LG Berlin – Az.: 63 S 439/10 – Urteil vom 06.05.2011
1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 23. Juni 2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 15 C 376/09 – wird auf Ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31. August 2011 gewährt.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Räumungsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.000 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen können die Beklagten die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Der Kläger, der seit 15.02.2003 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, begehrt die Räumung der von den Beklagten inne gehaltenen Wohnung in der … aufgrund einer am 27.10.2008 ausgesprochenen Kündigung wegen Eigenbedarfs; widerklagend machen die Beklagten einen Anspruch auf Vorschuss zur Durchführung von Mängelbeseitigungsarbeiten geltend.
Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme der Räumungsklage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Eigenbedarf sei erwiesen; eine etwaige Einschränkung des Kündigungsrechts, die die Beklagten aufgrund eines Mietvertrags mit der Rechtsvorgängerin des Klägers – der … Wohnungsbaugesellschaft … mbH – vom 25.06.1996 betreffend eine Wohnung im 4.OG rechts einwenden, sei hinsichtlich ihrer Einbeziehung in das streitgegenständliche Mietverhältnis über die von ihnen seit 01.07.2003 im Vorderhaus 1. OG bewohnte Wohnung, für die ein schriftlicher Mietvertrag nicht existiert, nicht bewiesen. Aufgrund der zum 01.08.2009 erfolgten Beendigung des Mietverhältnisses stehe ihnen der Anspruch auf Vorschuss für die Mängelbeseitigung nicht zu.
Gegen dieses ihnen am 28.06.2009 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 21.07.2010, eingegangen am 22.07.2010, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 05.08.2010, eingegangen am 06.08.2010, begründet.
Sie sind der Auffassung, der in der Klageschrift enthaltene Vortrag, wonach die Bedingungen aus dem schriftlichen Mietvertrag vom 25.06.1996 auch für das hier streitgegenständliche Mietverhältnis gelten sollten, als Geständnis des Klägers zu werten sei; hieraus ergebe sich, dass die Kündigung unbegründet sei.
Der dortige § 4 (3)lautet:
„Das Wohnungsunternehmen wird von sich aus das Mietverhältnis grundsätzlich nicht auflösen. Es kann jedoch in besonderen Ausnahmefällen das Mietverhältnis schriftlich unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen kündigen, wenn wichtige berechtigte Interessen des Wohnungsunternehmens eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen….“
Die Beklagten beantragen, unter Abänderung des angefochtenen Urteils
1. die Klage abzuweisen,
2. den Kläger zu verurteilen, an sie 5.719,62 EUR zu zahlen und
3. die Revision zuzulassen
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird anstelle des Tatbestands auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 511 ff. ZPO zulässige Berufung führt in der Sache nicht zum Erfolg; sie ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
Die Kündigung des Klägers vom 27.10.2008 ist gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB begründet; die Beklagten sind gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet.
Das angefochtene Urteil geht zu Recht davon aus, dass durch die Beweisaufnahme erwiesen ist, dass der Sohn des Klägers und dessen Lebensgefährtin die von den Beklagten inne gehaltene Wohnung benötigen und dieser Nutzungswille ein berechtigtes Eigenbedarfsinteresse des Klägers gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen. Diesen Umstand greifen die Beklagten mit der Berufung im Übrigen auch nicht an.
Es kann dahin stehen, ob es sich bei dem vorgenannten Selbstnutzungswunsch um ein „wichtiges besonderes Interesse“ im Sinne von § 4 (3) des Mietvertrags vom 25.06.1996 handelt. Denn die dort vereinbarte Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters ist jedenfalls nicht Bestandteil des Mietverhältnisses über die nunmehr seit 01.07.2003 von den Beklagten bewohnte Wohnung im 1. OG rechts geworden.
Unstreitig ist zwischen den Parteien ein neues Mietverhältnis über diese Wohnung zum 01.07.2003 begründet worden, nachdem sie zuvor nach dem Mietvertrag vom 25.06.1996 eine Wohnung im 4.OG bewohnt hatten.
Ein schriftlicher Mietvertrag über die Wohnung im 1.OG ist gleichfalls unstreitig nicht zwischen den Parteien geschlossen worden. Die Parteien streiten lediglich darüber, mit welchem Inhalt das jetzige Mietverhältnis vereinbart ist.
Ein Verzicht des Vermieters auf das Recht, das Wohnraummietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu kündigen, bedarf – wie der gesamte Mietvertrag – gemäß § 550 Satz 1 BGB der Schriftform, wenn der Verzicht für mehr als ein Jahr gelten soll. Denn § 550 BGB verfolgt vor allem den Zweck, es dem Grundstückserwerber, der in einen bestehenden Mietvertrag eintritt, zu erleichtern, sich über den Umfang der auf ihn übergehenden Bindungen zu unterrichten. Hauptzweck des Schriftformerfordernisses (neben Warn- und Beweisfunktion) ist also der Schutz des Informationsinteresses eines potentiellen Grundstückserwerbers. Dies gilt auch im Fall des – eingeschränkten – Kündigungsverzichts wegen Eigenbedarfs. Ohne Einhaltung der Schriftform würde dem Erwerber anhand des Mietvertrags die Beschränkung des Kündigungsrechts nicht zur Kenntnis gelangen, obwohl gerade der Erwerber von Wohnraum nicht selten ein gesteigertes Interesse an dem Sonderkündigungsrecht haben wird. (BGH v. 04.04.2007 – VIII ZR 223/06, GE 2007, 906).
Da hier unstreitig ein schriftlicher Mietvertrag nicht vorliegt, ist die Formvorschrift nicht eingehalten. Unerheblich ist hier aber auch, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt im einzelnen die Parteien die Fortgeltung der Regelungen im Mietvertrag vom 25.06.1996 vereinbart haben; denn jedenfalls ist die Schriftform des § 126 BGB nicht gewahrt.
Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung, deren Sachverhalt immerhin eine schriftliche – wenn auch lose – Anlage mit der Kündigungsbeschränkung zum dortigen Mietvertrag zugrunde lag, ausgeführt: „Wenn die Vertragschließenden wesentliche Bestandteile des Mietvertrags – dazu gehört hier der Verzicht auf die Eigenbedarfskündigung – nicht in die Vertragsurkunde selbst aufnehmen, sondern in andere Schriftstücke auslagern, so dass sich der Gesamtinhalt der mietvertraglichen Vereinbarung erst aus dem Zusammenspiel dieser „verstreuten“ Bestimmungen ergibt, muss zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich gemacht werden“ (BGH v. 15. November 2006 – XII ZR 92/04, NZM 2007, 127; BGH v. 04.04.2007 a.a.O.).
Das gilt erst recht, wenn – wie hier – durch den Austausch des Mietobjekts eine neues Mietverhältnis begründet wird und die Parteien lediglich die Fortgeltung der Bestimmungen des vorherigen Mietverhältnisses vereinbaren, ohne dass dies schriftlich niedergelegt würde. Denn der Warn- und Beweisfunktion kann hierdurch eben nicht Genüge getan werden.
Da somit das Mietverhältnis über die im 1.OG recht inne gehaltene Wohnung durch die Kündigung vom 27.10.2008 per 31.07.2009 beendet ist, sind die Beklagten zur Räumung und Herausgabe verpflichtet.
Ein Anspruch auf Mängelbeseitigung aus § 535 BGB steht ihnen im beendeten Mietverhältnis nicht mehr zu, so dass sie auch keinen Vorschuss hierfür beanspruchen können. Die Widerklage ist daher unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 7 und 10, 711 ZPO.
Den Beklagten war – auch angesichts des seit längerer Zeit bestehenden Mietverhältnisses – gemäß § 721 Abs. 1 ZPO eine Räumungsfrist bis 31.08.2011 zu gewähren, die im vorgenannten Sinne angemessen, zur Ersatzwohnraumsuche aber auch ausreichend ist.
Wegen der bislang höchstrichterlich nicht entschiedenen Frage, ob und wie die Schriftform des § 126 BGB bei der vereinbarten Fortgeltung eines schriftlichen Mietvertrags unter Auswechselung des Mietgegenstands eingehalten wird, war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision zuzulassen.