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Fristlose Mietvertragskündigung bei Störung des Hausfriedens durch Mieter

Räumungsklage: Vermieter fordert Wohnungsräumung wegen Störung des Hausfriedens.

In M. streiten der Vermieter und die Mieter einer 4-Zimmer-Mietwohnung in der S.straße um die Räumung und Herausgabe der Wohnung. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis fristlos und beruft sich auf eine nachhaltige Störung des Hausfriedens durch die Mieter. Beschwerden von anderen Mietern über das Verhalten der Beklagten, insbesondere des Ehemannes, führten zu mehreren Abmahnungen und schließlich zur Kündigung.

Die Beklagten weisen die Vorwürfe zurück und erklären, die Hausgemeinschaft sei lange Zeit harmonisch gewesen, habe sich aber seit Beginn der Pandemie verändert. Sie beschuldigen andere Mieter, Gerüchte über sie zu verbreiten und sie als „Abschaum“ und „Schmarotzer“ zu beschimpfen. Sie ziehen sich daher von der Hausgemeinschaft zurück und meiden den Kontakt mit den anderen Bewohnern.

Das Gericht hat die Beklagten angehört und Beweise erhoben, indem es Zeugen befragte. Eine Entscheidung über die Räumungsklage steht noch aus. […]

AG München – Az.: 419 C 15714/21 – Urteil vom 19.05.2022

1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt die Wohnung in … bestehend aus 4 Zimmern, Küche, Bad/WC, WC, Flur, Kellerraum und Dachbodenanteil zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 2.316,90 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 9.267,60 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Räumung und Herausgabe der im Tenor näher bezeichneten streitgegenständlichen 4 Zimmer-Mietwohnung im Erdgeschoss links in der S.straße .. in M..

Der Kläger ist Vermieter, die Beklagte zu 1 Mieterin der Beklagte zu 2) ist der Ehemann der Beklagten zu 1 und bewohnt mit dieser zusammen die streitgegenständliche Wohnung. Der Mietvertrag (Anlage K1) ist datiert auf den 10.06.2002. Die monatliche Nettomiete beträgt 651,50 Euro zuzüglich Betriebskostenpauschale in Höhe von 113,80 Euro zuzüglich Kabelgebühr in Höhe von 7 Euro, insgesamt mithin 772,30 Euro.

Mit Schreiben vom 10.11.2020 (Anlage K2) und 16.12.2020 (Anlage K4) und 15.4.2021 (Anlage K 6), zugestellt den Beklagten am 12.11.2020, 22.12.2020 und 21.4.2021 mahnte der Kläger die Beklagten ab, nachdem der Kläger Beschwerden über die Beklagten von anderen Mietern erhielt.

Mit Schreiben vom 15.8.2021, zugestellt am 18.8.2021 kündigte der Kläger der Beklagten zu 1) das Mietverhältnis schließlich fristlos, vorsorglich ordentlich zum nächstmöglichen Termin und widersprach ausdrücklich einer Fortsetzung des Mietverhältnisses (Anlage K7). Der Beklagte zu 2) wurde seitens des Klägers mit Schreiben vom 15.8.21 ebenfalls zur Räumung aufgefordert. Zur Begründung berief er sich auf eine nachhaltige Störung des Hausfriedens durch die Beklagten. Die Beklagten legten gegen die fristlose sowie die ordentliche Kündigung und die Räumungsaufforderung mit Schreiben vom 01.09.2021 Widerspruch ein (Anlage K8).

Mit Klageschrift vom 30.09.2021, den Beklagten zugestellt am 16.10.2021 kündigte der anwaltliche Vertreter namens und im Auftrag des Klägers der Beklagten zu 1) das Mietverhältnis erneut fristlos und widersprach seiner Fortsetzung.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, durch die Beklagten komme es immer wieder zu erheblichen Störungen des Hausfriedens. Am 31.08.2020 habe der Beklagte zu 2) gegen 10:15 Uhr völlig anlasslos die Zeugin N. als „Bitch mit blödem Sohn“ bezeichnet und ihr am 03.09.2020 gegen 17:30 Uhr nachgerufen „was willst Du, Du blöde Schlampe?“. Aufgrund des Verhaltens des Beklagten zu 2) würden sich viele Kinder nicht mehr trauen im Bereich des Hofes wo sich die streitgegenständliche Wohnung befinde zu spielen. Am 16.09.2020 habe der Beklagte zu 2 die Zeugin … massiv beleidigt und sei in bedrohlicher Haltung auf den Zeugen R. zugegangen. Am 08.11.2020 gegen 12:00 Uhr habe der Beklagte zu 2) die Zeugin …, die zu ihrem Briefkasten ging grundlos laut angeschrien und beleidigt Aufgrund des Verhaltens der Beklagten habe die Zeugin … sogar ihr bestehendes Mietverhältnis gekündigt. Am 11.04.2021 habe der Beklagte zu 2) einen Besucher des Zeugen … lautstark als „Arschoch“ bezeichnet. Am 12.8.21 habe die Beklagte zu 1) einen anderen Besucher des Zeugen … bedroht und beleidigt. Am 19.06.2021 gegen 9:30 Uhr habe die Beklagte zu 1) zu der Zeugin W. anlasslos „Fuck you“ gesagt. Am 14.09.2021 gegen 17:00 Uhr habe der Beklagte zu 2) die im Rollstuhl sitzende Zeugin R. als „behinderter Krüppel, Rollstuhlfahrerin, Bastard, Arschloch“ beleidigt.

Das Verhalten der Beklagten, insbesondere des Beklagten zu 2) gegenüber den anderen Mietern, sei extrem aggressiv und einschüchternd. Sie empfänden dies als Psychoterror.

Der Kläger beantragt, die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt die Wohnung in … bestehend aus 4 Zimmern, Küche, Bad/WC, WC, Flur, Kellerraum und Dachbodenanteil zu räumen und an den Kläger herauszugeben.

Die Beklagten beantragen, kostenpflichtige Klageabweisung.

Hilfsweise Vollstreckungsschutz gegen Sicherheitsleistung und Räumungsschutz.

Die Beklagten tragen im Wesentlichen vor, die Hausgemeinschaft sei lange Zeit sehr harmonisch und friedvoll gewesen. Dies habe sich seit Beginn der Pandemie verändert. Hinter dem Rücken der Beklagten werden Gerüchte gestreut, dass deren Kinder mit Drogen handeln würden anders würden sich die Beklagten ihr Auto nicht leisten können. Die Beklagten seien von einer Familie im Anwesen im Sommer 2020 grundlos als Abschaum, Geschwärm, Fußvolk und Schmarotzer beschimpft worden. Die Beklagten hätten sich in der Folge von der Hausgemeinschaft zurückgezogen und würden Kontakt mit den anderen Bewohnern vermeiden.

Am 31.08.2020 habe die Zeugin … im Hof des streitgegenständlichen Anwesens zu Beklagten zu 1) sinngemäß gesagt, ihr werdet noch euer blaues Wunder erleben ihr werdet sehen, alle werden euch fertig machen. Am 19.06.2021 habe die Beklagte nicht zur Zeugin … sondern zu ihrem Ehemann, dem Beklagten zu 2 scherzeshalber „Fuck you“ gesagt, wohingegen die Zeugin … die Beklagten angeschrien hätte „ihr werdet schon sehen, ihr werdet hieraus müssen“. Am 14.09.2021 hätten die Zeugin … und weitere Mieterinnen sich über den Beklagten zu 2) lustig gemacht. Er habe dann so getan als würde er die Polizei rufen, ihnen gegenüber aber nichts entgegnet und sie erst recht nicht beleidigt.

Zum näheren Inhalt des Vorbringens und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Protokolle der Verhandlungen vom 20.1.2022 (Bl. 20/23), 7.4.2022 (Bl. 34/48) und 19.5.2022 verwiesen.

Das Gericht hat die Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20.1.2022 informatorisch angehört und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 7.4.2022 und 19.5.2022 Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen ….

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

A.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhältnis über eine in M. gelegene Wohnung entspringt, §§ 29a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2a GVG

B.

Darüber hinaus ist die Klage in vollem Umfang begründet dem Kläger steht aufgrund der wirksamen Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung zu.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gemäß § 546a BGB und gegen den Beklagten zu 2) einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe gemäß § 985 BGB, denn das streitgegenständliche Mietverhältnis wurde durch die außerordentliche fristlose Kündigung des Klägers vom 15.8.2021 gem. §§ 543, 569 Abs. 2 BGB wirksam beendet gem. § 542 BGB.

1. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 15.8.2021 ist formal wirksam, sie ist gem. § 568 Abs. 1 BGB schriftlich erklärt und gem. § 569 Abs. 4 BGB ordnungsgemäß begründet worden. Überdies enthielt sie den Hinweis auf die Möglichkeit, die Form und die Frist des Widerspruchs nach den §§ 574 bis 574b BGB.

2. Zudem ist sie auch materiell wirksam. Der Vermieter kann gem. §§ 543, 569 Abs. 2 BGB einem Mieter das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen, wenn der Mieter den Hausfrieden nachhaltig stört, so dass dem Vermieter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls war demnach zu prüfen, ob dem Kläger als Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar geworden ist, ob der Kündigungsgrund so schwer i.S.v. § 543 Abs. 1 BGB wiegt, dass dem Kündigenden eine Vertragsfortsetzung unzumutbar ist.

a. Der Kündigungsgrund auf den sich der Kläger in der streitgegenständlichen Kündigung beruft ist die nachhaltige Störung des Hausfriedens nach § 569 Abs. 2 BGB. Die Vorschrift ist die kündigungsrechtliche Seite des Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme (Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2021, BGB § 569 Rn. 34). Der Hausfrieden ist Ausdruck der Notwendigkeit, dass die Nutzung von Wohn- oder Geschäftsräumen durch mehrere Personen ein gewisses Maß an Rücksichtnahme voraussetzt, die Mieter und die ihm zuzurechnenden Personen wie vorliegend der Beklagte zu 2) als Ehemann der Beklagten zu 1) der mit ihr in der streitgegenständlichen Wohnung in häuslicher Gemeinschaft wohnt und dessen Verhalten sie sich im Sinne von § 540 Abs. 2 BGB zurechnen lassen muss- müssen sich bei der Nutzung der Mieträume so verhalten, dass die anderen Nutzer nicht mehr als unvermeidlich gestört werden (BGH VIII ZR 186/14, NJW 2015, 1239 Rn. 13; BGH VIII ZR 59/20, NZM 2020, 885 Rn. 19).

b. Dass die Beklagten, insbesondere der Beklagte zu 2), dessen Verhalten sich die Beklagte zu 1) als Vertragspartnerin des streitgegenständlichen Mietverhältnisses gem. § 540 Abs. 2 BGB zurechnen lassen muss, den Hausfrieden der streitgegenständlichen Wohnanlage nachhaltig stören, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der durchgefürten Beweisaufnahme, der uneidlichen Vernehmung der Zeugen … fest.

(1) Gemäß § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen – hier durchgeführten – Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Unter Beachtung der Denk- und Naturgesetze, Erfahrungssätze und der gesetzlichen Beweisregeln hat der Richter im Verlauf des Rechtsstreits gewonnene Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten. Dabei darf er zum Beispiel einer Partei mehr Glauben schenken als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung als bewiesen ansehen. Der Richter muss nach der Wahrheit streben, darf sie aber nicht zu der Voraussetzung seiner Entscheidung machen. Deshalb muss er sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH Urt. v. 17.02.1970 – BGH Aktenzeichen III ZR 13967 III ZR 139/67, in NJW 1970, NJW Jahr 1970 Seite 946 ff.; Urt. v. 28.01.2003 – BGH Aktenzeichen VI ZR 13902 VI ZR 139/02 Urt. v. 03.06.2008 – BGH Aktenzeichen VI ZR 235/07).

(2) Nach diesen Maßstäben steht für das Gericht Folgendes fest:

Die Zeugin … hat in ihrer uneidlichen Vernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung am 7.4.2022 ausgesagt, der Beklagte zu 2) habe zu ihr anlasslos in einem aggressiven Tonfall unmittelbar nach ihre Einzug Mitte September 2020 gesagt, sie sei „hässlich“, „ihre Haare seien hässlich“ und schließlich „Pizka“, was auf serbisch, der Muttersprache der Zeugin „Fotze“ heiße. Die Zeugin …, hat darüber hinaus ausgesagt, der Beklagte zu 2) habe in einer frauenfeindlichen und beleidigenden Wortwahl mit ihr gesprochen, während die Beklagte zu 1) am Fenster gestanden habe und zu allem was der Beklagte zu 2) gesagt hat, genickt habe. Sie hat weiter ausgesagt, aufgrund eines weiteren Vorfalls am 8.11.2020, bei dem der Beklagte zu 2) sie, als sie Post aus ihrem Briefkasten holen wollte, unkontrolliert angeschrieen und beschuldigt habe, hatte sie schlichtweg Angst davor, dass der Beklagten zu 2) in einem nächsten Schritt handgreiflich werden könnte. Sie gab an jedes Mal, wenn der Beklagte zu 2) sie angeschrien hätte 2 Stunden gebraucht zu haben um sich wieder zu beruhigen. Sie habe Herzrasen und Schweißausbrüche erlitten und sich nicht mehr getraut unbegleitet zum Briefkasten zu gehen. Nicht zuletzt wegen eines weiteren Vorfalls am 21.12.2020 bei dem der Beklagte zu 2) den Zeugen R., bei dem es sich damals um ihren Lebensgefährten handelte, im Hof an der Tischtennisplatte körperlich bedrängt und bedroht hatte, habe sie nach nur 3,5 Monaten entschieden, das Mietverhältnis zu beenden, um weitere psychische Schäden zu vermeiden, da sie sich von den Beklagten andauernd provoziert und von dem Beklagtenn zu 2) körperlich bedroht gefühlt zu haben.

Die Zeugin erschien dem Gericht glaubwürdig, ihre Aussage glaubhaft. Sie war in sich schlüssig und frei von Widersprüchen. Die Zeugin hat sehr ausführlich in ihren eigenen Worten von den Vorfällen berichtet. Das Gericht konnte ihr anmerken, dass die Erinnerungen sie nach wie vor aufwühlen. Anlass ihren Angaben keinen Glauben zu schenken, bot sich dem Gericht nicht; Zumal der Vorfall an der Tischtennisplatte, von dem Zeugen … bestätigt wurde. Bei den beiden anderen Vorfällen war der Zeuge … zwar nicht anwesend, er sagte jedoch aus, dass die Zeugin … ihm unmittelbar nach den Vorfällen von diesen berichtete hatte.

Der Zeuge … gab seinerseits in seiner uneidlichen Vernehmung am 7.4.2022 vor Gericht an, es sei sehr stressig für ihn und die Zeugin … mit den Beklagten gewesen. Immer wieder habe es Probleme gegeben. Immer wenn sie die Treppe in dem streitgegenständlichen Haus runtergegangen seien, hatten sie Angst gehabt, dass die Beklagten sie anschreien. Er berichtete dem Gericht von einem Vorfall am 21.12.2020 bei dem der Beklagte zu 2) ihn an der Tischtennisplatte im Hof körperlich bedrängt habe. Er habe die Augen weit aufgerissen gehabt und sei sehr nah an sein Gesicht herangetreten und habe ihn schließlich zwei Runden um die Tischtennisplatte verfolgt. Er habe sich von dem Beklagten zu 2) bedroht gefühlt. Auch er gab an, der Grund für seinen schnellen Auszug und den der Zeugin … sei der tägliche Stress mit den Beklagten gewesen.

Der Zeuge … war ebenfalls glaubwürdig und seine Aussage glaubhaft. Sie war frei von Widersprüchen und schlüssig. Wenn der Zeuge Fragen nicht beantworten konnte, weil er sich nicht daran erinnern konnte oder es nicht wusste, macht er das klar deutlich. Dem Gericht gegenüber vermittelte der Zeuge den Eindruck nach wie vor stark eingeschüchtert zu sein von den Beklagten. An seiner Stimme und seiner Körperhaltung während seiner Aussage konnte das Gericht erkennen, dass die Erinnerung an den Vorfall an der Tischtennisplatte ihn weiterhin verängstigt.

Der Zeuge S1. gab an, am 11.4.21 sei sein Freund Herr … vom Beklagten zu 2) als „Arschloch“ bezeichnet worden. Er habe zwar nicht gehört, was der Beklagte zu 2) zu Herrn … gesagt habe, sondern nur dass er etwas zu ihm gesagt hat, dies sei ihm aber von seinem Freund so erzählt worden. Weiter gab er an, am 9.8.21 von dem Beklagten zu 2) bedroht und beleidigt worden zu sein, was er auf der Treppe zu tun hätte, als er gerade dabei gewesen sei, Sachen in den Keller zu räumen. Und schließlich sei am 12.8.21 ein weiterer Freund von ihm seitens der Beklagten zu 1) ohne Anlass als „Idiot“ bezeichnet und auf türkisch beleidigt worden. Er gab an sich aufgrund der Situation sehr unsicher zu fühlen, da es einfach unberechenbar sei, wenn er beispielsweise zum Briefkasten gehe, von einem der Beklagten angeschrien zu werden, was er denn da zu suchen hätte. Er habe irgendwie die ganze Zeit Angst, dass was passiert, wobei er nicht sicher sei was dann passiert. Zu einer körperlichen Auseinandersetzung sei es bisher noch nicht gekommen, aber es komme ihm so vor, als müsse er jeden Moment darauf gefasst sein, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung komme. Sobald man die Haustür verlässt, empfinde er einfach ein Unbehagen. Mit der Situation fühle er sich nicht wohl.

Der Zeuge war glaubwürdig und seine Aussage war schlüssig und frei von Widersprüchen. Er gab glaubhaft an, nicht selber gehört zu haben, dass der Beklagte zu 2) seinen Freund als „Arschloch“ bezeichnet habe, sondern nur gehört zu haben, dass er etwas zu ihm gesagt habe. Das Gericht konnte keinen Belastungseifer erkennen, vielmehr berichtete der Zeuge davon, dass es nicht immer so schwierig mit den Beklagten gewesen ist und er sich selber nicht erklären könne, weshalb es so plötzlich zu dieser schlechten Stimmung kam.

Die Zeugin … gab in ihrer uneidlichen Vernehmung am 7.4.2022 an, am 31.8.2020 von dem Beklagten zu 2) als „Bitch mit blöden Sohn“ und als „Schlampe“ bezeichnet worden zu sein, weshalb sie sogar Anzeige erstattet hätte. Sie fühle sich in ihrem Hausfrieden durch die Beklagten gestört.

Die Zeugin kam dem Gericht ebenfalls glaubwürdig vor. Auch ihre Aussage war glaubhaft und frei von Widersprüchen. Sie gab dem Gericht gegenüber ohne Not an, früher ein sehr gutes bis freundschaftliches Verhältnis mit den Beklagten gehabt zu haben, beschrieb den Beklagten zu 2) als hilfsbereit und gab an mit der Beklagten zu 1) auch beruflich zu tun gehabt zu haben. Das Gericht konnte keinen Belastungseifer bei ihr erkennen.

Die Zeugin W. gab bei ihrer Vernehmung am 7.4.2022 an die Beklagte zu 1) habe sich am 19.6.2021 vom Beifahrersitz aus, aus dem Fahrerfenster ihres Pkws gelehnt zu haben und „Fuck you“ zu ihr gesagt zu haben, ohne dass es hierfür einen Anlass gegeben habe. Sie gab auch an, dies habe ein Nachbarskind alle mitbekommen und sie selbst fühle sich aufgrund des Vorfalls unwohl in der Gegenwart der Beklagten. Den Einwand der Beklagten zu 1) sie habe scherzenshalber zu ihrem Ehemann, dem Beklagten zu 2) „Fuck you“ gesagt, konnte die Zeugin glaubhaft entkräften. Sie gab an die Beklagte zu 2) habe sich aus dem Fenster raus gelehnt und ihr während ihrer Beleidigung ins Gesicht geschaut. Zudem gab sie an, die Beklagte zu 1) unmittelbar nach dem Vorfall zur Rede gestellt zu haben. Hier wäre es für die Beklagte zu 1) ein Leichtes gewesen, zu erklären, dass sie „Fuck you“ nicht zu der Zeugin sondern zu ihrem Ehemann gesagt habe. Dies tat sie aber nicht.

Die im Rollstuhl sitzende Zeugin … gab bei ihrer Vernehmung am 19.5.2022 an, am 14.9.2021 von dem Beklagten zu 2) als „Krüppel, Behinderte im Rollstuhl, Bastard und Arschloch“ beleidigt worden zu sein. Kinder, die vor Ort im Sandkasten gesessen haben, haben diese Beleidigungen mitbekommen. Auch sie fühle sich seitdem gewissermaßen unsicher. Sie fühle sich unwohl und ich mache sich Gedanken über die Sicherheit ihrer Tochter. Sie habe sich durch den Beklagten zu 2) bedroht gefühlt.

Die Zeugin war glaubwürdig. Ihre Aussage glaubhaft und frei von Widersprüchen. Die Zeugin beantwortete die Fragen des Gerichts sowie der Beklagtenseite ruhig und schlüssig. Bei ihr war ebenfalls keinerlei Belastungseifer erkennbar.

Insgesamt waren alle Zeugen zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft. Belastungseifer konnte das Gericht bei keinem erkennen. Ihre Aussagen widersprachen sich nicht.

Dem Gericht kamen die Aussagen auch nicht abgesprochen. Zumal die Zeugen … keinerlei Vergangenheit mit den Beklagten teilen. Das Gericht konnte keinen Grund erkennen, weshalb sie sich alle, wie die Beklagten es meinen, grundlos gegen sie verschworen haben sollten.

c. Diese zur Überzeugung des Gerichts festgestellte Hausfriedensstörungen sind auch nachhaltig im Sinne des § 569 Abs. 2 BGB. Sie ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin, haben sich wie das Gericht aufgrund der Zeugenaussage festgestellt hat über längere Zeit wiederholt und wirken darüberhinaus auch nach, wie die Zeugen einvernehmlich angegeben haben, da sie die Stimmung und das Verhältnis der Nutzer des Mietobjekts untereinander grundlegend verschlechtert haben. So gaben alle Zeugen übereinstimmend an, sich aufgrund der geschilderten Beleidigungen und Vorfälle unwohl und unsicher zu fühlen, teilweise sogar bedroht.

d. Auch eine nachhaltige Hausfriedensstörung berechtigt nach dem Wortlaut des § 569 Abs. 2 BGB und weil § 569 Abs. 2 BGB ein Beispielsfall von § 543 Abs. 1 BGB ist nur zur Kündigung, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Das Interesse des Klägers an der sofortigen Beendigung des Vertrages liegt darin, den Hausfrieden in der streitgegenständlichen Wohnanlage wieder herzustellen und seiner Obliegenheit entsprechend den übrigen Bewohnern die Wohnung und Wohnanlage als Lebensmittelpunkt und Rückzugsraum hinreichend schützten zu können.

Das Interesse der Beklagten am Bestand des streitgegenständlichen Mietverhältnisses liegt dagegen darin, ihre Wohnung als Lebensmittelpunkt und Rückzugsort nicht zu verlieren, was ein äußerst hoch einzuschätzendes Gut ist.

In Anbetracht der Art und des Ausmaßes der Pflichtverletzung, die die Beklagten durch die nachhaltige Störung des Hausfriedens begangen haben und bei denen es sich u.a. um Beleidigungen im Sinne des Strafgesetzbuches handelt, sowie deren Folgen, nämlich die Beendigung des Mietverhältnisses mit der Zeugin …, die Einschüchterung der anderen Bewohner, die sich schlichtweg unwohl und teilweise sogar unsicher fühlen, und nicht zuletzt das Maß des Verschuldens der Beklagten, das darin zu sehen ist, dass trotz mehrfacher Abmahnungen und sogar nach dem Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung ihres Mietverhältnis, die Störung des Hausfriedens fortgesetzt wurde, wie die massive Beleidigung der Zeugin … durch den Beklagten zu 2) belegen, erachtet das Gericht das Interesse des Klägers an der Beendigung des Mietverhältnisses jedoch als gewichtiger ein, als das Interesse der Beklagten am Bestand des Mietverhältnisses.

Der von den Beklagten vorliegende Verstoß gegen das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme wiegt nach Auffassung des Gerichts schwer und überschreitet in Ausmaß und Dauer die Toleranzschwelle in hohem Grade, was insbesondere der Vorfall mit der Zeugin … zeigt, dass auch eine vermieterseits ausgesprochener Kündigung und die drohende Beendigung des Mietverhältnisses ihnen keinen Einhalt bot, die Störung des Hausfriedens zu beenden. Letztlich führt dies zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Kläger als Vermieter.

Zwar ereignete sich der Vorfall, von dem die Zeugin … berichtetet, erst nach Ausspruch der ersten fristlosen Kündigung vom 15.8.2021. Die von den Zeugen … beschriebenen Vorfälle sind aus Sicht des Gerichts aber gravierend genug und somit ausreichend, die gesetzlichen Voraussetzungen der fristlosen Kündigung nach §§ 543, 569 BGB zu begründen.

e. Dem Einwand des Beklagtenvertreters gegen die Wirksamkeit der Kündigung dahingehend, dass es nach dem Ausspruch der Kündigung jedenfalls zu keinem Vorfall mehr gekommen sie, vermag das Gericht nicht folgen. Für die Wirksamkeit der Kündigung kommt es maßgeblich darauf an, ob der Kündigungstatbestand zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vorgelegen hat, wie das Gericht es vorliegend ohne Zweifel festgestellt hat. Durch ein nachträgliches Wohlverhalten wird die Wirksamkeit nicht berührt. Zwar kann in besonderen Einzelfällen das Festhalten am Räumungsanspruch rechtsmissbräuchlich sein, wenn die Ursachen der Störung beseitigt wurden (Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2021, BGB § 569 Rn. 44), aber vorliegend fanden die massiven Beleidigungen der Zeugin R. gerade nach Ausspruch der Kündigung vom 15.8.2021 statt.

f. Die nach §§ 569 Abs. 2 i.V.m. §§ 543 Abs. 1, Abs. 3 BGB notwendige Abmahnung liegt ebenfalls vor. Der Kläger hat die Beklagten vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vom 15.8.2021 mit Schreiben von 10.11.2020, 16.12.2020 und schließlich mit Schreiben vom 15.4.2021 mehrmals abgemahnt.

3. Auf die fristlose Kündigung vom 30.9.2021 sowie die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 30.9.2021 kam es mithin nicht mehr streitentscheiden an, obgleich unter Berücksichtigung der zur Überzeugung des Gerichts vorliegenden nachhaltigen Störungen des Hausfriedens durch die Beklagten auch die Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

II.

Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 2), der nicht Vertragspartei des Mietverhältnisses ist, einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung nach § 985 BGB, da dieser aufgrund der wirksame Beendigung des Mietverhältnisses mit der Beklagten zu 1) durch die fristlose Kündigung vom 15.8.2021 kein Recht zum Besitz mehr an der streitgegenständlichen Wohnung hat.

C.

Den Beklagten war keine Räumungsfrist gem. § 721 ZPO zu gewähren. Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Räumungsfrist sind grundsätzlich die Interessen der Parteien aufgrund des vorgetragenen Sachverhaltes gegeneinander abzuwägen und anhand des Gesetzeszweckes der Vermeidung von Obdachlosigkeit eine den Umständen des Einzelfalles angemessene Entscheidung zu treffen (MüKoZPO/Götz ZPO § 721 Rn. 8).

Vorliegend wurde das Mietverhältnis aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung durch den Kläger beendet, daher scheidet die Bewilligung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO vorliegend aus, denn wie bereits festgestellt, ist dem Kläger ja gerade unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zuzumuten. Die vorzunehmende Interessenabwägung i.R.d. § 721 ZPO, ob das Interesse der Beklagten an einem Räumungsaufschub höher zu bewerten ist als das Interesse des Klägers an der sofortigen Räumung, führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal auch in diesem Zusammenhang zu beachten ist, dass die massive Beleidigung der im Rollstuhl sitzenden Zeugin … sogar nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erfolgte.

D.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging nach §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung mit der der Streitwert festgesetzt wurde gründet auf § 41. Abs. 2 GKG. Bei Räumungsstreitigkeiten wegen Beendigung eines Miet-, oder Nutzungsverhältnisses, ist das für die Dauer eines Jahres zu zahlende Entgelt maßgebend, vorliegend mithin 12 × 772,30 Euro, da neben der Nettogrundmiete in Höhe von 651,50 Euro, die Nebenkosten in Höhe von 113,80 Euro und 7,00 Euro als Pauschale vereinbart sind und nicht gesondert abgerechnet werden.

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