AG Bremen – Az.: 9 C 97/20 – Urteil vom 08.01.2021
1. Der Beklagten wird verurteilt, an die Kläger 1.994,33 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2019 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger fordern Rückzahlung einer Mietkaution.
Der Kläger vermietete den Beklagten mit Vertrag vom 15.07.2015 seine Immobilie N… in 28357 Bremen. Bei Vertragsabschluss leisteten die Kläger ein Deponat in Höhe von 1.960 € an den Beklagten.
Am 27.06.2017 erklärte der Beklagte die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Die Kläger akzeptierten die Kündigung nicht.
Der Auszug der Kläger erfolgte im Zuge des am 26.09.2017 eingeleiteten Räumungsrechtsstreits (Az.: 16 C 334/17) vor dem dortigen Termin zur Hauptverhandlung am 27.02.2018. Dieser Umstand wurde dem hiesigen Beklagten mit Schriftsatz vom 29.01.2018 mitgeteilt.
Die Kläger tragen vor, dass der Beklagte nach Beendigung des Mietverhältnisses die Auskehrung des verzinsten Mietdeponats schulde.
Die Kläger beantragen entsprechend dem im Mahnverfahren gestellten Antrag, den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger 1.994,33 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2019 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, dass ihm ein aufrechenbarer Gegenanspruch in Höhe von 3.510 € zustünde. Da die Kläger seine berechtigte Eigenbedarfskündigung nicht akzeptierten, habe er seinen eigenen Mietvertrag unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist nicht rechtzeitig beenden können. Weil die Kläger im laufenden Räumungsrechtsstreit sang und klanglos auszogen, sei ihm ein erstattungsfähiger Schaden in Gestalt seiner fortlaufenden Mietzinszahlungspflicht, 3 x 1.170 €, entstanden, weil er die Kündigung des eigenen Mietvertrags erst nach dem 29.01.2018 gegenüber seinem Vermieter erklären konnte. Im Räumungsrechtsstreit hätten sich die Kläger ohne erheblichen Gründe verteidigt. Hätten die Kläger dem Beklagten vorab den Auszugstermin benannt, hätte dieser sich darauf einrichten können. Die Kläger übten verbotene Eigenmacht aus, weil ihnen nach der Kündigung kein Recht zum Besitz mehr zugestanden habe.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 03.09.2020 einen Hinweis erteilt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet (§ 812 BGB).
Da die Beendigung des Mietverhältnisses mehr als 6 Monate zurückliegt, ist der Sicherungszweck der Kautionsabrede entfallen und die Rückzahlung des verzinsten Deponats geschuldet (vgl. Palandt, 80. A., Einf v § 535, Rn. 126).
Die Forderung ist nicht gemäß § 389 BGB erloschen, weil dem Beklagten keine Schadensersatzansprüche wegen verspäteter oder nicht rechtzeitig angezeigter Räumung zustehen:
Zwar ist dem Beklagten zugute zu halten, dass nach Amtsgericht Aachen, Urt. v. 10.03.2016, 107 C 263/13, juris, ein Gegenanspruch in Betracht käme. Denn das Amtsgericht Aachen sprach dem Vermieter Ersatz seines geltend gemachten Mietausfallschadens zu, weil der Mieter nach Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Dritten nicht unverzüglich auszog und der Dritte, wohl ein Familienangehöriger des dortigen Klägers, zur Überzeugung des Gerichts 149,95 € mehr Miete (!) an den Vermieter gezahlt hätte.
Das hiesige Gericht folgt der Rechtsansicht des AG Aachen nicht. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit einer Eigenbedarfskündigung zwecks Generierung einer Mietzinsanhebung ist zunächst zu konstatieren, dass das AG Aachen seine Rechtsansicht dogmatisch nicht begründete und insbesondere die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs in den Entscheidungsgründen nicht dezidiert prüfte.
Der Gegenanspruch des Beklagten scheitert bereits an der vom Beklagten als aufrechnenden Anspruchsteller darzulegenden und zu beweisenden Tatsache der rechtswirksamen Beendigung des Mietvertrags durch Erklärung vom 27.06.2017.
Unabhängig davon ist die Verteidigung des Beklagten aus rechtlichen Gründen unerheblich:
Nach einer rechtswirksamen Kündigung schuldet der Mieter, der gleichwohl in der Wohnung verbleibt, bis zur Räumung primär Nutzungsausfallentschädigung nach § 546a I BGB. Die Mieten haben die Kläger bis zu ihrem Auszug aber offenbar weiterhin an den Beklagten bezahlt. Nutzungsausfallentschädigung wird nicht geltend gemacht.
Ein weiterer Schaden im Sinne des § 546a II BGB setzt eine schuldhafte Pflichtverletzung des Mieters im Sinne der §§ 286, 280 BGB voraus (vgl. Palandt, 80. A., § 546a, Rn. 16 ff.). Nach § 571 BGB kommt eine Schadensersatzverpflichtung wegen verspäteter Rückgabe des Wohnmietraums nur bei einem Verschulden des Mieters (§ 276 BGB) in Betracht. Das Verschulden eines (im Fall der nachweislich rechtswirksamen Eigenbedarfskündigung) auszugspflichtigen Mieters kann bei einem Rechtsirrtum entfallen (vgl. LG Duisburg NJW-RR 1996, 718). Fehlender Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen kann ein Verschulden des auszugspflichtigen Mieters gleichfalls ausschließen (vgl. Palandt, 80. A., § 571, Rn. 3).
Ein Verschulden der Kläger ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts nicht gegeben, zumal im hiesigen Verfahren gerade nicht positiv festgestellt werden konnte, dass Eigenbedarf seinerzeit zu Recht beansprucht wurde (wohl a.A.: LG Itzehoe, Urteil vom 06. Juli 2018 – 9 S 114/16 –, juris): Wenn ein Mieter eine Eigenbedarfskündigung seines Vermieters erhält (§ 573 BGB), ist er gemäß § 574 BGB berechtigt, der Kündigung zu widersprechen. Auch wenn besondere Härtegründe nicht geltend gemacht werden, muss der Mieter den behaupteten Eigenbedarf des Vermieters nicht ohne Weiteres akzeptieren. Da es sich beim Eigenbedarf um eine innere Tatsache handelt, ist es für den Mieter schwer zu beurteilen, ob die erklärte Eigenbedarfskündigung das Mietverhältnis rechtswirksam beendet hat oder nicht. In Zeiten des Immobilienbooms kommt es nämlich nicht selten vor, dass Eigenbedarfsgründe nur vorgeschoben werden, um ein Objekt aus wirtschaftlichen Gründen mieterfrei zu machen. In einem nachfolgenden Räumungsrechtsstreit, in dem die Frage des behaupteten Eigenbedarfs überhaupt erst rechtsverbindlich geklärt wird, darf sich der Mieter selbstverständlich verteidigen und im Fall des erstinstanzlichen Unterliegens sogar in die Berufung gehen. Alternativ lässt sich die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung nur durch negative bzw. positive Feststellungsklage rechtsverbindlich beurteilen. Die Evidenz der Begründetheit einer Eigenbedarfskündigung erschließt sich erst im Nachhinein, wenn der im Voraus angekündigte Eigenbedarf durch (dauerhaften) Umzug des Vermieters oder seiner Angehörigen in die Wohnung des Mieters vollzogen wird.
Nach BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 –, BVerfGE 89, 1-14, juris, darf von der Äußerung des Eigenbedarfs jedenfalls nicht automatisch auf das tatsächliche Bestehen eines solchen geschossen werden. Vielmehr ist der Erlangungswunsch des Vermieters auf seine Ernsthaftigkeit, Vernünftigkeit und Nachvollziehbarkeit zu prüfen. Denn das Besitzrecht des Mieters unterfällt dem Schutz des Art. 14 GG.
Hierzu trug der Beklagten indessen nicht substantiiert vor. Es bleibt offen, warum er nach nur zweijähriger Vermietungsdauer seine angemietete Mietwohnung aufgeben wollte, um in die Wohnung seiner Mieter zu ziehen. Nicht vorgetragen wurde, wo die wie große Mietwohnung des Beklagten belegen war und ob der behauptete Eigenbedarf auf einer nachträglichen beruflichen oder familiären Veränderung des Beklagten basierte.
Dass die mit der Inanspruchnahme des Rechtsschutzes einhergehende Verzögerung einer Räumung finanzielle Nachteile für den Vermieter mit sich bringt, liegt in der Natur der Sache. Ein Vermieter hat gerade keinen Anspruch auf eine sog. kalte Räumung im Zuge der Selbstjustiz, selbst wenn die zuvor ausgesprochene Kündigung das Mietverhältnis rechtswirksam beendet haben sollte.
Wenn die Kündigung des Beklagten das Mietverhältnis seinerzeit tatsächlich beendet hätte, wäre die Begründetheit der Kündigung für die Kläger nicht evident gewesen. Denn im Streit stand offenbar die ursprünglich mit dem Bedarf von Verwandten begründete Eigenbedarfskündigung (vgl. Anlage K2, Bl. 21R d.A.); die maßgebliche Kündigungserklärung reichte der Beklagte nicht zur Akte. Allerdings scheint anschließend – ausweislich der aktuellen Adresse – der Beklagte selbst die Immobilie bezogen zu haben. Außerdem erscheint es nachvollziehbar, dass ein Mieter Zweifel am geäußerten Eigenbedarf hat, wenn sein Vermieter seine eigene Immobilie vermietet, um anderswo zur Miete zu leben und sodann das Mietverhältnis nach nur 2 Jahren wieder kündigt. Im Räumungsrechtsstreit zum Aktenzeichen 16 C 334/17 erging offenbar kein Urteil, dem sich die Begründetheit der Kündigungserklärung vom 27.06.2017 entnehmen ließe. Der Beklagte trug nicht einmal vor, dass den hiesigen Klägern gemäß § 91a ZPO die Kosten des Räumungsrechtsstreits vollumfänglich auferlegt worden wären.
Wäre die Rechtsansicht des AG Aachen zutreffend, würden die prozessualen Rechte der Mieter de facto stark eingeschränkt werden. Denn jede Verteidigung gegen eine Kündigung wegen Eigenbedarfs würde das Risiko einer ggf. erheblichen Schadensersatzverpflichtung beinhalten. Die oftmals mittellosen Mieter würden sich genötigt sehen, im Zweifel jede Kündigung der (finanzstarken) Vermieter zu akzeptieren, weil ihnen sonst finanzielle Kosten erwachsen könnten, welche von der Prozesskostenhilfe nicht abgedeckt wären.
Anders als bei der Kündigung wegen Zahlungsverzugs oder sonstigem Fehlverhalten haben die Mieter in diesen Fällen zur Kündigung aber keinen Anlass gegeben; die von den Mietern schwer überprüfbaren Kündigungsgründe liegen außerhalb ihrer Verantwortungssphäre.
Auch der Umstand, dass die Kläger im laufenden Räumungsrechtsstreit ohne vorangehende Anzeige aus der Immobilie auszogen, begründet keine Pflichtverletzung im Sinne einer nachvertraglichen pFV. Jede Partei darf einen Rechtsstreit durch Herbeiführung eines erledigenden Ereignisses beenden. Auch durch bloßes Nichtverhandeln oder Anerkenntnis darf jederzeit ein (unbegründetes) Urteil generiert werden. Diese prozessualen Vorgehensweisen müssen der Gegenpartei nicht vorab kommuniziert werden.
Der „sang und klanglose“ Auszug muss auch nicht in Schädigungsabsicht erfolgt sein. Möglicherweise hat sich für die Kläger erst kurzfristig die Möglichkeit des Bezugs eines Ersatzwohnraums ergeben. Dass Mieter einen laufenden Räumungsrechtsstreit durch zwischenzeitlichen Auszug beenden, ist gerichtlicher Alltag.
Zu einem Aufhebungsvertrag mit verbindlichem Räumungstermin wurde nicht vorgetragen. Vielmehr trug der Beklagte mit Schriftsatz vom 21.04.2020 vor, dass die Kläger die Kündigung nicht akzeptierten (Bl. 20 d.A.). Eine Kündigung ist im Übrigen eine Gestaltungserklärung, die nicht angenommen werden kann. Zu einem schriftlichen (§ 126 BGB) Anerkenntnis des Räumungsanspruchs wurde nicht vorgetragen (vgl. §§ 780, 781 BGB); eine Mail würde dem Schriftformerfordernis nicht genügen.
Verbotene Eigenmacht im Sinne des § 858 BGB liegt nicht vor, weil den Klägern der Besitz an der Immobilie rechtmäßig durch den Beklagten verschafft wurde. Ein nachträglicher Wegfall des Besitzrechts wäre unbeachtlich. Vielmehr ist in diesem Fall auf Räumung zu klagen (s.o.).
Im Übrigen wäre die Mietzinszahlungsverpflichtung des Beklagten keine durch ein pflichtwidriges Verhalten der Kläger zurechenbar bewirkte Schadensposition. Denn der Beklagte schloss seinen Mietvertrag bereits vor der Abgabe seiner Kündigungserklärung ab. Nach der Kündigung entschloss sich der Beklagte aus Vorsicht in eigenen Angelegenheiten freiwillig, den Vertrag mit seinem Vermieter nicht zu kündigen (insofern anders gelagert: AG Aachen, a.a.O.: Mietzinsausfallschaden des Vermieters). Somit hat sich durch die fortlaufende Mietzinszahlungsverpflichtung des Beklagten ein Umstand verwirklicht, der bei Mietvertragsabschluss mit den Klägern bereits angelegt war. Das angelegte Risiko verwirklichte sich durch die freiwillige Entscheidung des Beklagten zur Eigenbedarfskündigung bei gleichzeitigem Verzicht auf vorzeitige Kündigung des eigenen Mietvertrags.
Selbst wenn die Kläger zur Räumung verurteilt worden und sodann unverzüglich ausgezogen wären, hätte der (vorsichtige) Beklagte erst mit Rechtskraft des Räumungstitels seinen Mietvertrag gekündigt. Die dreimonatige Kündigungsfrist wäre auch dann einzuhalten gewesen. Deshalb kann auch aus dem „sang und klanglosen“ Auszug der Kläger während des laufenden Räumungsprozesses kein zurechenbarer Schaden konstruiert werden.
Möglicherweise wäre die Räumungsklage ohne den Auszug der Kläger aber auch abgewiesen worden.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.