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Eigenbedarfskündigung – Härtegründe im Zusammenhang mit Widerspruch

LG Osnabrück – Az.: 1 S 36/19 – Urteil vom 12.06.2019

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück vom 10.01.2019 – Az.: 53 C 1163/18 – aufgehoben und der Beklagte verurteilt, die im 1. Obergeschoss des Mehrfamilienhauses G.-Straße … in … B. gelegene 4-Zimmer-Wohnung nebst Küche, Diele, Bad, WC und Balkon mit einer Wohnfläche von ca. 96 qm sowie den mitvermieteten Keller geräumt und besenrein gesäubert an die Beklagten als Gesamtgläubiger herauszugeben.

2. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 30.09.2019 gewährt.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert wird auf 5.772,- € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Räumung und Herausgabe von Wohnraum.

Mit Mietvertrag vom 07.07.2000 (Anlage K 1, Bl. 6 ff. d. A.) mietete der Beklagte von dem Voreigentümer die streitgegenständliche Wohnung an. Die Kläger traten durch Erwerb der Wohnung im Jahr 2015 in den Mietvertrag ein. Zwischen den Parteien wurde mit Datum vom 31.03.2015 ein neuer Mietvertrag geschlossen (Anlage K 2, Bl. 10 ff. d. A.), der jedoch zu keiner Änderung des Mietbeginns führen sollte. Die Wohnung befindet sich im 1. OG, hat 4 Zimmer und eine Wohnfläche von 96 qm.

Mit Schreiben vom 06.11.2016 (Anlage K 3, Bl. 14 d. A.) kündigten die Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Der Beklagte erklärte, nicht ausziehen zu wollen. Da Zweifel an der ordnungsgemäßen Begründung der Kündigung aufkamen, wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 03.08.2017 (Anlage K 4, Bl. 16 d. A.) erneut eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausgesprochen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Kläger wollten die streitgegenständliche Wohnung der Schwester des Klägers und ihrem Ehemann, den Eheleuten R., sowie deren Sohn, dem Neffen der Klägerin, G., zur Verfügung stellen. Die Eheleute R. würden eine 76 qm große 3-Zimmer-Wohnung bewohnen. Nach der Trennung des G. von seiner Ehefrau sei dieser mit in die Wohnung eingezogen. Diese Wohnung sei jedoch für drei erwachsene Personen zu klein. Der G. könne sich aufgrund seiner Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen keine eigene Wohnung leisten. Die Schwester des Klägers solle die Kläger bei der Pflege der im gemeinsamen Haushalt mit den Klägern wohnenden Mutter der Klägerin unterstützen. Die streitgegenständliche Wohnung solle den Eheleuten R. sowie deren Sohn günstiger angeboten werden.

Mit Schreiben vom 23.02.2018 (Anlage K 7, Bl. 21 f. d. A.) erhob der Beklagte über den Mieterverein Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung und verwies darauf, ihm sei in Anbetracht seines hohen Alters, seiner gesundheitlichen Verfassung sowie wegen fehlenden Ersatzwohnraums ein Umzug nicht möglich.

Der Beklagte ist am 11.05.1938 geboren (derzeit 81 Jahre alt) und bewohnt die streitgegenständliche Wohnung seit fast 19 Jahren. Er bewohnte die Wohnung zuvor gemeinsam mit seiner Ehefrau, die im Jahr 2004 verstarb. Seit dem ist der Beklagte alleinstehend. Der Beklagte erhält eine Rente von monatlich 990,30 € netto. Der Beklagte besitzt sowohl ein Fahrrad als auch ein Auto, mit denen er sich fortbewegt. Kurze Strecken kann der Beklagte ohne Gehhilfe zurücklegen. Bei längeren Strecken benötigt er einen Gehstock. Der Beklagte ist in der örtlichen Umgebung verwurzelt und kommt dort ohne fremde Hilfe zurecht. Sein Hausarzt befindet sich in einer Entfernung von 300 m zur Wohnung, die Apotheke von 200 m, seine Bank von 300 m. Einkaufsmärkte sind in einer Entfernung von ca. 500 m vorhanden. Der Beklagte geht seit April 2018 regelmäßig – unstreitig bis Juli 2018 – zur Krankengymnastik, wofür er eine Strecke von 150 m zurücklegen muss.

Im Jahr 1998 erlitt der Beklagte einen ersten Schlaganfall, der zu einer Gehbehinderung führte. Der Beklagte erhielt einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen G und einem Grad der Behinderung von 50. Im Jahr 2008 wurde beim Beklagten Prostatakrebs diagnostiziert. In diesem Zusammenhang kam es im Jahr 2009 zu einer Operation mit anschließender Bestrahlung. Der Beklagte nimmt diesbzgl. noch heute Medikamente. Vierteljährlich erfolgt eine Nachuntersuchung. Aktuell unterzieht sich der Beklagte einer antihormonellen Tumortherapie, die von ihm schlecht vertragen wird und zu einer erheblichen Beeinträchtigung des gesundheitlichen Befindens führt. Im Januar 2018 erlitt der Beklagte einen zweiten Schlaganfall, der zu Sprachfindungsstörungen führte. Wegen körperlicher Einschränkungen, deren Ausmaß bestritten ist, erhält der Beklagte seit April 2018 Krankengymnastik. Seit Juli 2018 befindet sich der Beklagte in psychiatrischer Behandlung und erhält Antidepressiva.

Bemühungen des Beklagten um Ersatzwohnraum mit Hilfe seines Sohnes waren erfolglos. Der Beklagte verfügt über kein Internet, keinen PC und kein Smartphone. Eine Anfrage beim Stephanswerk hatte ergeben, dass keine Wohnung verfügbar ist.

Die Kläger beabsichtigen, den Eheleuten R. sowie deren Sohn G. die Wohnung nach Auszug des Beklagten zu überlassen.

Die Kläger haben erstinstanzlich behauptet, die derzeit von den Eheleuten R. und deren Sohn bewohnte Wohnung habe lediglich 3 Zimmer sowie eine Größe von 76 qm. Die Wohnung sei ursprünglich lediglich von den Eheleuten R. bewohnt gewesen, ihr Sohn sei erst später im Zusammenhang mit der Trennung von seiner Frau mit in die Wohnung eingezogen. Der G. könne sich eine eigene Wohnung nicht leisten. Es sei beabsichtigt, dass die Zeugin R. die Klägerin bei der Pflege der Mutter der Klägerin unterstützen solle. Die Wohnung solle den Eheleuten R. sowie deren Sohn vergünstigt angeboten werden.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, der Beklagte müsse notfalls die Hilfe Dritter für die Wohnungssuche in Anspruch nehmen.

Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die im 1. Obergeschoss des Mehrfamilienhauses G.-Straße xx in xxxxx B. gelegene 4-Zimmer-Wohnung nebst Küche, Diele, Bad, WC und Balkon mit einer Wohnfläche von ca. 96 qm sowie den mitvermieteten Keller geräumt und besenrein gesäubert an die Beklagten als Gesamtgläubiger herauszugeben.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat erstinstanzlich behauptet, die Kündigung sei aus Kostengründen ausgesprochen worden, wie sich aus der von den Klägern ausgesprochenen ersten Kündigung ergebe. Seine Schwägerin wohne in unmittelbarer Umgebung zu ihm. Die psychischen Folgen des Todes seiner Frau habe der Beklagte bis heute nicht überwunden. Der zweite Schlaganfall habe zu einer erheblichen Lähmung des linken Armes und des linken Beines geführt, weswegen er weiterhin Krankengymnastik erhalte. Die ausgesprochenen Kündigungen hätten zu Ängsten und einer Unsicherheit über die weiteren Lebensverhältnisse geführt. Diese psychische Belastung habe auch seinen zweiten Schlaganfall hervorgerufen. Seine Zukunftssorgen hätten zu einer depressiven Störung mit latenter Suizidalität geführt. Die Räumung der Wohnung würde dazu führen, dass der Beklagte zum Pflegefall würde, sich nicht mehr selbst versorgen könne oder sich in letzter Konsequenz das Leben nehmen würde.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, seine Interessen am Erhalt der Wohnung würden die Interessen der Kläger überwiegen. Das Verwandtschaftsverhältnis sei nicht derart eng, dass eine sittliche Verpflichtung zur Überlassung der Wohnung bestehe. Der Einzug des Sohnes G. sei lediglich eine vorübergehende Überbrückung. Unterhaltszahlungen würden im Hinblick auf den Selbstbehalt nicht dazu führen, dass eine eigene Wohnung nicht mehr finanzierbar sei. Eine zusätzliche Hilfe bei der Pflege der Mutter der Klägerin sei nicht zwingend erforderlich. Es sei außerdem zu berücksichtigen, dass die Kläger bei Erwerb der Wohnung Kenntnis über das Alter des Klägers gehabt hätten. Ein Umzug des Beklagten in eine Pflegeeinrichtung sei ohnehin absehbar; dies müssten die Kläger abwarten. Der Beklagte werde keine Wohnung finden, wie sehr er sich auch darum bemühe.

Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen G. und U. R. und G.. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09.08.2019 wird verwiesen. Es hat außerdem ein Sachverständigengutachten eingeholt, welches sich auf Bl. 91 ff. d. A. befindet.

Mit Urteil vom 10.01.2019, welches den Klägern am 14.01.2019 zugestellt wurde, hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kläger hätten zwar ein berechtigtes Interesse an der streitgegenständlichen Wohnung dargelegt. Das Interesse des Beklagten am Fortbestand der Wohnung überwiege jedoch. Die Räumung stelle für den Beklagten eine besondere Härte dar. Dabei seien das Alter des Beklagten, die lange Wohndauer, die damit verbundene Verwurzelung, die Schwierigkeiten Ersatzwohnraum zu finden sowie die gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen. Diese Gründe führten zwar nicht bei isolierter Betrachtung, gleichwohl in der Gesamtbewertung zu einer Räumungsunfähigkeit des Beklagten. Der Beklagte habe die Suche nach Ersatzwohnraum schlüssig dargelegt. Die Beauftragung eines Maklers käme in Anbetracht der engen finanziellen Verhältnisse des Beklagten nicht in Betracht. Das Interesse der Kläger, der Schwester bzw. Schwägerin samt Familie die Wohnung zu überlassen, müsse dagegen zurückstehen, zumal die Kläger bei Erwerb der Wohnung gewusst hätten, dass der Beklagte in dem Objekt wohne. Dementsprechend sei nicht zu berücksichtigen, dass die Schwester der Klägerin bereits die Arbeitsstelle gewechselt habe, da zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen sei, dass sich der Beklagte der Kündigung widersetze. Im Ergebnis sei das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.

Dagegen richtet sich die am 29.01.2019 eingelegte Berufung der Kläger, die mit Schriftsatz vom 26.02.2019 begründet wurde. Zur Begründung führen die Kläger aus, das Amtsgericht habe fehlerhaft als besondere Härtegründe die mit dem Umzug verbundenen finanziellen Nachteile sowie die Schwierigkeit, Ersatzwohnraum zu finden, berücksichtigt. Dabei handele es sich um Unannehmlichkeiten, die mit jedem Umzug verbunden seien. Der Beklagte habe nicht substantiiert zu Ersatzraumbemühungen vorgetragen, worauf die Kläger erstinstanzlich auch hingewiesen hätten. Der Beklagte wäre bereits mit Zugang der ersten, unwirksamen Kündigung verpflichtet gewesen, sich um eine neue Wohnung zu kümmern. Nicht nachvollziehbar sei, dass das Amtsgericht seinem Urteil zu Grunde gelegt habe, dass der Beklagte auf eine altersgerechte Wohnung angewiesen sei, obwohl der Beklagte aktuell im ersten Obergeschoss ohne Aufzug wohne. Auch dürften die möglicherweise bestehenden Schwierigkeiten, Ersatzwohnraum zu finden, nicht dazu führen, dass der Beklagte zur Suche überhaupt nicht verpflichtet sei. Hinzu käme, dass die Kläger dem Beklagten verschiedene Ersatzwohnungen angeboten hätten, wie erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen worden sei. Das Amtsgericht habe das Sachverständigengutachten unberücksichtigt gelassen, was zu der Frage führe, wieso es überhaupt eingeholt worden sei. Ein offenes Abwägungsergebnis im Rahmen der Prüfung des § 574 BGB gehe zu Lasten des Beklagten, da es sich um eine Einwendung handele.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Osnabrück Az.: 53 C 1163/18 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die im 1. Obergeschoss des Mehrfamilienhauses G.-Straße … in … B. gelegene 4-Zimmer-Wohnung nebst Küche, Diele, Bad, WC und Balkon mit einer Wohnfläche von ca. 96 qm sowie den mitvermieteten Keller geräumt und besenrein gesäubert an die Beklagten als Gesamtgläubiger herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Für den Fall der Verurteilung beantragt er ferner, dem Beklagten eine angemessene Räumungsfrist zu gewähren und die Revision zuzulassen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hält die vorgenommene Abwägung der gegenseitigen Interessen für zutreffend. Nach dem Sachverständigengutachten sei eine akute Suizidgefahr nicht verlässlich prognostizierbar, eine effektive Selbsttötung realitätsadäquat nicht ausgeschlossen. Eine Entlastung könne durch den Verbleib in der Wohnung herbeigeführt werden. Bei schweren Gesundheitsschäden bis hin zur Lebensgefahr sei ein geringer Grad der Eintrittswahrscheinlichkeit ausreichend. Im Übrigen sei die gesundheitliche Beeinträchtigung des Beklagten lediglich ein Aspekt von vielen Umständen, die zu berücksichtigen gewesen seien.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und in der Sache auch begründet.

1.)

Das Amtsgericht hat zu Unrecht die Klage abgewiesen. Den Klägern steht ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach § 546 BGB zu. Die Kündigung vom 03.08.2017 wegen Eigenbedarfs gem. § 573 BGB ist wirksam. Dem Beklagten steht kein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nach §§ 574 f. BGB zu.

a)

Die Kündigungserklärung vom 03.08.2017 erfüllt zunächst die formellen Voraussetzungen. Sie ist schriftlich gem. § 568 Abs. 1 BGB erfolgt.

Sie ist darüber hinaus ordnungsgemäß begründet. Nach § 573 Abs. 3 BGB sind die Gründe für das berechtigte Interesse des Vermieters an der Kündigung anzugeben.

Nach der Rechtsprechung des BGH besteht der Zweck des Begründungserfordernisses darin, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen. Diesem Zweck wird im Allgemeinen Genüge getan, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann. Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs sind daher grundsätzlich die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt werde, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, ausreichend (vgl. BGH, Urteil v. 06.07.2011, Az.: VIII ZR 317/10). Dabei müssen die Gründe eindeutig und nachvollziehbar dargelegt werden.

Diesen Anforderungen wird das Kündigungsschreiben vom 03.08.2017 gerecht. Das anwaltliche Schreiben führt als Begründung an, die Kläger wollten die streitgegenständliche Wohnung der Schwester des Klägers und ihrem Ehemann, den Zeugen G. und U. R., sowie dessen Sohn, dem Neffen der Kläger, dem Zeugen G., zur Verfügung stellen. Die Zeugen R. würden aktuell eine 76 qm große 3-Zimmer-Wohnung bewohnen. Nach der Trennung des G. von seiner Ehefrau sei dieser mit in die Wohnung eingezogen. Diese Wohnung sei jedoch für drei erwachsene Personen zu klein. Der G. könne sich aufgrund der Verpflichtung zu Unterhaltszahlungen keine eigene Wohnung leisten. Die Schwester des Klägers solle die Klägerin bei der Pflege der im gemeinsamen Haushalt mit den Klägern wohnenden Mutter der Klägerin unterstützen. Außerdem solle die streitgegenständliche Wohnung den Zeugen R. sowie deren Sohn vergünstigt angeboten werden.

b)

Die Kläger können ein berechtigtes Interesse an der Wohnung im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB für sich beanspruchen.

Die Kläger beabsichtigen, die streitgegenständliche Wohnung der Schwester des Klägers, deren Ehemann sowie deren Sohn zu überlassen. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme hat ergeben, dass die derzeitigen Wohnverhältnisse der Eheleute R. und ihres Sohnes beengt sind. Zwar bewohnen diese nicht wie behauptet eine 76 qm große 3-Zimmer-Wohnung, sondern eine 70 qm große 4-Zimmer-Wohnung; von beengten Wohnverhältnissen kann gleichwohl ausgegangen werden. Außerdem soll die Familie R. die Kläger bei der Pflege der Mutter der Klägerin unterstützen.

Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Beweisaufnahme sind nicht ersichtlich und werden mit der Berufungsbegründung auch nicht geltend gemacht. An die Feststellungen des Amtsgerichts, dass ein Eigenbedarfsinteresse der Kläger gegeben ist, ist das Berufungsgericht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden.

Die Schwester des Klägers, ihr Ehemann und ihr Sohn gehören auch zu dem nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfassten Personenkreis. Unzweifelhaft handelt es sich um Familienangehörige, die nach der Auffassung des BGH zu den privilegierten Angehörigen gehören (BGH NJW 2003, 2624; BGH WuM 2010, 163).

Nicht bestätigt hat sich der Einwand des Beklagten, die Kläger hätten lediglich „aus Kostengründen“ die Kündigung ausgesprochen. Der Beklagte bezieht sich dabei auf die Begründung der von den Klägern selbst ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung vom 06.11.2016 (Bl. 14 d. A.), in der es heißt: „Eine unserer Familie/Schwester braucht diese Wohnung, da sich die Wohnungssituation aus Kostengründen und den Einzug des Sohnes geändert hat.“ Es ist bereits zweifelhaft, was mit „aus Kostengründen“ gemeint sein könnte. Soweit der Beklagte andeuten möchte, die Kündigung sei mit dem Ziel erfolgt, die Wohnung zu einem höheren Mietpreis weitervermieten zu können, so fehlt dazu jeglicher Vortrag. Eine solche Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem Schreiben vom 06.11.2016. Vielmehr scheinen sich die Kostengründe auf die bisherige Wohnung der Zeugen R. zu beziehen. Im Ergebnis kann dies dahinstehen, da die Beweisaufnahme ergeben hat, dass die Kläger die Wohnung tatsächlich ihren Verwandten überlassen möchten.

Das gemeinsame Wohnen der Eheleute R. mit ihrem Sohn G. soll nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht lediglich als kurzfristiger Zustand bestehen bleiben, wie der Beklagte behauptet hatte.

Nicht bestätigt hat sich der klägerische Vortrag, dass die Kläger ihren Verwandten die Wohnung vergünstigt überlassen wollen. Diesem Umstand ist gleichwohl kein nennenswertes Gewicht beizumessen, da nicht vorgetragen ist, dass sich die Zeugen R. eine Wohnung zu marktüblichen Preisen nicht leisten könnten.

c)

Die Kündigung ist auch nicht treuwidrig.

Eine Kündigung ist treuwidrig, wenn der Eigenbedarf bereits bei Abschluss des Vertrags vorhanden oder jedenfalls absehbar war. Dies könnte insofern angedacht werden, als die Zeugenvernehmung im August 2018 ergeben hat, dass der Sohn der Eheleute R. bereits vor drei Jahren in die Wohnung der Zeugen R. eingezogen ist, so dass im Zeitpunkt des Abschlusses des neuen Mietvertrages am 31.03.2015 möglicherweise der erhöhte Wohnbedarf bereits absehbar gewesen ist. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, da der Beklagte bereits seit dem Jahr 2000 Mieter der Wohnung ist und dieser Vertrag durch den neuen Mietvertrag aus dem Jahr 2015 nicht seine Gültigkeit verlieren sollte.

d)

Der Beklagte hat keinen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit nach §§ 574, 574a BGB.

Nach § 574 Abs. 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Unter einer Härte sind alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Der Eintritt solcher Nachteile muss nicht mit Sicherheit feststehen. Es genügt, wenn solche Nachteile mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind (Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 20 m. w. N.). Insbesondere auch bei gesundheitlichen Nachteilen genügt bereits die ernsthafte Gefahr ihres Eintritts (BGH NZM 2013, 824).

Gem. § 574a Abs. 2 S. 2 BGB kann bestimmt werden, dass ein Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist, wenn ungewiss ist, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, aufgrund derer die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeutet.

aa)

Der Beklagten hat der Kündigung widersprochen und damit die formelle Voraussetzung des § 574 Abs. 1 BGB erfüllt.

Gem. § 574b Abs. 1 S. 1 BGB ist der Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung schriftlich zu erklären. Auf Verlangen des Vermieters sollen die Gründe unverzüglich mitgeteilt werden, § 574b Abs. 1 S. 2 BGB. Der Beklagte hatte mit Schreiben vom 23.02.2018 (Bl. 21 d. A.) durch den Mieterverein Widerspruch gegen die Eigenbedarfskündigung erhoben und auf sein Alter, seine gesundheitliche Verfassung sowie fehlenden Ersatzwohnraum Bezug genommen.

Der Widerspruch ist auch innerhalb der Frist des § 574b Abs. 2 BGB erhoben worden.

bb)

Ob dem Mieter ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses zusteht, ist im Rahmen einer umfassenden Abwägung festzustellen. Dabei ist zu Grunde zu legen, dass sowohl das Recht des Eigentümers einer Wohnung, nach Belieben über diese zu verfügen, als auch das Recht des Mieters, diese weiterhin als Wohnung zu nutzen und als Zentrum der eigenen Lebensführung zu erhalten, durch Art. 14 GG geschützt sind. Beide Grundrechte beschränken einander gegenseitig und sind miteinander in Einklang zu bringen. Dazu dient einfachgesetzlich das soziale Mietrecht. § 573 BGB schützt den Mieter vor willkürlichen Kündigungen und erlaubt dem Vermieter die Beendigung des Mietverhältnisses nur, wenn er dafür vernünftige Gründe hat. Drohen dem Mieter durch die Beendigung des Mietverhältnisses besondere Nachteile, die über die typischerweise mit einer Beendigung eines Mietverhältnisses einhergehenden Unannehmlichkeiten hinausgehen, so ist dies nach §§ 574 ff. BGB zu berücksichtigen (s. KG Berlin Urteil v. 09.05.2018, Az.: 64 S 176/17).

Grundsätzlich ist dem Rückerlangungsinteresse des Eigentümers, wenn es von vernünftigen Gründen getragen ist, dabei der Vorrang vor den Interessen des Mieters einzuräumen, da das Eigentum privatnützig ist und der Eigentümer im Prinzip nach Belieben über den Eigentumsgegenstand verfügen darf. Insbesondere begibt er sich mit der Vermietung nicht endgültig der Befugnis, sein Eigentum selbst zu nutzen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.5.1999, Az.: 1 BvR 29/99). Das ebenfalls grundrechtlich geschützte Interesse des Mieters, weiterhin in der Wohnung leben zu dürfen und die Unannehmlichkeiten einer Wohnungssuche, eines Umzugs und einer Umstellung seiner Lebensgewohnheiten zu vermeiden, besitzt demgegenüber geringeres Gewicht und hat hinter dem von vernünftigen Gründen getragenen Willen des Eigentümers, die Wohnung für sich selbst oder seine Angehörigen zu nutzen, zurückzustehen.

Insoweit gilt zu berücksichtigen, dass bereits dann, wenn die Interessenabwägung nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt, eine Vertragsfortsetzung nach § 574 BGB ausscheidet (s. Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 64).

Das Amtsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorzunehmende Abwägung zwischen den Interessen der Kläger und den Interessen des Beklagten zugunsten des Beklagten ausfalle. Ihm stünden als Härtegründe sein hohes Alter, die lange Wohndauer von über 18 Jahren, die damit verbundene Verwurzelung, die finanziellen Nachteile des Umzuges, die Schwierigkeiten, Ersatzwohnraum zu finden sowie gesundheitliche Beeinträchtigungen zur Seite. Demgegenüber habe das Interesse der Kläger, die Wohnung ihren Verwandten überlassen zu wollen, zurückzustehen, zumal sie bei Erwerb der Wohnung von dem betagten Alter des Beklagten gewusst haben.

Dieses Abwägungsergebnis hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

(1)

Zunächst durfte die Schwierigkeit, angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, nicht in die Abwägung eingestellt werden. Zwar sieht § 574 Abs. 2 BGB explizit vor, dass in mangelndem Ersatzwohnraum eine besondere Härte begründet sein kann. Die Voraussetzungen lagen im konkreten Fall jedoch nicht vor. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass eine allgemeine Wohnungsmangellage in der Gemeinde nicht ausreicht, um fehlenden Ersatzwohnraum annehmen zu können (s. Blank in Schmidt/ Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 30). Das Amtsgericht durfte sich insofern nicht darauf zurückziehen festzustellen, dass die Suche nach geeignetem Ersatzwohnraum gerichtsbekannt mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sei. Vielmehr wäre es Sache des Beklagten gewesen, konkret darzulegen und zu beweisen, dass er sich um Ersatzwohnraum bemüht hat (vgl. OLG Köln WuM 2003, 465). Dazu wäre erforderlich gewesen, dass er substantiiert dazu vorträgt, was er im Einzelnen getan hat, wobei die Angabe konkreter, nachprüfbarer Tatsachen erforderlich ist (Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 37). Der Beklagte hätte daher darlegen müssen, welche Wohnungen er wann und mit welchem Ergebnis angeschaut hat und woran die Anmietung gescheitert ist. Dem ist der Beklagte nicht nachgekommen. Insbesondere hat er entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gerade nicht schlüssig dargelegt, sich nach Ersatzwohnraum erfolglos mit Hilfe seines Sohnes erkundigt zu haben; denn die Angaben des Beklagten dazu waren sehr allgemein gehalten. Er hat lediglich angeführt, er habe gemeinsam mit seinem Sohn nach einer Ersatzwohnung gesucht, dies sei jedoch an äußeren Faktoren (Alter des Beklagten, finanzielle Verhältnisse, Geschosshöhe) gescheitert. Auf den daraufhin von Klägerseite erfolgten Hinweis, es fehle an substantiiertem Vortrag zu den Härtegründen des § 574 Abs. 2 BGB, hat der Beklagte lediglich ergänzt, beim Stephanswerk könne man ihm keine Wohnung anbieten und ein Makler habe ihn gefragt, wovon er eine im Raum stehende Wohnung denn bezahlen wolle. Dies reicht nicht aus, um annehmen zu können, dass es für den Beklagten nicht möglich ist, eine andere Wohnung in B. anzumieten.

Soweit die Kläger in der Berufungsinstanz vorgetragen haben, sie hätten erstinstanzlich unwidersprochen dargelegt, sie hätten dem Beklagten verschiedene in Betracht kommende Ersatzwohnungen benannt, so kann dies nicht nachvollzogen werden. Es findet sich in den erstinstanzlichen Schriftsätzen kein Vortrag dazu, dass dem Beklagten konkrete Wohnungen benannt oder angeboten worden seien. Die Kläger hatten lediglich allgemein darauf verwiesen, dass im Internet Wohnungen im Zentrum von B. angeboten würden.

Zutreffend geht das Amtsgericht davon aus, dass der Beklagte sich der Hilfe eines Maklers bedienen könnte. Dem steht auch nicht sein monatliches Renteneinkommen von ca. 1.000,- € entgegen, zumal der Beklagte nicht mal selbst behauptet, Maklerdienstleistungen aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch nehmen zu können. Zutreffend ist zwar, dass auch die Beauftragung eines Maklers den Wohnungssuchenden nicht davon entbindet, Wohnungsbesichtigungen durchzuführen. Insoweit hatte der Sachverständige in seinem Gutachten bestätigt, dass der Beklagte dazu in der Zeit nach seinem zweiten Schlaganfall nicht in der Lage gewesen sei. Dies dürfte gleichwohl nicht für einen späteren Zeitpunkt zutreffend sein, zumal der Beklagte selbst vorgetragen hat, Kontakt zu einem Makler aufgenommen zu haben. Die Anmietung einer Wohnung sei dann an dem zu hohen Mietzins gescheitert. Nicht behauptet hat der Beklagte dagegen, die mit Wohnungsbesichtigungen verbundenen Aktivitäten nicht leisten zu können.

Die Wohnungssuche für den Beklagten stellt sich auch nicht deswegen als besondere Herausforderung dar, weil für den Betroffenen lediglich eine altersgerechte Wohnung in Betracht käme. Aktuell bewohnt der Beklagte eine Wohnung im ersten Obergeschoss ohne Aufzug. Nach dem erstinstanzlichen Vortrag geht der Beklagte selbst davon aus, auch zukünftig eine Wohnung im ersten Obergeschoss bewohnen zu können.

(2)

Soweit der Beklagte finanzielle Nachteile des Umzugs als Hinderungsgrund angeführt hat, so kann auch dieser Aspekt nicht in die Abwägung einfließen. Dies gilt trotz der lediglich geringen Rente des Beklagten von etwa 1.000 €. Zwar liegt auf der Hand, dass sich die Wohnungssuche bei geringen Einkünften schwieriger gestaltet. Darauf hatte sich auch der Beklagte berufen, als er Schwierigkeiten bei der Ersatzwohnraumsuche mit finanziellen Aspekten begründet hat. Der Vortrag des Beklagten ist jedoch auch insoweit unsubstantiiert. So hat er lediglich zu einer einzigen Wohnung vorgetragen, welche er wegen eines Mietzinses von 640,- € nicht habe anmieten können. Er hat jedoch nichts dazu gesagt, welcher Mietzins für ihn noch tragbar sei, ob er gfs. Anspruch auf Wohngeld habe und welche weiteren Wohnungen er wegen eines zu hohen Mietzinses nicht habe anmieten können (vgl. OLG Köln WuM 2003, 465).

Im Hinblick auf die beengte Finanzsituation des Beklagten ist auch zu berücksichtigen, dass dieser aktuell eine Wohnung von 96 qm bewohnt, wobei eher eine deutlich kleinere Wohnung als angemessener Wohnraum für eine Einzelperson anzusehen ist (vgl. Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 33). Im Ergebnis ist der Beklagte daher verpflichtet, auch kleinere und damit günstigere Wohnungen in die Suche miteinzubeziehen.

Dass ein Umzug immer mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, ist offensichtlich, kann aber einen Fortsetzungsanspruch nicht begründen; denn grundsätzlich sind all diejenigen Nachteile, die üblicherweise mit einem Umzug verbunden sind, nicht zu berücksichtigen. Vielmehr sind kündigungstypische Belastungen hinzunehmen (Blank in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage, § 574 Rdnr. 26).

(3)

Das hohe Alter des Beklagten (81 Jahre) und die lange Wohndauer in der streitgegenständlichen Wohnung (19 Jahre) stellen für sich genommen keine besonderen Härtegründe dar (OLG Köln WuM 2003, 465; Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Auflage, Rdnr). Soweit der Beklagte auf das Urteil des Landgerichts Berlin (Urteil v. 12.3.2019, Az.: 67 S 345/18) verweist, so hält die Kammer die darin vertretene Rechtsauffassung, nach der der Wohnungsverlust für Mieter hohen Alters grundsätzlich eine besondere Härte darstelle, nicht für zutreffend. Vielmehr lässt sich nicht verallgemeinernd festhalten, dass ein bestimmtes Alter oder eine lange Wohndauer generell zu einem Überwiegen der Interessen des Mieters führen.

(4)

Zu einer etwaigen Verwurzelung in seinem Wohnviertel hat der Beklagte behauptet, in seiner örtlichen Umgebung in besonders starkem Maße verwurzelt zu sein. Eine Einbindung in das soziale Umfeld ist allerdings nicht dargelegt. Soweit sich der Beklagte darauf berufen hat, seine Schwägerin wohne in unmittelbarer Nachbarschaft (was die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt hat), so können daraus keine weiteren Schlussfolgerungen gezogen werden; denn es ist nicht vorgetragen, welches Verhältnis der Beklagte zu seiner Schwägerin hat, welche Bedeutung der örtlichen Nähe zukommt und wie häufig überhaupt Kontakt zwischen dem Beklagten und seiner Schwägerin besteht.

Substantiiert vorgetragen ist gleichwohl, dass alle Einrichtungen wie Hausarzt, Apotheke, Sparkasse, Krankengymnastik und Einkaufsmöglichkeiten sich in unmittelbarer Nähe befinden und der Beklagte aufgrund dessen gegenwärtig in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe selbst zu versorgen. Diese Nähe und die bekannten Wege dürften für den Beklagten sicherlich von großer Bedeutung sein. Insoweit ist jedoch zum einen zu berücksichtigen, dass der Beklagte trotz seines Alters noch mobil ist. Er bewegt sich sowohl mit dem Fahrrad als auch mit dem Auto fort. Für nicht ganz kurze Strecken zu Fuß benötigt er einen Gehstock. Aus dem Sachverständigengutachten ist ersichtlich, dass die weiteren Ärzte des Beklagten – wie etwa der Urologe und der Nervenarzt – nicht in unmittelbarer Nähe angesiedelt sind. Gleichwohl ist der Beklagte in der Lage, diese eigenständig aufzusuchen. Zum anderen ist nicht hinreichend dargelegt, dass Ersatzwohnraum nicht im selben Wohnviertel oder jedenfalls in vergleichbarer Lage und Anbindung zu beschaffen ist.

(5)

Die Kammer geht davon aus, dass der Beklagte eine besondere Bindung an die Wohnung hat. Der Beklagte hatte dazu zwar nichts vorgetragen; er hatte jedoch dahingehende Ausführungen gegenüber dem Sachverständigen im Rahmen des Begutachtungsgesprächs gemacht. Danach sei die Wohnung für den Beklagten der Mittelpunkt seines Lebens, viele Erinnerungen würden hieran hängen. Der Beklagte habe dort seine verstorbene Frau bis wenige Tage vor ihrem Tod gepflegt. Die Wohnung sei mit vielen Memorabilien eingerichtet. Es ist davon auszugehen, dass sich der Beklagte diese Angaben jedenfalls hilfsweise zu eigen gemacht hat. Dies allein reicht gleichwohl nicht aus, um das Abwägungsergebnis zu Gunsten des Beklagten ausfallen zu lassen.

(6)

Von überwiegend entscheidender Bedeutung war daher im Ergebnis die gesundheitliche Verfassung des Beklagten. Insoweit hatte der Beklagte behauptet, er leide unter einer depressiven Störung mit latenter Suizidalität, die im Falle des Wohnungsverlustes zu einer akuten Suizidgefahr führen würde. Im Falle einer Räumung würde er zum Pflegefall werden und könne sich nicht mehr selbst versorgen. Die Unsicherheit über seine weiteren Lebensverhältnisse bei Verlust seiner derzeit bewohnten Wohnung würden eine besondere psychische Belastung darstellen. Erstinstanzlich ist zu diesen Behauptungen des Beklagten ein Sachverständigengutachten eingeholt worden.

Auf der Grundlage dieses Gutachtens geht die Kammer davon aus, dass weder der physische noch der psychische Zustand des Beklagten zu einer Räumungsunfähigkeit führt.

Eine Räumungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Mieter aufgrund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden und dorthin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert würden, wobei bereits die ernsthafte Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Verschlechterung die Annahme einer unzumutbaren Härte rechtfertigen kann (s. BVerfG NJW-RR 1993, 463; LG Lübeck, Urteil v. 21.11.2014, Az.: 1 S 43/14).

In physischer Hinsicht waren die Krankheiten des Beklagten weitestgehend unstreitig. Lediglich das Ausmaß der Leiden und der Einschränkungen waren seitens der Kläger bestritten worden. Insoweit hat das Sachverständigengutachten ergeben, dass der körperliche Gesundheitszustand des Beklagten nicht derart eingeschränkt ist, wie er schriftsätzlich geschildert wurde.

So hat sich herausgestellt, dass die Behauptung des Beklagten, er müsse im Zusammenhang mit seiner Krebserkrankung starke Medikamente nehmen, welche deutliche Nebenwirkungen zeigten, unzutreffend ist. Nach den Darstellungen im Gutachten hatte der Beklagte lediglich ein Krebs-Medikament eingenommen, welches er im Zeitpunkt der Begutachtung jedoch nicht mehr einnahm. Auch ansonsten resultierten nach Angaben des Sachverständigen aus der Krebserkrankung keine konkreten alltagserheblichen Funktionseinschränkungen, die einer Räumung der Wohnung entgegenstehen würden. Vielmehr beschränkten sich Maßnahmen aktuell auf Beobachtung und regelmäßige Verlaufskontrolle.

Auch die neuen – bestrittenen – Angaben des Beklagten im Schriftsatz vom 15.05.2019 zeigen nicht auf, dass die Krebserkrankung einer Räumung entgegensteht; denn trotz der Erhöhung des PSA-Wertes, als zutreffend unterstellt, soll nach eigenen Angaben des Beklagten die Entwicklung zunächst abgewartet werden.

Auch die Auswirkungen des zweiten Schlaganfalls stellen sich nach dem Sachverständigengutachten als weniger einschneidend dar. Zu der behaupteten Sprachfindungsstörung stellte der Gutachter fest, eine normale Kommunikation sei möglich. Eine erhebliche Lähmung des linken Armes liege nicht vor; vielmehr könne der linke Arm im Alltag verwendet werden. Hinsichtlich der behaupteten erheblichen Lähmung des linken Beines wies der Sachverständige darauf hin, dass auf Wohnungsebene eine Fortbewegung ohne Hilfsmittel möglich sei. Die Krankengymnastik erfolge zum Erhalt der Mobilität.

Nicht bestätigt haben sich die Angaben des Beklagten, er würde sich im Falle eines Umzuges nicht mehr ohne fremde Hilfe versorgen können und zum Pflegefall werden. Nach den Angaben des Sachverständigen würde die Eigenständigkeit des Beklagten vielmehr von der Art und Lage des Ersatzwohnraums abhängen. Zwar sei früher oder später mit einer zunehmenden Hilfsbedürftigkeit des Beklagten zu rechnen; dies hinge aber mit seinem Alter und seinen Grunderkrankungen zusammen. Der Beklagte verfüge nicht über einen Pflegegrad, habe aktuell keine Aussicht einen zu bekommen, und es sei derzeit nicht absehbar, dass der Beklagte ein Pflegefall würde. Eine Verbindung zwischen einer zukünftigen Hilfsbedürftigkeit des Beklagten und einem etwaigen Wohnungsverlust wurde seitens des Gutachters nicht hergestellt.

Soweit der Beklagte mit Schriftsatz vom 15.05.2019 – von den Klägern bestritten – von Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Zusammenhang mit einer Hüft-Operation berichtet, so geht die Kammer von einem vorübergehenden Zustand aus. So trägt der Beklagte selbst vor, „zurzeit“ stark gehbehindert zu sein und „aktuell“ an starken Schmerzen zu leiden. Diesen Vortrag als zutreffend unterstellt, kann gleichwohl nicht von einer Räumungsunfähigkeit ausgegangen werden, zumal nicht dargelegt ist, dass die aktuellen Einschränkungen dazu führten, dass der Beklagte an einem Umzug gehindert wäre.

In psychischer Hinsicht haben sich die Behauptungen des Beklagten lediglich in deutlich eingeschränktem Ausmaß bestätigt. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass der Beklagte unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit aktuell leichtgradiger Ausprägung (ICD-10: F33.0) leide. Einer Räumung stünde gleichwohl lediglich eine depressive Störung mittelgradiger bis schwerer Ausprägung entgegen, soweit durch die Räumung konkret Suizidalität zu erwarten wäre. Dies sei beim Beklagten jedoch nicht der Fall. Zwar liege eine gewisse latente Suizidalität vor, nicht jedoch eine akut relevante, auch wenn eine akute Suizidgefahr nicht hinlänglich verlässlich prognostiziert werden könne. Eine unmittelbare Gefahr bestehe derzeit nicht. Diese Gefahr könne durch eine fachgerechte und leitlinienkonforme Behandlung der Depression, welche bislang nicht erfolge, weiter abgemildert werden. Der drohende Verlust seiner Wohnung stelle zwar für den Beklagten eine zunehmende psychische Belastung dar; diese stehe jedoch auch damit in Zusammenhang, dass der Wohnungsverlust gegen den Willen und Widerstand des Beklagten erfolge. Auszuschließen sei, dass die psychische Belastung des Beklagten zu dem zweiten Schlaganfall geführt habe.

Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt hat, der weitere Verbleib am aktuellen Wohnort würde zu einer Entlastung für den Beklagten führen, so ist dies nachvollziehbar. Dies gilt jedoch für alle Fälle einer Eigenbedarfskündigung, in denen sich der Mieter gegen die Räumung wehrt.

(7)

Auf Seiten der Kläger war in die Abwägung einzustellen, dass ihrem Erlangungsinteresse ein hohes Gewicht beizumessen ist. Es liegt auf der Hand, dass eine 70 qm große Wohnung für drei erwachsene Personen nicht ausreichend Platz bietet, zumal die Beweisaufnahme ergeben hat, dass jedes zweite Wochenende der Sohn des Zeugen G. zu Besuch kommt und die Wohnung dann sogar mit vier Personen bewohnt wird. Die beengte Wohnsituation wird sich mit fortschreitender Zeit und einem Heranwachsen des Sohnes auch noch weiter verschärfen. Auch die Absicht, eine Unterstützung bei der Pflege der Mutter der Klägerin zu erhalten, ist ein schützenswertes Interesse.

Der Umstand, dass die Zeugin R. im Hinblick auf den anvisierten Umzug bereits eine neue Arbeitsstelle in B. angenommen hat, war nicht weiter zu berücksichtigen; denn – wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat – den Klägern war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass der Beklagte nicht freiwillig ausziehen würde.

Die Geltendmachung von Eigenbedarf scheitert nicht daran, dass den Klägern bereits bei Erwerb der Wohnung bekannt gewesen ist, dass der Beklagte in dem Objekt wohnhaft ist. Insoweit ist zutreffend, dass die Kläger wissen mussten, dass aufgrund des bereits fortgeschrittenen Alters des Beklagten einer Räumung wegen Eigenbedarfs gegebenenfalls Härtegründe entgegenstehen könnten. Gleichwohl ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Kläger die Wohnung gerade mit der Absicht, diese für sich bzw. für ihre Verwandten nutzen zu wollen, erworben haben. Dies kann auch nicht allein aufgrund der zeitlichen Abfolge angenommen werden (Erwerb der Wohnung im Frühjahr 2015, Kündigung im Herbst 2016). Zwar lagen zwischen Erwerb der Wohnung und der ersten ausgesprochenen Kündigung lediglich 1,5 Jahre. Nach der Aussage der Zeugen R. war jedoch erst im Jahr 2016 zwischen ihnen und den Klägern ein Umzug in die Wohnung des Beklagten thematisiert worden.

(8)

Insgesamt ist im Rahmen der Abwägung zwischen den berechtigen Erlangungsinteressen der Kläger gegenüber dem Interesse des Beklagten, die von ihm bewohnte Wohnung zu behalten, den Interessen der Kläger das höhere Gewicht beizumessen.

2.)

Auf die Frage, ob auch die von den Klägern persönlich ausgesprochene Kündigung vom 06.11.2016 das Mietverhältnis beenden konnte, kam es im Ergebnis nicht mehr an.

3.)

Dem Beklagten war gem. § 721 Abs. 1 ZPO auf seinen Antrag hin eine Räumungsfrist von gut drei Monaten zu bewilligen.

Die Bewilligung einer Räumungsfrist und die Bestimmung ihrer Dauer steht im Ermessen des Gerichts. Dabei sind die Interessen beider Parteien gegeneinander abzuwägen (Stöber in Zöller, ZPO, 31. Auflage, § 721 Rdnr. 6). Danach ist es im konkreten Fall angemessen, dem Beklagten eine Räumungsfrist von drei Monaten zu gewähren. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass der Beklagte im Hinblick auf die Klagabweisung in erster Instanz zunächst davon ausgehen durfte, die Wohnung nicht räumen zu müssen. Er war daher zu diesem Zeitpunkt nicht verpflichtet, nach geeignetem anderen Wohnraum zu suchen. Erst nach den in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweisen der Kammer wusste der Beklagte, dass er sich auf die Suche nach Ersatzwohnraum begeben muss. Ihm war dafür eine angemessene Frist zuzubilligen. Auf Seiten der Kläger war zu berücksichtigen, dass seit der Kündigung nahezu zwei Jahre vergangen sind und sie ein berechtigtes Interesse daran haben, nun zeitnah Zugriff auf ihre Wohnung zu erhalten. Da jedoch auch die derzeit von der Schwester des Klägers bewohnte Wohnung gekündigt werden muss – wie der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung bestätigte -, dürfte eine gut dreimonatige Räumungsfrist die Kläger nicht über Gebühr belasten.

4.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

5.)

Die Revision war nicht zuzulassen. Ein Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO ist nicht gegeben. Weder hat der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die aufgeworfenen Kernfragen sind höchstrichterlich geklärt. Erst mit Urteil vom 22.05.2019 (Az.: VIII ZR 180/18) hat der Bundesgerichtshof über einen vergleichbaren Fall entschieden. Auch wenn das Urteil mit seinen Gründen noch nicht vorliegt, lässt sich der vom BGH herausgegebenen Pressemitteilung entnehmen, dass die Entscheidung die auch hier relevanten Fragen, namentlich die Auslegung und Reichweite des § 574 BGB und die damit zusammenhängenden Aufklärungspflichten des Gerichts, behandelt.

 

 

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