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Eigenbedarfskündigung unwirksam wenn die beabsichtigte Nutzungszeit nur kurz sein soll

AG Tempelhof-Kreuzberg, Az.: 23 C 258/15, Urteil vom 29.12.2016

In dem Rechtsstreit hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, Zivilprozessabteilung 23, auf die mündliche Verhandlung vom 08.12.2016 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand:

Eigenbedarfskündigung unwirksam wenn die beabsichtigte Nutzungszeit nur kurz sein soll
Foto: vladek/Bigstock

Die Parteien streiten um die Räumung der vom Kläger an die Beklagte vermieteten Wohnung.

Die Beklagte zu 1. ist Mieterin einer Wohnung im ……….mit einer Größe von ca. 120 m² aufgrund Mietvertrages vom 8.9.1976. Der Beklagte zu 2. ist ihr Ehemann und wohnt ebenfalls in der Wohnung. Die Miete beträgt monatlich 610,51 Euro bruttokalt zuzüglich Vorauszahlungen auf die Heizkosten.

Der Kläger ist Eigentümer und als solcher Rechtsnachfolger des früheren Vermieters.

(Für die Einzelheiten wird auf den Mietvertrag, Bl. I 16 ff und den Grundriss Bl. 1123 d. A. verwiesen.).

Der Kläger ist 63 Jahre alt und wohnt in Schwerin, Landkreis Dahme Spreewald. Eine Tochter des Klägers, studiert in Berlin und wohnt im …………Mit Schreiben vom 27.1.2015 kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs mit Wirkung zum 31.10.2015, hilfsweise zum nächst möglichen Zeitpunkt. Zur Begründung verwies er auf die Notwendigkeit, als Eigentümer und Vermieter regelmäßig im Haus nach dem Rechten zu sehen und führte aus, dass die Objektverwaltung sein persönliches Erscheinen in regelmäßigen kurzen Abständen von ein bis zweimal pro Woche dringend erforderlich mache. Die Anfahrt aus Schwerin sei für ihn jeweils mit langen Anfahrt – und Rückfahrtzeiten verbunden. Zudem sei es erforderlich, dass er sich noch häufiger als in der Vergangenheit in Berlin aufhalte, um seine im Hause Nummer wohnende Tochter zu treffen. Schließlich widersprach er der stillschweigenden Verlängerung des Mietverhältnisses und wies auf die Möglichkeit des Kündigungswiderspruchs hin (Für die Einzelheiten wird auf die Kopie des Kündigungsschreibens, Bl. 20 ff d.A. verwiesen).

Mit Schreiben vom 23.6.2015 bot der Kläger der Beklagten zu 1. eine zum 30.9.2015 freiwerdende Wohnung im Hause im Dachgeschoss rechts als Ersatzwohnraum an. Die Wohnung mit einer Fläche von 90,27 m² sollte zu einer Nettomiete von 680,- Euro monatlich zuzüglich Vorauszahlungen für Heizung und Betriebskosten in Höhe von 210 Euro monatlich vermietet werden. (Für die Einzelheiten wird auf die Kopie des Schreibens, Bl. 24 d.A. verwiesen).

Unter dem 14.8.2015 meldete sich für die Beklagte zu 1. deren Prozessbevollmächtigter, wies darauf hin, dass die Kündigung frühestens zum 31. 1. 2016 möglich sei und widersprach der Kündigung unter Berufung auf eine nicht gerechtfertigte Härte für seine Mandanten. Hierbei verwies er ferner auf gesundheitliche Belastungen der Beklagten und die begrenzten finanziellen Mittel. (Für die Einzelheiten wird auf die Kopie des Schreibens, Bl. 26 f d.A. verwiesen).

Mit weiterem Schreiben vom 15.9.2015 bot der Kläger der Beklagten zu 1. eine zum 30.11.2015 freiwerdende 2,5 – Zimmer – Wohnung im Seitenflügel 1. OG links des als Ersatzwohnraum an. Die Wohnung mit einer Fläche von 79,28 m² sollte zu einer Nettomiete von 750,- Euro monatlich zuzüglich Vorauszahlungen für Heizung und Betriebskosten in Höhe von 200,- Euro monatlich vermietet werden. (Für die Einzelheiten wird auf die Kopie des Schreibens, Bl. 24 und den Grundriss, Bl. I 122 d.A. verwiesen).

Der Kläger behauptet, er bzw. seine Kinder seien neben seiner Eigentümerschaft am Streitobjekt Eigentümer zweier weiterer Objekte in Berlin-Steglitz und eines Mehrfamilienhauses in Lichterfelde, welche er – wie das Objekt in der ### straße – in echter Eigenverwaltung persönlich betreue und verwalte. Hierzu sei seine Anwesenheit mindestens ein bis zweimal pro Woche regelmäßig erforderlich. Mit seiner Tochter verbinde ihn ein sehr herzliches und inniges Verhältnis. Bisher habe er nach Treffen mit der Tochter gelegentlich bei ihr und häufig im Hotel übernachtet, welche Kosten und Mühen er sich künftig ersparen wolle. Die Anreise von seinem Wohnort in Schwerin dauere bei einer Fahrtstrecke von ca. 55 km mit dem Auto über eine Stunde pro Strecke, mit örtlichen Verkehrsmitteln sogar zwei Stunden. Die Wohnung der Beklagten sei für seine Zwecke ideal, weil er in einem Raum sämtliche Verwaltungsunterlagen seiner Objekte archivieren und von dort aus seine Verwaltungstätigkeiten durchführen könne. Daneben stünden ihm ein Zimmer als Wohn -, Ess – und Besprechungsraum zur Verfügung sowie ein weiteres Zimmer als Schlafzimmer und neben dem Badezimmer ein separates Gäste- WC. Die Alternativwohnung im Seitenflügel 1. OG biete demgegenüber keinen ausreichenden Platz, weder könne ein Wohn/Essbereich noch ein Besprechungsraum oder Gäste WC eingerichtet werden. Die Alternativwohnung im Dachgeschoss sei für ihn bei vorgerücktem Alter zu beschwerlich zu erreichen.

Er beantragt, die Beklagten zu verurteilen, die Wohnung im …………..spätestens nach dem 31.1.2016 zu räumen und geräumt an ihn herauszugeben, sowie die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen, bzw. hilfsweise Räumungsschutz zu gewähren.

Sie behaupten, die Sanierung – und Modernisierungsmaßnahmen im Objekt seien abgeschlossen, sodass die Anwesenheit des Klägers weniger als zuvor erforderlich sei. Die Reise zwischen dem Wohnort des Klägers und der Urbanstraße dauere bei einer Entfernung von 46 km allenfalls 40-60 Minuten. Der Nutzungswunsch des Klägers sei missbräuchlich, da er seinen Bedarf in den angebotenen Ersatzwohnungen hätte befriedigen können. Den Beklagten seien die Ersatzwohnungen nicht zu einem angemessenen Preis angeboten worden. Zur Begründung des Kündigungswiderspruches verweisen die Beklagten auf das bereits seit 37 Jahren bestehende Mietverhältnis, während dessen sie die Wohnung altersgemäß eingerichtet hätten. Insgesamt seien Mobiliar und Einbauten im Gegenwert von etwa 17.000,- Euro investiert worden. Die Beklagte beziehe nur eine Regelaltersrente von 871,19 Euro, was zusammen mit den Rentenerlösen des Ehemannes von voraussichtlich 1200,- bis 1400,- Euro gerade noch den Aufwand der streitgegenständlichen Wohnung, aber weder einen Umzug noch die sonst aufzubringende Miete decken könne. Die Beklagte sei seit Erhalt der Kündigung schwerwiegend beeinträchtigt, leide seit einiger Zeit an einer Angststörung, Depression, einem arteriellen Hypertonus und Wirbelsäulensyndrom.

Das Gericht hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen. (Für die Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 18.2.2016, Bl. 1161 f d. A. und 21.4. 2016, Bl. I 212 ff d. A. verwiesen). Ferner hat das Gericht Beweis erhoben über den Gesundheitszustand der Beklagten zu 1. durch schriftliches und mündlich erläutertes Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Professor Dr. med.. (Für die Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten, Bl. II 35 ff d. A. und das Sitzungsprotokoll vom 8.12.2016, Bl. II 149 ff d. A. verwiesen.)

Entscheidungsgründe:

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Anspruch aus § 546 Abs. 1 BGB auf Rückgabe und Räumung der Wohnung zu. Denn seine Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB greift nicht durch.

A.

Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er die Wohnung der Beklagten im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB benötigt.

Bei dem vom Gesetz in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit diesem Kriterium umschriebenen Eigenbedarf handelt es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetzt, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, die Wohnung für sich selbst bzw. Angehörige seiner Familie zu nutzen. Dabei reichen Wunsch und Wille allein, die Wohnung für sich oder andere berechtigte Personen zu nutzen, nicht aus; hinzutreten muss ein Nutzungsinteresse von hinreichendem Gewicht und ein nicht übermäßiger Bedarf (vgl. BGH Rechtsentscheid in Mietsachen v. 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87; BVerfG Kammerbeschluss v. 19.07.1993 – 1 BvR 501/93 Rn. 13)

Das Erlangungsinteresse des Klägers an der streitgegenständlichen Wohnung überwiegt das Nutzungsinteresse der Beklagten in Ansehung dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht.

1. Grundsätzlich hat der Vermieter das Recht, in seinem Eigentum zu wohnen und es genügt, wenn er vernünftige, nachvollziehbare Gründe anführt und der geltend gemachte Eigenbedarf nicht objektiv unsinnig oder missbräuchlich ist. (BGHZ 103, 91; BVerfGE 79, 292) Privilegiert ist allerdings schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nur die Wohnnutzung; berufliche Nutzungsabsicht kann eine Kündigung gemäß § 573 Abs.1 S. 1 BGB rechtfertigen, steht der Wohnnutzung aber nicht gleich (MüKo-Häublein, 7. Aufl. 2016, Rz 68 zu § 573 BGB).

a) Zwar hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass ein Eigenbedarf auch durch teilgewerbliche Nutzung begründet werden kann, doch muss die Abwägung der gegensätzlichen Interessen mit Blick auf die Bedeutung der jeweiligen Nutzung vorgenommen werden. Bedeutung und Tragweite des aus Art. 14 GG abgeleiteten Mieterschutzes erfordern eine intensive Abwägung im Rahmen von § 573 Abs. 1 S. 1 (MüKo – Häublein a.a.O. Rn. 10). Die Aussage in einer älteren Entscheidung des BVerfG, dem Nutzungsinteresse des Vermieters komme im Konflikt mit dem des Mieters die „stärkere Durchsetzungsfähigkeit“ zu, weil ersterem die Wohnung als Eigentum zugeordnet sei (BVerfGE 81, 29, 33) bezieht sich auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Eine verallgemeinernde Erstreckung auf andere Nutzungswünsche des Eigentümers oder seiner Angehörigen, z.B. geschäftlicher Art, verkennt Bedeutung und Tragweite des vom BVerfG später anerkannten grundrechtlichen Schutz des Besitzes des Wohnraummieters (MüKo – Häublein a.a.O. Rz 9).

Hierbei verweisen die Beklagten zutreffend darauf, dass ihr Besitz an der Wohnung den Mittelpunkt ihrer privaten Existenz darstellt, welche Position dem Schutz von Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz unterliegt (BGH 4.11.2015, VIII ZR 217/15), während die ebenfalls grundgesetzlich geschützte Berufsfreiheit des Klägers durch seine mit der Klage verfolgten Interessen nur in ihrem Randbereich berührt ist.

Vor diesem Hintergrund ist das Verständnis der Rechtsmissbrauchsklausel zu suchen, nach welcher die Inanspruchnahme einer anderen Wohnung für den Vermieter zumutbar ist, wenn er seinen Bedarf ohne wesentliche Abstriche dort decken kann.

b) Nach der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger seinen Bedarf im Blick auf die beiderseits nach § 573 Abs. 2 Nr.2 BGB abzuwägenden Interessen ohne wesentliche Abstriche in der zwischenzeitlich freigewordenen Wohnung im 1. OG des Seitenflügels decken konnte. Auch diese Wohnung eignete sich zu Besuchen ein bis zweimal die Woche und zur Aufbewahrung der kompletten Buchführung des Klägers. Dies gilt auch, wenn es sich um 7-8 Aktenmeter handelt. Auch solche Aktenmengen konnten in dem 7,14 m langen und 4,69 m breiten „Berliner Zimmer“ – Raum 2 – der Alternativwohnung aufgestellt werden. Hier wäre bei vollständiger Möblierung mit Regalen sogar noch erheblicher Raum für neu anfallende Ablage.

Das Gericht hat nach der Beweisaufnahme durch die Zeugen sowie aufgrund der eigenen Angaben des Klägers keine Zweifel an seinen Tätigkeiten in der Verwaltung der Häuser. Doch konnten in der Alternativwohnung im Raum 1 ein Besprechungs- und im Raum 3 ein Schlafzimmer eingerichtet werden, alles neben dem Akten- und Arbeitszimmer im Raum 2. Bei Bedarf war auch neben dem vorhandenen Bad die Abteilung eines separaten Gäste-WC an der zum Bad gelegenen Seite des Zimmers 1 oder im Vorraum des vorhanden Bades möglich.

c) Danach kommt es nicht darauf an, dass der Kläger nachvollziehbar dargelegt hat, angesichts seines vorgerückten Alters nicht von der gleichfalls zwischenzeitlich frei gewordenen Wohnung im DG Gebrauch machen zu wollen.

2. Das Gericht hat nach der Aussage der Zeugin ### und den eigenen Angaben des Klägers keine Zweifel, dass er regelmäßige und gute Kontakte zu seiner Tochter pflegt. Die private Nutzung für den Kontakt mit seiner Tochter konnte der Kläger jedoch ohne jeden Abstrich in der Alternativwohnung vornehmen. Denn hier ging es vornehmlich um eine Schlafmöglichkeit in Berlin, die den im fortgeschrittenen Alter des Klägers zunehmend beschwerlichen Weg nach und von Schwerin entbehrlich macht.

a) Eine günstigere Verbindung zum Arbeitsplatz kann für die Kündigung grundsätzlich ausreichen (Schmidt-Futterer/Blank, 12. Aufl. 2015, Rz. 101 zu § 573 BGB). Der hiesige Fall liegt in Ansehung der uneinheitlichen Judikatur im Bereich des gerade noch ausreichenden Nutzungswunsches: Das LG Stuttgart bejaht ein Nutzungsinteresse, wenn der Vermieter bisher 4 km mit der Straßenbahn fahren musste, während die gekündigte Wohnung 400 m vom Arbeitsplatz entfernt liegt (WuM 1991, 106). Das LG Hamburg verneint ein ausreichendes Nutzungsinteresse, wenn der Vermieter an seinem Arbeitsplatz eine Zweitwohnung einrichten will und der bisherige Wohnsitz 37 km entfernt liegt und in 30 Minuten mit dem Zug oder dem Auto zu erreichen ist (ZMR 1992, 503), das LG Regensburg verneint, wenn die Wohnung des Vermieters 20 Autobahnkilometer vom Arbeitsplatz entfernt liegt und die vermietete Wohnung lediglich gelegentlich zu Übernachtungen benutzt werden soll (WuM 1992, 192). Vorliegend ist dem Gericht aus eigener Sachkunde bekannt, dass der Weg aus der Berliner Innenstadt nach Schwerin mit dem PkW im Regelfall in weniger als 1 Stunde Fahrzeit zurückgelegt werden kann, auf die Verbindung mit öffentlichem Personennahverkehr hatte sich der Kläger nicht bezogen. Die Einsparung dieser Verkehrszeit ist jedenfalls für sich genommen noch kein unbeachtlicher Nutzungsgrund.

b) Anerkannt ist, dass ein Rechtsmissbrauch anzunehmen ist, wenn die intendierte Nutzungszeit so kurz ist, dass sie typischerweise durch andere Unterkünfte (Hotel, Pension) angemessen abgedeckt werden kann. Dieselbe Lage ist gegeben, wenn nicht insgesamt nur eine kurze Nutzungsdauer beabsichtigt ist, sondern sporadische Nutzung über längere Zeit. Denn auch hier lässt sich der Bedarf auf zumutbare Weise anderweitig befriedigen. Der Wunsch, das Eigentum zu nutzen, ist nicht per se prioritär; denn durch die Norm wird nicht vorgegeben, dass der Mieter weichen muss, weil der Vermieter die Wohnung gelegentlich benutzen möchte (Häublein a.a.O.; LG Berlin NJW-RR 1997, 74).

Die beabsichtigte Nutzung durch Besuche bei der Tochter war auch in der Alternativwohnung möglich – es muss daher nicht darauf eingegangen werden, ob der vorgetragenen Nutzungswunsch ein ausreichendes Gewicht besaß und ob insbesondere die vom Kläger hierzu angeführte Entscheidung des LG Berlin (GE 2013, 1517) Zustimmung verdient.

c) Auf Seiten der Beklagten fällt in die Wagschale, dass die Wohnung den Mittelpunkt ihrer sozialen Existenz darstellt und dies seit 37 Jahren. Nicht zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sind die vorgetragenen Einbauten in der Wohnungen, deren Restwert die Beklagten nicht plausibel darzustellen vermochten.

d) Dem Kläger war es vor allem deshalb zuzumuten, seinen Nutzungswunsch in der Alternativwohnung im Seitenflügel zu befriedigen, weil die vitalen Interessen der Beklagten zu 1. durch einen Umzug angesichts ihrer gesundheitlichen Lage besonders gefährdet wären.

Der Sachverständige ### hat für das Gericht einleuchtend dargelegt, dass die Beklagte zu 1. wegen ihrer akuten schweren unipolaren Depression aus medizinischer Sicht nicht umzugsfähig ist. Wegen dem chronisch rezidivierenden Verlauf sei das Risiko einer gravierenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beklagten im Falle eines erzwungenen Umzuges nicht kalkulierbar. Der Sachverständige hat nachvollziehbar deutlich gemacht, dass eine Prozentangabe über die Wahrscheinlichkeit des Suizids im Falle eines erzwungenen Umzuges seriös nicht vertretbar ist, vielmehr gerade wegen des Charakters der rezidivierenden Depression in der mangelnden Kalkulierbarkeit das relevante Risiko liege. Die Darlegungen des Sachverständigen, welcher neben seiner Lehrtätigkeit über praktische berufliche Erfahrung im Krisendienst und in der Psychiatrie verfügt, waren für den erkennenden Richter, welcher ebenfalls über mehrjährige Erfahrungen als Vormundschaft – und Betreuungsrichter verfügt, einleuchtend und plausibel. Insbesondere war nachvollziehbar, dass es Depressionspatienten gerade nicht gelingt, ihre Pläne auf ihre Belastbarkeit abzustimmen und dass auch eine geringfügige Ortsveränderung – wie etwa ein Umzug im gleichen Haus – ebenso wenig in ihren Auswirkungen kalkulierbar ist, wie eine weiträumige Ortsveränderung.

Auf der gleichen Linie lag die Einschätzung der behandelnden Hausärztin der Beklagten zu 1., welche die diversen Erkrankungen der Beklagten als über das Alterstypische weit hinausgehend geschildert hatte. Auch sie führte aus, dass sie nicht einschätzen könne was mit der Patientin bei einem Wohnungswechsel passiere.

Gerade vor dem Hintergrund der zu den psychischen Belastungen hinzutretenden physischen Probleme der Beklagten zu 1. kann das Risiko eines Zwangsumzuges durch gerichtliche Entscheidung nicht übernommen werden.

B.

Daneben können die Beklagten vom Kläger die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, weil die Beendigung für die Beklagte zu 1. eine Härte bedeutet, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Klägers nicht zu rechtfertigen ist (§ 574 Abs. 1 BGB).

1. Die Beklagten haben den Widerspruch nach § 574 BGB schriftlich und unter Einhaltung der Frist des § 574 b Abs. 2 BGB erklärt. Das Anwaltsschreiben vom 14.8.2015 ging dem Kläger mehr als zwei Monate vor Ablauf der von ihm bis 31.10.2015 angenommenen Beendigungsfrist zu. Der Widerspruch wurde begründet.

2. Die Beklagte zu 1. ist wegen Krankheit an der Räumung gehindert.

Auch Krankheit stellt einen Härtegrund dar. Dies gilt sowohl für körperliche als auch für geistige oder seelische Erkrankungen. Wie im Falle des alten Mieters liegt auch hier ein Fall der Räumungsunfähigkeit vor, wenn der Mieter auf Grund seines körperlichen oder geistigen Zustands nicht in der Lage ist, eine Ersatzwohnung zu finden und dorthin umzuziehen oder wenn der Gesundheitszustand oder die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtert würden (Blank a.a.O., Rz. 47 zu § 574 BGB).Für die Darlegungen des Sachverständigen und der Hausärztin der Beklagten wird auf oben A 2 d) verwiesen.

3. Nach den Feststellungen des Sachverständigen kann zum Widerspruchsgrund nach § 574 BGB in 2 Jahren eine Überprüfung stattfinden, ob sich die gesundheitliche Lage der Beklagten zu 1. soweit stabilisiert hat, dass der Härtegrund weggefallen ist. Der Sachverständige hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die zusätzliche gesundheitliche Belastung durch die akute Nierenoperation und deren Folgen in seiner Expertise keinen Eingang gefunden hat und die Belastung nicht abschätzbar ist.

Aus diesem Grund wäre derzeit der Ausspruch einer zeitlichen Schranke für die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch bei einem Fortsetzungsspruch nicht möglich (§ 574 a Abs. 2 BGB).

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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