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Festhalten an Eigenbedarfskündigung bei Wegfall des Eigennutzungswillens

LG Berlin – Az.: 67 S 9/18 – Urteil vom 29.01.2019

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 30. November 2017 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 121 C 51/17 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten haben vorab die Kosten der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme als Gesamtschuldner zu tragen; die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Tatbestand entfällt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO.

II.

Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gegenüber den Beklagten gemäß §§ 985, 546 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB nicht zu.

Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die Kündigung vom 14. Januar 2016 berufen. Insoweit kann dahinstehen, ob die zwischen den Parteien streitigen Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zum Zeitpunkt des Ausspruchs vorgelegen haben. Danach hat der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt.

Zwar handelt es sich bei der zum Gegenstand der Kündigungserklärung erhobenen Begründung um einen für eine Beendigung des Mietverhältnisses geeigneten Grund i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die Klägerin hat ihre Kündigung damit begründet, dass sie derzeit zwar noch in … lebe, die von den Beklagten innegehaltene Wohnung aber für sich benötige, da sie sich mittlerweile beruflich nach Berlin umorientiert habe. Sie habe dort ein Engagement als Stuntwoman angenommen und werde nach Abschluss einer entsprechenden Ausbildung Ende 2016 zudem eine Festanstellung als Rettungssanitäterin in Berlin antreten.

Selbst wenn der behauptete Eigenbedarf zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs vorgelegen haben sollte, ist es der Klägerin gemäß § 242 BGB verwehrt, sich ohne Ausspruch einer neuerlichen Kündigung auf die kündigungsbedingte Beendigung des Mietverhältnisses zu berufen. Denn der von ihr in der Kündigungserklärung vom 14. Januar 2016 geltend gemachte Kündigungsgrund ist vor Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Januar 2017 entfallen. Zwar lässt ein nachträglicher Wegfall des Nutzungswillens die Wirksamkeit der Kündigung unberührt; es ist allerdings nach von der Kammer geteilter Rechtsprechung des BGH rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter den aus der Vertragsbeendigung folgenden Räumungsanspruch gleichwohl weiterverfolgt (vgl. BGH, Urt. v. 9. November 2005 – VIII ZR 339/04, NJW 2006, 220, juris Tz. 13 f.; Blank, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 Rz. 73 m.w.N.). Ein zur Anwendung des § 242 BGB führender Wegfall des Kündigungsgrundes ist auch dann gegeben, wenn ein zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hinreichend verdichteter Nutzungswunsch des Vermieters bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr von der konkreten Absicht zur alsbaldigen Umsetzung getragen wird.

Gemessen daran sind die Voraussetzungen des § 242 BGB erfüllt. Der geltend gemachte Kündigungsgrund ist – zumindest für unabsehbare Zeit – im Juni 2016 entfallen, nachdem die Klägerin bei einem Arbeitsunfall schwer verletzt wurde und in der Folge nicht nur seit dem 8. Juni 2016 bis einschließlich zum 31. März 2018 dauerhaft krankgeschrieben war, sondern auch ihren Beruf als Stuntwoman aufgeben musste. Sie war zudem gehindert, wie beabsichtigt ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin bis Ende 2016 abzuschließen und im Anschluss daran eine Festanstellung in Berlin anzutreten. Stattdessen ist die Klägerin zunächst krankheitsbedingt zu ihrer Mutter nach Y verzogen und hat erst am 1. April 2018 – mehr als zwei Jahre nach Ausspruch der Kündigung und 14 Monate nach Ablauf der Kündigungsfrist – ihre Ausbildung als Rettungssanitäterin fortgesetzt. Noch im März 2018 ist der Klägerin ärztlich bescheinigt worden, dass sie nach ihrem Arbeitsunfall im Jahre 2016 an einer posttraumatischem Belastungsstörung leide und ihre Zukunft „unklar“ sei.

Damit aber beruhte der von der Klägerin geltend Eigenbedarf, auch wenn er zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs tatsächlich bestanden haben sollte, bei Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr auf einem hinreichend verdichteten Nutzungswunsch. Ein solcher ist – in Abgrenzung zu einer gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB unzureichenden Kündigung auf Vorrat – nur zu bejahen, wenn ein konkretes Interesse des Vermieters an der alsbaldigen Eigennutzung der Mietsache vorliegt und dieses in einem absehbaren und zeitlich engen Zusammenhang mit der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses steht (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 2017 – VIII ZR 243/16, NZM 2017, 756, juris Tz. 18; Kammer, Urt. v. 20. September 2018 – 67 S 16/18, ZMR 2019, 21, juris Tz. 4). Daran jedoch fehlte es, nachdem die weitere private und berufliche Zukunft der Klägerin aufgrund ihres Unfalls und der damit im Zusammenhang stehenden physischen und psychischen Folgebeeinträchtigungen seit Juni 2016 bis weit über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus auf unabsehbare Zeit ungewiss geworden ist.

Vor diesem Hintergrund konnte dahinstehen, ob die Beklagten im Falle der kündigungsbedingten Beendigung des Mietverhältnisses wegen ihres vorgerückten Alters, der von ihnen dargetanen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, des bereits seit 1987 andauernden Mietverhältnisses und der damit verbundenen Verwurzelung am Ort der Mietsache sowie der von ihnen behaupteten Unmöglichkeit, Ersatzwohnraum zu angemessenen Bedingungen zu beschaffen (vgl. dazu Kammer, Urt. v. 25. Januar 2018 – 67 S 272/17, NJW-RR 2018, 1034, juris Tz. 9), von der Klägerin gemäß §§ 574 Abs. 1, Abs. 2, 574a Abs. 1, Abs. 2 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit aus Härtegründen hätten verlangen können.

Die prozessualen Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 96, 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO. Gründe, die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen, bestanden nicht.

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