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Eigenbedarfskündigung – Widerspruch eines betagten Mieters

AG München – Az.: 433 C 19586/17 – Urteil vom 26.07.2018

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung Nr. 1 im Haus …, … München, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Bad und Diele zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

2. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.01.2019 gewährt.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.000,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 8.195,40 € festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in der … in … München, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Bad und Diele, die die Beklagte mit Mietvertrag vom 30.03.1990 mit Mietbeginn zum 01.05.1990 zunächst befristet bis zum 31.04.1995 vom ursprünglichen Eigentümer angemietet hatte.

Mit Mietvertrag vom 15.03.1995 mietete die Beklagte die zuvor genannte Wohnung dann unbefristet an.

Die monatliche Nettokaltmiete betrug zuletzt 682,95 Euro.

Die Beklagte ist fast 80 Jahre alt und Sozialhilfeempfängerin.

Sie ist in ihrem Viertel gut vernetzt und erhält auch Hilfe von Nachbarn.

Die streitgegenständliche Wohnung wurde im Jahr 2005 zunächst an die Eltern des Klägers veräußert.

Mit notariellem Vertrag vom 01.06.2011 überließen die Eltern des Klägers, … und …, dem Kläger die Wohnung und behielten sich selbst ein Nießbrauchsrecht, befristet auf den 01.01.2016, vor.

Am 07.06.2011 erfolgte die Eintragung des Klägers als Eigentümer sowie des befristeten Nießbrauchsrechts der Eltern des Klägers im Grundbuch.

Der Nießbrauch ist mittlerweile erloschen.

Derzeit wohnt und arbeitet der Kläger in Augsburg.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.12.2016 (Anlage zum Schriftsatz vom 02.10.2017) samt entsprechender Vollmacht kündigte der Kläger das Mietverhältnis mit der Beklagten zum 30.09.2017 und begründete dies mit Eigenbedarf. Gleichzeitig widersprach er der Fortsetzung des Mietverhältnisses und wies die Beklagte auf die Möglichkeit des Widerspruchs gegen die Kündigung in schriftlicher Form und spätestens zwei Monate vor Beendigung des Mietverhältnisses hin.

Das Schreiben wurde der Beklagten mittels Gerichtsvollzieher am 27.12.2016 zugestellt.

Eigenbedarfskündigung - Widerspruch eines betagten Mieters
(Symbolfoto: fizkes/Shutterstock.com)

Am 31.07.2017 ging bei der Kanzlei … ein Fax der Beklagten ein, in welchem sie den Widerspruch gegen die Kündigung erklärte.

Das von der Beklagten unterschriebene Originaldokument des Widerspruchs gab die Beklagte am 31.07.2017 postalisch per Einschreiben auf.

Die Beklagte erklärte ihre Härtegründe mit Schreiben vom 27.09.2017 (Anlage B 2).

Mit Schriftsatz vom 14.12.2017 kündigte der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Mietverhältnis erneut ordentlich und begründete dies mit dem Ende des Nießbrauchsrechts der Eltern des Klägers.

Mit Schriftsatz vom 02.01.2018 widersprach der Kläger etwaigen Widerspruchsrechten der Beklagten und begründete dies damit, dass sie ein solches Widerspruchsrecht nicht innerhalb der gesetzlichen Frist erklärt habe.

Mit Schriftsatz vom 20.03.2018 kündigte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten das Mietverhältnis außerordentlich fristlos mit der Begründung, das Bestreiten des Eigenbedarfs durch die Beklagte sei treuwidrig, und hilfsweise ordentlich wegen Eigenbedarfs.

In den Jahren 2013 und 2014 hatte der Kläger ebenfalls Eigenbedarfskündigungen ausgesprochen, die er dann jedoch nicht gerichtlich weiterverfolgte.

Der Kläger tritt am 01.10.2018 eine neue Arbeitsstelle in München an.

Der Kläger behauptet, er wolle die streitgegenständliche Wohnung selbst beziehen und seinen Lebensmittelpunkt nach München verlegen und dort einen eigenen Hausstand gründen. Seine bisherige Unterbringung sei unzureichend.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung vom 14.12.2017 sei wegen § 1056 BGB ohne Kündigungsgrund wirksam.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe eine freie, der streitgegenständlichen Wohnung gleichgeschnittene Wohnung, für deren Anmietung durch die Beklagte sich der Vater des Klägers anlässlich der damaligen Eigenbedarfskündigung im Jahr 2014 eingesetzt hatte, grundlos im Jahr 2014 nicht angemietet.

Der Kläger ist der Auffassung, das Bestreiten des Eigenbedarfs durch die Beklagte sei treuwidrig und stelle eine erhebliche Pflichtverletzung dar, die zur außerordentlichen Kündigung berechtige.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung Nr. 1 im Haus …, … München bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Bad und Diele zu räumen und an den Kläger herauszugeben, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung Nr. 1 im Haus … in … München bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Bad und Diele zum 31.1.2019 zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, vorsorglich die Gewährung einer angemessenen Räumungsfrist und vorsorglich Vollstreckungsschutz.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Widerspruch per Fax am 31.07.2017 unter gleichzeitiger postalischer Aufgabe der unterschriebenen Originalurkunde form- und fristgerecht erklärt worden sei.

Sie ist weiterhin der Ansicht, dass die Kündigungserklärung vom 20.12.2016 mangels Angaben bezüglich der derzeitigen Wohnsituation des Klägers sowie mangels näherer Angaben zur Arbeitsstelle und Verkehrsanbindung formell unwirksam sei.

Die Beklagte behauptet, schwerbehindert zu sein, unter anderem an Gleichgewichtsstörungen, Depressionen und Black-outs zu leiden und räumungsunfähig zu sein. Angemessener, bezahlbarer Ersatzwohnraum sei nicht zu finden.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 02.03.2018 (Bl. 46/47 d.A.) durch Vernehmung der Zeugen … und … . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2018 (Bl. 62/68 d.A.) Bezug genommen.

Zur Vervollständigung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 23.01.2018 sowie vom 03.05.2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Amtsgericht ist sachlich und örtlich zuständig gem. §§ 23 Nr. 2 a GVG, 29a ZPO.

I.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Mietsache aus § 546 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte zu, da der Mietvertrag durch die ordentliche Kündigung mit Schreiben vom 20.12.2016 wirksam zum 30.09.2017 beendet worden ist gem. § 573 I, II Nr. 2 BGB.

1.

Der Kläger ist aktivlegitimiert, denn er ist am 01.01.2016 gem. § 1056 Abs. 1 BGB analog i.V.m § 566 Abs. 1 BGB anstelle seiner Eltern als Vermieter in den Mietvertrag mit der Beklagten eingetreten, da das zugunsten der Eltern des Klägers am Wohnungseigentum bestehende, befristete Nießbrauchsrecht durch Eintritt der auflösenden Bedingung gem. §§ 163, 158 Abs. 2 BGB zum 01.01.2016 erloschen ist.

Da der Mietvertrag nicht erst von den Nießbrauchern, sondern von den ursprünglichen Eigentümern, die dann Nießbraucher wurden, abgeschlossen wurde, ist § 1056 Abs. 1 BGB über seinen Wortlaut hinaus aufgrund vergleichbarer Interessenlage analog anzuwenden.

Sinn und Zweck des § 1056 Abs. 1 BGB ist es, den Mieter eines nießbrauchsbelasteten Grundstücks vor dem Verlust des Rechts zum Besitz gegenüber dem Eigentümer zu schützen, welcher durch die Beendigung des Nießbrauchs drohen würde (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 1056 Rn. 1). Das Risiko des Verlusts des Rechts zum Besitzes gegenüber dem Eigentümer und damit eine vergleichbare Interessenlage besteht aufgrund des Erlöschens des Nießbrauchs auch dann, wenn der Mietvertrag nicht erst nach Bestellung des Nießbrauchs von dem Nießbraucher geschlossen wird, sondern auch dann, wenn der Nießbraucher, wie in vorliegender Konstellation, in das Mietverhältnis aufgrund des vorherigen Erwerbs des Eigentums an der Wohnung zunächst kraft Gesetzes gem. § 566 Abs. 1 BGB als Vermieter eingetreten ist und auch nach der späteren Überlassung des Eigentums an einen Dritten unter Nießbrauchvorbehalt zu eigenen Gunsten die Vermieterposition weiter bekleidet hat (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 30.20.2008 – I-24 U 84/08, ZMR 2009, 844 ff.). Auch in diesem Fall droht dem Mieter der Verlust des Rechts zum Besitz für den Fall des Erlöschens des Nießbrauchs gegenüber dem (neuen) Eigentümer, was zur Vergleichbarkeit der Interessenlage führt.

Der Mietvertrag geht über die Dauer des Nießbrauchs hinaus, da ursprünglich ein unbefristeter Mietvertrag geschlossen wurde und als solcher zwischen den Eltern des Klägers zunächst gem. § 566 Abs. 1 BGB aufgrund des Eigentumserwerbs und später als Nießbraucher und der Beklagten als unbefristeter Mietvertrag weiter fortbestand.

2.

Das Mietverhältnis wurde durch die ordentliche Kündigung mit anwaltlichem Schreiben vom 20.12.2016 wirksam zum 30.09.2017 beendet.

a.

Das Schreiben vom 20.12.2016 stellt eine formell wirksame Kündigungserklärung dar.

Die Kündigung ist in formeller Hinsicht wirksam, da das Schriftformerfordernis des § 568 BGB i.V.m. § 126 BGB gewahrt wurde, das Kündigungsschreiben durch Zustellung mittels Gerichtsvollzieher der Beklagten am 27.12.2016 zugegangen ist und der Kläger die Kündigung ausreichend schriftlich begründet hat i.S.v. § 573 Abs. 3 S. 1 BGB.

Die Kündigung ist gem. § 573 III S. 1 BGB ausreichend begründet und formell wirksam, denn aus dem Schreiben ergibt sich, dass der Kläger seinen Lebensmittelpunkt nach München verlegen und dazu in die Wohnung der Beklagten ziehen möchte.

Eine Eigenbedarfskündigung ist ausreichend begründet, wenn sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Vermieter die Räume selbst bewohnen will und dass hierfür vernünftige Gründe vorliegen.

Weitere Angaben im Hinblick auf das gekündigte Mietverhältnis sind nicht erforderlich, denn es genügt, wenn der Vermieter den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann („Kerntatsachen“) (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 573 Rn. 218). Dies entspricht auch der aktuellen Rechtsprechung des BGH, wonach die formelle Wirksamkeit der Kündigung bejaht wird, wenn das Kündigungsschreiben die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung hat, enthält (vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2017 – VIII ZR 270/05).

Für die formelle Wirksamkeit der Kündigung reicht es aus, dass der Kläger mitteilt, seinen Lebensmittelpunkt nach München verlagern zu wollen und dazu in die verkehrsgünstig gelegene streitgegenständliche Wohnung ziehen zu wollen, von der aus die Arbeitsstelle in Augsburg per Bahn gut erreichbar ist.

b.

Die Kündigungsfrist endet gem. § 573c Abs. 1 BGB zum 30.09.2017, nachdem die Kündigung der Beklagten am 27.12.2016 zugegangen ist und sich aufgrund des seit 1995 bestehenden Mietverhältnisses die Kündigungsfrist des § 573c Abs. 1 S. 1 BGB zum Ablauf des übernächsten Monats gem. § 573c Abs. 1 S. 2 BGB um 6 Monate verlängert hatte.

c.

Es besteht ein die ordentliche Kündigung rechtfertigender Kündigungsgrund gem. § 573 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 BGB:

Der Kläger möchte selbst in die streitgegenständliche Wohnung einziehen und gehört damit zum von § 573 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 BGB privilegierten Personenkreis.

Das Gericht ist nach der Vernehmung der Zeugen … davon überzeugt ist, dass der Nutzungswille und das Nutzungsinteresse des Klägers vorliegen:

Der Kläger möchte seinen Lebensmittelpunkt nach München verlagern und hierfür gibt es vernünftige, nachvollziehbare Gründe.

Der Nutzungswille setzt voraus, dass der Vermieter die ernsthafte Absicht hat, die Räume selbst als Wohnung zu nutzen (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 573 Rn. 60).

Das für den Kündigungstatbestand des § 573 II Nr. 2 BGB erforderliche Nutzungsinteresse besteht, wenn der Vermieter vernünftige, nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums für sich hat (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 573 Rn. 92).

Die Zeugen haben übereinstimmend und nachvollziehbar geschildert, dass der Kläger in die streitgegenständliche Wohnung einziehen möchte.

Auch wenn die Zeugen als Eltern des Klägers im Lager des Klägers stehen, hat das Gericht den Eindruck gewonnen, dass die Zeugen den Sachverhalt unvoreingenommen und sachlich geschildert haben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln.

Beide Zeugen haben übereinstimmend ausgesagt, dass der Kläger bereits seit seinem Erststudium in München und auch noch nach seinem Zweitstudium in Aachen das Ziel verfolgte, in München seinen Lebensmittelpunkt zu begründen und zwar in privater und langfristig auch in beruflicher Hinsicht und dazu auch ein Pendeln zwischen München und Augsburg in Kauf nehmen würde.

Die Zeugen haben bestätigt, dass der Kläger in München Verwandte und Freunde hat und dass der Einzug in die Wohnung in Augsburg lediglich eine Interimslösung darstellte, nachdem die Wohnung in München noch nicht frei war, als der Kläger die Arbeitsstelle in Augsburg antrat. Es ist für das Gericht nachvollziehbar und vernünftig, dass der Kläger aufgrund seiner Verbindung zur Stadt München, die sich durch sein Erststudium in München und durch seine hier lebenden Freunde sowie seinen hier mit seiner Familie lebenden Bruder ergeben hat, seinen Lebensmittelpunkt nach München verlagern möchte.

Die streitgegenständliche Wohnung ist für den Kläger verkehrsgünstig in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs gelegen und seine derzeitige Arbeitsstelle in Augsburg ist dadurch relativ einfach zu erreichen. Die Pendelei entfällt, sobald der Kläger seine Arbeitsstelle in München antritt.

Im übrigen ist die Entscheidung des Klägers über seine weitere Lebensplanung, also z.B. auch die Entscheidung, ob er zukünftig zur Arbeit pendelt oder nicht, im Hinblick auf die grundgesetzliche Gewährleistung des Eigentums gem. Art. 14 GG zu respektieren und nicht durch fremde Vorstellungen zu ersetzen (vgl. BVerfG WuM 1989, 114; WuM 2002, 21, 22).

Auch nach dem Urteil des BGH vom 10.05.2017 (BGH – VIII ZR 292/15) folgt nach Auffassung des Gerichts, dass ein ernsthafter Nutzungsentschluss, der auf nachvollziehbaren und vernünftigen Gründen beruht – wie hierfür ein vorrangiges Erlangungsinteresse des Vermieters ausreicht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 44) und eine Abwägung mit den generellen Bestandsinteressen des Mieters in diesem Fall nicht erfolgen muss.

d.

Die Beklagte kann die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht gem. § 574 Abs. 1 S. 1 BGB verlangen, da der Widerspruch nicht form- und fristgerecht erklärt wurde und der Kläger die Fortsetzung des Mietverhältnisses abgelehnt hat, §§ 574b Abs. 1 und Abs. 2 BGB.

Da das Mietverhältnis zum 30.9.2017 endete, konnte ein formwirksamer und die Frist des § 574b Abs. 2 S. 1 BGB wahrender Widerspruch nur bis 31.7.2017 beim Kläger zugehen.

aa) Der Widerspruch der Beklagten vom 31.7.2017, zugegangen per Telefax am selben Tag, ist formnichtig gem. §§ 574b Abs. 1 S. 1, 126, 125 S. 1 BGB.

Gem. § 126 Abs. 1 BGB ist die Schriftform dann gewahrt, wenn die Urkunde von dem Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift unterzeichnet ist. Ist für eine empfangsbedürftige Erklärung Schriftform angeordnet, wird diese erst wirksam, wenn sie dem Empfänger in Schriftform zugeht (Staudinger/Herrler, BGB, Neubearb. 2017, § 126 Rn. 159). Der Widerspruch der Beklagten erfolge am 31.7.2017 mittels Telefax. Ein Telefax stellt jedoch nur eine Kopie der Urkunde dar und nicht das das Schriftformerfordernis erfüllende Original. Die verfahrensrechtlichen Grundsätze für die Übermittlung von fristwahrenden Vorab-Telefaxen trotz prozessrechtlich angeordneter Schriftform sind auf die materiell-rechtlichen Schriftformerfordernisse nicht übertragbar (vgl. Staudinger/Herrler, BGB, Neubearb. 2017, § 126 Rn. 162 ff.; Palandt, BGB, 76. Auflage 2017, § 126 Rn. 12).

Etwas anderes ergibt sich nach Auffassung des Gerichts auch nicht aus der vom Beklagtenvertreter zitierten Rechtsprechung des BGH vom 28.01.1993 (IX ZR 259/91), in der entschieden wurde, dass eine Bürgschaftserklärung durch Telefax nicht der Schriftform des § 766 I BGB genügt.

bb) Das am 31.7.2017 postalisch aufgegebene Original ist nicht als fristwahrend i.S.v. § 574b Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen, denn die diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat hinsichtlich des Zugangs des per Einschreiben aufgegebenen Originals beim Kläger nicht vorgetragen, dass das Original ebenfalls am 31.07.2017 zugegangen ist.

Es ist nach allgemeiner Lebenserfahrung auch nicht davon auszugehen, dass ein am 31.07.2017 zur Post gebrachtes Schriftstück den Empfänger am selben Tag erreicht.

cc) Nachdem der Kläger bereits im Kündigungsschreiben vom 20.12.2016 auf die Möglichkeit des Widerspruchs gem. §§ 574 ff. BGB und die einzuhaltende Form und Frist hingewiesen hat, kommt eine Verlängerung der Widerspruchsfrist gem. § 574b Abs. 2 S. 2 BGB nicht in Betracht.

dd) Der Kläger hat die Einrede des § 574b Abs. 2 S.1 BGB jedenfalls durch anwaltlichen Schriftsatz vom 02.01.2018 erhoben und seine Ablehnung der Fortsetzung des Mietverhältnisses erklärt, indem er etwaigen Widerspruchsrechten der Beklagten widersprochen hat.

e. Das Mietverhältnis wurde nicht stillschweigend verlängert i.S.v. § 545 BGB, indem die Mieterin nach dem 30.09.2017 weiter in der Wohnung verblieben ist und damit den Gebrauch der Mietsache weiter fortgesetzt hat, da der Beklagte bereits im Kündigungsschreiben vom 20.12.2016 einer stillschweigenden Verlängerung widersprochen hat.

II.

Auf die Wirksamkeit der Kündigung vom 14.12.2017 sowie der außerordentlichen Kündigung vom 20.03.2018 sowie die weitere ordentliche Kündigung vom 20.03.2018 kam es nicht mehr an.

III.

Der Beklagten ist eine Räumungsfrist gem. § 721 ZPO bis zum 31.01.2019 zu gewähren.

Nach Abwägung der Interessen des Klägers und der Beklagten ist das Gericht der Auffassung, dass der Beklagten eine Räumungsfrist von in etwa 6 Monaten gewährt werden kann.

Bei der Abwägung ist auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Beklagte bereits knapp 80 Jahre alt ist, fast 30 Jahre in der streitgegenständlichen Wohnung wohnt, in der Umgebung fest verwurzelt ist und als ältere, nicht gesunde Sozialhilfeempfängerin erhebliche Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche hat. Unerheblich ist aus Sicht des Gerichts, dass und aus welchen Gründen die Beklagte im Jahr 2014 die Gelegenheit zur Anmietung einer anderen Wohnung im Anwesen nicht genutzt hat, denn streitgegenständlich ist nunmehr eine Kündigung aus dem Jahr 2016 und jedenfalls nach Ausspruch dieser Kündigung war der Beklagten nicht die Möglichkeit der Anmietung einer anderen Wohnung im Anwesen durch den Kläger oder dessen Vater vermittelt worden. Bei der Abwägung der Interessen kann das Verhalten der Beklagten im Rahmen von – gerichtlich nicht weiterverfolgten – Eigenbedarfskündigungen vor 2016 keine Auswirkung haben, denn entscheidend ist die jetzige Situation der Beklagten.

Im Hinblick auf den Kläger ist zu berücksichtigen, dass dieser bislang eine 2-Zimmer-Wohnung in Augsburg bewohnt und er auch bei Gewährung einer Räumungsfrist nicht ohne Bleibe sein wird. Aufgrund der guten Anbindung zwischen Augsburg und München ist es für den Kläger, der im übrigen dem Pendeln aufgeschlossen gegenübersteht, auch nicht unzumutbar, für einen bestimmten Zeitraum zwischen der ab 01.10.2018 bestehenden Arbeitsstelle in München und der bisherigen Wohnung in Augsburg zu pendeln.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.

Dem Antrag der Beklagtenpartei auf Vollstreckungsschutz nach § 712 I ZPO war mangels Glaubhaftmachung eines nicht zu ersetzenden Nachteils nicht stattzugeben.

Der Streitwert wurde gem. § 41 I, II GKG festgesetzt.

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