vorrangig das innere Erleben. Der Sachverständige hat ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Beklagte zu 2) – wie von der Klägerin behauptet – die Klagepartei und die Gerichte wegen ihres Gesundheitszustandes jahrelang „an der Nase“ herumgeführt habe. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten weiter ausgeführt, dass über die derzeitigen ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten und die Medikamentengabe keine ärztliche oder psychotherapeutischen Maßnahmen in Betracht kommen, die zu einer nachhaltigen Verbesserung der depressiven Symptomatik der Beklagten zu 2) führen könnten. Hinsichtlich einer stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik bestehe schon keine Indikation, so der Sachverständige, weil diese ohne Weiteres auch ambulant erfolgen könne und ein stationär psychiatrischer Klinikaufenthalt zu einer möglicherweise zusätzlichen Destabilisierung der Beklagten zu 2) führen könnte. Ein stationärer Aufenthalt in einer psychosomatischen oder psychotherapeutischen Klinik sei jedenfalls so lange nicht aussichtsreich, so lange über die Räumungsklage nicht endgültig entschieden sei und die Beklagte zu 2) – aus ihrem subjektiven Krankheitsverständnis heraus – befürchte, dass jede Verbesserung ihres Gesundheitszustandes in eine Zwangsräumung münden würde. Die derzeit von der Beklagten zu 2) durchgeführte psychotherapeutischen Behandlung in Verbindung mit einer engmaschigen fachärztlichen Unterstützung und Medikamentengabe sei daher ausreichend.

b) Die Kammer folgt in vollem Umfang den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D, der dem Gericht seit Jahren als kompetenter und erfahrener Sachverständiger auf dem Gebiet der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie bekannt ist. Der Sachverständige hat seine Überzeugung nicht nur in einem umfangreichen, 47-seitigen Gutachten dargelegt, sondern die leitenden Gedanken seines Gutachtens auch in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2016 überzeugend vermittelt. So hat der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt, dass er nicht etwa – wie von der Klagepartei behauptet – die Angaben der Beklagten zu 2) im Rahmen ihrer Anamnese ungeprüft übernommen habe, sondern die Angaben der Beklagten zu 2) mit den anderen Diagnosen sowie einer Verhaltensbeobachtung abgeglichen und die Informationen, die ihm vorlagen, in der Summe in einem fachlichen Befund übertragen habe. Der Sachverständige hat auch überzeugend ausgeführt, dass das Risiko einer Suizidalität, insbesondere einer akuten Suizidalität vom Therapeuten stets und nur aufgrund von Informationen des Untersuchten eingeschätzt werden könne und eine solche Einschätzung nur im Rahmen einer Interaktion zwischen Untersucher und der behandelten Person stattfinden könne. Diese subjektive Motivlage der Beklagten zu 2) hat der Sachverständige im Rahmen seiner schriftlichen Ausarbeitung des Gutachtens vollumfänglich ermittelt und in die Beurteilung das Risiko einer Suizidalität einfließen lassen. Er hat hierbei nicht einseitig die Angaben der Beklagten zu 2) übernommen oder ist den Attesten der sie behandelnden Ärzte gefolgt, sondern hat durchaus kritisch den „sekundären Krankheitsgewinn“ der Beklagten zu 2) geschildert, der bereits im Rahmen der vorzeitigen Pensionierung erstmals aufgetreten und anschließend chronifiziert wurde. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Beklagte zu 2) aufgrund ihrer schlechten Befindlichkeit und ihrer emotionalen Instabilität Hilfe benötigte und sie umso mehr davon erhielt, je schlechter ihr Befinden gewesen sein soll. Auch hat sich der Sachverständige durchaus kritisch mit den damaligen behandelnden Ärzte auseinandergesetzt, indem er auf S. 44 seines schriftlichen Gutachtens ausgeführt hat, dass die Beklagte mit Unterstützung ihrer Therapeuten jedenfalls 2008/2009 durchaus die Problematik dadurch hätte lösen können, dass sie sich mit ihrer Familie eine neue Bleibe sucht und damit versucht, die depressive Symptomatik in eine andere Richtung zu lösen. Dieser sekundäre Krankheitsgewinn der Beklagten – gerade aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes in der Wohnung bleiben zu können – sei aber, so der Sachverständige kein bewusstes Vorspiegeln nicht oder kaum vorhandener psychischer Symptome, sondern ein unbewusster Vorgang, der es aufgrund eines inneren Konflikts der Beklagten zu 2) quasi unmöglich mache, dass Therapiemaßnahmen greifen, da bei der Beklagten zu 2) stets die Befürchtung bestehe, dem Belastungsfaktor, der die Symptomatik ausgelöst hat – hier also die drohende Zwangsräumung – im Falle einer Besserung der Symptomatik oder gar Gesundung wieder ausgesetzt zu werden. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige diesen Punkt noch dahingehend überzeugend präzisiert, dass eine Genesung der Beklagten zu 2) nicht eintreten werde, so lange der Rechtsstreit im Raum steht, weil sie die anstehende Räumung als massive Bedrohung empfinde und die Situation jetzt aufgrund des langen Zeitraumes so verfahren und für die Beklagte existentiell sei, dass sie aus dieser Situation nicht mehr „herauskomme“. Diese Sichtweise mündet in die zusammenfassende Feststellung des Sachverständigen, dass er zum jetzigen Zeitpunkt nur diagnostizieren könne, dass eine erhebliche Verschlechterung der psychischen Symptomatik eintreten würde, wenn die Beklagte zu 2) zwangsgeräumt werden würde.

In Übereinstimmung mit dem schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachten ist die Kammer daher davon überzeugt, dass die Beklagte zu 2) aufgrund ihrer schweren depressiven Symptomatik derzeit als räumungsunfähig anzusehen ist und die Gefahr einer akuten Suizidalität im Falle der Durchführung der Zwangsräumung nicht ausgeschlossen werden kann, auch wenn konkret die Suizidgedanken der Beklagten zu 2) derzeit nicht bestehen. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass auch eine weitergehende ambulante oder stationäre Behandlung zu keiner Verbesserung des Gesundheitszustandes führen könne, so lange die Gefahr einer Zwangsräumung durch Anhängigkeit eines Räumungsverfahren abstrakt oder konkret drohe. Eine Besserung, so der Sachverständige, könne erst eintreten, wenn die Frage der Räumung endgültig geklärt sei. Die Ausführungen des Sachverständigen sind insgesamt überzeugend in sich schlüssig und vollständig. Die Diagnose stimmt im Übrigen vollumfänglich überein mit dem gerichtlichen Gutachten von Frau Dr. med. S aus dem Jahr 2009 sowie den aktuellen und mit der Berufungsbegründung in zulässiger Weise nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO vorgelegten fachärztlichen Attesten, die ebenfalls von einem chronifizierten Krankheits- und Beschwerdebild der Beklagten zu 2) ausgehen. So bestätigt etwa der behandelnde Facharzt für Neurologie Dr. J mit Attest vom 17.12.2014 die aus seiner Sicht „zumindest“ mittelschwere depressive Symptomatik bei rezidivierender depressiver Störung. Gleiches gilt für das Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. K vom 27.01.2015 (Anlage B 9), die ebenfalls bei der Beklagten zu 2) eine rezidivierende depressive Störung attestiert. Die vorgelegten ärztlichen und fachärztlichen Atteste können jedenfalls als substantiierter Parteivortrag ergänzend zu dem überzeugenden Sachverständigengutachten Dr. D im Rahmen der gerichtlichen Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO berücksichtigt werden.

c) Ein Obergutachten oder weiteres Gutachten gemäß § 412 Abs. 1 ZPO war entgegen dem Antrag der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2016 und dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 24.11.2016 nicht zu erholen. Das erholte schriftliche Gutachten war vollständig, nachvollziehbar und nicht in sich widersprüchlich. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2016 die Fragen der Klagepartei erschöpfend beantwortet und hierbei erkennbar und erklärterweise die notwendige Sachkunde als Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie dargelegt und vermittelt. Der Sachverständige hat eine umfangreiche Anamnese durchgeführt und seine Überzeugung in einem 46-seitigen schriftlichen Gutachten niedergelegt. Er hat überzeugend dargelegt, dass ein stationärer Aufenthalt zur Abwendung der Räumungsunfähigkeit vorliegend bei der Beklagten zu 2) keinen Sinn macht und sich auch mit alternativen Behandlungsmöglichkeiten befasst. Er hat ferner überzeugend nachgewiesen, weshalb weder eine Familienanamnese erforderlich war, noch ein Medikamentenspiegel erhoben werden musste. Die fehlende Notwendigkeit einer Überprüfung des Blutbildes dahingehend, ob die Beklagte zu 2) die ihr verordneten Medikamente auch tatsächlich einnehmen würde, folgert der Sachverständige schon daraus, dass die Beklagte zu 2) ohnehin nicht dazu gezwungen werden könne, die ihr verordneten Medikamente einzunehmen. Im Übrigen hat die Klagepartei schon gar nicht behauptet, dass die Beklagte zu 2) ihre Medikamente nicht nehme, sie befindet sich hier im reinen Bereich der Spekulation. Ferner hat der Sachverständige auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich angegeben, keinerlei Anhaltspunkte dafür zu haben, dass die Beklagte zu 2) ihre Medikamente nicht nehme. Es ergeben sich daher auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der fortbestehende Krankheitszustand aufgrund einer Weigerung der Beklagten zur Einnahme der ihr verordneten und verschriebenen Medikamente liegt. Als Arzt, so der Sachverständige, könne er auch einfache somatische Erkrankungen durchaus beurteilen und im Hinblick auf die attestierte Herzerkrankung jedenfalls feststellen, dass sich bei einem psychisch angegriffenen Menschen es eine zusätzliche Belastung darstelle, wenn auch noch eine schwere somatische Erkrankung hinzukomme. Aufgrund er internistisch erhobenen Befunde könne er als Arzt beurteilen, dass aufgrund der mittlerweile bei der Beklagten zu 2) aufgetretenen koronaren Herzerkrankung und den Herzrhythmusstörungen der Gesamtzustand jedenfalls nicht besser geworden sei.

d) Aufgrund des erholten Sachverständigengutachtens besteht damit eine Härte in der Person der Beklagten zu 2) als Mieterin unverändert fort. Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen führen diese auch zur Räumungsunfähigkeit der Beklagten, weil eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Falle einer drohenden Zwangsräumung nachgewiesenerweise besteht, auch wenn eine akute Suizidalität nicht nachgewiesen werden konnte. Eine Härte kann auch dann gegeben sein, wenn dem Mieter ein Umzug objektiv unzumutbar ist, weil eine weitere erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu befürchten ist. Die Auswirkungen müssen nicht so erheblich sein, dass schwere seelische Schäden oder gar der Tod konkret drohen (vgl. Staudinger/Rolfs § 574 Rn. 38).

Härtegründe im Sinne der §§ 574c Abs. 1, 2. Alternative, 574 Abs. 1 BGB in der Person der Beklagten zu 2) stehen damit fest und bestehen unverändert fort. Die damals vom Amtsgericht in seinem Urteil vom 02.06.2010 angenommenen Umstände, dass bis zum 30.06.2014 eine Besserung des Gesundheitszustandes eintreten würde, haben sich damit nicht als zutreffend erwiesen.

5) Das Gericht hatte daher die Interessen der Klägerin und der Beklagten erneut gegeneinander abzuwägen. Die Härte, die für den Mieter oder seine Familie in der vertragsgemäßen Beendigung des Mietverhältnisses liegt, muss nach § 574 Abs. 1 BGB auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen sein. Damit sind die im konkreten Einzelfall bestehenden Härtegründe gegen die berechtigten Interessen des Vermieters an einer Beendigung des Mietverhältnisses – erneut – abzuwägen. Voraussetzung für einen erfolgreichen Widerspruch des Mieters ist es hierbei, dass bei der erforderlichen Abwägung die Härtegründe auf seiner Seite die Interessen des Vermieters überwiegen (vgl. Staudinger-Rolfs § 574 Rn. 76). Abzustellen ist hierbei auf die jeweilige Interessenlage zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Folgeprozesses, also der hier von der Kammer zu entscheidenden Interessenabwägung, da im Falle einer weiteren Fortsetzung nach § 574c Abs. 1 BGB zwangsläufig auf die nunmehr bestehende Interessenlage und die Abwägung aller Umstände des Einzelfalles abzustellen sein muss. Daraus folgt aus Sicht der Kammer, dass auch die Interessenlage der Vermieterpartei – ungeachtet des nach wie vor feststehenden Eigenbedarfes – zum jetzigen Zeitpunkt beurteilt werden muss. Nur eine solche Sichtweise lässt es im konkreten Fall zu, die einander diametral gegenüber stehenden Interessen sachgerecht abzuwägen und im konkreten Fall mit Blick auf § 574 Abs. 3 BGB auch einen gegebenenfalls im Einzelfall dringlicheren Eigenbedarf des Vermieters in die Abwägung mit einfließen zu lassen. Die hierbei von der Kammer vorzunehmende Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles ergibt – wie bereits 2010 – ein Überwiegen der Interessen der Beklagten am Fortbestand des Mietverhältnisses. Eine andere Entscheidung wäre im Übrigen auch nicht veranlasst, wenn man auf die Interessenlage der Klägerin bei der Entscheidung im Jahr 2010 abstellt.

a) Im Rahmen dieser Abwägung ist zunächst festzuhalten, dass der rechtskräftig festgestellte Eigenbedarf der Klägerin weiterhin besteht und sie trotz einer bereits im Jahr 2008 ausgesprochenen Kündigung auch 8 Jahre später noch auf die Realisierung des Eigenbedarfes wartet. Die Kammer hat im Rahmen der Abwägung zu Gunsten der Klägerin weiterhin berücksichtigt, dass sie selbst lediglich zur Miete wohnt und ihr Wunsch nach einer Vergrößerung der ihr zur Verfügung stehenden Wohnfläche bei derzeit genutzten 74 m² sehr nachvollziehbar ist. Das Gericht hat weiterhin berücksichtigt, dass nach wie vor die – wohl weitgehend mittellose – Mutter der Klägerin mit in das streitgegenständliche Einfamilienhaus einziehen möchte und es auch der Wunsch der Klägerin ist, mit ihrem derzeitig in den USA lebenden Lebensgefährten zusammenzuziehen. Letzterer Wunsch war im Rahmen der persönlichen Anhörung der Klägerin allerdings noch wenig spezifiziert und konkret, auch insbesondere deshalb, weil der Lebensgefährte auch noch eine in den USA lebende Tochter hat. Zu Gunsten der Klägerin wurde weiter in die Abwägung eingestellt, dass sie über kein weiteres Wohneigentum verfügt, in das sie selbst einziehen könnte. Denn über ihre drei Eigentumswohnungen kann die Klägerin deshalb nicht verfügen, weil sie mit einem Nießbrauch zu Gunsten ihres Vaters belastet sind. Die Kammer hat allerdings auch berücksichtigt, dass entgegen der noch 2010 vorgenommenen Abwägung ein Wunsch der Klägerin im Hinblick auf eine Familienplanung nicht mehr besteht.

b) Trotzdem führt die Abwägung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beklagten dazu, dass diese aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigung des gegebenen Härteeinwandes überwiegen. Nach dem vorliegenden Gutachten führt die drohende Zwangsräumung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Dekompensation der schweren depressiven Symptomatik der Beklagten zu 2) bis hin zu einer Gefahr einer Suizidalität bei einem verfestigten chronifizierten Gesundheitszustand. Der Schutz der Beklagten zu 2) auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 des Grundgesetzes gebietet vorliegend ein Zurücktreten der berechtigten Interessen der Klagepartei an einer Eigennutzung des streitgegenständlichen Einfamilienhauses. Hierbei ist der Kammer bewusst, dass es die finanziellen Verhältnisse der Beklagten ohne Weiteres erlauben würden, eine angemessene Immobilie in gleicher oder vergleichbarer Lage anzumieten oder zu kaufen, weil der Beklagte zu 1) als Bauträger umfangreiche Wohnbauprojekte gewinnbringend auf dem Münchener Markt platziert. Auch ist in die Abwägung mit eingeflossen, dass die Beklagten vor 2008 das streitgegenständliche Anwesen selbst hätten kaufen können, man sich aber mit dem Voreigentümer und Vorvermieter über den Kaufpreis nicht einigen konnte. Andererseits wohnt die Klägerin zwar zur Miete, allerdings ist das Mietverhältnis ungekündigt, so dass der Eigennutzungswunsch trotz des Ablaufs von 8 Jahren nach wie vor nicht dringend in dem Sinne ist, dass der Klägerin der Verlust der eigenen Wohnung droht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Mutter der Klägerin weitgehend mittellos und nicht in der Lage ist, deren gemietete Wohnung zu bezahlen und deshalb dringend darauf angewiesen ist, mit der Klägerin in das gekündigte Haus einzuziehen. Auch diesbezüglich muss konstatiert werden, dass die Klägerin eigenen Angaben nach ihrer Mutter die Miete bezahlt und daher auch dieses Mietverhältnis zwischen dem Vermieter und der Mutter der Klägerin ungekündigt fortbesteht.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen D kann der Beklagten zu 2) ein Schuldvorwurf hinsichtlich ihrer gesundheitlichen Situation und der Fortdauer der Erkrankung nicht gemacht werden. Die chronifizierte depressive Episode und die Gefahr einer Dekomensation im Falle der Zwangsräumung ist nicht nach dem Gesundheitszustand der Beklagten zu 2) im Jahr 2010, sondern zum heutigen Zeitpunkt zu beurteilen. Insofern kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 2) bei entsprechendem ärztlichen Rat vor Jahren hätte ausziehen können, sondern ob es aufgrund des jetzigen festgefahrenen Zustandes ohne erhebliche Verschlechterung möglich ist, das Objekt zu räumen. Angesichts der Eindeutigkeit des Gutachtens steht aber für die Kammer fest, dass die Beklagte zu 2) kein Verschulden an der Verfestigung des Krankheitsbildes trifft, weil es ihr aufgrund ihres inneren Konflikts unmöglich ist, zu Therapiemaßnahmen zu greifen, bei deren Erfolg sie sich erneut dem Belastungsfaktor ausgesetzt sieht, der die Symptomatik ausgelöst hat. Trotz der gewichtigen Gründe der Klägerin für die Realisierung ihres Eigenbedarfs müssen diese im Hinblick auf die drohenden gesundheitlichen Folgen bei der Beklagten zu 2) zurücktreten. Im Ergebnis und unter aller Umstände des Einzelfalles ist daher ein Überwiegen der Härtegründe auf Mieterseite festzustellen, so dass ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses erneut besteht. Auf die Berufung der Beklagten war daher das Endurteil des Amtsgerichts München abzuändern und die Räumungsklage im Ergebnis abzuweisen.

III. Auf die Widerklage der Beklagten war das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen, § 574c Abs. 1, 574a Abs. 2 S. 2 BGB. Auch bei einer ursprünglich befristeten Fortsetzung ist im Falle eines erneutes Härteeinwandes eine nunmehr unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses möglich (vgl. Staudinger-Rolfs § 574c Rn.19).

1) Die Widerklage ist zulässig, auch wenn das Gericht im Regelfall über den Härteeinwand nach §§ 574 Abs. 1, 574a Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 308a Abs. 1 ZPO auch ohne ausdrücklichen Antrag entscheiden kann. Die Kammer hat hierbei den Widerklageantrag auf „Feststellung, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit“ fortbesteht, dahingehend ausgelegt, dass ein entsprechendes Gestaltungsurteil begehrt wird und das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt. Auch wenn das Gericht gem. § 308a Abs. 1 ZPO auch ohne ausdrücklichen Antrag das Mietverhältnis fortsetzen kann, ist eine entsprechende Widerklage mit Fortsetzungsantrag zulässig (vgl. Zöller-Vollkommer § 308a ZPO Rn. 2 und 3).

2) Nach den oben genannten Ausführungen des Sachverständigen Dr. D hat sich das Krankheitsbild bei der Beklagten zu 2) so verfestigt, dass eine Besserung ihres Gesundheitszustandes nur durch Rechtsklarheit hinsichtlich des Räumungsanspruches – wie der Sachverständige ausführt in die eine oder andere Richtung – eintreten kann. Nachdem aufgrund des Gutachtens eine Räumung der Beklagten zu 2) nur mit einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes einhergehe und für diese daher unzumutbar ist, würde eine Befristung des Fortsetzungsanspruches das Krankheitsbild der Beklagten zu 2) weiter verfestigen und – im Sinne des dargelegten sekundären Krankheitsgewinnes – lediglich zu einer weiteren Verfestigung führen. Das chronifizierte Krankheitsbild der Beklagten zu 2) dauert nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. D bereits seit 2003 weitgehend unverändert an, Anhaltspunkte für eine kurzfristige oder mittelbare Verbesserung gerade in Verbindung mit einem nach wie im Raum stehenden Räumungsbegehren der Klägerin ist nicht ersichtlich. Umstände, die eine Fortsetzung auf unbestimmte Zeit rechtfertigen, sind vor allen Dingen hohes Alter, Gebrechlichkeit, Schwerbehinderung sowie die unabsehbare Dauer einer Erkrankung (vgl. Staudinger-Rolfs § 574a Rn. 20). Nachdem das Krankheitsbild der Beklagten zu 2) seit mehr als einem Jahrzehnt unverändert und chronifiziert ist, muss von einer nicht nur vorübergehenden Härte im Sinne des § 574 Abs. 1, 574a Abs. 2 S. 2 BGB ausgegangen werden. Die Widerklage ist daher auch begründet. Die Kammer hat durch Gestaltungsurteil das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.

3) Die Klägerin ist damit nicht dauerhaft an der Nutzung ihres Eigentums gehindert. Die Vorschriften der §§ 574 ff. BGB beschränken die Eigentumsrechte aus Art. 14 GG und sind Ausdruck der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 des Grundgesetztes. Die Vorschrift des § 574c Abs. 2 BGB bestimmt ausdrücklich, dass der Klagepartei die Möglichkeit einer erneuten Kündigung des Mietverhältnisses verbleibt. Hierbei ist eine Härtefallabwägung zu Gunsten der Klagepartei bei veränderten Umständen auch dann möglich, wenn sich die Interessen auf Seite des Vermieters verändern, insbesondere der Eigenbedarf dringend werden sollte.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund § 708 Nr. 7 ZPO.

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