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Eigenbedarfskündigung – Ernsthaftigkeit des Nutzungswillens

LG Berlin – Az.: 65 S 344/20 – Urteil vom 29.06.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 25. November 2020 – 2 C 184/20 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil des Amtsgerichts sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 2, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

II.

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von dieser seit 1960 bewohnten Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB. Die vom Kläger mit Schreiben vom 9. Oktober 2019 wegen Eigenbedarfs ausgesprochene Kündigung hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis nicht nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2, 542 Abs. 1, 573c Abs. 1 BGB zum 31. August 2020 beendet.

Die Voraussetzungen des § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB liegen nicht vor.

Nach § 573 Abs. 1 BGB kann der Vermieter nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Nach Absatz 2 Nr. 2 der Regelung liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses insbesondere vor, wenn er die Räume als Wohnung für sich benötigt.

Bei dem Kriterium des „Benötigens“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB handelt es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetzt, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, die Wohnung selbst zu nutzen. Der Wunsch und der Wille allein, die Wohnung für sich oder andere berechtigte Personen zu nutzen, reicht nicht aus; hinzutreten muss unter anderem ein Nutzungsinteresse von hinreichendem Gewicht und ein nicht übermäßiger Bedarf (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.07.1993 – 1 BvR 501/93; BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen v. 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87 Rn. 17ff., m.w.N.; Urt. v. 05.10.2005 – VIII ZR 127/05, WuM 2005, 779).

Gemessen am Maßstab des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB fehlt es an der Ernsthaftigkeit des Nutzungswillens bei einer nur vagen oder für einen späteren Zeitpunkt verfolgten Nutzungsabsicht. Der Nutzungswunsch muss vielmehr in einem zeitlichen Zusammenhang zur Kündigung stehen und sich so weit „verdichtet“ haben, dass ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Nutzung besteht; sogen. Vorratskündigungen sind unzulässig (BVerfG, Beschl. v. 23.08.1990 – 1 BvR 440/90; BGH, Urt. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15, nach juris Rn. 19; Urt. v. 23.09.2015 – VIII ZR 2015, NJW 2015, 3368, [3370]; Kammer, Beschl. v. 03.07.2019 – 65 S 227/18, BeckOK MietR/Siegmund, 24. Ed. 1.5.2021, BGB § 573 Rn. 35).

Vor dem Hintergrund des Gewichtes des Besitzrechtes des vertragstreuen Mieters, das das Bundesverfassungsgericht wegen der Bedeutung der Wohnung als Mittelpunkt (auch) der privaten Existenz des Mieters zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG anerkennt (BVerfG, Beschl. v. 26.05.1993 – 1 BvR 208/93, NJW 1993, 2035, [2036], nach beck-online, m.w.N.), ist dem Eigentümer/Vermieter ein Zugriff auf das vermietete Objekt erst dann zu gestatten, wenn und soweit dies durch gegenwärtig beachtliche Gründe motiviert ist (BVerfG, Beschl. v. 23.08.1990 – 1 BvR 440/90).

Die vorgenannten Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Im Kündigungsschreiben vom 9. Oktober 2019 gibt der Kläger an, ab dem Wintersemester 2020 ein zeitlich unbegrenztes Seniorenstudium in Berlin zu beginnen. Es handele sich um eine Kombination der Fachrichtungen Kunst, Musik, Stadtökologie und Recht, die in dieser Vielfalt nur in Berlin angeboten werde. Das Studium werde mindestens 4 Semester umfassen, die Vorlesungen an 3 bis 4 Tagen in der Woche, also 12 bis 16 mal im Monat stattfinden.

Dass dieser Sachverhalt im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung – wie vom Kläger im Kündigungsschreiben dargestellt – feststand, trifft nach Überzeugung der Kammer nicht zu. Es mag sich um einen vagen Plan gehandelt haben, mit dessen Umsetzung der Kläger indes nicht einmal ansatzweise begonnen hatte.

In seiner persönlichen Anhörung vor dem Amtsgericht am 30. September 2020 äußerte der Kläger, dass sich sein Interesse an einer Gasthörerschaft im Mai 2019 konkretisiert habe. Die Gasthörerschaft im Fach Stadtökologie finde an der Freien Universität statt, das Vorlesungsverzeichnis komme erst am 14. Oktober 2020 heraus. Das gelte auch für die Fachrichtungen Kunst und Musik. Eine Belegung der Fächer sei nicht möglich; er habe sich daher für juristische Methodenlehre sowie Philosophie und Medizin angemeldet.

Vorgelegt hat der Kläger unmittelbar vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht ein Schreiben der Humboldt-Universität, das bestätigt, dass er sich am 16. September 2020 als Nebenhörer für zwei Vorlesungen – Juristische Methodenlehre sowie Philosophie und Medizin – angemeldet hat. Aus dem Schreiben ergibt sich, dass jede Zulassung als Gasthörer der schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Lehrenden/Dozenten bedarf; dieser entscheidet über die Teilnahmemöglichkeit.

Vor dem Hintergrund der Einlassungen des Klägers vor dem Amtsgericht und angesichts des Umstandes, dass der Kläger lediglich eine – dem Schreiben der Humboldt-Universität zufolge – nicht den Anforderungen genügende Anmeldung als Nebenhörer für zwei (andere, als die angekündigten) Lehrveranstaltungen vom 16. September 2020 vorgelegt hat, ist die Kammer davon überzeugt, § 286 ZPO, dass der Kläger im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausspruch der Kündigung Anfang Oktober 2019 keinerlei konkrete Erkundigungen über die Anforderungen und Bedingungen bzw. die Möglichkeiten einer Fächerbelegung an Berliner Universitäten als Neben- bzw. Gasthörer bzw. zur Aufnahme eines „Seniorenstudiums“ eingeholt hatte.

Im Kündigungsschreiben stellt der Kläger den Sachverhalt – unzutreffend – so dar, als stünde die Aufnahme des „zeitlich unbegrenzten Seniorenstudiums“ ab dem Wintersemester 2020 in der im Schreiben angegebenen Fächerkombination und dem dort angegeben Stundenumfang fest.

Es mag sein, dass der Kläger sich vage mit der Überlegung trug, ein Studium aufzunehmen. Diese Überlegung hatte sich jedoch mitnichten zu einem ernsthaft verfolgten Plan verdichtet, um die Grundlage für ein konkretes Interesse an einer alsbaldigen Eigennutzung der von der 80-jährigen Beklagten seit 1960 bewohnten Wohnung zu bilden. Konkrete Erkundigungen kann der Kläger nicht eingeholt haben, denn er wusste nicht einmal, dass die im Kündigungsschreiben angegebenen Fächer von ihm weitgehend gar nicht belegt werden konnten. Hätte der Kläger sich vor Ausspruch der Kündigung auch nur minimal informiert, hätten ihm die Beschränkungen und die Anmeldemodalitäten nicht verborgen bleiben können.

Die Angaben des Klägers überzeugen auch deshalb nicht, weil er einerseits behauptet, den Entschluss für die Aufnahme eines „Seniorenstudiums“ im Mai 2019 gefasst zu haben, andererseits – in der Replik auf die Klageerwiderung und den Einwand der Beklagten, dass im Mai 2019 im Erdgeschoss ein Mieterwechsel stattgefunden habe – behauptet, erst im Herbst 2019 diesen Wunsch entwickelt zu haben.

Hinzu kommt schließlich, dass der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vor der Kammer nach § 141 Abs. 3 ZPO auch auf Nachfrage lediglich angeben konnte, sich die Vorlesungsverzeichnisse der beiden Unis angesehen zu haben, wobei er sich selbst diesbezüglich lediglich begrenzt informiert zeigte, denn in Berlin gibt es – anders als er meint – mehr als zwei Universitäten. Der Kläger hat sich – seinen Angaben zufolge – allenfalls darüber informiert, dass – nach seiner Einlassung – an den zwei Berliner Universitäten viele interessante Studiengänge angeboten werden. Ob und unter welchen Voraussetzungen diese Studienangebote für ihn als „Senioren“ konkret nutzbar waren, darüber hat er sich nicht informiert. Er wusste lediglich, dass nur eine Gasthörerschaft in Betracht käme.

Auf der Grundlage dieser vagen Pläne ist er – seinen Angaben zufolge – an seinen Prozessbevollmächtigten herangetreten, um eine geeignete Basis für eine Eigenbedarfskündigung zu erfragen und sich zu erkundigen, ob dies ausreichen könnte. Ungefragt äußerte er sich weiter dahin, dass die Beklagte und ihr seit 1980 die Nachbarwohnung bewohnender Lebensgefährte nicht die angenehmsten Bewohner wären und Probleme bereiten würden.

Nicht zuletzt mit Blick auf diese Einlassung und vor dem Hintergrund der Umstände im Zusammenhang mit dem Ausspruch sowie der Abstandnahme von den bereits 2013 gegenüber der Beklagten und dem Nachbarn/Lebensgefährten ausgesprochenen Eigenbedarfskündigungen vermag die Kammer nicht die Überzeugung zu gewinnen, dass der nunmehr geltend gemachte Eigennutzungswunsch ernsthaft verfolgt wird und nicht möglicherweise sogar nur vorgeschoben ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Gesetzes und höchstrichterlich bereits entwickelter Maßstäbe.

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