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Fristlose Mietvertragskündigung auf Grund eines Fehlers des JobCenters

AG Augsburg, Az.: 16 C 408/14, Urteil vom 11.08.2014

1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, die im Anwesen … 2 Zimmern, Wohnküche, Bad, Flur, Balkon, Kellerabteil, Stellplatz zu räumen und an die Klägerin mit allen Schlüsseln herauszugeben.

2. Der Beklagten zu 1 wird eine Räumungsfrist bis 15.01.2015 eingeräumt.

3. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 37,5 %, die Beklagte zu 1 50 Prozent und der Beklagte zu 2 12,5 Prozent. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 trägt diese selbst. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 trägt die Klägerin 76 %, der Beklagte zu 2 24 %.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte zu 1 kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung abwenden, und zwar hinsichtlich der Räumung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 545,87 €, die sich ab 31.08.2014 für jeden angefangenen Monat um 545,87 € erhöht, hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten zu 2 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zu 2 vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Beklagte zu 2 kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Räumung einer Mietwohnung.

fristlose Mietvertragskündigung auf Grund eines Fehlers des JobCenters
Symbolfoto: Von nitpicker /Shutterstock.com

Die Klägerin und dis Beklagte zu 1 schlossen am 25.01.2011 einen Mietvertrag über die Wohnung in der … . Das Mietverhältnis begann am 28.01.2011. Die Miete betragt derzeit 545,87 € monatlich. Die Miete ist laut § 4.1 des Mietvertrages monatlich im Voraus, spätestens am dritten Werktag eines jeden Monats fällig.

Die Beklagte zu 1 bezieht vom Jobcenter Leistungen nach dem SGB II. Sie hat drei Kinder im Kindergartenalter.

Mit Schreiben vom 19.09.2012 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristlos, da die Beklagte zu 1 zu diesem Zeitpunkt mit der Zahlung der Restmieten für Juni 2012 in Höhe von 54,00 € und für Juli 2012 in Höhe von 20,24 € sowie mit den Mieten für August und September 2012 in Höhe von jeweils 489,00 € in Rückstand war. Dieser Mietrückstand wurde zu einem späteren Zeitpunkt vollständig ausgeglichen.

Da die Beklagte zu 1 die Mieten für November 2013 und Dezember 2013 sowie eine anteilige Umlagenabrechnung in Höhe von 300,45 € nicht bis zum dritten Werktag des Dezember 2013 bezahlt hatte, kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 10.12.2013 der Beklagten zu 1 aufgrund des bis dahin aufgelaufenen Gesamtmietrückstandes in Höhe von 1.392,19 € außerordentlich fristlos.

Am 05.05.2014 glich das Jobcenter den Mietrückstand vollständig aus.

Die Klägerin beantragt: Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, die im Anwesen … links gelegene Wohnung, bestehend aus 2 Zimmern, Wohnküche, Bad, Flur, Balkon, Kellerabteil, Stellplatz zu räumen und an die Klägerin mit allen Schlüsseln herauszugeben.

Die Beklagte zu 1 beantragt: Klageabweisung.

Die Beklagte zu 1 erwidert, dass sie an den Mietrückständen kein Verschulden träfe, da das Jobcenter den Hilfebedarf der Beklagten zu 1 falsch festgesetzt habe und deshalb zu Unrecht keine Miete bezahlt habe. Auf Antrag der Beklagten zu 1 habe das Jobcenter jedoch mit Bescheid vom 29.04.2014 die Leistungen neu festgesetzt. Aufgrund der Nachzahlung der Miete am 05.05.2014 durch das Jobcenter sei die Kündigung vom 10.12.2013 unwirksam geworden. Der fristlosen Kündigung vom 10.12.2013 sei auch nicht bereits eine wegen nachträglicher Zahlung unwirksam gewordene Kündigung vorausgegangen, da die außerordentliche fristlose Kündigung vom 19.09.2012 mangels Verschuldens der Beklagten am Zahlungsrückstand von Anfang unwirksam gewesen sei. Denn auch hier habe das Jobcenter zu Unrecht die Miete nicht bezahlt.

Ihre Widerklage vom 05.06.2014 über 1.272, 72 € wegen überzahlter Miete haben die Beklagten mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 01.07.2014 zurückgenommen.

Das Gericht hat am 21.07.2014 mündlich verhandelt. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägervertreterin mit Zustimmung der Beklagten die Klage gegen den Beklagten zu 2 zurückgenommen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt wird ausdrücklich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klägerin hat Anspruch gegen die Beklagte zu 1 aus § 546 l BGB auf Räumung der streitgegenständlichen Wohnung, da das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom 10.12.2013 endete.

Die Kündigung erfolgte schriftlich und damit gemäß § 568 l BGB formgerecht. Es lag ein wichtiger Grund im Sinne des § 541 l 1 BGB vor, da die Beklagte zu 1 zum Kündigungszeitpunkt die Mieten für November 2013 und Dezember 2013 nicht bezahlt hatte und damit in Verzug war (§ 543 II S.1 Nr. 3 a BGB).

Die Mieten waren zum Kündigungszeitpunkt fällig gewesen: die Miete für November 2013 war gemäß § 4.1 des Mietvertrages mit Beginn des 3. Werktages des Monats November, d.h. dem 06.11.2013, fällig; die Fälligkeit der Dezembermiete trat mit Beginn des 04.12.2013 ein.

Eine Mahnung von Seiten der Klägerin war gemäß § 286 II Nr.1 BGB entbehrlich, da die Leistungszeit nach dem Kalender bestimmt ist (dritter Werktag eines jeden Monats).

Die Beklagte zu 1 hatte den Rückstand auch gemäß §§ 286IV, 276 l S.1 BGB zu vertreten. Denn bei der streitgegenständlichen Mietschuld handelt es sich um eine Geldschuld, so dass es im Rahmen des Vertretenmüssens im Sinne des § 276 l S.1 BGB weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit ankommt, da die Beklagte zu 1 das Beschaffungsrisiko trägt. § 276 l S.1 BGB begründet nämlich bei Geldschulden eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht. Da die Beklagte zu 1 somit verschuldensunabhängig haftet, kommt es auf die etwaige Zurechnung eines Verschuldens des Jobcenters an der verspäteten Mietzahlung gemäß § 278 BGB nicht an (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 11. Auflage, München 2013, Rd.Nr. 97 zu § 543 BGB). Dem Vertretenmüssen der Beklagten zu 1 steht daher auch nicht die Entscheidung des BGH vom 21.10.2009, Aktenzeichen VIII ZR 64/9, entgegen, in der der BGH feststellte, dass das Jobcenter kein Erfüllungsgehilfe des Mieters sei und der Mieter sich deshalb ein etwaiges Verschulden des Jobcenters nicht gemäß § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Gegenstand dieser Entscheidung des BGH war nämlich ausschließlich ein etwaiges Verschulden des Mieters im Rahmen eine Gesamtinteressenabwägung gemäß § 543 l S.2 BGB nach einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, die auf jeweils nur um einige Tage verspätete Mietzahlungen durch das Jobcenter gestützt war. Der BGH hat in diesem Urteil gerade nicht entschieden, dass aufgrund der Nichtanwendbarkeit des § 278 BGB auf das Jobcenter schon kein Verzug der Mieter vorgelegen haben. Dazu verhält sich das Urteil des BGH nicht. Da – anders als im vom BGH entschiedenen Fall – im streitgegenständlichen Fall aber ein aufgrund der Geldschuld verschuldensunabhängiges Vertretenmüssen des Mieters nach § 543 II S.1 Nr.3 a BGB vorliegt und damit gerade ohne Vornahme einer Gesamtinteressenabwägung nach § 543 I S. 2 BGB ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 I S.1 BGB gegeben ist, kommt es auf eine etwaige Zurechnung eines Verschuldens des Jobcenters im Rahmen einer Gesamtabwägung nach § 543 I S.2 BGB – wie in dem vom BGH entschiedenen Fall – gar nicht an. Die Entscheidung des BGH betrifft also ein Tatbestandsmerkmal des § 543 Abs. 1 S. 2 BGB („Verschulden der Vertragsparteien“), das im streitgegenständlichen Fall nicht zu prüfen ist (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, aaO, Rd.Nr. 13 zu § 543 BGB und eingehend AG Ludwigslust, Urteil vom 23.08.2011, Az. 5 C 52/11, Rdnr. 18 bei juris).

Der Kündigungsgrund, d.h. der am 10.12.2013 bestehende Mietrückstand, war gemäß § 569 IV BGB auch in der Kündigung vom 10.12.2013 angegeben.

Eine Abmahnung der Beklagten zu 1 war gemäß § 543 III S.2 Nr.3 BGB nicht erforderlich, da Zahlungsverzug der Beklagten zu 1 vorlag.

Die Kündigung der Klägerin vom 10.12.2013 wurde auch durch die Zahlung vom 05.05.2014 nicht gemäß § 569 III Nr.2 BGB unwirksam, da bereits die außerordentliche fristlose Kündigung der Klägerin vom 19.09.2012 infolge nachfolgender Zahlung nachträglich unwirksam geworden war. Die außerordentliche fristlose Kündigung der Klägerin vom 19.09.2012 war auch nicht von Anfang an aufgrund fehlenden Verzugs der Beklagten wegen Verschuldens des Jobcenters unwirksam, da es auf ein etwaiges Verschulden des Jobcenters – wie oben dargelegt – gar nicht ankommt. Der Verzug der Beklagten zu 1 war auch hier aufgrund der verschuldensunabhängigen Einstandspflicht der Beklagten zu 1 für die Zahlung der Miete gegeben.

Gemäß § 721 I ZPO war der Beklagten zu 1 eine Räumungsfrist bis 15.01.2015 einzuräumen. Zwar überwiegen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 721 ZPO bei Zahlungsverzug in der Regel die Gläubigerinteressen, d.h. hier das Interesse der Klägerin an einer zeitnahen Räumung der Wohnung. Der streitgegenständliche Fall unterscheidet sich jedoch dadurch erheblich von anderen Fällen des Mietrückstandes, dass die Beklagte zu 1 an den Mietrückständen kein Verschulden trifft. Der Mietrückstand, auf den die Klägerin die fristlose Kündigung vom 10.12.2013 stützte, war nämlich infolge einer fehlerhaften Berechnung des Jobcenters entstanden. Diese Fehlerhaftigkeit und damit ein Verschulden des Jobcenters ergibt sich schon daraus, dass das Jobcenter die ausstehenden Monatsmieten für November und Dezember 2013 am 05.05.2014 vollständig nachbezahlte. Da die Beklagte zu 1 dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II und damit auch auf Übernahme der Unterkunftskosten hat, besteht ein möglicher Schaden der Klägerin höchstens in wiederum verspäteter Zahlung der Miete durch das Jobcenter. Neben dem fehlenden Verschulden der Beklagten zu 1 am Mietrückstand ist zugunsten der Beklagten zu 1 noch zu berücksichtigen, dass sie mit drei Kindern im Kindergartenalter in der Wohnung wohnt, so dass es auch aufgrund des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II erfahrungsgemäß für die Beklagte zu 1, die noch dazu Migrationshintergrund hat, schwierig werden wird, eine ausreichend große und vom Jobcenter auch finanzierte Wohnung zu finden. Nach alledem war der Beklagten zu 1 eine angemessene Räumungsfrist bis 15.01.2015 einzuräumen.

Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus §§ 91I S.1, 269 III S.2 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 709, 708 Nr.11,711 ZPO. Bei der Bemessung der Sicherheitsleistung hinsichtlich der Befugnis der Beklagten zu 1 zur Abwendung der Räumungsvollstreckung hat das Gericht dem berechtigten Interesse der Klägerin auf Sicherung ihres Vermögensstandes für den Fall Rechnung getragen, dass die Beklagte zu 1 mit weiteren Mietzinszahlungen in Rückstand gerät.

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