AG Gelsenkirchen – Az.: 205 C 5/16 – Beschluss vom 27.10.2016
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern als Gesamtschuldner auferlegt (§ 91 a ZPO).
Der Streitwert wird auf 3.476,64 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache vor Rechtskraft des am 02.09.2016 verkündeten Urteils übereinstimmend für erledigt erklärt.
Gemäß § 91 a ZPO konnte demnach durch Beschluss, der keiner mündlichen Verhandlung bedarf, über die Kosten des Verfahrens entschieden werden.
Unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes entspricht die tenorierte Kostenfolge billigem Ermessen.
I.
Die Parteien haben über die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses gestritten.
Die Kläger sind Eigentümer des Hauses in Gelsenkirchen. In dem Haus wohnen mindestens 24 Mietparteien. Die mittlerweile verstorbene Beklagte mietete im Jahr 1989 von der Rechtsvorgängerin der Kläger eine Wohnung im streitgegenständlichen Haus. Die monatliche Nettokaltmiete beträgt 289,72 EUR. Unter dem 13.2.2006 erteilten die Kläger der Hausverwaltung AB Immobilieberatung eine Vollmacht zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Zusammenhang mit der Verwaltung. In dieser Vollmacht wurde die Hausverwaltung auch zur „Abgabe und Entgegennahme einseitiger Willenserklärungen die Kündigungen“ berechtigt. Die Beklagte steht aufgrund einer chronifiziert verlaufenden endogenen Psychose unter Betreuung. Infolge dieser Erkrankung leidet sie unter Denk- und Wahrnehmungsstörungen und ist bei Verrichtungen des alltäglichen Lebens eingeschränkt. Mit Schreiben vom 24.9.2015 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund. In diesem Schreiben wurde der Beklagten eine Räumungsfrist bis zum 31.10.2015 eingeräumt. Das Kündigungsschreiben wurde sowohl der Beklagten als auch ihrer Betreuerin zugestellt. Nach Ablauf der Räumungsfrist musste sich die Beklagte in stationärer Krankenhausbehandlung begeben, da ihr ein Fuß amputiert werden musste. Nach ihrer Rückkehr lief die Beklagte laut um Hilfe schreiend im Haus umher und war orientierungslos. Infolgedessen musste sie mithilfe der Feuerwehr, die von den anderen Mietern des Hauses herbeigerufen wurde, erneut ins Krankenhaus eingeliefert werden. Insgesamt befand sich die Beklagte im Zeitraum vom 11. November 2015 bis 31.5.2016 sechsmal in stationärer Behandlung. Mit der Klageschrift vom 4.1.2016 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger im Namen der Kläger zu 1) und 3), welche von der Eigentümergemeinschaft beauftragt und bevollmächtigt sind, die Geschäfte der GbR zu führen, erneut die fristlose Kündigung. Das der Betreuerin der Beklagten übersandte Exemplar der Klageschrift enthielt weder Unterschriften der Kläger noch von deren Prozessbevollmächtigtem.
Die Kläger waren der Meinung, das Mietverhältnis sei wirksam gekündigt worden. Im Rahmen der als Anlagen vorgelegten Korrespondenz, im Vorfeld der Kündigung sei die Beklagte wiederholt darauf hingewiesen worden, dass der Bestand des Mietverhältnisses ernsthaft gefährdet sei, was eine wirksame Abmahnung darstelle. Darüber hinaus sei aufgrund des Verhaltens der Beklagten eine erhebliche Eigen- sowie eine massive Fremdgefahr der anderen Mieter im Hause begründet gewesen, sodass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Auch sei die Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Kläger wirksam. Die Beklagte habe die Beauftragung der Hausverwaltung stets akzeptiert und mit dieser schriftlich korrespondiert.
Die Beklagte war der Meinung, der Antrag der Klägerseite sei nicht vollstreckungsfähig. Zudem sei der Prozessbevollmächtigte der Kläger nicht hinreichend zur Kündigung bevollmächtigt gewesen. Aus der vorgelegten Vollmacht, welche auf den 15.12.2016 datiert ist, befänden sich lediglich zwei Unterschriften. Darüber hinaus habe die in der Klageschrift ausgesprochene Kündigung nicht der Schriftform genügt, da das der Betreuerin der Beklagten übersandte Exemplar nicht unterzeichnet worden sei, sondern lediglich den Namensstempel des klägerischen Prozessbevollmächtigten enthalten habe. Zudem habe das Kündigungsschreiben entgegen der ausdrücklichen Erwähnung keine Vollmacht enthalten. Darüber hinaus sei ein Kündigungsgrund für den Zeitraum vor dem 24.9.2015 nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
II.
Die zulässige Klage hatte keine Aussicht auf Erfolg.
Die erhobene Räumungsklage war zwar zulässig. Der Räumungsantrag war hinreichend bestimmt im Sinne des §§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Dies ist dann der Fall, wenn das Vollstreckungsorgan in die Lage versetzt wird, allein mit dem Urteil ohne Verwertung der Gerichtsakten oder anderer Urkunden, die nicht Bestandteil des Titels sind, die Vollstreckung durchzuführen (MüKoZPO/Götz ZPO § 704 Rn. 8, beck-online). Obwohl der Antrag nicht die genaue Lage der Wohnung im zweiten Obergeschoss benannt hat und auch die einzelnen Räumlichkeiten wie beispielsweise Zimmer, Küche, Bad oder Flur bzw. etwaige Kellerräume nicht aufführt, sollte eine Vollstreckung anhand der örtlichen Gegebenheiten für den Gerichtsvollzieher möglich sein.
Die Klage war jedoch unbegründet. Ein Räumungsanspruch bestand nicht. Das Mietverhältnis zwischen den Parteien ist weder durch die Kündigungserklärung vom 24.9.2015 noch durch die Kündigung in der Klageschrift vom 4.1.2016 gem. §§ 543 Abs. 1, 569 BGB wirksam gekündigt worden.
1.
Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die Kläger wirksam eine Vollmacht zur Erklärung der Kündigung erteilt haben. Denn Hinsichtlich der Kündigung vom 24.9.2015 fehlt es bereits an einem schlüssigen Tatsachenvortrag der Kläger, welcher zur Darlegung eines fristlosen Kündigungsgrundes geeignet wäre. Ein schlüssiger Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs liegt dann vor, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen (BGH Urteil vom 13.08.1997 – Az: VIII ZR 246/96; BGH Urteil v. 18.05.1999, Az: X ZR 158/97). Die Kläger tragen insoweit vor „zur Vermeidung von Wiederholungen erlauben wir uns zwecks Darlegung der Umstände, welche die Kündigung und den Räumungsanspruch der Kläger begründen, die Bezugnahme auf das Kündigungsschreiben vom 24.9.2015 nebst der darin erwähnten Anlage“ (Bl. 2 der Akten). Ein derartiger Verweis auf Anlagen ist zur Darlegung eines Anspruches unzulässig. Es obliegt vielmehr dem Prozessbevollmächtigten der Parteien, den Vortrag selbst zu ordnen, Anlagen auszuwerten und Tatsachen nach rechts Gesichtspunkten hervorzuheben und vorzutragen (Musielak ZPO/Stadler ZPO § 130 Rn. 10, 13. Aufl. 2016 m.w.N.). Auf den diesbezüglich ergangenen gerichtlichen Hinweis im Termin vom 10.6.2016 (Seite 2 des Protokolls der mündlichen Verhandlung = Rückseite Bl. 49 der Akten) haben die Kläger weder mit Schriftsatz vom 20.7.2016 noch mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 18.8.2016 detailliert zum Kündigungsgrund vorgetragen.
Davon unabhängig war die am 24.9.2015 ausgesprochene Kündigung auch deswegen unwirksam, weil es an einer vorherigen Abmahnung gemäß § 543 Abs. 3 S. 1 BGB fehlt. Demnach ist eine Kündigung wegen einer Pflichtverletzung aus dem Mietvertrag erst nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für eine Abmahnung genügt die bloße Rüge vertragswidrigen Verhaltens nicht. Vielmehr muss sich aus der Abmahnung ergeben, dass dem Mieter für den Fall eines weiteren Vertragsverstoßes Konsequenzen drohen. Zwar ist keine ausdrückliche Kündigungsandrohung erforderlich, allerdings muss für den Mieter deutlich werden, dass die weitere vertragliche Zusammenarbeit auf dem Spiel steht (Schmidt-Futterer/Blank BGB § 543 Rn. 62, 12. Aufl. 2015). Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich dies nicht aus dem Umstand, dass vor der Kündigung umfassend korrespondiert worden ist.
Eine Abmahnung der Beklagten war nach Auffassung des Gerichts auch nicht entbehrlich. Nach § 543 Abs. 3 Satz 2 BGB ist die Abhilfefrist entbehrlich, wenn dies offensichtlich keinen Erfolg verspricht oder wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (Blank/Börstinghaus Miete/Blank BGB § 543 Rn. 194, beck-online). Das Gericht hält es nicht für ausgeschlossen, dass die Beklagte bei einer deutlichen Abmahnung, insbesondere unter Einbeziehung ihrer gesetzlichen Betreuerin, ihren Lebensalltag trotz ihrer schwerwiegenden Erkrankung derartig verändern könnte, dass hiervon die übrigen Mieter im Wesentlichen unbeeinträchtigt blieben. Zudem ist zu berücksichtigen, dass nach obergerichtlicher Rechtsprechung in besonderen Situationen das Interesse des Vermieters hinter den Interessen eines psychisch kranken Mieters zurücktreten müssen (vergleiche BGH Urteil vom 8.12.2004 – Az: VIII ZR 218/03). Die von den Klägern eingewandte erhebliche Eigen- sowie eine massive Fremdgefahr der anderen Mieter im Hause vermag das Gericht vorliegend nicht festzustellen. Der Umstand, dass es in der Vergangenheit vermehrt zu stationären Krankenhausaufenthalten gekommen und sich andere Mieter von der Beklagten gestört fühlten, stellt keine derartige Gefahr dar. Hinzukommt, dass die Beklagte mittlerweile im Rollstuhl sitzt und deshalb in ihrem Aktionsradius erheblich eingeschränkt ist.
Die im Rahmen der Klageschrift ausgesprochene Kündigung ist ebenfalls unwirksam. Unabhängig von dem Umstand, ob der Vortrag, die Beklagte sei laut um Hilfe schreiend im Haus herumgelaufen, vollkommen orientierungslos gewesen und sodann mit Hilfe der Feuerwehr ins Heim eingeliefert worden, eine fristlose Kündigung rechtfertigt, ermangelt es auch dieser Kündigung an den formellen Voraussetzungen. Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die Kläger ihren Bevollmächtigten wirksam mit der Kündigung bevollmächtigt haben. Denn zum einen fehlt auch hier für eine wirksame Kündigung eine vorherige Abmahnung der Beklagten. Darüber hinaus ist auch Schriftform gemäß §§ 568 Abs. 1, 126 BGB nicht gewahrt. Die Schriftform setzt gemäß § 126 Abs. 1 BGB voraus, dass der Aussteller die Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet hat. Wird durch prozessualen Schriftsatz gekündigt, so ist die Schriftform gewahrt, wenn der Kündigende oder dessen Bevollmächtigter die für den Kündigungsempfänger bestimmte Abschrift eigenhändig unterschreibt. Es genügt aber auch, wenn die für das Gericht bestimmte Urschrift eigenhändig unterzeichnet ist und der Kündigungsempfänger eine mit einem Beglaubigungsvermerk versehene Abschrift enthält. Erforderlich ist allerdings, dass der Beglaubigungsvermerk vom Verfasser des Schriftsatzes, der die Kündigung enthält, eigenhändig unterzeichnet ist (OLG Zweibrücken RE 17.2.1981 OLGZ 1981, 350 = WuM 1981, 178; BayObLG RE 14.7.1981 BayObLGZ 1981, 232 = NJW 1981, 2197 = WuM 1981, 200; OLG Hamm RE 23.11.1981 NJW 1982, 452 = WuM 1982, 44; Blank/Börstinghaus Miete/Blank BGB § 568 Rn. 15, beck-online). Nach dem von den Klägern nicht bestrittenen, Tatsachenvortrag der Beklagten enthielt das der Betreuerin der Beklagten zugestellte Exemplar der Klageschrift lediglich den Beglaubigungsvermerk der Justiz beschäftigten, jedoch keine Unterschrift der Kläger oder deren Prozessbevollmächtigten.