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Fristlose Mietvertragskündigung wegen rassistischer Beleidigung eines Mitbewohners

AG Idstein – Az.: 3 C 72/19 (20) – Urteil vom 14.10.2019

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt

1.) die im Anwesen … Wohneinheit 3 gelegene, ca. 62 qm große Einliegerwoh-nung, bestehend aus einem Wohnraum mit Einbauküche, einem Schlafzimmer, ei-nem Bad mit Dusche, einer Terrasse mit Gartenanteil nebst Kellerraum zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben;

2.) 650,34 € vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.4.2019 zu zahlen;

3.) an die Klägerin ab April 2019 jeweils zum dritten Werktag des jeweiligen Monats bis zur Herausgabe der im Klageantrag zu 1) genannten Wohnung monatlich 720 € zu zahlen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Räumung einer Wohnung. Die Beklagte zu 1) mietete mit Mietvertrag vom 16.5.2016 eine Zwei-Zimmer-Wohnung der Klägerin in … an. Hierfür hatte sie eine Miete von 550 € monatlich zuzüglich Betriebskostenvorschuss von 170 € zu leisten. Wegen des weiteren Inhalts des Mietvertrages vom 16.5.2013 wird auf Bl. 17-21 d. A. Bezug genommen.

Der Beklagte zu 2) ist der Lebensgefährte der Beklagten zu 1), der sich regelmäßig, unstreitig bis zu drei Tage die Woche in der Wohnung aufhält und dort auch übernachtet. Die Klägerin mahnte die Beklagte zu 1) wegen Gewalttätigkeiten des Beklagten zu 2) und Störungen des Hausfriedens durch diesen mit Schriftsatz vom 18.12.2018 ab. Wegen des Inhalts dieses Schriftsatzes im Einzelnen wird auf Bl. 22-24 d. A. Bezug genommen. Mit Schreiben vom 21.2.2019 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen der Störungen des Hausfriedens durch die Beklagten, u. a. deswegen, weil die Beklagte zu 1) den Lebensgefährten der Klägerin als „Scheiß-Deutschen“ beleidigt habe. Wegen des Inhalts dieses Schriftsatzes im Einzelnen wird auf Bl. 25-28 d. A. Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1) habe sie und den Zeugen W. als „Scheiß-Deutsche“ beschimpft. Der Beklagte zu 2) sei am 13.2.2019 mit erhobener, drohend geballter Faust auf den Zeugen W. zugegangen. Er habe dem Zeugen W. am 19.2.2019 angedroht, ihm die Fresse einzuschlagen, habe ihn festgehalten und geschüttelt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,

1.) die im Anwesen …, Wohneinheit 3 gelegene, ca. 62 qm große Einliegerwohnung, bestehend aus einem Wohnraum mit Einbauküche, einem Schlafzimmer, einem Bad mit Dusche, einer Terrasse mit Gartenanteil nebst Kellerraum zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben;

2.) 650,34 € vorgerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

3.) an die Klägerin ab April 2019 jeweils zum dritten Werktag des jeweiligen Monats bis zur Herausgabe der im Klageantrag zu 1) genannten Wohnung monatlich 720 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 29.7.2019 (Bl. 83 d. A.), durch Vernehmung des Zeugen W. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die Niederschrift der Sitzung vom 16.9.2019 (Bl.94-96 d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das angerufene Gericht nach § 29a ZPO zur Entscheidung über den Rechtsstreit berufen.

Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Das Mietverhältnis wurde durch die Kündigung vom 21.2.2019 beendet. Denn die Klägerin war gemäß §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt, so dass die Beklagten aus §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zur Rückgabe der Wohnung verpflichtet sind.

Für die Beklagte zu 1) ergibt sich dies bereits daraus, dass sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme den Lebensgefährten der Klägerin am 13.2.2019 als „Scheiß-Deutschen“ beschimpft hat. Dies hat der Zeuge W. auch auf nachdrückliche Frage des Gerichtes, das den Klägervortrag bis dahin falsch verstanden hatte, ausdrücklich bestätigt. Diese Aussage ist in sich stimmig und detailreich. Sie stimmt damit überein, dass selbst die Beklagte zu 1) eine Konfliktsituation schildert und sogar den ersten Teil der Beleidigung einräumte, wenn auch gegenüber der Klägerin.

Soweit die Beklagte zu 1) bei ihrer persönlichen Befragung angab, den Ausdruck „Scheiß-Menschen“ verwendet zu haben, ist dies erkennbar eine Schutzbehauptung, die den Vorwurf der rassistischen Ausdrucksweise entkräften soll. Sie ist um so weniger glaubhaft, als die Beklagte zu 1) vor ihrer Vernehmung noch im Schriftsatz vom 16.7.2019 (Bl. 81 d. A.) jegliche Beleidigung der Klägerin und ihres Lebensgefährten bestritt. Wer solchermaßen eingesteht, schon im Prozess die Unwahrheit vorgetragen zu haben, kann nicht beanspruchen, dass seine Angaben dem des verletzten Zeugen vorgezogen werden.

Diese Beleidigung des Zeugen W. rechtfertigt auch eine außerordentliche Kündigung. Dies scheitert nicht schon daran, dass die Beleidigung nicht der Klägerin, sondern dem Zeugen W. galt. Denn von dem Schutzbereich des § 569 Abs. 2 BGB sind sämtliche Bewohner des Hauses erfasst (Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 2. Aufl. 2015 § 569 Rn.  66; NK-Hinz 2. Aufl. 2019 § 569 Rn. 26). Zu diesen gehört auch der Zeuge W.

Die Beleidigung als „Scheiß-Deutscher“ ist auch der Schwere nach ohne weiteres ausreichend, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Denn es handelt sich nicht nur um ein dahingeworfenes Schimpfwort. Der Zeuge W. wurde ausgerechnet seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft wegen (vgl. Art. 3 Abs. 3 GG) herabgesetzt. Der Zeuge W. wurde alleine deswegen mit einem Stück Fäkalie gleichgesetzt, weil er Deutscher ist. Es handelte sich mithin um einen eindeutig rassistischen Verbalangriff. Ein solcher rassistischer Hintergrund wurde bereits in anderen rechtlichen Zusammenhängen, etwa im Zusammenhang mit Tötungsdelikten als besonders verwerfliches Motiv angesehen. Für das Zivilrecht kann nichts anderes gelten. Ein solcher, auch einmaliger Verbalangriff stört den Hausfrieden dermaßen nachhaltig, dass dem Betroffenen die Fortsetzung des Mietverhältnisses noch nicht einmal bis zum nächstmöglichen Zeitpunkt zugemutet werden kann.

Fristlose Mietvertragskündigung wegen rassistischer Beleidigung eines Mitbewohners
(Symbolfoto: Von Bartolomiej Pietrzyk/Shutterstock.com)

Soweit eine vereinzelte Stimme meint, die Bezeichnung des Vermieters als „Scheiß-Deutscher“ rechtfertige eine Kündigung noch nicht (LG Berlin, GE 2016, 1279), hält das hier angerufene Gericht diese Auffassung für abwegig. Es dürfte auch unter Kreisen, die sich wie möglicherweise der in Berlin zuständige Spruchkörper für progressiv halten, unstreitig sein, dass die Beschimpfung einer Mietvertragspartei als „Scheiß-Jude“ oder „Scheiß-Türke“ eine rassistische Verunglimpfung darstellt, die nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB zur Kündigung berechtigt. Es kann aber – zumal vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 GG – nicht sein, dass ausgerechnet diejenigen, die die Gastfreundschaft dieses Landes genießen, umgekehrt die Angehörigen des Staatsvolkes ihrer Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft wegen verunglimpfen können, ohne denselben Sanktionen ausgesetzt zu sein wie umgekehrt (vgl. im Zusammenhang mit § 130 StGB auch Mitsch, JR 2011, 380; BT-Drucks. 19/1842).

Im Übrigen ist die Kündigung gegen die Beklagte zu 1) auch wegen des Verhaltens des Beklagten zu 2) begründet. Denn nach den Angaben des Zeugen W. hat ihn der Beklagte zu 2) nicht nur bedroht, er werde ihm die Fresse einschlagen, sondern hat ihn am 19.2.2019 auch tatsächlich gepackt und geschüttelt. Diesen plausiblen und detailreichen Angaben zu misstrauen, besteht um so weniger Anlass, als sie selbst von der Beklagten zu 1) bei ihrer Anhörung nicht in Zweifel gezogen wurden. Sie hat nur versucht, das krasse Fehlverhalten des Beklagten zu 2) mit Äußerungen bzw. anzüglichen Bemerkungen des Zeugen W. zu entschuldigen. Hierbei handelt es sich aber um das grundsätzliche Missverständnis der Beklagten. Mögliche Äußerungen zum Sexualverhalten der Beklagten zu 1), mögen sie auch anzüglich sein, können vielleicht im Wege des Ehrschutzes vom Gericht unterbunden werden, rechtfertigen aber nicht den vermeintlich in seiner männlichen Ehre betroffenen Beklagten zu 2), den Zeugen W. zu bedrohen oder gar zu packen und zu schütteln.

Dieses Fehlverhalten in Form einer strafrechtlich relevanten, zudem massiven Bedrohung samt nachfolgender körperlicher Gewalt würde nach Auffassung des Gerichtes bereits ohne Abmahnung zur außerordentlichen Kündigung nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB berechtigen. Hier ging aber die Abmahnung vom 18.12.2018 wegen ähnlichen Fehlverhaltens voraus. Dass diese Taten nicht unmittelbar von der Beklagten zu 1) ausgingen, steht der Kündigung nach §§ 543 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB nicht entgegen. Denn der Mieter muss sich die Störung durch denjenigen, dem er die Wohnung zur Mitbenutzung überlässt, zurechnen lassen (AG München, WuM 2004, 204; Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 2. Aufl. 2015 § 569 Rn.  63; NK-Hinz 2. Aufl. 2019 § 569 Rn. 28).

Auch der Beklagte zu 2) ist passivlegitimiert. Denn die Beklagte zu 1) hat ihm den zumindest zeitweisen Mitbesitz – nach eigenen Angaben für bis zu drei Tage in der Woche – überlassen, wobei er auch in der Wohnung übernachtet. Damit ist er zu Recht auf Herausgabe verklagt (Lützenkirchen/Lützenkirchen, Mietrecht, 2. Aufl. 2015 § 546 Rn. 138 f.; NK-Klein-Blenkers 2. Aufl. 2019 § 546 Rn. 44). Mit der Beendigung des Mietverhältnisses ist auch er aus § 985 BGB zur Rückgabe der Wohnung verpflichtet.

Der Anspruch auf Zahlung der Nutzungsentschädigung nach Beendigung des Mietverhältnisses folgt aus § 546a Abs. 1 BGB. Da die Beklagten auch insoweit Klageabweisung beantragt haben, waren sie antragsgemäß zu verurteilen.

Die korrekt berechneten Anwaltskosten sind als Ersatz notwendiger Rechtsverfolgungskosten Teil des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruches, da die Klägerin die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe für die Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Ansprüche für erforderlich halten durfte. Auf die Frage des Verzugs kommt es insoweit nicht an (KG, ZMR 2010, 974, 975).

Die Beklagten haben infolge ihres Unterliegens gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für die Räumung aus §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO, im Übrigen aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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