AG Emmendingen – Az.: 7 C 80/21 – Urteil vom 10.11.2021
In dem Rechtsstreit wegen Räumung und Herausgabe hat das Amtsgericht Emmendingen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2021 für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die im 1 Obergeschoss des Anwesens …… gelegene Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad, Flur/Diele zu räumen und an die klägerische Partei herauszugeben.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Beklagten wird Räumungsschutz bis zum 31.01.2022 gewährt.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Mietobjektes geltend.
Die Parteien schlossen am 17.11.2020 einen schriftlichen Mietvertrag über die im ersten Obergeschoss des Anwesens …… gelegene Wohnung des Klägers. Mit Schreiben vom 29.01.2021 kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs und führte zur Begründung an, er beabsichtige die Wohnung selbst zu nutzen, um näher bei seinen altersbedingt Hilfe benötigenden Eltern zu wohnen, die Anfang April 2021 nach Eichstetten umziehen werden.
Der Kläger trägt vor, die Beklagte sei zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verpflichtet, da das Mietverhältnis durch die Kündigung des Klägers vom 29.01.2021 wirksam beendet sei.
Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, die gemietete Wohnung im ersten OG bestehend aus drei Zimmern, Küche, Bad, Flur/Diele in dem Anwesen …… zu räumen und an den Kläger zum 30.4.2021 herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Mietobjektes, da das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung des Klägers vom 29.1.2021 beendet sei. Die Kündigung sei formal unwirksam, da laut Mietvertrag neben der Beklagten auch Herr …… Mieter der streitgegenständlichen Wohnung sei und Gründe eines Eigenbedarfs nicht hinreichend dargelegt seien. Die Eigenbedarfskündigung sei auch rechtlich unbegründet, da die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung nicht gegeben seien.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin ……. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Hauptverhandlungsprotokoll vom 20.10.2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung nach §§ 546 Abs. 1, 985 BGB. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung wurde wirksam mit Schreiben vom 29.1.2021 gekündigt.
Die Formanforderungen des § 573 Abs. 3 BGB wurden mit dem Kündigungsschreiben vom 29.1.2021 eingehalten. Das Mietverhältnis über die streitgegenständliche Wohnung mit dem Mieter …… ist durch Aufhebungsvertrag vom 07.02.2021 beendet. Die erklärte Kündigung ist in schriftlicher Form gemäß der Vorgabe des § 568 Abs. 1 BGB abgegeben. Die Kündigungserklärung enthält Kündigungsgründe im Sinne von § 573 Abs. 3 BGB. Eine Eigenbedarfskündigung ist hinreichend begründet, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Vermieter die Räume selbst bewohnen oder diese einer begünstigten Person überlassen will, und das Interesse darlegt ist, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2011 – VIII ZR 317/10; Schmid/Futterer/Blank, Mietrecht, § 573 Rn. 224). Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat in seiner Kündigung vom 08.03.2011 erklärt, dass er beabsichtige, selbst in die streitgegenständliche Wohnung einzuziehen, da er näher bei seinen Eltern wohnen möchte, um seinen auf Hilfe angewiesenen Eltern zu unterstützen.
Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Form des von ihm geltend gemachten Eigenbedarfs an der Wohnung. Eigenbedarf liegt vor, wenn das Mietobjekt als Wohnung für einen bestimmten begünstigten Personenkreis zur Befriedigung seiner Wohnbedürfnisse benötigt wird. Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die Eigenbedarfskündigung auch verfassungsgemäß, wobei die Gerichte bei Auslegung des Gesetzes die zugunsten des Vermieters streitende Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG zu beachten haben (vgl. BVerfGE NJW 1989, 970). Dabei ist der hinreichend bestimmte, konkrete und ernsthafte verfolgte Nutzungswunsch als Wohnung erforderlich, der von vernünftigen oder nachvollziehbaren Gründen getragen wird und nicht missbräuchlich ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Kläger ein nachvollziehbares und vernünftiges Interesse geltend gemacht hat, welches auch nicht missbräuchlich ist. So sagte die Zeugin ……, die Mutter des Klägers, aus, der Kläger beabsichtige, in die streitgegenständliche Wohnung zu ziehen, da er seine auf Hilfe angewiesenen Eltern unterstützen möchte. Die Zeugin …. sagte weiter aus, aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen sei sie insbesondere beim Einkaufen und im Haushalt auf Hilfe angewiesen. Die Eltern des Klägers sind ausweislich der in Anlage vorgelegten Meldebestätigung der Gemeinde Eichstetten vom 04.05.2021 nunmehr in Eichstetten wohnhaft. Die Fahrtstrecke des Klägers von der streitgegenständlichen Wohnung nach Eichstetten ist deutlich kürzer als die Fahrtstrecke von seiner bisherigen Wohnung in Freiburg nach Eichstetten. Die Kündigungsfrist des § 573 c BGB ist inzwischen auch abgelaufen.
Bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Bestimmungen der §§ 573 ff. BGB ist neben dem Erlangungsinteresse des Vermieters auch das Bestandsinteresse des Mieters zu berücksichtigen, diese widerstreitenden Belange gegeneinander abzuwägen und in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen ( vgl. BVerfG, Beschluss. v. 9. 10. 2014 – 1 BvR 2235/14; BGH, Urteil vom 3.2.2021 – VIII ZR 68 /19).
Eine soziale Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 S. 1 BGB mit einer Fortsetzung des Mietverhältnisses liegt nicht vor. Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Die Beklagte hat der Kündigung gemäß § 574 Abs. 1 BGB form-und fristgerecht widersprochen. Unter einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB sind alle dem Mieter aus der Vertragsbeendigung erwachsenden Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die in Folge der Vertragsbeendigung auftreten können (vgl. Schmidt/Futterer/Blank, Mietrecht, § 574 Rn. 29 m.w.N.). Für die Annahme einer Härte ist es erforderlich, allerdings gleichzeitig auch ausreichend, dass sich die Konsequenzen, die für den Mieter mit einem Umzug verbunden wären, von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (vgl. BGH, Urteil v. 3. 2. 2021 – VIII ZR 68/19).
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegen die Interessen der Beklagten am Bestand des Mietverhältnisses auch im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten, sie beabsichtige demnächst ihren Sohn in die streitgegenständliche Wohnung aufzunehmen, nicht das Eigentumsrecht des Klägers.
Der Klage war somit stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
Die Entscheidung über die Gewährung von Räumungsschutz beruht auf § 721 ZPO.