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Eigenbedarfskündigung – Fortsetzung des Mietvertrages auf unbestimmte Zeit im Härtefall

AG Berlin-Mitte, Az.: 19 C 77/12

Urteil vom 20.11.2013

1. Die Klage wird abgewiesen. Das Mietverhältnis zwischen den Parteien über die Wohnung … , bestehend aus 1,5 Zimmern, Bad, Küche, Diele und Keller, wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Zwangsvollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren vom Beklagten nach einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung eines Wohnungsmietverhältnisses Räumung der angemieteten Wohnung.

Der Beklagte ist seit 1980 Mieter der 1,5 Zimmer Wohnung … .Straße 6 in 10439 Berlin (Anlage K1, Blatt 5-7 der Akte).

Eigenbedarfskündigung - Fortsetzung des Mietvertrages auf unbestimmte Zeit im Härtefall
Foto: Veres Production/bigstock

Unter dem 27.3.1997 veräußerte die damalige Vermieterin die in Wohnungseigentum umgewandelte Wohnung an die Streitverkündeten und vereinbarte unter anderem unter § 11 des notariellen Kaufvertrages, dass die Streitverkündeten sich gegenüber aktuellen Mieter verpflichten, keine Eigenbedarfskündigung auszusprechen und im Falle eines Weiterverkaufs der Wohnung auch den jeweiligen Rechtsnachfolger entsprechend zu verpflichten.

Wegen der Einzelheiten des Kaufvertrages wird auf Blatt 25 – 31 der Akte Bezug genommen.

Die Streitverkündeten verkauften die Wohnung mit notariellen Kaufvertrag vom 15.4.2011, wegen dessen Einzelheiten auf die Anlage K4, Blatt 60 – 77 der Akte Bezug genommen wird, an die Kläger weiter, die mit Eigentumsumschreibung als Vermieter in das Mietverhältnis mit dem Beklagten eingetreten sind.

Mit am 31.8.2011 zugegangenen Schreiben erklärten die Kläger gegenüber dem Beklagten die Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.5.2012, vorsorglich zum nächst zulässigen Termin. Sie begründeten die Kündigung mit Eigenbedarf für ihre leibliche Tochter (… der Akte).

Mit am 28.3.2012 zugegangen Schreiben widersprach der Beklagte der Kündigung und begehrte die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit.

Die Kläger tragen vor, die Wohnung für ihre derzeit 35 Jahre alte Tochter zu benötigen, die aktuell ein einzelnes Zimmer in einer Wohngemeinschaft bewohne, seit Jahren sozial im bezirklichen Umfeld verwurzelt sei, als selbständige Grafikdesignerin nur über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000,- Euro verfüge und auf die Wohnung auch deshalb angewiesen sei, da am freien Wohnungsmarkt bei ihrer wirtschaftlichen Ausgangslage eine vergleichbare Wohnung nicht zu finden sei. In der streitgegenständlichen Wohnung sei auch eine berufliche Nutzung unproblematisch möglich.

Die Kläger beantragen, den Beklagten zu verurteilen, die Wohnung …, …, bestehend aus 1,5 Zimmern, Bad, Küche, Diele und einem Kellerraum zu räumen und geräumt an die Kläger herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, ihm eine großzügige Räumungsfrist zu gewähren.

Er trägt vor, die Kündigung der Wohnung stelle für ihn eine außerordentliche Härte dar.

Er wohne schon seit 1967 ununterbrochen in der Wohnung und habe eine intensive psychische Bindung zur der Wohnung und ihrer unmittelbaren Umgebung entwickelt.

Er leide an der Menièrschen Krankheit, Schwerhörigkeit, Depression und Anpassungsstörungen. Wegen der im Einzelnen vorgetragenen Krankheiten, Belastungen und Beschwerden wird auf die Schriftsätze vom 17.08.2012 ( Blatt 19 – 22 der Akte) und vom 11.1.2013 ( Blatt 115 – 117 der Akte) Bezug genommen.

Es sei zu erwarten, dass sich sein Gesundheitszustand durch einen Auszug aus der derzeit bewohnten Wohnung deutlich verschlechtere. Der drohende Wohnungsverlust führe bei ihm zu einer Suizidgefahr und er sei aufgrund seines Gesundheitszustands auch nicht in der Lage, sich aktiv um eine Ersatzwohnung zu bemühen. Zudem stehe bezahlbarer Ersatzwohnraum im Altbezirk Prenzlauer Berg praktisch nicht zur Verfügung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 12.12.12 (Blatt 105 der Akte ) Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin …r. Wegen der Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 30.1.13 ( Blatt 127/128 der Akte ) Bezug genommen.

Das Gericht hat weiter gemäß Beschluss vom 30.1.13 (Blatt 128 der Akte ) Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachten des Sachverständigen … . Wegen der Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 5.8.13 , Blatt 152 – 200 der Akte, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die Kläger haben gegen den Beklagten keinen Räumungsanspruch aus § 546 BGB.

Zwar haben die Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses gem. § 573 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Es liegen aber beim Beklagten Härtegründe gem. § 574 Abs. 1 BGB vor, die nach dem Widerspruch des Beklagten dazu führen, dass das Mietverhältnis gem. § 574 Abs. 2 BGB auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird.

I.

Den Klägern ist eine Kündigung gestützt auf Eigenbedarf gegenüber dem Beklagten nicht gem. § 566 Abs. 1 BGB verwehrt, denn die Vereinbarung in § 11 des notariellen Kaufvertrages an die Streitverkündeten ist nicht Bestandteil des Mietvertrages geworden, da hierfür die Einhaltung der Schriftform gem. § 550, 126 BGB erforderlich war. Das Schriftformerfordernis gilt auch für jede Änderung des Mietverhältnisses (BGH NJW 2005,1861). Der Formzwang trifft auch die Aufhebung oder Beschränkung von Rechten und Pflichten aus dem Mietverhältnis, sofern sie keine unwesentliche Nebenabrede darstellt (BGH NJW 2008, 365), wovon bei einem Ausschluss des Eigenbedarfskündigungsrechts nicht ausgegangen werden kann.

Die Schriftform ist nur dann gewahrt, wenn die Vereinbarung fest mit der Mietvertragsurkunde verbunden wurde (BGH, BGHZ 40, 255), was nicht vorgetragen wurde.

Da sich aus dem Kaufvertrag zwischen den Streitverkündeten und den Kläger auch nicht ergibt, dass dieser Kündigungsausschluss an die Kläger weitergegeben wurde und der Beklagte auch nicht bewiesen hat, dass den Klägern diese Vereinbarung beim Kauf der streitgegenständlichen Wohnung bekannt war , kann der Beklagte gegen die Kläger aus dem Kündigungsausschluss gegenüber den Streitverkündeten gegen die Kläger keine Rechte herleiten.

Die Kündigung vom 31.8.2011 genügt den Formerfordernis des § 568 Abs. 1 BGB sowie den Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB, denn die Kläger haben gegenüber dem Beklagten schriftlich dargelegt, dass sie die Wohnung für ihre Tochter nutzen wollen und einen Sachverhalt beschrieben, aus dem sich das Interesse der Kläger bzw. der Tochter der Kläger an der Erlangung der Wohnung ergibt. Nach h.M. dürfen an die Begründungspflicht nicht unzumutbar hohe Anforderungen gestellt werden (BVerfG WuM 2000,232).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht auch mit einem hinreichenden Grad der Gewissheit gem. § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass es tatsächlich die Absicht der Tochter der Kläger ist, die Wohnung selbst zu beziehen. Zweifel könnten sich zwar aus der Tatsache ergeben, dass die Zeugin Mattmüller die Wohnung selbst noch nie besichtigt hat.

Die derzeitige Wohnsituation der Zeugin schienen dem Gericht aber ehrlich geschildert sowie auch ihre Absicht, aus der Wohngemeinschaft auszuziehen und eine eigene Wohnung zu beziehen, insbesondere, weil sie dort nicht nur wohnen, sondern auch arbeiten könnte.

Die Zeugin hat dem Gericht glaubhaft geschildert, dass der Kauf der Wohnung durch die Kläger gezielt für sie erfolgen sollte und dass sie insofern auch von Anfang an über den Wohnungserwerb über eine Maklerin informiert und involviert war. Die Absicht der Nutzung der Wohnung durch einen nahen Angehörigen stellt ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB dar.

II.

Der Beklagte hat jedoch einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gem. § 574 BGB, denn die Beendigung des Mietverhältnisses würde für den Beklagten eine Härte bedeuten, die auch unter Würdigung der berechtigen Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist:

Der Beklagte hat gem. § 574b BGB wirksam Widerspruch gegen die Kündigung erhoben.

Es liegt hier bereits der Härtegrund des § 574 Abs. 2 BGB vor, da angemessener Ersatz-wohnraum zu zumutbaren Bedingungen für den Beklagten nicht beschafft werden kann.

Der Beklagte hat durch Einreichung des Mietvertrages, den seine Mutter 1967 mit der Rechtsvorgängerin der Kläger über die streitgegenständliche Wohnung abgeschlossen hat, bewiesen, dass er bereits seit 45 Jahren und schon seit seiner Kindheit in dieser Wohnung lebt. Es ist daher von einer besonderen Verwurzelung des Beklagten gerade mit dieser Wohnung und dem Wohnumfeld auszugehen, die es ausnahmsweise rechtfertigt, ihn nicht auf Ersatzwohnraum innerhalb des Großraums Berlins zu verweisen, sondern dazu führt, dass nur Ersatzwohnraum im bezirklichen Umfeld für ihn zumutbar ist. Diese Einschränkung auf das bezirkliche Umfeld rechtfertigt sich auch aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte – wie vom Sachverständigen … diagnostiziert – an einer Persönlichkeitsstörung leidet und ihm dadurch bereits weniger zugemutet werden kann, als einem gesunden Mieter.

Der Beklagte ist Hartz IV Bezieher. Dass im Bezirk Prenzlauer Berg für seine finanziellen Möglichkeit kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung steht, ist gerichtsbekannt und wird offenbar auch von den Klägern selbst so gesehen, die ausdrücklich vortragen, es lasse sich im bezirklichen Umfeld auf dem freien Wohnungsmarkt bei einem Nettoeinkommen von 1000,- Euro monatlich keine vergleichbare Wohnung finden. Hier kommt hinzu, dass es für den Beklagten nicht nur aufgrund der Tatsache, dass er Hartz IV bezieht, sondern auch aufgrund seines Krankheitsbildes besonders schwer ist, sich als Mietbewerber gegenüber Konkurrenten durchzusetzen.

Einen weiteren Härtegrund sieht das Gericht aufgrund des persönlichen Eindrucks, den sich das Gericht in zwei Terminen vom Beklagten verschaffen konnte, aber auch aufgrund der Feststellungen im medizinischen Sachverständigengutachten darin, dass der Beklagte psychisch besonders labil ist, bereits eine nervenärztliche Krankheitsgeschichte hinter sich hat, die noch nicht abgeschlossen ist und medikamentös behandelt werden muss und unter einer Persönlichkeitsstörung leidet. Der Sachverständigen hat zwar aktuell nur eine sehr geringe Suizidgefährdung festgestellt, es aber nicht ausgeschlossen, dass beim Beklagten suizidale Handlungen näher sind, als bei anderen Menschen ohne die konkreten, beim Kläger festgestellten Kennzeichen. Er will auch nicht ausschließen, dass sich im weiteren Verlauf, insbesondere im Falle einer Zwangsräumung die Suizidalität des Beklagten erhöhen könnte.

Bei der vorzunehmenden Abwägung der berechtigten Interessen der Kläger, die gem. § 574 Abs. 3 BGB nur insoweit berücksichtigt werden, als sie im Kündigungsschreiben angegeben sind, und den Interessen des Beklagten und den festgestellten Härtegründen, die in ihrer Gesamtheit den Vermieterinteressen gegenüberzustellen und mit ihnen abzuwägen sind, wiegen entgegen der gerichtlichen Ankündigung nach nochmaliger, intensiver Überprüfung des Falls nach Ansicht des Gerichts die Interessen des Beklagten die der Kläger.

Zwar ist das Eigentum ein verfassungsmäßig geschütztes Rechtsgut. Dies gilt grundsätzlich aber auch für das Besitzrecht, das der Beklagte bereits seit 45 Jahren ausübt. Es kommt hinzu, dass die Kläger beim Kauf der Wohnung über den Vermietungszustand Bescheid wussten und zumindest davon ausgehen mussten, dass ihr Mieter bereits seit 1980 die Räume bewohnt.

Sie hätten insoweit auch nähere Erkundigungen über den Beklagten einziehen können, der bereits zum Zeitpunkt des Kaufes als schwerbehindert im Sinne von § 2 SGB IX eingestuft war und Hilfe vom LAGeSo erhielt (vgl. Anlage B2, Blatt 24 der Akte). Es hätte ihnen auch freigestanden, unmittelbar eine freie Wohnung zu kaufen, wenn es ohnehin ihr Anliegen war, eine Wohnung allein für ihre Tochter zur Nutzung zu erwerben. Diesen Interessen der Kläger an der Eigennutzung steht eine zumindest ernstzunehmende Gesundheitsgefahr für den Beklagten gegenüber. Er hat eine erhöhte Basissuizidalität und es ist nicht auszuschließen, dass diese sich durch einen Auszug aus der gewohnten Umgebung noch erhöht.

Diese Gesundheitsinteressen überwiegen nach Ansicht des Gerichts die Interessen der Kläger. Allein die Tatsache, dass dem Beklagten bereits ein Einzelfallhelfer zur Seite gestellt wurde, zeigt auch, dass der Beklagte eben nicht wie ein gesunder Mensch in der Lage ist, seine Belange alleine zu vertreten und selbst in der Lage wäre, sich sowohl um Ersatzwohnraum zu bemühen, als auch einen Umzug durchzuführen. Die Tatsache, dass trotz Einzelfallhelfers die Sache nicht vorangekommen ist, spricht zusätzlich dafür, dass es insbesondere aufgrund der besonderen persönlichen Situation des Beklagten für diesen nicht möglich ist, zumutbaren Ersatzwohnraum im Bezirk Prenzlauer Berg zu bekommen.

Da die Parteien sich nicht über eine Fortsetzung des Mietverhältnisses einigen konnten, hat das Gericht gem. § 574a Abs. 2 Satz 1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses durch Urteil zu bestimmen. Da nicht abzusehen ist, wann die Härtegründe beim Beklagten wegfallen, war gem. § 574a Abs. 2 Satz 2 BGB auf eine unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erkennen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711ZPO.

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