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Fehlverhalten des Vermieters bei persönlicher Übergabe des Kündigungsschreibens

AG München – Az.: 473 C 31187/11 – Urteil vom 06.03.2012

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Wohnung Nr. … im Anwesen … in …, bestehend aus 3 Zimmern, 1 Kammer, 1 Küche, 1 Korridor/Diele, 1 Bad mit Toilette, 1 Balkon sowie 1 Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Hinsichtlich Ziffer 1 kann die Beklagte die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 3.000,00 abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Bezüglich Ziffer 2 kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollsteckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 26.040,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Räumung wegen Zahlungsverzug. Die Beklagte begehrt widerklagend von der Klägerin Schadensersatz in Höhe von € 15.000,00 wegen immateriellen Rechtsgutverletzungen sowie Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet sei, alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 28.07.2011 zu ersetzen.

Die Klägerin ist Vermieterin, die Beklagte ist Mieterin im Anwesen … in … . Die monatliche Miete beträgt € 920,00 zuzüglich € 220,00 Betriebskostenvorauszahlung, also insgesamt € 1.140,00.

Mit Schreiben vom 01.07.2011 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis außerordentlich, wegen Zahlungsverzug in den Monaten Dezember 2010 bis einschließlich Mai 2010. Diese Kündigung wurde durch Nachzahlung der Mietrückstände nachträglich unwirksam.

Mit Schreiben vom 30.10.2011 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis erneut außerordentlich wegen vollumfänglichen Zahlungsverzug in den Monaten August 2011 bis Oktober 2011. Mit Schreiben der Klägerin, vertreten durch den Haus- und Grundbesitzerverein München und Umgebung e. V. wurde der Beklagten erneut mit Schreiben vom 11.11.2011 fristlos wegen Zahlungsverzuges in den Monaten August 2011 bis einschließlich November 2011 gekündigt.

Derzeit sind die Mieten August 2011 bis einschließlich Februar 2012 in voller Höhe offen.

Die Klägerin beantragt daher: Die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung Nr. … im Anwesen … in …, bestehend aus 3 Zimmern, 1 Kammer, 1 Küche, 1 Korridor/Diele, 1 Bad mit Toilette, 1 Balkon sowie 1 Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.

Die Beklagte beantragt: Abweisung der Klage.

Die Beklagte rechnet gegen die Mietzinsforderungen der Klägerin mit Schadensersatzforderungen in Höhe von € 15.000,00 auf und macht diese Forderung auch widerklageweise geltend.

Die Beklagte und Widerklägerin (folgend Beklagte) ist der Auffassung, die Klägerin und Widerbeklagte (folgend Klägerin) habe mehrfach immaterielle Rechtsgutverletzungen gegenüber der Beklagten und deren minderjähriger Tochter … (17 Jahre) begangen. Der Beklagten sei am Samstag den 02.07.2011 das Kündigungsschreiben vom 01.07.2011 gegen 13.00 Uhr von der Klägerin in Begleitung ihres Ehemannes übergeben worden. Am 28. Juli 2011 sei durch die Tochter der Klägerin gegen 20.30 Uhr im streitgegenständlichen Anwesen an der Eingangstüre massiv über einen erheblichen Zeitraum Sturm geklingelt worden. Auf Grund eines erheblichen zahnärztlichen Eingriffs, den die Beklagte am selben Tag gegen 13 Uhr gehabt habe, sei sie nicht in der Lage gewesen, Erklärungen abzugeben. Zunächst habe die Beklagte daher die Tür nicht geöffnet. Da aber erneut über einen längeren Zeitraum Sturm geklingelt worden sei, habe sich die Beklagte genötigt gefühlt, die Eingangstür zu öffnen. Der Beklagten seien durch die Tochter der Klägerin ein Schreiben vom 21.07.2011 und ein Schreiben vom 27.07.2011 übergeben worden. Durch diesen lautstarken Auftritt habe die Tochter der Beklagten erhebliche Angstzustände bekommen und gegenüber der Beklagten erklärt, dass sie die Vorkommnisse nicht länger ertrage und deshalb zu ihrem Vater ziehen werde. Die Tochter sei dann Ende August nach der Rückkehr aus dem Urlaub zu ihrem Vater gezogen. Der Auftritt der Klägerin stelle einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre sowie einen unzulässigen Eingriff in die Gesundheit der Beklagten sowie deren minderjährigen Tochter … dar. Der Auftritt der Klägerin stelle ebenso einen unzulässigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beklagten und ihrer Tochter dar. Ebenso sei durch den Auftritt der Klägerin ein Eingriff in die Ausübung der elterlichen Sorge gegeben. Auch in die Mutter-Tochter-Beziehung sei eingegriffen worden, da die Beklagte zu ihrer minderjährigen Tochter eine ungewöhnlich enge Mutter-Tochter-Beziehung pflege, welche sich durch das Lebenskonzept ergeben habe. Diese Beziehung lasse sich nicht an allgemein üblichen Normen messen. Die Tochter habe die Wohnung der Beklagten verlassen, da sie den von der Klägerin als Vermieterin ausgeübten psychischen Druck nicht mehr ertragen habe. Dieses rechtswidrige Verhalten der Klägerin stelle eine Verletzung der Privatsphäre, Individualsphäre und Intimsphäre sowie eine Verletzung der Gesundheit der Beklagten dar, da sie seit dem Auftritt der Klägerin erheblich in ihrer subjektiven Befindlichkeit belastet sei.

Weiter habe sich die Klägerin unangebracht über die teure Designerkleidung der Beklagten und ihrer Tochter geäußert. Ebenso habe sich die Klägerin unangemessen über die Berufsausübung der Beklagten als selbständig tätige Rechtsanwältin geäußert und über das von der Beklagten gefahrene Kfz. Die Beklagte sei aufgefordert worden, sie solle doch das Auto verkaufen.

Am 28.02.2011 gegen 19.30 Uhr habe die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann vor dem streitgegenständlichen Anwesen auf die Beklage gewartet und ohne Anmeldung Zutritt zu der streitgegenständlichen Wohnung gefordert. Als die Beklagte dies verweigerte, habe die Beklagte vor dem Anwesen die Entgegennahme eines Schreiben unterzeichnen müssen und sie sei lautstark angegangen worden. Bereits vorher sei die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann mehrfach ohne jede Voranmeldung in der streitgegenständlichen Wohnung erschienen, um mietrechtliche Angelegenheiten im Beisein der Tochter zu besprechen. Die Tochter sei sogar aufgefordert worden, ihren Vater von den Vorgängen in Kenntnis zu setzen. Durch diese unangebrachte Einmischung sei der Beklagten ein erheblicher Schaden entstanden, der über die aufgerechneten Schadensersatzansprüche erheblich hinausgehe.

Die Beklagte und Widerklägerin beantragt daher:

1. Die Klägerin wird verurteilt, der Beklagten ein Schadensersatz in Höhe von € 15.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 28.07.2011 zu ersetzen.

Die Klägerin und Widerbeklagte beantragt: Abweisung der Widerklage.

Die Klägerin und Widerbeklagte (folgend Klägerin) trägt vor, das Schreiben vom 27.07.2011 sei der Beklagten am 28.07.2011 gegen 18.30 Uhr durch die Tochter der Klägerin, Frau …, übergeben worden. Da zunächst auf das erste Klingeln niemand geöffnet habe, sei ein zweites Mal geklingelt worden. Es sei nicht über einen längeren Zeitraum Sturm geklingelt worden. Von einer zahnärztlichen Behandlung habe weder die Klägerin noch ihre Tochter Kenntnis gehabt. Nachdem die Tochter der Klägerin das Schreibe der Beklagten übergeben habe und gute Besserung gewünscht hatte, habe sie sich sofort verabschiedet. Es habe weder ein längeres Gespräch noch einen lautstarken Auftritt gegeben. Es habe keinerlei Auftritt der Klägerin gegeben, die zu den beklagtenseits vorgetragenen Eingriffen geführt hätten. Ebenso habe es keine unangebrachten Einmischungen der Klägerin gegeben, in denen die Tochter der Beklagten aufgefordert worden sei, ihren Vater über die Vorgänge in Kenntnis zu setzen. Es läge kein Verhalten der Klägerin vor, das eine Schadensersatzforderung in irgendeiner Höhe rechtfertige. Vorsorglich trägt die Klägerin vor, die Schadensersatzforderung sie unangemessen und überhöht.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 07.02.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet, die zulässige Widerklage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 546 BGB einen Anspruch auf Rückgabe und Räumung der streitgegenständlichen Wohnung. Die Kündigung vom 30.10.2011 hat das Mietverhältnis beendet. Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 a) war die fristlose Kündigung wirksam. Zum Zeitpunkt der Kündigung befand sich die Beklagte mit den Mieten für die Monate August 2011, September 2011 und Oktober 2011 vollumfänglich in Zahlungsverzug.

Der Beklagten steht keine Forderung zu, mit der sie gegen die Mietrückstände aufrechnen konnte.

Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten einschließlich der Vorfälle vom 28.07.2011 und 28.02.2011 als wahr unterstellt, ist darin kein Eingriff in immaterielle Rechtsgüter der Beklagten zu sehen.

Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfasst die Individualsphäre, die Privatsphäre und die Intimsphäre. Die Individualsphäre schützt das Selbstbestimmungsrecht und bewahrt die persönliche Eigenart des Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt, vgl. Palandt, 71. Auflage, § 823 BGB Rn 87. Ein Eingriff in die Individualsphäre und Intimsphäre ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich.

Die Privatsphäre umfasst den Lebensbereich, zu dem andere Menschen nach der sozialen Anschauung nur mit Zustimmung des Betroffenen Zugang haben, insbesondere das Leben im häuslichen oder Familienkreis und das sonstige Privatleben im eigenen häuslichen Bereich wie die Wohnung, vgl. Palandt a. a. O. Nach dem Vortrag der Beklagten stellt weder der Vorgang vom 28.02.2011 noch der Vorgang vom 28.07.2011 einen Eingriff in die Privatsphäre der Beklagten dar. Weder die Klägerin noch die Tochter der Klägerin haben unbefugt die Wohnung der Beklagten betreten. Das Übergeben von Schriftstücken vor der Haustür oder an der geöffneten Wohnungstür stellt keinen Eingriff in die Privatsphäre dar. Auch im „Sturmklingeln“ zunächst an der Haustür und später an der Wohnungstür ist kein Eingriff zu sehen, zumal es der Beklagten auch unter Berücksichtigung des am selben Tag vorangegangenen zahnärztlichen Eingriffs frei gestanden hätte, die Wohnungstür schlicht nicht zu öffnen. Selbst wenn man im Verhalten der Klageseite ein Eingriff sehen würde, so mangelt es diesem Eingriff an einer gewissen Erheblichkeit. Im „Sturmklingeln“ sowie lautstarkem Übergeben von Schriftstücken an geöffneter Tür wäre allenfalls ein unerheblicher Eingriff zu sehen. Darüber hinaus scheitert der Eingriff auch an der Widerrechtlichkeit da die Klägerin ein nachvollziehbares Interesse daran hatte, der Beklagten wichtige Schreiben, insbesondere Kündigungsschreiben, persönlich zu übergeben.

Der Vorfall stellt auch keinen Eingriff in die Ausübung der elterlichen Sorge der Beklagten dar. Es ist nicht ersichtlich, dass und wie die Klageseite durch „Sturmklingeln“ und nachfolgende Übergabe von Schriftstücken an der geöffneten Wohnungstür in das Recht der Beklagten, für ihr minderjähriges Kind zu sorgen, eingegriffen haben soll. Wenn sich die 17-jährige Tochter aus Anlaß des Klingelns entschied, zu ihrem Vater zu ziehen, kann diese Entscheidung nicht der Klägerin zugerechnet werden. Der Auszug der Tochter mag für die Beklagte als Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens empfunden werden, dennoch beruht der Auszug der Tochter auf einem Entschluss der Tochter. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Tochter durch einen einmaligen Vorfall von „Sturmklingeln“ so unter psychischen Druck geriet, dass es in Folge dessen zum Auszug der Tochter kam.

Auch aus dem weiteren Vortrag der Beklagten im Hinblick auf unangebrachte Äußerungen der Klägerin gegenüber der Beklagten sowie unangemeldetes Erscheinen in/an der Wohnung der Beklagten läßt sich ein Eingriff einer gewissen Intensität nicht ersehen.

Im Ergebnis steht der Beklagten mangels Eingriff kein Schadensersatzanspruch zu. Die Beklagte konnte daher auch nicht wirksam gegen die Mietzinsansprüche der Klägerin aufrechnen, so dass die Mietzinsansprüche der Klägerin fortbestehen.

Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet da, wie oben ausgeführt, mangels Vorliegen eines Eingriffes in Rechte der Beklagten kein Recht zur Aufrechnung bestand und im Ergebnis daher auch kein Anspruch auf Schadensersatz besteht. Mangels Eingriff fehlt es auch am Rechtschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag im Hinblick auf zukünftige Schäden aus dem Vorfall vom 28.07.2011.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 7, Nr. 11, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 41 Abs. 1 GKG.

 

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