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Fristlose Mietvertragskündigung bei Gewaltandrohung

AG Wedding – Az.: 8 C 635/20 – Urteil vom 14.07.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, den Wohnraum, gelegen im ersten Obergeschoss, Mitte, R.str. …, … B., bestehend aus zwei Zimmern, einer Küche, einem Flur, einem Bad, einer Kammer, einem Balkon und einem Keller, geräumt an die Klägerin herauszugeben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, 492,54 Euro vorgerichtliche Kosten der anwaltlichen Inanspruchnahme sowie die Kosten der Zustellung durch die Gerichtsvollzieherin in Höhe von 18,25 Euro an die Klägerin zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

a) Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Räumung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.062 Euro abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

b) Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen des Zahlungsanspruchs durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils vollstreckbaren Betrages leistet.

5. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 14.11.2021 gewährt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Räumung einer Mietwohnung.

fristlose Mietvertragskündigung bei Gewaltandrohung
(Symbolfoto: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Mit Mietvertrag vom 11.04.2014 mietete die Beklagte die im Tenor angegebene Wohnung seit dem 01.06.2014 von der Klägerin an. Sie bewohnt diese mit ihrer minderjährigen Tochter. Die vereinbarte Nettokaltmiete beträgt monatlich 351,53 Euro.

Die Klägerin trägt vor, die Beklagte störe den Hausfrieden.

Am 28.09.2020 prügelte sich die Beklagte mit einem ihrer Besucher im Laubengang auf dem Gelände der Klägerin. Am 20.10.2020 schrie die Beklagte, die auf der Straße vor dem streitgegenständlichen Haus stand, zu einem auf seinem Balkon stehenden anderen Hausbewohner: „Ich weiß genau, was du gemacht hast, kommst du mir nochmal in die Quere, steche ich dich ab, du Arschloch, du frigides Arschloch. Dieser nahm die Todesdrohung sehr ernst, verließ den Balkon und rief die Polizei, die den Vorgang aufnahm.

Die Klägerin kündigte mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 04.11.2020 fristlos unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum 30.11.2020, wofür vorgerichtliche Rechtsanwaltkosten in Höhe von 492,54 Euro anfielen. Die Kündigung wurde der Beklagten am 11.11.2020 durch die beauftragte Gerichtsvollzieherin zugestellt, wodurch der Klägerin Kosten in Höhe von 18,25 Euro entstanden. Als Grund für die fristlose Kündigung stützt sich die Klägerin auf den obigen Sachverhalt sowie weitere (bestrittene) verhaltensbedingte Vertragsverletzungen der Beklagten.

Am 09.11.2020 bezeichnete die Beklagte den obigen Hausbewohner als Drecksau, frigides Arschloch und sagte sinngemäß, sie würde ihn fertig machen und zerfetzen. Am 10.11.2020 schrie die Beklagte in Richtung desselben „Hallo Arschloch, ich komme jetzt nach Hause. Ich gehe dir jetzt jeden Tag auf den Sack, dann kannst du mir jetzt jeden Tag eine Anzeige schicken“.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte bedrohe und beleidige die anderen Hausbewohner wiederholt und verursache regelmäßig Ruhestörungen. Der betroffene Mitmieter habe sich nicht vertragswidrig verhalten. Die Klägerin ist der Rechtsansicht, dass die streitgegenständliche Kündigung das Mietverhältnis beendet habe und die Beklagte demnach zur Herausgabe und Räumung der Wohnung verpflichtet sei.

Die Klägerin beantragt, wie erkannt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen sowie hilfsweise die Einräumung einer angemessenen Räumungsfrist.

Die Beklagte behauptet, den Vorfällen am 09. und 10.11.2020 liege ein Verhalten des anderen Hausbewohners zugrunde. Dieser habe die Beklagte gestalkt, indem er sie zum einen einmal Anfang Oktober um 0:30 Uhr am Küchenfenster beobachtet habe. Als er dabei entdeckt worden sei, habe er zu ihr gesagt: „Halt die Schnauze und wenn du das nicht bleiben lässt, dann trete ich dir die Tür ein“. Zum anderen habe er sie am 06.11.2020 gegen 18:40 Uhr beim Betreten der Wohnanlage gefilmt. Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung habe das Mietverhältnis nicht beendet und verweist auf eine fehlende Abmahnung.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird verwiesen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzungen vom 07.07.2021.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

1. Die Klägerin kann von der Beklagten Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verlangen, denn die fristlose Kündigung vom 04.11.2020 hat das zwischen der Klägerin und der Beklagten bestehende Mietverhältnis wirksam beendet, §§ 546 Abs. 1, 543 Abs. 1 BGB.

a. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung lag vor.

Nach § 543 Abs. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Beleidigungen und Bedrohungen sind Straftaten und damit zugleich Vertragsverletzungen, wenn sie gegenüber dem Vermieter, der Hausverwaltung oder anderen Hausbewohnern ausgesprochen werden (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 187, BGB § 543 Rn. 187) und können einen wichtigen Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB darstellen.

Die Androhung von Gewalt rechtfertigt dabei in der Regel eine außerordentliche Kündigung (AG Düsseldorf, NJOZ 2020, 451; AG München Schlussurteil v. 9.10.2013 – 472 C 7153/13, BeckRS 2014, 19659; Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 191, BGB § 543 Rn. 191). Etwas anderes kann gelten, wenn der andere Teil Anlass zu der Gewaltandrohung gegeben hat. Generell gilt, dass kein Kündigungsgrund vorliegt, wenn sich der Mieter in einer Notwehr- oder in einer ähnlichen Situation befindet und zur Abwehr der Beeinträchtigung Gewalt anwendet oder Gewalt androht (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 191, BGB § 543 Rn. 191).

Ebenso kann eine Beleidigung ein Kündigungsgrund sein. Während bloße Unhöflichkeiten und andere missliebige Verhaltensweisen ohne ehrverletzenden Charakter eine Kündigung nicht rechtfertigen, sind insbesondere Formalbeleidigungen grundsätzlich geeignet, dem Vermieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar zu machen (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 187, BGB § 543 Rn. 187; LG München LSK 2017, 139952).

Bei der Abwägung, ob dem Kündigenden aufgrund einer Beleidigung die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar ist, sind stets die Begleitumstände der Äußerungen zu berücksichtigen. Eine Beleidigung stellt sich als weniger verletzend dar, wenn sie aus einer Provokation heraus oder im Zusammenhang einer bereits vorgegebenen streitigen Atmosphäre erfolgt oder wenn sie als eine momentane und vereinzelt gebliebene Unbeherrschtheit zu bewerten ist. Demgegenüber haben manche Beleidigungen ein solches Gewicht, dass die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung auf der Hand liegt (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 188, BGB § 543 Rn. 188).

Nach diesen Maßstäben ist die vorliegende Kündigung wirksam. Denn jedenfalls das Verhalten der Beklagten am 20.10.2020 stellt eine schwerwiegende Vertragsverletzung dar, die der Klägerin ein Festhalten am Mietvertrag unzumutbar macht. Es kommt daher auf die verschiedenen weiten streitigen Vorfälle nicht an.

Am 20.10.2020 beleidigte die Klägerin einen Mitmieter auf entwürdigende und verachtende Weise. Die Beleidigungen stellen sich als sogenannte Formalbeleidigungen dar. Um Fälle der Formalbeleidigung kann es sich nach allgemeiner Auffassung bei besonders krassen, aus sich heraus herabwürdigenden Schimpfwörtern handeln (vgl. AG Frankfurt a. M. Urt. v. 15.1.2021 – 907 Cs 7680 Js 229740/19, BeckRS 2021, 1953). Daneben drohte sie nicht nur mit einer Gewaltanwendung, sondern sogar mit dem Tod, was von dem betroffenen Hausbewohner auch ernst genommen wurde und ihn verängstigte.

Den Beleidigungen und der Bedrohung ging auch keine rechtswidrige Provokation durch die Klägerin oder den Mitmieter voraus gegangen, die die Beleidigungen und die Drohung in einem deutlich milderen Licht erscheinen lassen könnten. Auch wenn man den (bestrittenen) Angaben der Beklagten folgt, wonach der Mitmieter sie einmal Anfang Oktober beobachtet und selbst beleidigt habe, kann dies vorliegend zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn die behauptete Beleidigung war nicht in unmittelbaren Vorfeld abgegeben worden. Die Beklagte reagierte also nicht in einer hitzigen, persönlichen Konfrontation, sondern mehrere Tage später. Es kann nicht jede frühere, abgeschlossene Provokation zukünftige Beleidigungen und Bedrohungen so erheblich abmildern.

Zwar hat die Beklagte ein nicht unerhebliches Bestandsinteresse an der Fortsetzung des Mietverhältnisses, jedoch wiegt vorliegend das Interesse der Klägerin an einer sofortigen Beendigung schwerer. Die Beklagte hat sich mindestens einmal vor dem streitgegenständlichen Vorfall öffentlich geprügelt und damit Gewalt gegenüber einer anderen Person angewendet. Dabei dürfte die Prügelei selbst zwar mangels hinreichenden Vortrags der Klägerin nicht ausreichen, um ein solches Ausmaß an öffentlicher Gewaltanwendung darzustellen, das für sich bereits ausreicht, um eine fristlose Kündigung auszusprechen (vgl. LG Hamburg Urt. v. 25.4.2014 – 311 O 27/14, BeckRS 2014, 19335). Jedoch hat die Beklagte damit gezeigt, dass sie grundsätzlich nicht vor körperlichen Auseinandersetzungen zurückschreckt, so dass die Bedrohung des Hausbewohners noch mehr an Gewicht erlangt. Nach den oben genannten Grundsätzen erreichen die Beleidigungen und die Bedrohung eine Intensität, bei der die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung auf der Hand liegt.

b. Eine Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung war entbehrlich, da die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt war, § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB. Denn bei schweren Beleidigungen ist regelmäßig § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB gegeben (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 189, BGB § 543 Rn. 189; vgl. LG München I Endurteil v. 20.1.2016 – 14 S 16950/15, BeckRS 2016, 3409). Durch ein solches Verhalten wird das für die Vertragserfüllung unerlässliche Vertrauen zerstört; in diesem Fall ist eine Abmahnung entbehrlich, weil zerstörtes Vertrauen durch eine Abmahnung nicht wieder hergestellt werden kann (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 189, BGB § 543 Rn. 189; AG München Urt. v. 19.11.2014 – 452 C 16687/14, BeckRS 2016, 12168).

2. Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und der Kosten für die Gerichtsvollzieherin gemäß § 280 Abs. 1 BGB zu. Die Kosten der Kündigung fallen zwar grundsätzlich dem Kündigenden zur Last. Etwas anderes gilt jedoch, wenn die Kündigung wegen einer Vertragsverletzung des anderen Teils erfolgt ist. In diesem Fall sind die Kosten der Kündigung durch den Gekündigten zu ersetzen (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 542 Rn. 99; BeckOGK/Mehle, 1.4.2021, BGB § 542 Rn. 96). Zu den erstattungsfähigen Kosten gehören grundsätzlich auch die Rechtsanwaltskosten (BeckOGK/Mehle, 1.4.2021, BGB § 542 Rn. 97), denn zu den vom Schädiger zu ersetzenden Aufwendungen gehören grundsätzlich auch die dem geschädigten Vertragspartner bei der Schadensbeseitigung (hier: der Befreiung von der Vertragsbindung durch fristlose Kündigung) entstandenen Kosten, soweit er diese für erforderlich halten durfte (vgl. BGH, NJW 1986, 2243; LG München I Endurteil v. 20.1.2016 – 14 S 16950/15, BeckRS 2016, 3409). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin durfte die Beauftragungen eines Rechtsanwalts sowie der Gerichtsvollzieherin für erforderlich halten, da es sich weder um einen einfach gelagerten Fall handelt, noch die Klägerin eine große Hausverwaltung darstellt.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, Nr. 11, 709 ZPO.

III.

Der Beklagten war gemäß § 721 ZPO eine den Umständen angemessene Räumungsfrist zu gewähren, damit sie Gelegenheit hat, sich eine andere Wohnung zu suchen. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter die streitgegenständliche Wohnung bewohnt. Zugunsten der Beklagten war auch der angespannten Berliner Wohnungsmarkt zu berücksichtigen. Die Gewährung der Räumungsfrist im tenorierten Umfang ist auch unter Abwägung des Räumungsinteresses der Klägerin gerechtfertigt.

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