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Eigenbedarfskündigung – Verletzung der Anbietpflicht des Vermieters

LG Berlin – Az.: 67 S 323/16 – Urteil vom 01.12.2016

Die Berufung des Beklagten gegen das am 11. August 2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 27 C 12/16 – wird auf seine Kosten nach einem Wert von bis 4.000,00 € zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Den Klägern steht der vom Amtsgericht zuerkannte Räumungs- und Herausgabeanspruch gegenüber dem Beklagten gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB zu, da das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis über die im Seitenflügel gelegene Wohnung des Beklagten durch die Kündigung vom 31. März 2015 mit Ablauf des 31. Dezember 2015 seine Beendigung gefunden hat.

Die von den Klägern ausgesprochene Eigenbedarfskündigung entspricht den gesetzlichen Formvorgaben; aus den Gründen des angefochtenen Urteils, auf die die Kammer Bezug nimmt und denen nichts hinzuzufügen ist, stand den Klägern auch ein Kündigungsgrund gemäß §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB zur Seite, da sie die an den Beklagten vermietete Wohnung für ihren Sohn benötigen.

Die Kündigung ist auch nicht wegen eines den Klägern zur Last zu legenden Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben unwirksam.

Die Kläger haben nicht treuwidrig gehandelt, indem sie das mit dem Beklagten bestehende Mietverhältnis gekündigt haben, obwohl vor Ablauf der Kündigungsfrist eine weitere in ihrem Eigentum stehende Wohnung im Vorderhaus frei stand. Ein Vermieter handelt treuwidrig, wenn ihm eine vergleichbare andere Wohnung zur Verfügung steht, in der er den geltend gemachten Wohnbedarf ohne wesentliche Abstriche befriedigen kann (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 23. August 2016 – VIII ZR 178/15, NZM 2016, 715 Tz. 17). An diesen Ausnahmevoraussetzungen fehlte es. Zwar stand ab dem 1. Mai 2015 im Vorderhaus des Anwesens eine 75 qm große Wohnung frei, in der die Kläger den Wohnbedarf ihres Sohnes ohne Weiteres hätte decken können, ohne Rückgriff auf die vom Beklagten innegehaltene Wohnung nehmen zu müssen. Die Wohnung im Vorderhaus indes war mit der streitgegenständlichen Wohnung nicht im vorgenannten Sinne vergleichbar, da sie eine 20 qm größere Fläche als die von dem Beklagten innegehaltene Wohnung aufweist und die Entscheidung der Kläger, den Platzbedarf ihres Sohnes zu beschränken und diesen in der kleineren anstatt einer flächenmäßig größeren und ebenfalls in ihrem Eigentum stehenden Wohnung zu decken, zu respektieren ist (vgl. BGH, a.a.O.).

Den Klägern fällt insoweit auch kein Verstoß gegen ihre Anbietpflicht zu Last. Sie haben dem Beklagten die Alternativwohnung bereits in der Kündigungserklärung zu einem Gesamtmietzins von 910,00 EUR angeboten. Ob die verlangte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete überstieg, ist unerheblich, da die Kläger mit ihrem Angebot weder gegen ein Verbotsgesetz verstoßen noch den Wuchertatbestand erfüllt haben (vgl. Kammer, Beschl. v. 7. August 2014 – 67 S 280/14, ZMR 2015, 123, juris Tz. 7). Soweit der Beklagte erstinstanzlich behauptet hat, die verlangte Miete verstoße gegen die Preisvorgaben des § 556d Abs. 1 BGB, konnte die Verfassungsmäßigkeit der Norm ebenso dahinstehen wie die Frage, ob die Kläger, die im Moment des Ausspruchs der Kündigung und der Anbietung der Alternativwohnung am 31. März 2015 den zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getretenen § 556d Abs. 1 BGB nicht zu berücksichtigen hatten, zumindest nach dessen Inkrafttreten zur Abgabe eines den Preisvorgaben des § 556d Abs. 1 BGB entsprechenden neuerlichen Angebotes verpflichtet gewesen wären. Denn die verlangte Miete hat zu keinem Zeitpunkt gegen § 556d Abs. 1 BGB verstoßen, da die Alternativwohnung zuvor umfassend saniert wurde und deshalb dem Ausnahmetatbestand des § 556f Satz 2 BGB unterfiel. Zwar hat der Beklagte den von den Klägern behaupteten Umfang der Modernisierung bestritten. Da ihm jedoch für die Voraussetzungen des § 242 BGB – und damit auch für den Verstoß der Kläger gegen ihre Anbietpflicht – die Darlegungs- und Beweislast oblag (vgl. BGH, Urt. v. 30. März 2006 – VII ZR 44/05, NJW 2006, 2555 Tz. 26; Rolfs, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2014, § 573 Rz. 112), ging sein einfaches Bestreiten ohne nähere Darlegungen zur tatsächlichen Ausstattung der Wohnung und mangels Beweisantritts ins Leere.

Der Wirksamkeit der Kündigung steht es auch nicht entgegen, dass die Kläger den geltend gemachten Eigenbedarf nicht über die zum 28. Februar 2016 von einer Nachbarmieterin gekündigte weitere Alternativwohnung im Seitenflügel gedeckt oder diese dem Beklagten zumindest angeboten haben.

Insoweit konnte dahinstehen, ob dem Vermieter der Ausspruch einer Eigenbedarfskündigung gemäß § 242 BGB auch dann verwehrt sein kann, wenn er bei Ausspruch der Kündigung oder zumindest vor Ablauf der Kündigungsfrist bereits absehen kann, dass für die Deckung des geltend gemachten Eigenbedarfs in Frage kommender Alternativwohnraum unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist frei wird (vgl. Milger, NZM 2014, 769, 776 oben (zur Aufweichung starrer zeitlicher Grenzen im Rahmen der Anbietpflicht)). Zwar konnten die Kläger bei Ausspruch der Kündigung nicht davon ausgehen, dass die weitere Alternativwohnung bereits zum 28. Februar 2016 frei werden würde. Da der mit der Nachbarmieterin geschlossene Mietvertrag aber von vornherein nur bis zum 30. April 2016 befristet war, lag es bereits bei Ausspruch der Kündigung nahe, dass sie die Wohnung nur wenige Monate nach Ablauf der für den Beklagten maßgeblichen Kündigungsfrist am 31. Dezember 2015 räumen würde; diese Erkenntnis musste sich erst recht am 30. November 2015 – und damit noch vor Ablauf der für den Beklagten maßgeblichen Kündigungsfrist – aufdrängen, nachdem die Nachbarmieterin vorfristig die Kündigung ihres befristeten Mietverhältnisses zum 28. Februar 2016 erklärt hatte. Gleichwohl waren die Kläger nicht verpflichtet, ihren Eigenbedarf über die voraussichtlich frei werdende – und später tatsächlich frei gewordene – Alternativwohnung zu decken. Denn der geltend gemachte Wohnbedarf wäre in der Alternativwohnung nur mit wesentlichen Abstrichen zu verwirklichen gewesen, da es sich bei dieser anders als bei der vom Beklagten bewohnten Wohnung nicht um eine mehrgeschossige Etagenwohnung, sondern um eine eingeschossige Erdgeschosswohnung mit einem vergleichsweise geringeren Wohnwert handelte, da die Alternativwohnung durch ihre Lage nicht nur einem erhöhten Einbruchsrisiko ausgesetzt, sondern auch schlechter belichtet und besonnt ist als die vom Beklagten innegehaltene Wohnung.

Ob die Kläger im Lichte von Treu und Glauben zumindest verpflichtet gewesen wären, dem Beklagten die vorgenannte Wohnung als Alternativwohnung anzubieten, bedurfte keiner abschließenden Entscheidung. Eine Anbietpflicht besteht nämlich zumindest dann nicht, wenn eine Vergleichbarkeit der Wohnung mit der gekündigten Wohnung von vornherein ausscheidet (vgl. BGH, Urt. v. 13. Oktober 2010 – VIII ZR 78/10, NJW 2010, 3775 Tz. 15). Dem ist der Fall gleichzustellen, in dem der Mieter die Wohnung im Falle ihrer Anbietung ohnehin nicht angemietet hätte (vgl. Kammer, Urt. v. 16. April 2015 – 67 S 14/15, MDR 2015, 582, juris Tz. 17 (offen)). Das Berufen des Mieters auf eine Verletzung der – im Tatbestand der § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB ohnehin nicht normierten – Anbietpflicht würde sich in einem solchen Fall seinerseits als treuwidrig erweisen, da ihm kein schutzwürdiges Eigeninteresse zu Grunde läge. Denn die Rechtsausübung ist – auch ohne dass die Voraussetzungen des § 226 BGB vorliegen – rechtsmissbräuchlich, wenn sie beachtliche Interessen eines anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt (vgl. BGH, Urt. v. 3. März 2004 – VIII ZR 124/03, NJW 2004, 1797 Tz. 14; Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, ZMR 2016, 695, juris Tz. 5, jeweils m.w.N.). So aber läge der Fall hier, wenn den Klägern die Nutzung der in ihrem Eigentum stehenden streitgegenständlichen Wohnung zur Deckung ihres – zudem unstreitigen – Eigenbedarfs dauerhaft verwehrt wäre, nur weil sie dem Beklagten eine weitere Wohnung nicht angeboten hätten, die dieser ohnehin nicht angemietet hätte. Welche Partei in diesem Zusammenhang die Darlegungs- und Beweislast für den Anmietwillen des Mieters während der den Vermieter treffenden Anbietpflicht trifft, konnte dahinstehen. Denn es steht zur zweifelsfreien Überzeugung der Kammer bereits prima facie fest, dass der Beklagte die Erdgeschosswohnung im Seitenflügel auch im Falle ihrer pflichtgemäßen Anbietung nicht angemietet hätte, nachdem er die im Kündigungsschreiben angebotene weitere Alternativwohnung im Vorderhaus nicht angemietet und sich auch zur Anmietung der nunmehr im Verlaufe des zweiten Rechtszugs angebotenen – und weiter frei stehenden – Erdgeschosswohnung im Seitenflügel selbst zu dem von den Klägern in Aussicht gestellten Nettokaltmietzins von 526,76 EUR nicht in der Lage gesehen hat.

Die Entscheidung über die Kosten und die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 97 Abs. 1 ZPO, 47 Abs. 1, 48 Abs. 1, 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 712 Abs. 1, 713, 714 Abs. 2 ZPO. Dem Antrag auf Vollstreckungsschutz war gemäß § 713 ZPO nicht zu entsprechen, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil mangels Zulassung der Revision oder der für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Mindestbeschwer unzweifelhaft nicht gegeben ist; davon abgesehen fehlte es auch an der Glaubhaftmachung des Antrags gemäß § 714 Abs. 2 ZPO. Eine weitere Räumungsfrist war dem Beklagten gemäß § 721 Abs. 1 ZPO aus den Gründen des seinen Räumungsfristverlängerungsantrag betreffenden Beschlusses vom heutigen Tage, auf den die Kammer Bezug nimmt und dem nichts hinzuzufügen ist, nicht zu gewähren. Auch die Zulassung der Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht veranlasst. Die Zurückweisung der Berufung beruht auf einer Verneinung der Voraussetzungen des § 242 BGB, deren Voraussetzungen vom BGH geklärt und die davon abgesehen ohnehin nur eingeschränkt revisibel sind (vgl. BGH, Besch. v. 6. Oktober 2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225 Tz. 6, 7). Von dieser Rechtsprechung ist die Kammer nicht abgewichen, so dass weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die grundsätzliche Bedeutung der Sache eine Zulassung der Revision erforderten.

 

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