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Einstellung der Räumungsvollstreckung bei konkreter Gefahr für Leben und Gesundheit

LG Traunstein – Az.: 4 T 1275/21 – Beschluss vom 16.05.2022

In Sachen wegen Räumungsschutz hier: sofortige Beschwerde erlässt das Landgericht Traunstein – 4. Zivilkammer – am 16.05.2022 folgenden Beschluss

1. Die sofortige Beschwerde der Schuldner vom 25.05.2021 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Altötting – Vollstreckungsgericht – vom 19.05.2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Schuldner tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldner die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Kaufvertragsurkunde vom 26.07.2019, Urkundenrollen-Nr. 312/2019 der Notarin ### hinsichtlich des Grundstücks mit Wohnhaus ###. In dieser Urkunde (dort § 5. Ziff 4.) unterwarf sich der Schuldner als Verkäufer wie auch seine Ehefrau wegen der Verpflichtung zur Herausgabe des Kaufgegenstandes an die Käuferin (die Gläubigerin) der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde. Die Vertragsparteien waren sich dabei darüber einig, dass der Verkäufer (= Schuldner zu 2) die Wohnung bis 26.07.2020 weiter bewohnen darf gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung.

Die zuständige Hauptgerichtsvollzieherin bestimmte mit Schreiben vom 28.04.2021 (Anlage Al) Termin zur Räumung auf Freitag, den 28.05.2021 um 7:30 Uhr.

Mit Schreiben vom 14.05.2021 (Bl. 1/6) beantragten die Schuldner beim Amtsgericht Altötting, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen. Zur Begründung führten sie unter anderem aus, die in der Einliegerwohnung lebende Mutter des Schuldners sei schwer krank und müsse durch die Schuldner rund um die Uhr gepflegt werden, was deren Anwesenheit voraussetze. Zudem müsse die Mutter, um in ihre Einliegerwohnung zu gelangen, Teilbereiche der Hauptwohnung nutzen und sei damit Mitbesitzerin an dieser.

Das Amtsgericht Altötting wies mit Beschluss vom 19.05.2021 (Bl. 8/9) den Antrag der Schuldnerpartei auf Räumungsschutz vom 14.05.2021 zurück.

Hiergegen legten die Schuldner mit Schreiben vom 25.05.2021 (Bl. 13) sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung wiederholten sie ihre bisherigen Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, und führten zusätzlich aus, die ohnehin schon bestehenden psychischen Beeinträchtigungen des Schuldners hätten durch das Vorgehen der Gläubigerin derart zugenommen, dass er aktive Suizidgedanken habe. Er habe bereits gegenüber der zuständigen Gerichtsvollzieherin und auch gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten mehrfach seine Absicht bekundet, sich das Leben zu nehmen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass eine Selbsttötung ernsthaft zu befürchten sei. Diese Ausführungen würden u. a. untermauert durch Vorlage zweier ärztlicher Atteste des Facharztes für Neurologie und für Psychiatrie Dr. med. ### vom 08.12.2015 und vom 31.01.2019. Auf die weitere Beschwerdebegründung wird Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27,05.2021 (Bl. 14/15) der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Gläubigerin beantragte mit nachgelassenem Schreiben vom 27.05.2021 (Bl. 23/28), die sofortige Beschwerde des Betroffenen zurückzuweisen. Auf die ausführlichen Ausführungen wird Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 27.05.2021 (Bl. 29/32) hat das Landgericht Traunstein die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Kaufvertragsurkunde – nach Rücksprache mit der zuständigen Hauptgerichtsvollzieherin – bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Altötting vom 19.05.2021 einstweilen eingestellt. Das Landgericht führte dabei insbesondere aus, dass zur Beurteilung einer beim Schuldner zu 2) durch die drohende Räumung bestehende Suizidabsicht die Erholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich ist.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 31.05.2021 (Bl. 34/35) des Erholung eines psychiatrischen Gutachtens angeordnet.

Das Landratsamt Altötting als zuständige Sicherheitsbehörde wurde durch das Beschwerdegericht über den zugrundeliegenden Sachverhalt informiert. (Bl. 36 sowie Bl. 86).

Das Gutachten wurde unter dem 12.07.2021 erstattet (Bl. 47/54). Das Landgericht hat mit Verfügung vom 13.07.2021 (Bl. 55) eine ergänzende Stellungnahme vom Sachverständigen angefordert, welche sodann unter dem 16.07.2021 (Bl. 56/57) erstattet wurde.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 04.10.2021 (Bl. 106/107) eine erneute psychiatrische Stellungnahme angeordnet und mit der Erstellung des Gutachtens den Sachverständigen Dr. med. ### beauftragt, welcher das Gutachten unter dem 01.12.2021 erstellt hat (Bl. 113).

Mit Beschluss vom 08.02.2022 (Bl. 143/144) wurde aufgrund weiterer Ausführungen der Schuldnerpartei im Schriftsatz vom 13.01.2022 (Bl. 121/141) eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen angefordert, welche dieser am 04.03.2022 (Bl. 146) erstattet hat.

Daraufhin führten die Schuldner mit Schriftsatz vom 25.04.2022 (Bl. 152) aus, dass die Mutter des Schuldners mit Pflegestufe 3 (Pflegestufe 4 bereits beantragt) von den Schuldnern aufgrund ihres schlechten gesundheitlichen Zustandes mangels Alternativen derzeit 24 Stunden täglich im streitgegenständlichen Anwesen gepflegt werden müsse, wobei eine Beatmung mit Sauerstoff derzeit nötig sei.

1. Die zulässige sofortige Beschwerde der Schuldner gegen den Beschluss des Amtsgerichts Altötting vom 19.05.2021 ist unbegründet, da die Voraussetzungen des § 765a ZPO nicht vorliegen.

a. Gemäß § 765a ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. § 765a ZPO ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Anzuwenden ist die Vorschrift nur in besonders gelagerten Fällen, in denen nach den Umständen des Einzelfalls das Vorgehen des Gläubigers zu einem untragbaren Ergebnis führen würde, Dabei sind das Schutzbedürfnis des Gläubigers und die Schuldnerbelange im Rahmen einer Interessenabwägung gegenüber zu stellen. Vollstreckungsschutz kann nur gewährt werden, wenn die Interessenabwägung eindeutig zugunsten des Schuldners ausfällt (Zöller/Stöber, ZPO, 33. Auflage, § 765a, Rn. 5, 6).

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO, auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Ergibt die erforderliche Abwägung, dass die der Zwangsvollstreckung entgegenstehenden unmittelbar der Erhaltung von Leben und Gesundheit dienenden Interessen des Schuldners im konkreten Fall ersichtlich schwerer wiegen als die Belange, deren Wahrung die Vollstreckungsmaßnahme dienen soll, so kann der trotzdem erfolgende Eingriff das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht des Schuldners aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen (vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2005, Az. 1 ZB 1005).

b. Soweit die Schuldner geltend machen, für den Schuldner zu 2) bestehe im Falle einer Räumung aktuell eine konkrete erhebliche lebensbedrohliche Gesundheitsgefährdung bzw. die konkrete ernsthafte Befürchtung einer Selbsttötung, so rechtfertigt dieser Vortrag nicht die Gewährung von Räumungsschutz gem. § 765 a ZPO.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ernsthafte, insbesondere lebensbedrohende Erkrankungen die Zwangsräumung zu einer sittenwidrigen Härte machen können (vgl. Zähler, a.a.O. § 765a Rn. 11). Aber auch wenn mit der Zwangsräumung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners mit der Zwangsvollstreckung verbunden ist, ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres (einstweilen) einzustellen (BGH vom 06.12.2007, NJW 2008, 586 m.w.N.). Erforderlich ist vielmehr, in solchen Fällen ganz besonders gewichtige Interessen der von der Vollstreckung Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 GG) gegen das Vollstreckungsinteresse des Gläubigers (Gläubigerschutz, Art. 14 GG; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG) abzuwägen.

Dass eine Räumung zu einer psychischen (Mehr-)Belastung führen kann, steht außer Frage; dies reicht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für sich genommen für die Gewährung von Räumungsschutz aber noch nicht aus. Erforderlich für die Abwägung zugunsten des Schuldners ist vielmehr, dass ein schwerwiegender Eingriff in die körperliche Unversehrtheit droht.

Dies kann etwa der Fall sein, wenn im Falle der Räumung mit dem Eintritt gravierender Erkrankungen, einer Beschleunigung des gesundheitlichen Verfalls oder sogar einer Verkürzung der Lebenserwartung zu rechnen ist. Eine Einstellung der Vollstreckung scheidet aber auch hier aus, wenn der Gesundheitsgefahr durch ärztliche Maßnahmen begegnet werden kann (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl., § 765 a ZPO, Rn. 23 m. w. N.).

Unter Zugrundelegung dieser allgemeinen Ausführungen gilt hier Folgendes:

Eine akute Suizidalität liegt nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Obermaier, denen sich das Gericht vollumfänglich anschließt, nicht vor. Der Sachverständige, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist, hat in seinem Gutachten vom 01.12.2021 ausgeführt, dass beim Schuldner zu 2) zwar Hinweise auf eine depressive Episode leichtgradiger Ausprägung vorliegen, wobei auch das Vorliegen einer längeren depressiven Reaktion im Sinne einer Anpassungsstörung in Betracht gezogen werden müsse (S. 29 des Gutachtens). Hier lägen aber auch prädisponierende Faktoren vor (vor allem eine Flucht aus Rumänien mit Inhaftierung, Entwicklung einer schmerzhaften sensomotorischen Polyneuropathie der Beine und im weiteren Verlauf dann langwierige Finanzierungsschwierigkeiten des Eigenheims), vgl. S. 30 des Gutachtens. Würdige man zudem, dass bei dem Schuldner zu 2) keine eindeutigen depressiven Phasen und vor allem auch keine manischen Phasen In der Vergangenheit abzugrenzen seien, so spräche dies unter Berücksichtigung der Krankheitsentwicklung und der Krankheitssymptomatik eher gegen das Vorliegen einer endogenen Affektpsychose im Sinne einer rezidivierenden Depression oder einer manisch depressiven Psychose, sondern es ergäben sich vielmehr Hinweise auf eine Anpassungsstörung vor dem Hintergrund einer Persönlichkeit mit zwanghaften Verhaltensanteilen (S. 30 des Gutachtens). Beim Schuldner zu 2) fehle es auch an der Fähigkeit, sich eigenes Versagen im weitesten Sinne einzugestehen, wie sich dies auch bei der letztlich fehlenden Auseinandersetzungsfähigkeit mit der eigenen Zahlungsunfähigkeit und die Attribuierung der Schuld an Andere ausdrücke. Typisch für diese Persönlichkeitsstruktur sei auch ein Gefühl der ungerechten und übervorteilenden Behandlung. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde die Entstehung der depressiven Störung durch diese Persönlichkeitsstruktur im Zusammenhang mit den aktuellen zivilrechtlichen Problemen bedingt. Zwar erscheine als problematisch im Zusammenhang mit der vom Schuldner zu 2) geäußerten Suizidandrohung, dass zwanghafte Persönlichkeiten auch zu einem erheblichen Maß an Rigidität und Eigensinn neigten und zu einem unbegründeten Bestehen auf Unterordnung Anderer unter eigene Gewohnheiten und Ansichten, und dass es typischerweise auch zu einem Andrängen beharrlicher und unerwünschter Gedanken und Impulse komme, was dann auch eine einmal gefasste Suizidabsicht begünstigen könne. Wenn der Schuldner zu 2) aber gegenüber dem Gutachter äußere, dass er sich nicht bei einer Räumung, sondern vielmehr bei einer im Zusammenhang mit der Räumung stehenden, nach seinem Dafürhalten ungerecht niedrigen Ausgleichszahlung suizidieren würde, so werde hier im Rahmen der skizzierten Persönlichkeitsstruktur eine narzisstische Kränkung als mögliche Suizidmotivation deutlich, wobei aber gleichzeitig gewürdigt werden müsse, dass sich beim Schuldner zu 2) keine Hinweise auf eine so starke Ausprägung der Persönlichkeitsstruktur ergäben, dass bereits die Kriterien für eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung gegeben wären (S. 31 des Gutachtens). Würdige man die dargestellte Dynamik im Zusammenhang mit der Räumung, so sei deutlich geworden, dass der Schuldner zu 2) sich nicht vorrangig durch die Räumung, sondern vielmehr durch eine von ihm erwartete und als ungerechtfertigt angesehene niedrige Ausgleichszahlung belastet fühle, was als Hinweis zu werten sei, dass weniger eine ideelle Bindung zu dem Anwesen bestehe, als vielmehr eine rationelle Überlegung über den Wert des Anwesens im Vordergrund der Erwägungen stünde, was die affektive Dynamik deutlich reduziert erscheinen lasse.

Würdige man die vorliegenden bedeutsamen Persönlichkeitsfaktoren einer verstärkten Aggressivität und Impulsivität und auch Reizbarkeit und Feindseligkeit, so ließen sich diesbezüglich beim Schuldner zu 2) keine positiven Feststellungen treffen. Er wirke im Wesentlichen überlegt und lasse Enttäuschung über das Verhalten anderer erkennen, so dass sich auch hier keine bedeutsamen Risikoparameter für eine erhöhte Suizidneigung erkennen ließen (S. 32 des Gutachtens).

Das Risiko einer lebensbedrohlichen Gesundheitsgefährdung sei vor dem Hintergrund der festgestellten psychischen Beeinträchtigung nur im Zusammenhang mit dem Risiko einer Selbsttötung zu sehen, da eine Anpassungsstörung und auch eine leichtgradige depressive Störung auch bei der zusätzlichen Belastung einer Räumung konkret keine so ausgeprägte Verschlimmerung erwarten ließen, dass dadurch eine schwere depressive Verstimmung eintreten würde mit einer dann eingeschränkten oder gar aufgehobenen Fähigkeit zur freien Willensbildung (S. 32 des Gutachtens). Hinzu komme, dass der Schuldner zu 2) sich mit dieser Situation bereits langfristig auseinandergesetzt habe und er auch habe Bewältigungsstrategien entwickeln können, wie vor allem auch, sich eine andere kleinere und günstigere Eigentumswohnung suchen zu wollen.

Hinsichtlich der Suizidgefährdung seien Anpassungsstörungen im Gegensatz zu endogenen Depressionen grundsätzlich mit einem deutlich niedrigeren Suizidrisiko behaftet, nachdem das Suizidrisiko mit der Schwere der Depression und damit der psychopathologisch fassbaren Auffälligkeiten zunimmt, was insbesondere dann gelten müsse, wenn zu der affektiven Beeinträchtigung auch noch weitere formalgedankliche oder wahnhafte Komponenten hinzuträten, die den Umweltbezug beeinträchtigten und den gedanklichen Zugang zu früheren Wertvorstellungen und Verhaltensweisen erschweren oder gar unmöglich machen. Im vorliegenden Fall ergäben sich aber abgesehen von der dargelegten leichtgradigen psychischen Symptomatik, die sich vorwiegend auf vegetative Beeinträchtigungen und Gefühle der Bedrücktheit und Niedergeschlagenheit beschränkten, keine sonstigen schwerwiegenden psychopathologisch fassbaren Auffälligkeiten, die über die dargelegte Persönlichkeitsstruktur hinaus eine Suizidentscheidung ersichtlich beeinflussen könnten (S. 33 des Gutachtens). Zusammenfassend sei festzustellen, dass eine konkrete lebensbedrohliche Gesundheitsgefährdung bzw. eine konkrete ernsthafte Befürchtung einer Selbsttötung bei einer Räumung nicht zu objektivieren sei (S. 34 des Gutachtens). Dem schließt sich das Gericht vollumfänglich an.

Hinzu kommt noch, dass nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine ambulante oder nervenärztliche Behandlung in Form einer stützenden Psychotherapie mit zusätzlicher medikamentöser Behandlung mit einem Antidepressivum und bedarfsweise einem sedierenden und angstlösenden Benzodiazepin das Risiko eines Suizides noch weiter verringern könnte, was allerdings eine konsequente Behandlungsbereitschaft des Schuldners zu 2) voraussetzt, welche im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens aber nicht feststellbar war, wobei zwischenzeitlich offensichtlich eine Einnahme eines Antidepressivums in niedriger bis mittelhoher Dosierung erfolgt (siehe Gutachten vom 04.03.2022, S. 5).

An alldem ändern auch die mit Schriftsatz vom 13.01.2022 vorgelegten Atteste/ärztlichen Bescheinigungen nichts. Wie der Sachverständige ### in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.03.2022 (Bl. 146) nachvollziehbar ausgeführt hat, liegen weiterhin keine konkreten Anknüpfungspunkte für die Annahme einer Depression vor. Auch die am 13.01.2022 bei einer Vorstellung des Schuldners zu 2) im Krankenhaus erfolgte Diagnose eines Schwindels und Verdachts auf Sick Sinus Syndrom lasse auf den psychischen Zustand nicht schließen. Vielmehr sei gerade vor dem Hintergrund des in einem Arztbericht vom 22.12.2021 aufgeführten EKG-Befundes eher von einer kardialen Erkrankung oder aber in besonderem Maße von einer unerwünschten Arzneimittelwirkung des Betablockers Bisoprolol auszugehen (S. 5 der Stellungnahme). Eine konkrete, erhebliche lebensbedrohliche Gesundheitsgefährdung bzw. die konkrete ernsthafte Befürchtung einer Selbsttötung ergäben sich auch aus den vorliegenden zusätzlichen Befunden nicht (S. 6 des Gutachtens).

Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, dass sich der Gesundheitszustand des Schuldners zu 2) wegen seiner kardiologischen Probleme wegen der Räumung verschlechtern sollte. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen befindet sich der Schuldner zu 2) wegen dieser Problematik in ärztlicher Behandlung und wird auch medikamentös behandelt, Letztlich fehlt es an einer nachvollziehbaren Darlegung dazu, warum diese Erkrankung bei laufender (fachärztlicher) Behandlung im Falle der Räumung zu einer lebensbedrohlichen Gesundheitsgefährdung führen soll.

Nach alldem überwiegt nach Überzeugung der Kammer das Interesse der Gläubigerin, fast drei Jahre nach Abschluss des Kaufvertrages die Räumung durchführen zu können.

Um der trotzdem bestehenden Gefahr der Dekompensation des Schuldners zu 2) im Falle einer Räumung entgegen zu wirken, informiert die Kammer das Landratsamt Altötting in seiner Funktion als Sicherheitsbehörde über die hiesige Entscheidung.

c. Die Tatsache, dass die betagte Mutter des Schuldners zu 2) in der Einliegerwohnung lebt und von den Schuldnern versorgt wird, führt ebenfalls zu keiner sittenwidrigen Härte gemäß § 765 a ZPO für die Schuldner.

aa. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob durch die Räumung der Besitz der Mutter, die unstreitig nicht von der Räumung erfasst ist und die in ihren Räumlichkeiten verbleiben darf, beeinträchtigt wird, weil es nur eine gemeinsame Eingangstür gibt. Ebenso kann dahinstehen, ob die Mutter an einem Teil der zu räumenden Fläche Mitbesitz hat oder nicht öder ob ihr Besitz bei einer Räumung aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation beeinträchtigt ist. Eine etwaige Beeinträchtigung des Besitzes der Mutter, ist für die hiesige Entscheidung nicht erheblich, da hier ausschließlich die Belange der hiesigen Schuldner im Sinne des Vorliegens einer unzumutbaren Härte nach § 765a ZPO für diese zu prüfen sind. Auf Besitzrechte Dritter kann eine unzumutbare Härte aber nicht gestützt werden.

Dahinstehen kann daher, dass durch die Räumung aus Sicht der Kammer ohnehin keine Beeinträchtigung des Besitzes der Mutter vorliegt.

bb. Soweit die Schuldner geltend machen, dass durch ihren Auszug Probleme mit der Versorgung der Mutter auftreten könnten, liegt ebenfalls keine unbillige Härte für die Schuldner im Sinne des § 765 a ZPO vor.

Grundsätzlich bleiben im Falle einer Räumung Belange Dritter außer Betracht. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn Dritte dem Schutzbereich des Schuldners zuzurechnen sind, wie etwa nahe Angehörige und dadurch auch die Interessenssphäre des Schuldners in besonderer Weise betroffen ist. So liegt es aber hier nicht.

Voranzustellen ist, dass die Mutter nicht vom Räumungstitel erfasst ist und (unstreitig) in ihren Räumlichkeiten verbleiben darf. Es geht also nicht darum, ob die Mutter durch eine (eigene) Zwangsräumung ernstliche gesundheitliche Schäden drohen, denn eine solche Räumung kann nicht erfolgen.

Es kann dahinstehen, wie pflegebedürftig die Mutter tatsächlich genau ist und in welchem Maße sie von den Schuldnern (oder ggf. Dritten) versorgt wird bzw. werden muss.

Zum einen bleibt es den Schuldnern unbenommen, die Mutter bei einem Umzug in andere Räumlichkeiten mitzunehmen oder diese ggf. in einer Pflegeeinrichtung unterzubringen.

Sollte dies aus tatsächlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich sein, so kann sich die Mutter – wie ausgeführt – auch nach der Räumung wie bisher in ihren Räumlichkeiten aufhalten und dort auch jegliche Dritte empfangen. Einerseits bleibt es den Schuldnern und der Mutter unbenommen, ganz oder zeitweise eine Pflegekraft einzustellen, die die erforderliche Versorgung gewährleistet. Die von den Schuldnern im Schriftsatz vom 25.04.2022 behauptete Erforderlichkeit der Beatmung der Mutter lässt ohnehin darauf schließen, dass diese einer Versorgung durch medizinisch geschulte Personen bedarf. Den Schuldnern bleibt es darüber hinaus aber auch unbenommen, in die Nähe der Mutter zu ziehen und diese selbst zu versorgen. Jedenfalls haben die Schuldner (soweit dies dem Willen der Mutter entspricht) jederzeitigen Zugang zu den Räumlichkeiten der Mutter. Es bleibt den Schuldnern auch nach der Räumung unbenommen, sich weiterhin im erforderlichen Umfang um die Mutter zu kümmern und sich dazu (zeitlich unbegrenzt) in deren Räumlichkeiten aufzuhalten.

Dass dies ggf. für die Schuldner mit Unannehmlichkeiten verbunden ist, kann nicht zu einer unbilligen Härte für diese führen. Dabei ist im Rahmen der Abwägung der Interessen von Schuldnern und Gläubigerin auch zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Anwesen im Wege eines privatrechtlichen Kaufvertrages verkauft wurde und zwar mit notariellem Kaufvertrag vom 26.07.2019. Zu diesem Zeitpunkt lebte die damals bereits fast 88-jährige Mutter bereits im streitgegenständlichen Anwesen, war bereits pflegebedürftig und sowohl körperlich als auch geistig beeinträchtigt (vgl. Sozialmedizinisches Gutachten vom 17.102018, Anlage A3). Bereits am 02.10.2014 lag bei ihr eine Vielzahl von Erkrankungen vor (vgl. Anlage A4). Aus der Anlage 2 des Schriftsatzes vom 30.10.2020 aus der Beiakte 50 M 325/20 (Amtsgericht Altötting) geht zudem hervor, dass bei der Mutter bereits im Jahr 2018 eine schwere Herzerkrankung diagnostiziert wurde. Ausweislich des Schriftsatzes vom 28.10.2020 im Verfahren 50 M 325/20 (Amtsgericht Altötting) und der dortigen Anlagen war die Mutter des Schuldners zu 2) bereits seit 2007pflegebedürftig.

Der Verkauf des Anwesens an die Gläubigerin erfolgte also im vollen Bewusstsein des Zustandes der Mutter, wobei auf der Hand lag, dass dieser sich in weiterer Folge eher verschlechtern wird. Der Verkauf unter diesen Umständen erfolgte aber aus freiem Willen der Schuldner in Kenntnis aller die Mutter betreffenden Umstände und der Kenntnis, dass der Verkauf in der Folge einen Auszug aus dem Anwesen bedeutet. Hinzu kommt, dass die Schuldner ab Kaufvertragsabschluss ohnehin noch ein Jahr lang vereinbarungsgemäß in der Wohnung bleiben durften.

Sie hatten also ein ganzes Jahr Zeit, sich nach geeigneten Ersatzräumlichkeiten umzusehen, in denen bei entsprechendem Wunsch auch die Mutter aufgenommen werden könnte. Die Kammer geht hier zu Gunsten der Schuldner davon aus, dass bei Abschluss des Kaufvertrages die Schuldner willig waren, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen und die Wohnung fristgerecht unter Lösung der bekannten Problematik um die Mutter des Schuldners zu 2) zu räumen, da ansonsten ein Eingehungsbetrug im Raum stünde.

Unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses der Gläubigerin bedeutet damit die Räumung nicht wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für die Schuldner, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist.

Die sofortige Beschwerde war somit zurückzuweisen.

2. Der Beschluss des Landgerichts Traunstein vom 27.05.2021 ist damit gegenstandslos.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

4. Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vorliegt noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 ZPO Satz 1).

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