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Eigenbedarfskündigung  – Fortsetzung Mietverhältnis bei alten und erkrankten Mieter

AG Berlin-Mitte – Az.: 10 C 3/19 – Urteil vom 11.08.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Das Mietverhältnis der Parteien über die von dem Beklagten gehaltene Wohnung im Haus P. Straße … in … B., Seitenflügel, drittes Obergeschoss, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Korridor und Toilette nebst Nebengelass mit einer Größe von ca. 55,30 qm wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Räumung und Herausgabe einer Wohnung infolge Eigenbedarfs.

Der 1947 geborene Beklagte mietete die Wohnung in der P. Straße … in … B., Seitenflügel, drittes Obergeschoss, mit einer Größe von ca. 55,30 m2 mit Mietvertrag vom 20.8.1985 (Anlage K1, Blatt 5 der Akte) von der Rechtsvorgängerin des Klägers. Nachfolgend erwarb der Kläger das Eigentum an der vorgenannten Wohnung und der Nachbarwohnung. Die streitgegenständliche Wohnung verfügt im Gegensatz zur Nachbarwohnung über einen Balkon und ist nach Südwesten statt nach Norden ausgerichtet.

Der Kläger kündigte unter dem 25.09.2015 das mit dem Nachbarn des Beklagten bestehende Mietverhältnis aus dem Jahr 1978 unter Hinweis auf einen angeblich bestehenden Eigenbedarf. Der Mieter schloss mit dem Kläger sodann eine Vereinbarung, wonach das Mietverhältnis ende und der Mieter zum Ende April 2016 die Wohnung an den Kläger herausgebe. Er verzichtete schriftlich auf „alle denkbaren Schadensersatzansprüche“ und erhielt eine Entschädigung in Höhe von pauschal 3000 € (Vereinbarung vom 15. Februar 2016, Blatt 28 der Akte). Tatsächlich bezog der Kläger die Nachbarwohnung nicht. Der Kläger trennte sich von seiner Ehefrau. Die Ehe ist seit dem 18.07.2018 geschieden (Urteil des Amtsgerichts Köpenick vom 18.7.2018, Anlage K4, Blatt 50 der Akte).

Der Kläger kündigte mit Schreiben seiner anwaltlichen Vertreter vom 19.3.2018 das streitgegenständliche Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31.12.2018 (Anlage K2, Blatt acht der Akte). Zur Begründung verwies er darauf, dass die von dem Beklagten gehaltene Wohnung für ihn passender sei als die von ihm selbst nach wie vor bewohnte Mietwohnung mit ca. 100 qm. Der Kläger belehrte den Beklagten über sein Widerspruchsrecht und entsprechende Fristen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das vorgenannte Schreiben Bezug genommen. Der Beklagte widersprach der Eigenbedarfskündigung mit Schreiben vom 29.10.2018. Er berief sich auf einen Härtegrund nach § 574 Abs. 2 BGB. Er verfüge als Rentner nur über sehr eingeschränkte finanzielle Möglichkeiten, Ersatzwohnraum zu finden. So belaufe sich sein monatliches Rentnereinkommen auf 883,59 €. Hinzukomme eine monatliche Leistung nach SGB XII in Höhe von 119,60 €. Er, der Beklagte, habe zahlreiche, im Ergebnis vergebliche Wohnungsbewerbung veranlasst und setzte diese kontinuierlich fort.

Der Kläger behauptet, er wohne zur Zeit in einer Mietwohnung von etwa 100 m2 mit drei Zimmern und einer Warmmiete von ca. 1108 €. Zunächst habe er diese Wohnung mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind und nach der Trennung mit seiner Partnerin bewohnt. Inzwischen seien auch sie getrennt. Der Kläger lebe alleine. Er beabsichtige, zukünftig in einer kleineren, eigenen Wohnung zu leben. Er wolle so auch seine finanzielle Belastung reduzieren. Die streitgegenständliche Wohnung sei etwa 36 % kleiner als die derzeit von dem Kläger bewohnte. Die Belastung durch Wohnkosten ließen sich nach der Vorstellung des Klägers um knapp 70 % reduzieren. Die jährliche Ersparnis betrage 7440 €. Unter Berücksichtigung steuerliche Aspekte betrage die monatliche Verringerung der Kosten knapp 900 €. Dem Kläger stehe keine andere Wohnung in seinem Eigentum in B. zur Verfügung, die er nutzen und beziehen könnte.

Der Kläger behauptet weiter, die Trennung von seiner Ehefrau habe sich bereits Ende 2015 abgezeichnet. Zum damaligen Zeitpunkt habe allerdings seine Ehefrau in der Mietwohnung bleiben wollen, um das gemeinsame Kind nicht aus dem Wohnumfeld zu nehmen. Die Eigenbedarfskündigung vom 25.09.2015 für die Nachbarwohnung des Beklagten sei für den Kläger mithin ernsthaft und berechtigt gewesen. Der Kläger habe sich damals für die Kündigung der Nachbarwohnung entschieden, da diese zwar einen für ihn völlig ungeeigneten Zuschnitt aufweise. Der Zustand der Wohnung sei aber bedeutend besser gewesen. Er habe gehofft, dort viel schneller einziehen zu können, als dies bei der streitgegenständlichen (Raucher-)Wohnung möglich gewesen sei. Die Regelung über die Abstandszahlung sei auf die Beratung seiner anwaltlichen Vertreter zurückzuführen. Bei seiner Exfrau hätten sich nachfolgend Planänderungen ergeben. Sie habe die gemeinsame Mietwohnung nicht mehr übernehmen wollen. Sie sei 2016 – anders als zunächst geplant – aus der gemeinsamen Mietwohnung ausgezogen. Der Kläger habe die inzwischen freigezogene Nachbarwohnung daher nicht mehr benötigt. Wegen der vertraglichen Abfindungsregelung habe er die freigewordene Nachbarwohnung auch nicht allein zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen beziehen müssen, sondern weitervermietet.

In 2019 sei die Situation dann eine völlig andere gewesen. Der Kläger habe nicht den Druck gehabt, sofort umziehen zu müssen. Deshalb habe er nicht die Nachbarwohnung in dem besseren Zustand gekündigt, sondern die streitgegenständliche Wohnung mit dem besseren Zuschnitt. Womöglich – so der Kläger weiter – könne der Beklagte die Wohnung selbst gar nicht mehr lange bewohnen. Er sei fortgeschrittenen Alters. Die Wohnung liege im dritten Stock ohne Aufzug. Im Umkreis von 4 km von der streitgegenständlichen Wohnung würden auf dem Immobilienportal I. mehr als 30 Wohnung angeboten, deren Kaltmiete 500 € nicht übersteigen. Mithilfe des Wohnberechtigungsscheins des Beklagten habe er gute Aussichten, eine andere Wohnung zu finden. Wegen der anstehenden Maßnahmen (Brandmelder, Kaltwasserzählertausch, Einbau neuer Fenster) werde auch die monatliche Miete für die streitgegenständliche Wohnung in Kürze auf rund 550 € steigen.

Rein vorsorglich hat der Kläger in der Klageschrift vom 7.1.2019 nochmals die Kündigung wegen Eigenbedarfs erklärt. Die Klage ist dem Beklagten unter dem 22.2.2019 zugestellt worden.

Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die von ihm innegehaltene Wohnung im Hause P. Straße … in … B., Seitenflügel, drittes Obergeschoss, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Korridor und Toilette nebst Nebengelass mit einer Größe von 55,3 m2 zu räumen und geräumt an den Kläger herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er leide unter chronischen psychischen Erkrankungen, die auch eine regelmäßige fachärztliche Behandlung erforderten. Ein Wohnungswechsel sei aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Die Gefahr, dass sich durch einen erzwungenen Umzug die Gesundheit des Beklagten verschlechtere, sei sehr hoch. Es bestünden durchaus gesundheitliche Risiken, die bis zu einem Todesfall führen könnten. So seien parasuizidale oder gar suizidale Handlung bei einem erzwungenen Wohnungswechsel nicht auszuschließen. Der Beklagte weise einen Behinderungsgrad von 50 % auf und nehme regelmäßig schwerste Schmerzmittel ein.

Die Lage am Berliner Wohnungsmarkt sei zwischenzeitlich für geringverdienende Personen katastrophal, sodass die Wohnungssuche von vornherein chancenlos erscheine. Im Rahmen der Härtefallprüfung seien nach Ansicht des Beklagten nur solche Wohnungsangebote für eine Zweizimmerwohnung zu berücksichtigen, die preislich maximal 40 % des Einkommens ausmachten. Dies bedeute hier eine Warmmiete von 400 €. Zu berücksichtigen sei auch, dass auf jede Annonce mehrere 100 Bewerber kämen. Der Kläger verfüge über eine monatliche Rente in Höhe von 883,59 € zuzüglich Grundsicherung in Höhe von 119,60 €. Das zur Verfügung stehende Einkommen betrage 1003,18 € (Rentenbescheid vom 1.7.2018 und Bescheid des Bezirksamtes Mitte vom 13.2.2019, Blatt 79 ff. d.A.).

Im Übrigen ist der Beklagte der Ansicht, im räumlichen Bereich des Milieuschutzesgebietes in der B.-Straße, in dem auch die streitgegenständliche Wohnung liege, seien Wohnungszusammenlegungen, die der Kläger eigentlich mit der Eigenbedarfskündigung verfolge, grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Der Eigennutzungswunsch nur der Beklagtenwohnung sei vorgeschoben.

Der Beklagte sei bis vor zehn Jahren als Einrichter tätig gewesen. Den Beruf habe er 30 Jahre lang ausgeübt. Zu seinem Tätigkeitsbereich habe das tägliche Verbringen von 50-60 Kilo schweren Stoffballen gehört. Dies habe gesundheitliche Schäden hervorgerufen, die zu unerträglichen Schmerzen geführt hätten. Er, der Beklagte, werde mit Morphintabletten behandelt. Aufgrund von Durchblutungsstörungen in den Beinen sei sein räumlicher Aktionsbereich sehr eingeschränkt. Er könne momentan nur 50-150 m ohne Pause zurücklegen. 2008 habe er einen Schlaganfall erlitten. Es würden Schwindelgefühle auftreten. Eine räumliche Vertrautheit sei erforderlich. Er sei alleinstehend. Er verfüge über keine Familienangehörigen wie Ehefrau der Kinder. Er leide seit Ende Anfang November 2019 an Sprachstörungen und Wortfindungsstörungen. Dies erschwere seine Bemühungen bei der Wohnungssuche. Er leide an Bluthochdruck und Funktionsstörungen des Hahntraktes. Er habe suizidale Absichten geäußert und befinde sich in langjähriger und andauernder Behandlung durch einen Neurologen. Bei dem Beklagten sei eine Multimorbidität mit einer ausgeprägten cerebrovaskulären Demenz festzustellen. Der Beklagte würde sich in einer neuen Umgebung nicht mehr zurechtfinden.

Nach Ansicht des Beklagten liege ein sogenannter gekaufter Eigenbedarf vor. Dies lasse zwar den Eigenbedarf nicht entfallen, sei im Rahmen der Härtefallabwägung jedoch mit einzubeziehen.

Das Gericht hat den Kläger nach § 141 ZPO in der mündlichen Verhandlung vom 31.10.2019 persönlich angehört. Ferner hat es durch Beschluss vom 12.12.2019 ein schriftliches Sachverständigengutachten über die Behauptung des Klägers eingeholt, aufgrund einer bestehenden chronischen psychischen Erkrankung bestehe bei einem Wechsel der Wohnung die Gefahr einer wesentlichen, schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beklagten; ein Wohnungswechsel sei nicht zuzumuten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Prf. Dr. H. vom 20.10.2020 (Blatt 138 ff. der Akte) verwiesen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und Erklärungen, so wie sie in den Niederschriften der Sitzungen enthalten sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist abzuweisen und gemäß § 308a ZPO durch Gestaltungsurteil die unbegrenzte Fortsetzung des Mietverhältnisses der Parteien auszusprechen; die gemäß §§ 574 ff. BGB vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Beklagten aus.

I.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Räumungsanspruch aus §§ 546 Absatz 1, 985 BGB infolge der ausgesprochenen Kündigung vom 19.03.2018 und den nachfolgenden, rein vorsorglichen nochmaligen Kündigung in der Klageschrift vom 07.01.2019 nicht zu, da die Kündigungen das Mietverhältnis nicht beendet haben. Zwar ist die wegen Eigenbedarfs ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen gemäß § 573 Abs. 1, Absatz 2 Nr. 2 und Absatz 3, 568 BGB wirksam. Allerdings hat der Beklagte Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß §§ 574 ff. BGB.

Die auf den Eigenbedarf des Klägers gestützte Kündigung vom 19.03.2018 war zwar geeignet, das Mietverhältnis zwischen den Parteien zu beenden. Denn nach der durchgeführten Anhörung des Klägers nach § 141 ZPO ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die vorgenannte Kündigung gemäß § 573 Absatz 2 Nummer 1 BGB und Abs. 3, 568 BGB wirksam ausgesprochen gewesen ist. Das Mietverhältnis der Parteien ist indessen auf den Widerspruch der Beklagten vom 29.10.2018 gemäß §§ 574 a BGB, 308a ZPO unbefristet fortzusetzen.

1. Die Kündigung vom 19.03.2018 entspricht den gesetzlichen Anforderungen aus §§ 573 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 2, Abs. 3, 568 BGB. Insbesondere war sie schriftlich verfasst, unterzeichnet und gab den Kündigungsgrund ausreichend nachvollziehbar an.

Ein berechtigtes Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 573 Absatz 1 und Absatz 2 Nr. 2 BGB hat vorgelegen, denn aufgrund der durchgeführten Anhörung des Klägers nach § 141 ZPO ist das Gericht gemäß § 286 ZPO zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger als Eigentümer und damit privilegierte Person im Sinne des § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB die ernsthafte Absicht hat, die streitgegenständliche Wohnung aus vernünftigen Gründen zu bewohnen.

Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB, das der Beklagte bestritten hat, ist gegeben, wenn die in vorgenannter Vorschrift benannten Personen die ernsthafte Absicht haben, die Räume als Wohnung zu benutzen (so genannter Nutzungswille) und wenn diese Absicht auf vernünftigen Erwägungen beruht (so genanntes Nutzungsinteresse). Dafür sind allgemeine Stütztatsachen vorzutragen, die den Schluss auf die klägerische Nutzungsabsicht rechtfertigen.

Dazu hat der Kläger ausreichend vorgetragen, indem er darstellte, dass er aus der bisherigen Wohnung, die er zunächst mit seiner unterdessen geschiedenen Ehefrau und dann seiner ehemaligen Partnerin bewohnt hat und nunmehr alleine bewohnt, ausziehen und sich verkleinern möchte, um damit auch seine Kostenlast zu begrenzen. Dass diese Angaben der Wahrheit entsprechen und der Kläger den notwendigen Nutzungswillen und das Nutzungsinteresse an der streitgegenständlichen Wohnung hat, hat er glaubhaft im Rahmen der gerichtlichen Anhörung nach § 141 ZPO bestätigt, indem er widerspruchsfrei, hinreichend detailliert und nachvollziehbar seine Beweggründe angegeben hat. Er beschrieb den dahingehenden längeren Entscheidungsprozess. Darüber hinaus hat er plausibel erläutert, dass für ihn die streitgegenständliche Wohnung wegen des Balkons und der Lage nach Südwesten attraktiver sei als die danebenliegende, auf den ersten Blick vergleichbare Nachbarwohnung. Sie stehe zwar ebenfalls in seinem Eigentum und sei unterdessen an eine etwa 40-Jährige vermietet, aber nach Norden zum Innenhof hin ausgerichtet und verfüge über ein Durchgangszimmer. Der Kläger hat damit den Beweis für sein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 2 BGB zur Überzeugung des Gerichts gem. § 286 ZPO geführt.

Dass der Kläger im Rahmen der Anhörung auch über einen Durchbruch zur Nachbarwohnung sinniert hat, spricht für sich genommen nicht dagegen, dass er (auch) die streitgegenständliche Wohnung nutzen möchte.

2. Der Beklagte hat am 29.10.2018 und damit unter Wahrung der Widerspruchsfrist am 30. Oktober 2018 gemäß § 574b BGB form- und fristgerecht, nämlich mehr als zwei Monate vor Ablauf dieser Kündigungsfrist, Widerspruch eingelegt.

Auf diesen Widerspruch ist das Mietverhältnis zwischen den Parteien unbefristet gemäß § 574a Absatz 2 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 308a ZPO fortzusetzen.

a) Der Mieter kann nach § 574 Absatz 1 Satz 1 BGB einer an sich gerechtfertigten ordentlichen Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn oder seine Familie eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Für eine unzumutbare Härte wird vorausgesetzt, dass die Konsequenzen, die für einen Mieter mit einem Umzug verbunden wären, sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben müssen, um als tauglicher Härtegrund in Betracht zu kommen. An das Vorliegen einer unzumutbaren Härte sind dafür nicht unangemessen hohe Anforderungen zu stellen, denn nicht nur sichere Folgen einer Räumung sind zu berücksichtigen, sondern bereits die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung kann die Annahme einer unzumutbaren Härte rechtfertigen (BGH Urteil vom 16. Oktober 2013 – VIII ZR 57/13 -). Nach gründlicher und sorgfältiger Sachverhaltsfeststellung ist eine Gewichtung und Würdigung der beiderseitigen Interessen und ihrer Subsumtion unter die unbestimmter Rechtsbegriffe vorzunehmen (BGH, Urteil vom 15. März 2017 – VIII ZR 270/15 -; BGH, Urteil vom 03. Februar 2021 – VIII ZR 68/19 –, Rn. 25, juris).

Kommen also im Rahmen der Gewichtung und Würdigung nur solche für den Mieter mit einem Umzug verbundenen Nachteile als Härtegründe im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht, die sich von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben (st. Rspr.; siehe etwa BGH, Urteile vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 28, und VIII ZR 167/17, aaO Rn. 31; jeweils mwN), so rechtfertigt allein das hohe Alter eines Mieters, hier geboren 1947, die Annahme einer Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht. Damit wäre außer Acht gelassen, dass sich das hohe Alter eines Menschen je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung unterschiedlich auswirkt und dieser Umstand deshalb – wie der Bundesgerichtshof wiederholt betont (BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 30, juris) – ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch nicht eine Härte im Sinne des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet.

(1) Das hohe Lebensalter eines Mieters kann jedoch in Verbindung mit weiteren Umständen – im Einzelfall auch der auf einer langen Mietdauer beruhenden tiefen Verwurzelung des Mieters in seiner Umgebung – bei der gebotenen wertenden Gesamtbetrachtung, mithin unter Berücksichtigung der sich aus diesen Faktoren konkret für den betroffenen Mieter ergebenden Folgen eines erzwungenen Wohnungswechsels, eine Härte begründen (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.201 – VIII ZR 68/19, Rn. 29; BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18, juris). Insbesondere kann eine Härte zu bejahen sein, wenn zu den genannten Umständen (hohes Lebensalter, Verwurzelung aufgrund langer Mietdauer) etwa Erkrankungen des Mieters hinzukommen, aufgrund derer im Falle seines Herauslösens aus der Wohnumgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht. Lässt der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zu oder besteht im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters, kann sogar allein dies einen Härtegrund darstellen (Senatsurteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 31 mwN). Dagegen ist es weder mit Blick auf den in Art. 25 EUGrdRCh verbrieften Schutz älterer Menschen noch unter Berücksichtigung des in Art. 1 Abs. 1 GG sowie dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verankerten Schutzes der Menschenwürde geboten, nach der Lehre der „mittelbaren Drittwirkung“ der Grundrechte eine Härte im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund des hohen Lebensalters eines – hier unterdessen 73 Jahre alten – Mieters zu bejahen (BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19 –, Rn. 28 – 30, juris). Und auch eine langjährige Mietdauer (hier zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der ersten Eigenbedarfskündigung rund 33 Jahre) lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe soziale Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, namentlich davon, ob er beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflegt, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung erledigt, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnimmt und/oder medizinische oder andere Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung in Anspruch nimmt (BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19 –, Rn. 34, juris). Bei der Bewertung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen beider Mietvertragsparteien im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB vorzunehmenden Abwägung ist den Wertentscheidungen Rechnung zu tragen, die in den für sie streitenden Grundrechten zum Ausdruck kommen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bezüglich der Anwendung und Auslegung des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB einerseits und der Sozialklausel des § 574 BGB andererseits dieselben verfassungsrechtlichen Maßstäbe gelten (BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 60; vgl. BVerfG, NJW-RR 1999, 1097, 1098; NJW-RR 1993, 1358), so dass auch im Rahmen der Vorschrift des § 574 BGB die vom Vermieter beabsichtigte Lebensplanung grundsätzlich zu respektieren und der Rechtsfindung zugrunde zu legen ist (BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO; vgl. BVerfGE 68, 361, 373 f.; 79, 292, 304 f.; BVerfG, NJW 1994, 309, 310; NJW 1995, 1480, 1481). Die Abwägung der gegenläufigen Interessen hat sich stets an den konkreten Umständen des zu beurteilenden Einzelfalls auszurichten. Dabei ist es angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse unzulässig, bestimmten Belangen des Vermieters und/ oder des Mieters von vornherein – kategorisch – ein größeres Gewicht beizumessen als denen der Gegenseite (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2019 – VIII ZR 180/18, aaO Rn. 36 f.; BGH, Urteil vom 03. Februar 2021 – VIII ZR 68/19 –, Rn. 38, juris).

(2) Demgemäß hat das Gericht mit Beschluss vom 12.12.2019 Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand des Beklagten. Gem. § 286 ZPO ist es zu der Überzeugung gelangt, dass bei Abwägung der widerstreitenden Interessen der Mietvertragsparteien die persönlichen Umstände des Beklagten für ihn zu einer nicht mehr hinzunehmenden, unzumutbaren Härte führen, wenn er die streitgegenständliche Wohnung verlassen und eine andere Wohnung zunächst suchen und dann beziehen müsste, die die Beendigung des Mietverhältnisses auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Klägers nicht mehr rechtfertigen, § 574 Absatz 1 BGB. Zugleich hat das Gericht die Lebensplanung des Klägers dahingehend, dass er die in seinem Eigentum stehenden Wohnung nunmehr selbst nutzen, sich räumlich verkleinern möchte und zudem finanzielle Vorteile erhoffe, respektiert. So hat es das mit dieser Lebensplanung begründete Erlangungsinteresse des Klägers der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung unterzogen. Hierzu hat es die Dringlichkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs eingeschätzt. Sodann waren die Interessen des Klägers mit den Härtegründen im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Seiten des Beklagten (soziale Verwurzelung am bisherigen Wohnort, zahlreiche Erkrankungen, Wohnungsmarkt) und den mit einem Umzug konkret für diese verbundenen Folgen ins Verhältnis zu setzen und so das Erlangungsinteresse des Klägers einerseits und das Bestandsinteresse des Beklagten als Mieter andererseits abzuwägen. Im Einzelnen:

Der Beklagte kann sich auf Härtegründe nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB berufen: Nach fehlten nach den Feststellungen des gerichtlichen beauftragten Sachverständigen Professor Dr. R. H. – nach Zuhilfenahme der Zusatzuntersuchung von Privatdozent Dr. B. – bei dem Beklagten Hinweise auf ein demenzielles Syndrom. Teilleistungsstörungen im Arbeitsgedächtnis sowie im Kurz- und Langzeitgedächtnis für Gesichter ließen sich nicht eindeutig einer psychischen Störung im Sinne des ICD 10 zuordnen. Die neuropsychologische Untersuchung ergab hingegen Hinweise auf eine mittelschwere depressive Symptomatik und Belastung mit Ängsten im Alltag, ein klinisch relevantes, mittelgradiges depressives Syndrom. Hinweise auf eine Aggravation depressiver Symptome in einem der eingesetzten Verfahren ließen sich nicht klar von Überforderung durch das sehr umfangreiche Instrument (über 500 Einzelfragen) unterscheiden. Die klinische Exploration, die Selbstauskunft des Patienten im Fragebogenverfahren, die Angaben aus dem Fremdbeurteilungsverfahren und das zu beobachtende Verhalten in der klinischen Exploration ergaben insgesamt ein schlüssiges Bild mit negativistischen Gedanken, Suizidideationen und erheblichem sozialen Rückzug als führenden Symptome. Aus den Angaben des Beklagten lasse sich ein chronischer Verlauf der Depression vermuten. Eine Trauerreaktion nach dem Tod des Partners des Beklagten sei in eine kodifizierte depressive Störung übergegangen, die durch die Verluste durch den Tod der Eltern und den Tod der Schwester eine weitere Verschlechterung erfahren habe. Dies sei einhergegangen mit einem zunehmenden Verlust des sozialen und soziologischen Funktionierens. Zusammenfassend bewertet der Sachverständige die erhobene depressive Symptomatik als mittelgradige depressive Episode bei Verdacht auf chronische Depression. Dagegen hat der Gutachter eine Anpassungstörung aufgrund des Verlaufs von über 2 Jahren als nicht erfüllt angesehen, ebenso wenig war die Diagnose einer Demenz gegeben. Auch fehlte es an einer Diagnose einer Persönlichkeitsstörung. Dagegen hat der Sachverständige die Diagnose einer anhaltenden Schmerzstörung bei dem Beklagten als erfüllt angesehen, wobei er zumindest von einer teilweisen psychischen Genese ausgeht. Zudem hat der Gutachter bei dem Beklagten eine von ihm erlebte und vorgebrachte Störung des Sprechens festgestellt (Stottern). Hier scheint ihm eine psychische Genese der Sprechstörung plausibel. Zusammenfassend sieht er als psychiatrische Hauptdiagnosen des Beklagten eine mittelgradige depressive Episode (ICD Code F 32.1), ein Verdacht auf chronische Depression (ICD Code F 34.1), anhaltende Schmerzstörung ( ICD Code F 45.4) und eine sonstige, näher bezeichnete somatoforme Störung (Stottern, ICD Code F 45.8) als gegeben an. Zwar lassen sich die Chronifiziertheit nicht mit gutachterlicher Sicherheit beantworten. Der von dem Beklagten geschilderte Verlauf der gegenwärtigen Symptomatik lege jedoch eine Chronifizierung nahe. Mithin liege mit einer mittelgradigen depressiven Episode eine schwerwiegende psychische Erkrankung vor.

Die Wahrscheinlichkeit des Eintretens der im Gutachten im einzelnen genannten Verschlechterungen bis hin zum Suizid oder Suizidversuch infolge eines Wohnungswechselwechsels des Probanden ließen sich mit gutachterlicher Sicherheit nicht quantifizieren. Es ließen sich lediglich Risikofaktoren für depressive Episoden allgemein benennen, deren Gesamtsumme gleichzeitig das Risiko für die Schwere der Depression bestimmt, sowie Risikofaktoren für Suizidversuche und für den vollzogenen Suizid. Der drohende Verlust der Wohnung lasse sich nach diesem Modell jedoch als weiterer Stressor werten. In Abwesenheit wichtiger protective Faktoren sei die Gefahr einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik quantitativ und qualitativ somit nicht mit gutachterlicher Gewissheit auszuschließen. Die Forschungslage zum Suizidrisiko gestatte zwar keine Quantifizierung des individuellen Risikos mit gutachterlicher Sicherheit. Bei dem Beklagten seien durch sein Alter, sein Geschlecht, seine sexuelle Orientierung und die zumindest subjektiv empfundene Armut jedoch mehrere lebensgeschichtliche Risikofaktoren für zukünftige Suizidhandlungen feststellbar. Die formulierten Suizidgedanken, die diagnostizierten psychischen Störungen (Depression, somatoforme Störungen, Stottern), die formulierte Hoffnungslosigkeit und das fehlende soziale Netz würden weitere Risikofaktoren für zukünftige Suizidhandlungen darstellen. Zusammenfassend lassen sich die Frage, ob bei dem Beklagten aufgrund der psychischen Erkrankung die Gefahr einer wesentlichen, schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes infolge eines Wohnungswechsels bestehe, somit bejahen. Eine Gefahr einer schwerwiegenden gesundheitlichen Verschlechterung aufgrund der psychischen Erkrankung infolge eines erzwungenen Wohnungswechsels lasse sich sowohl für eine Zunahme depressiver Symptome als auch für ein Risiko zukünftiger Suizid aller Handlung plausibel machen, wobei die Eintreffenswahrscheinlichkeit dieser Gefahr sich angesichts unzureichender empirischer Daten nicht mit gutachterlicher Gewissheit einschätzen lasse. Dieser Schlussfolgerung schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung an, denn der Sachverständige stellt in seinem Gutachten vom 20.10.2020 im Einzelnen dar, auf welchen Grundlagen, vorliegenden ärztlichen Attesten und Befunden und seiner eigenen Untersuchung und Zusatzbegutachtungen er zu seinen Diagnosen aus seinem psychiatrischen Fachgebiet kommt, auf die er seine vorbenannte Schlussfolgerung stützt. Diese umfassenden, widerspruchsfreien, nachvollziehbaren und sachkundigen Feststellungen und Schlussfolgerungen überzeugen das Gericht nach eigener Prüfung dahin, dass – trotz fehlender belastbaren Quantifizierung – die mit einem Umzug einhergehenden physischen und psychischen Belastungen für den Beklagten zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung rechtfertigen bis hin zu einer Lebensverkürzung des erheblich psychisch erkrankten Beklagten, so dass eine unzumutbare Härte zur Überzeugung des Gerichts bewiesen ist.

Auch die Parteien haben gegen das Gutachten selbst keinen Einwendungen erhoben. Lediglich in der (juristischen) Bewertung der Feststellungen des Gutachters, ob diese für die Überzeugung des Gerichts zur Annahme eines Härtefalls nach § 574 Abs. 1 S. 1 BGB ausreichend sein können, gehen die Einschätzungen der Parteien auseinander. Nach der Überzeugung des Gerichts liegen bei dem Beklagten Härtegründe im Sinne des § 574 BGB vor, die grundsätzlich einer Räumung entgegenstehen.

(3) Dagegen geht das Gericht nicht ohne weiteres von einem weiteren Härtegrund nach § 547 Abs. 1 S. 1 BGB in Gestalt einer jahrzehntelangen sozialen Verwurzelung des Beklagten am Ort der Mietwohnung aus, die von vornherein eine Kündigung entgegenstehe. Eine langjährige Mietdauer lässt für sich genommen noch nicht auf eine tiefe soziale Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, namentlich davon, ob er beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflegt, Einkäufe für den täglichen Bedarf ausschließlich in der näheren Umgebung erledigt, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnimmt und oder medizinische und andere Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung in Anspruch nimmt.

Vorliegend wohnt der Beklagte zwar seit 1985 ununterbrochen in der Wohnung. Nach den Feststellungen des Gutachters und einer Eigenanamnese des Beklagten lebt der Beklagte seit dem Tod seines Partners zunehmend sozial zurückgezogen. Der dem Beklagten seit Jahren behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie A. A. (Arztbrief vom 21.03.2019, Bl. 105 d.A.) befindet sich in der G.-Straße … und damit über 5 km von der Wohnung des Beklagten entfernt. Nach den gutachterlichen Feststellungen von Prof. Dr. H. ist der Beklagte vollständig orientiert. Weitere Anhaltspunkte, die für einen besondere soziale Verwurzelung und damit einen weiteren Härtegrund nach § 574 Absatz ein Satz 1 BGB sprechen könnten, der einer Kündigung entgegenstünde, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.

b) Demgegenüber hat auch der Kläger ein beachtliches Interesse, in der von ihm erworbenen Wohnung zu wohnen. Dieses Interesse ist jedoch nicht so erheblich, dass es das Interesse des Beklagten überwiegt.

Zur Bemessung des Erlangungsinteresses des Klägers ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Wohnbedarf in B. durch die bisherige Mietwohnung ohne zeitliche Beschränkung befriedigen kann und auch schon über viele Jahre befriedigt. Störungen in diesem Mietverhältnis oder andere Unzulänglichkeiten, die das Wohnen dort beeinträchtigen könnten, sind nicht vorgetragen oder ersichtlich. Auch erscheint der von dem Kläger dort zu entrichtende Mietzins angesichts der Größe der Wohnung durchaus als angemessen. Das Gericht verschließt nicht die Augen davor, dass der Kläger wirtschaftliche Vorteile bei einem Umzug von der ca. 100 m2 großen Mietwohnung in die nur etwa 55 qm große, von dem Beklagten gehaltene, Eigentumswohnung erlangen könnte. Das Gericht nimmt jedoch auch in den Blick, dass die Planungen des Klägers von seinen Wohnbedürfnissen nach dem Eindruck des Gerichts keineswegs abgeschlossen sind und noch erheblichen Wechseln unterworfen sein können. So hat der Kläger die von ihm nach wie vor bewohnte Mietwohnung zunächst mit seiner Frau und seiner Tochter bewohnt. In dieser Zeit, der genaue Zeitpunkt ist offengeblieben, hat der Kläger sowohl die streitgegenständliche, seit 1985 an den Kläger vermietete Wohnung als auch die daneben liegende, zumindest von der Größe her vergleichbaren Wohnung erworben, die bereits seit 1978 vermietet war. Ob der Kläger über weitere Wohnimmobilien in B. verfügt, ist nicht bekannt. Nach der Darstellung des Klägers habe sich die Trennung von seiner Ehefrau dann Ende 2015 abgezeichnet. Seine Ehefrau habe in der Wohnung verbleiben wollen, um das gemeinsame Kind nicht aus dem Wohnumfeld zu nehmen. Dies habe den Klägern dazu veranlasst, am 25. 9. 2015 eine Eigenbedarfskündigung des seit 1978 bestehenden Mietvertrages über die Nachbarwohnung mit einer Kündigungsfrist bis zum 30.06.2016 auszusprechen. Im Rahmen von Verhandlungen haben sich die dortigen Mieter teilen darauf geeinigt, dass der dortige Mieter die Wohnung Ende April 2016 an den Kläger unrenoviert und leer herausgibt (Vereinbarung vom 15.02.2016, Blatt 28 d.A.). Die Ehefrau des Klägers habe dann ihre Pläne geändert und sei, dies muss nach der Berechnung des Gerichts Mitte 2016 gewesen sein, aus der angemieteten Wohnung ausgezogen. Der Kläger habe nach eigenen Bekunden die freigewordene Eigentumswohnung nicht beziehen müssen, sondern habe in der großen Mietwohnung verbleiben können. Dies hat er dann auch getan. Die freigewordene Eigentumswohnung hat er an eine etwa 40-jährige Frau weiter vermietet. Die finanziellen Nachteile, die er nunmehr als Grund für den Umzug von der großen in eine kleinere Wohnung anführt, hat er damals in Kauf genommen. So schwerwiegend oder belastend für den Kläger vermögen die finanziellen Aspekte daher offenbar nicht zu sein. Keine 2 Jahre später sollen sie ihn jedoch veranlasst haben, unter dem 19.03.2018 die streitgegenständliche Kündigung gegenüber dem Beklagten auszusprechen. Das Gericht sieht durchaus, dass der Kläger sich in der Zwischenzeit von seiner neuen Partnerin getrennt hat. Andererseits hat der Kläger in der mündlichen Anhörung in der Sitzung vom 31.10.2019 die Variante angesprochen, dass er wieder mit einer Partnerin zusammen ziehe. Dieser Fall scheint nicht allzu fernliegend zu sein. So hat der Kläger freimütig seine Vorstellung ausgebreitet, dass er dann die beiden nebeneinanderliegenden Wohnungen zusammenführen wolle. Es bestehe die Möglichkeit, einen Durchgang zu der daneben liegenden Wohnung zu schaffen. Diese Option sei für ihn ein Grund gewesen, die streitgegenständliche Eigenbedarfskündigung auszusprechen. Wenn es dem Kläger danach (auch) darum geht, eine größere Wohnung aus den 2 Eigentumswohnung zu schaffen, statt nur die streitgegenständliche Wohnung mit 55 qm zu beziehen, so sind es tatsächlich offenbar keine finanziellen Erwägungen, die zur Eigenbedarfskündigung geführt haben. Denn offenbar kommt es dem Kläger gar nicht auf die Reduzierung der Quadratmeterzahl von derzeit 100 auf zukünftig 55 m2 und den damit erzielten finanziellen Vorteil an, sondern zuvörderst darauf, in die „eigenen 4 Wänden“ zu ziehen, denn die derzeit bewohnte Mietwohnung ist zumindest von der Quadratmeterzahl her vergleichbar mit der Gesamtfläche der beiden Eigentumswohnungen. Ob eine angedachte Zusammenlegung der Wohnung nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften überhaupt möglich ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Womöglich ändern die öffentlich-rechtlichen Vorgaben aber auch erneut die Pläne des Klägers. Insgesamt scheint nach dem Eindruck des Gerichts die Wohnungsplanung des Klägers keineswegs abgeschlossen oder so verfestigt zu sein, dass davon auszugehen wäre, er wolle dauerhaft (nur) in der streitgegenständlichen Wohnung wohnen.

c) Demgegenüber trägt ein erzwungener Wechsel der Wohnung für den Beklagten die Gefahr einer erheblichen Gesundheitsverschlechterungen bis hin zur Lebensgefahr in sich, so dass die Interessen des Klägers hinten anstehen müssen. Hinzu kommt, dass der Kläger die Wohnung in vermietetem Zustand mit einem langjährigen und älteren Mieter gekauft hat und daher nicht ohne weiteres von einem baldigen Einzug ausgehen konnte. Das hindert seinen Eigenbedarf nicht, ist aber bei der Abwägung seiner Interessen gegenüber denen des Beklagten nicht unbeachtet zu lassen (vgl. LG Berlin Urteil vom 7. Februar 2014 – 63 S 254/11 -). Die Aussichten für den Beklagten, mit seinen beschränkten finanziellen Budget und WBS vergleichbaren Wohnraum in B. zu finden, brauchen daneben im Detail nicht weiter erörtert zu werden. Dass der Berliner Wohnungsmarkt stark angespannt ist und ein eklatantes Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage gerade in dem Bereich des mit der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbaren Wohnraums herrscht, ist gerichtsbekannt. Im Ergebnis fällt die Abwägung zwischen Bestandsinteresse des Mieters und dem Erlangungsinteresse des Eigentümers hier zugunsten des Beklagten als Mieter aus.

3. Aus den vorgenannten Gründen kann auch die mit der Klageschrift erklärte, rein vorsorgliche weitere Kündigung wegen Eigenbedarfs keinen Erfolg haben.

4. Da sich die Situation des Beklagten aufgrund seines Gesundheitszustandes und seines Alters in Zukunft gegenüber dem derzeitigen Zustand nicht verbessern wird, – so versteht das Gericht jedenfalls auch die gutachterlichen Feststellungen – und auch eine wesentliche Entspannung am Mietwohnungsmarkt in B. oder der finanziellen Möglichkeiten des Beklagten nicht absehbar sind, war das Mietverhältnis unbefristet fortzusetzen; für eine nur befristete Verlängerung bestand keine Grundlage nach § 308a ZPO i.V.m. § 574a BGB. Die unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses war auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Antrag des Beklagten auszusprechen.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

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