LG Heidelberg – Az.: 5 S 119/10 – Urteil vom 15.04.2011
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg 12.11.2010, Az. 21 C 232/10, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 30.5.2011 eingeräumt.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt vom Beklagten Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung. Mit Mietvertrag vom 15.12.2003 vermietete der Kläger an den Beklagten, dieser vertreten durch seinen Betreuer, eine Einzimmerwohnung im Anwesen K… Straße … in H…. Der Beklagte ist psychisch erkrankt; er leidet an einer schizophrenen Erkrankung. Er befand sich deshalb schon mehrfach in stationärer Behandlung im psychiatrischen Zentrum N… und ist dort seit 14.9.2010 erneut untergebracht.
Ab September 2009 verschlechterte sich der Zustand des Beklagten deutlich. Mehrfach kam es zu Handlungen des Beklagten, die von den Mitbewohnern des Hauses als störend oder bedrohlich empfunden wurden, und die auch zu Polizeieinsätzen führten. Mieter benachbarter Wohnungen minderten wegen des Verhaltens des Beklagten zum Teil ihre Miete, zum Teil erklärten sie die fristlose Kündigung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Unter Bezugnahme auf verschiedene derartige Vorfälle wurde das Mietverhältnis von der Klägerin gegenüber dem Betreuer des Beklagten durch Anwaltsschreiben vom 2.6.2010 (AS I 29) und nochmals durch den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 25.9.2010 (AS I 197) fristlos sowie hilfsweise ordentlich gekündigt.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 12.11.2010 der Klage stattgegeben. Es hat hierzu ausgeführt, jedenfalls die Kündigung vom 25.9.2010 habe das Mietverhältnis gemäß § 543 Abs. 1 BGB mit sofortiger Wirkung beendet. Der Beklagte habe gegen das ihm gegenüber Vermieter und Mitmietern bestehende Rücksichtnahmegebot verstoßen, indem er Mitmieter und Besucher beim Schlafen gehindert, sie durch Schreien und Gesten bedroht und durch unkontrollierten Gebrauch von Kerzen sowie Verstecken von Feuerlöschern gefährdet habe. Bei der notwendigen Interessenabwägung gebe das Ausmaß des Verstoßes gegen Verhaltenspflichten den Ausschlag gegenüber dem nur geringen Verschulden des schwer erkrankten Beklagten. Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen und streitigen Parteivortrags erster Instanz sowie wegen Inhalt und Begründung des angegriffenen Urteils einschließlich der getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf Entscheidungsformel, Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Amtsgerichts Heidelberg vom 12.11.2010 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten. Er räumt ein, dass sein Verhalten Anlass zu Streitigkeiten und Polizeieinsätzen gegeben habe. Es müsse aber berücksichtigt werden, dass dieses Verhalten auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen sei. Er habe zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr für seine Umgebung dargestellt. Zur Behandlung seiner Schizophrenie sei eine Langzeittherapie erforderlich. Diese habe er am 14.9.2010 begonnen. Diese Behandlung verspreche Aussicht auf Erfolg und werde die krankheitsbedingten Verhaltensauffälligkeiten beseitigen. Dies müsse bei der Interessenabwägung den Ausschlag zu Gunsten des Beklagten geben. Es sei dem Kläger zumutbar, den Erfolg der Behandlung abzuwarten, zumal der Beklagte während der stationären Behandlung sich nicht in der Mietwohnung aufhalte und infolgedessen auch keine Störung und Gefahr für die Mitmieter darstelle. Außerdem sei eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Kläger unter dem Aspekt der Sozialpflichtigkeit zumutbar. Dem untergebrachten Beklagten sei eine Wohnungssuche nicht möglich. Eine Wohnungssuche durch seinen Betreuer sei für den Beklagten nicht zumutbar, da die Wohnung als privater Rückzugsraum wesentliches Element der freien Persönlichkeitsentfaltung sei, in welche der Betreuer durch eine eigene Suche in großem Maße eingreifen würde. Außerdem sei eine Wohnungssuche durch den Betreuer angesichts der Unterbringung des Beklagten nicht Erfolg versprechend.
Der Beklagte beantragt:
Unter Abänderung des am 12.11.2010 verkündeten und am 6.12.2010 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Heidelberg (Az. 21 C 232/10) wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil unter vertiefender Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Sachvortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Amtsgericht geht zu Recht von der Wirksamkeit der mit Schriftsatz vom 25.9.2010 ausgesprochenen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gem. § 543 Abs. 1 BGB aus. Infolge wirksamer Beendigung des Mietverhältnisses ergibt sich der Anspruch auf Räumung und Herausgabe aus § 546 Abs. 1 BGB. Ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses aus Härtegründen gem. § 574 BGB ist im Fall der außerordentlichen fristlosen Kündigung von vornherein ausgeschlossen (§ 574 Abs. 1 Satz 2 BGB).
1) Die im Schriftsatz vom 25.9.2010 ausgesprochene fristlose Kündigung war gem. § 543 Abs. 1 BGB wirksam. Nach dieser Vorschrift kann das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos gekündigt werden. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor bei Pflichtverletzungen des Mieters, die aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist begründen. Der Kündigungstatbestand ist verschuldensunabhängig, jedoch ist die Frage eines Verschuldens bei der Abwägung von wesentlicher Bedeutung (zu allem Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 10. Aufl., Rn. 160-164). Tätlichkeiten gegenüber Mitbewohnern und Hausfriedensstörungen können grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (Schmidt-Futterer/Blank, § 543 Rn. 187 f.).
a) Die Kündigung vom 25.9.2010 stützt sich auf in der Sache weit gehend unstreitige Vorfälle vom 5.7.2010 und 16.8.2010. Unstreitig ist, dass am 5.7.2010 zunächst die Nachbarin J… G… durch das Verhalten des Beklagten in seiner Wohnung – laute Selbstgespräche, Werfen von Gegenständen – verängstigt war und die Polizei rief, welche anrückte. Unstreitig ist weiter, dass der Beklagte in der anschließenden Nacht gegen 1:00 Uhr durch den Flur rannte, an Türen und Wände hämmerte und schrie „ich hole meine Männer, ich hole meine Armee, ihr werdet schon sehen“, worauf … erneut die Polizei herbeirief. Unstreitig ist weiter, dass am 16.8.2010 die Maklerin … in Begleitung einer Mietinteressentin den Flur betrat, an welchem die Wohnung des Beklagten liegt. Als der Beklagte beider ansichtig wurde, fing er an zu schreien und rannte mit erhobenen Armen und drohendem Blick auf diese zu, so dass die Maklerin und die Mietinteressentin in den Fahrstuhl flüchteten. Sie verständigten sodann über Notruf die Polizei, welche erneut anrückte.
Es handelt sich hierbei um Verhaltensweisen, die für Mitbewohner und Besucher nachvollziehbar Anlass für Sorge und Verängstigung geben und somit den Hausfrieden erheblich beeinträchtigen. Entgegen der Ansicht des Beklagten bestand auf Grund dieses augenscheinlich aggressiven Verhalten auch berechtigter Anlass für den Kläger, das Verhalten des Beklagten – wie in der Kündigung vom 25.9.2010 ausgeführt – als „ernst zu nehmende Gefahr“ zu werten, zumal nach einem ärztlichen Bericht des PZN vom 17.2.2010 (AS I 39) „Eigengefährdung sowie Fremdgefährdung aufgrund des handlungsbestimmenden Wahns mit Minderung der Kritik- und Urteilsfähigkeit“ besteht. Die vom Beklagten unter Beweisantritt vorgebrachte Behauptung, er habe tatsächlich zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr für seine Umgebung dargestellt, ist hierfür nicht entscheidungserheblich. Für die erhebliche Störung des Hausfriedens genügt es, dass das Verhalten des Beklagten augenscheinlich aggressiv und bei vernünftiger Würdigung als bedrohlich einzuschätzen war.
Bei der nach § 543 Abs. 1 BGB gebotenen Abwägung ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass der Beklagte bereits zuvor in ähnlicher Weise den Hausfrieden gestört hatte und durch die vorangegangene Kündigung vom 2.6.2010 vorgewarnt war. Dieser Kündigung lagen ebenfalls im Wesentlichen unstreitige Hausfriedensstörungen des Beklagten zu Grunde: Im September und Oktober 2009 rückte mehrfach nachts die Polizei an wegen lauter Musik aus der Wohnung des Beklagten. Am 8.10.2009 und 13.10.2009 drapierte der Beklagte im Flur Möbelstücke und andere Utensilien, am 8.10.2009 stellte er zusätzlich sogar mehrere brennende ungesicherte Kerzen auf. Am 15.10.2009 drang massiv Rauch aus der Wohnung des Beklagten, so dass die Feuerwehr anrückte; der Beklagte hatte den Feuerlöscher versteckt! Die Nachbarn und Mitmieter hatten verschiedentlich Anlass, sich über vom Beklagten verursachten Lärm zu beschweren, unter anderem in der Nacht vom 19. auf den 20.2.2010, in der der Beklagte im Flur fortwährend „hört ihr mich“ schrie. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass nach dem bereits zitierten ärztlichen Bericht des PZN vom 17.2.2010 (AS I 39) ein handlungsbestimmender Wahn mit Minderung der Kritik- und Urteilsfähigkeit insbesondere hinsichtlich des Umgangs mit Feuer diagnostiziert wurde.
Schließlich können bei der Abwägung nicht unberücksichtigt bleiben weitere unstreitige Vorfälle, insbesondere dass er am 28./29.7.2010 randalierte, die Tür zum Chinarestaurant im Anwesen eintrat und verschiedene Sachen herunterriss.
Angesichts der geschilderten Vorgeschichte reichen die zwei Vorfälle, welche konkreter Anlass und Kündigungsgrund der Kündigung vom 25.9.2010 waren, für die Bejahung einer Unzumutbarkeit der weiteren Fortsetzung des Mietverhältnisses auch nur bis zum nächsten regulären Kündigungstermin aus. Bei der Abwägung kann unterstellt werden, dass der Beklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung ohne Schuldfähigkeit gehandelt hat. Die erneuten Hausfriedensstörungen machten das Wohnen im Anwesen für die Wohnungsnachbarn und Mitbewohner auf dem Stockwerk jedoch unzumutbar. Es konnte ihnen nicht angesonnen werden, die massiven und bedrohlichen Störungen durch den Beklagten weiter hinzunehmen. Diese Störungen hatten ein Ausmaß erreicht, welches auch bei der gebotenen Rücksichtnahme auf psychisch erkrankte Mitmenschen nicht mehr hingenommen werden muss. Die eigene Wohnung ist nicht nur für den Beklagten, sondern gleichermaßen für seine Wohnungsnachbarn und Mitbewohner, privater und schützenswerter Rückzugsraum. Dieser Rückzugsraum war durch das Verhalten des Beklagten ganz erheblich gestört.
Dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte aufgrund seiner psychischen Erkrankung schützens- und unterstützenswert ist. Die aus seiner Erkrankung resultierenden sozialen Lasten zu tragen, ist Sache des staatlichen Gemeinwesens. Ihm obliegt es, nach Maßgabe des hierfür gegebenen rechtlichen und sozialstaatlichen Rahmens für den Wohnbedarf des Beklagten Sorge zu tragen. Die aus der Erkrankung des Beklagten resultierenden Probleme dürfen dagegen nicht zulasten einzelner, nämlich des Klägers als Vermieter und der Wohnungsnachbarn, gelöst werden, indem diesen über eine – nicht kleinlich bemessene – Zumutbarkeitsgrenze hinaus auferlegt wird, störendes und bedrohliches Verhalten des Beklagten zu ertragen.
b) § 543 Abs. 3 BGB steht der Kündigung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Pflichtverletzungen grundsätzlich nur nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Die vom Kläger zuvor wegen vorangegangener Hausfriedensstörungen ausgesprochene Kündigung vom 2.6.2010 ist jedoch in eine Abmahnung umzudeuten (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, MietR, 10. Aufl., § 541 Rn. 5; KG Grundeigentum 2005, 236). Da die zu Grunde liegenden Hausfriedensstörungen, wie gezeigt, im Wesentlichen unstreitig waren, war die Abmahnung berechtigt. Abgesehen hiervon lagen auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB vor; wenn der Beklagte sich die vorangegangene Kündigung vom 2.6.2010 nicht zur Warnung dienen lassen konnte oder wollte, versprach auch eine weitere Abmahnung offensichtlich keinen Erfolg.
c) Die Kündigung vom 25.9.2010 erfüllt die formalen Voraussetzungen. Eine im Räumungsrechtsstreit durch Schriftsatz erklärte Kündigung genügt der nach § 568 BGB geforderten Schriftform (Palandt/Weidenkaff, BGB, 70. Aufl., § 568 Rn, 6; vgl. BGH NJW 2003, 3265). Die oben dargestellten Kündigungsgründe sind in dem Schriftsatz angegeben (§ 569 Abs. 4 BGB). Die Kündigung war an den bestellten Betreuer des Beklagten zu richten (§ 1902 BGB); dass sein Aufgabenkreis sich auch hierauf erstreckt, ist nicht streitig.
2) Auf die mit der Berufung vor allem aufgeworfene Frage, ob angesichts der zwischenzeitlich erneut begonnenen stationären Behandlung des Beklagten im PZN nunmehr eine positive Prognose hinsichtlich künftiger Hausfriedensstörungen durch den Beklagten berechtigt ist, kommt es nicht an. Die am 25.9.2010 durch Schriftsatz ausgesprochene, dem Betreuer des Beklagten spätestens bis zur mündlichen Verhandlung vom 5.10.2010 zugegangene Kündigungserklärung hat das Mietverhältnis mit sofortiger Wirkung beendet. Damit war der Anspruch auf Räumung und Herausgabe entstanden. Das beendete Mietverhältnis lebt nicht dadurch wieder auf, dass ein Kündigungsgrund nach dem rechtlichen Ende des Mietverhältnisses wegfällt oder im Rahmen einer Abwägung nunmehr anders zu gewichten ist. Dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den Fall der Eigenbedarfskündigung (BGH NJW 2006, 220), die auf andere Kündigungsgründe ohne weiteres übertragbar ist. Mit dem rechtlichen Ende des Mietverhältnisses erlischt das Besitzrecht des Mieters, der die Mietsache sodann sofort zurückzugeben hat. Eine Berücksichtigung von nachträglichen Änderungen hinsichtlich des Kündigungsgrundes im Zeitraum bis zur tatsächlichen Räumung zu Gunsten des Mieters würde den nicht vertragstreu handelnden Mieter, welcher sich unberechtigt der Kündigung widersetzt, bevorzugen.
Die demnach allein für die Beurteilung der Kündigung maßgebliche Sachlage am 25.9.2010 trägt die fristlose Kündigung. Allein der Umstand, dass der Beklagte bereits kurz zuvor am 14.9.2010 erneut ins PZN eingewiesen und dort untergebracht wurde, gab noch keinen Anlass für eine günstigere Beurteilung und Prognose. Denn bereits früher hatten stationäre Behandlungen des Beklagten, zuletzt vom Dezember 2009 bis 18.2.2010 und vom 31.3.2010 bis 18.5.2010, keine Besserung gebracht.
3) Eine kurz bemessene Räumungsfrist wurde dem Beklagten von Amts wegen gem. § 721 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingeräumt, damit sein Betreuer die notwendigen Vorkehrungen für einen Wohnungswechsel treffen kann. Da der Beklagte sich derzeit aufgrund richterlicher Anordnung im PZN befindet, ist die Bewilligung einer kurzen Räumungsfrist für den Kläger zumutbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 7, 10, 713 ZPO.