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Gewerbemietvertrag – coronabedingte Schließung – Vertragsanpassung

OLG Hamm – Az.: 18 U 43/21 – Urteil vom 19.05.2022

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.02.2021 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund (Az. 12 O 359/20) abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin über den im angefochtenen Urteil hinausgehenden Betrag weitere 1.455,24 Euro (damit insgesamt einen Betrag in Höhe von 5.017,26 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.04.2020 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 36% und die Beklagte zu 64%; die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 66% und die Beklagte zu 34%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.223,34 Euro festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung rückständiger Miete für den Monat April 2020 in Anspruch.

Die Parteien schlossen am 19./21.07.2005 einen Mietvertrag über Gewerberäume in dem Objekt A in B. Ausweislich des Mietvertrages erfolgte die Vermietung zur Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäftes für Textilien aller Art sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs. Die Miete beträgt 7.785,36 Euro monatlich und ist bis zum fünften des jeweiligen Monats im Voraus zu zahlen.

Gewerbemietvertrag – coronabedingte Schließung - Vertragsanpassung
(Symbolfoto: Marc Bode/Shutterstock.com)

Im Zuge der CoronaPandemie ordnete die Stadt B – in Fortschreibung der Erlasse vom 15. und 17.03.2020 des Landes NRW zu weiteren kontaktreduzierenden Maßnahmen – mit einer am 17.03.2020 erlassenen Allgemeinverfügung die Schließung grundsätzlich sämtlicher Verkaufsstätten des Einzelhandels in der Zeit vom 18.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 an. Demzufolge musste auch die streitgegenständliche Filiale der Beklagten in dem genannten Zeitraum geschlossen werden.

Nach entsprechender Ankündigung mit Schreiben vom 24.03.2020 zahlte die Beklagte die Miete für den Monat April 2020 nicht und rechnete gegen die Mietzahlungspflicht für die Zeit vom 20.04.2020 bis 30.04.2020 mit der aus ihrer Sicht überzahlten Miete für die Zeit vom 18.03.2020 bis 31.03.2020 auf. Die folgenden Mietzahlungen erbrachte die Beklagte vollständig.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, dass die Beklagte auch für den Zeitraum der zwangsweisen Schließung ihres Einzelhandelsgeschäfts zur vollständigen Entrichtung der Miete verpflichtet sei.

Weder liege ein Mangel der Mietsache vor noch sei der Beklagten als Voraussetzung von § 313 Abs. 1 BGB das Festhalten am Vertrag unzumutbar. Die Beklagte habe eine Existenzgefährdung oder eine vergleichbare, zur Unzumutbarkeit führende wirtschaftliche Beeinträchtigung weder substantiiert dargelegt noch bewiesen. Insbesondere sei ihr Vortrag, sie habe keine staatlichen Hilfen erhalten, nicht überzeugend.

Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.785,36 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basis seit dem 06.04.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie für die Zeit der Filialschließung nicht verpflichtet sei die Miete für das streitgegenständliche Objekt zu leisten.

Die Mietzahlungspflicht sei gemäß § 536 Abs. 1 S. 1 BGB entfallen, weil in der staatlichen Schließungsanordnung ein Mietmangel im Sinne dieser Vorschrift zu sehen sei.

Jedenfalls sei von einer vorübergehenden Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung im Sinne von § 326 Abs. 1 BGB auszugehen.

Zudem liege es – unter Heranziehung von § 134 BGB als Auslegungsregel – gedanklich nahe, dass die wechselseitigen Hauptpflichten bei Fortbestand des Mietvertrages temporär „suspendiert“ gewesen seien.

Letztlich sei zumindest der Mietvertrag auf Grundlage der Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen. Unter Anwendung dieser Grundsätze halte sie eine hälftige Risikoteilung für sachgerecht. Sie behauptet hierzu, dass sie im März 2020 im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang des Nettoumsatzes von 50,8% und im April 2020 von 54,5% habe verzeichnen müssen. Der erhebliche Umsatzausfall und die damit verbundene Liquiditätslücke hätten nicht durch verstärkten OnlineHandel kompensiert werden können. Sie habe auch versucht ihren Umsatzrückgang durch die Nutzung von Kurzarbeit, Steuererleichterungen oder der Inanspruchnahme staatlicher Finanzierungsunterstützung zu kompensieren. Eine staatliche Finanzierungsunterstützung habe allerdings nicht erreicht werden können.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 3.562,02 Euro nebst Zinsen verurteilt und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe teilweise erfolgreich einen Anspruch auf Vertragsanpassung für die Zeit vom 01.04.2020 bis 19.04.2020 gemäß § 313 Abs. 1 BGB einredeweise gegen die Klageforderung geltend gemacht. Die Voraussetzungen des § 313 Abs. 1 BGB lägen vor. Die gemeinsame Geschäftsgrundlage sei in der Zeit der zwangsweisen Schließung der Geschäftsräume gestört gewesen. Das Auftreten der CoronaPandemie und die daraufhin ergangene Schließungsanordnung falle nicht in den Risikobereich einer der Parteien. Der Beklagten sei das Festhalten am unveränderten Vertrag für den Geltungszeitraum der Schließungsanordnung nicht zuzumuten. Dass während der zwangsweisen Schließung jedenfalls vor Ort in dem Einzelhandelsgeschäft der Beklagten kein Umsatz habe erzielt werden können, sei offensichtlich. Dieser Umsatzverlust habe durch den OnlineHandel nicht aufgefangen werden können. Angemessen erscheine eine Anpassung des Mietverhältnisses auf die Hälfte des Mietzinses, da das Risiko für die Betriebsuntersagung in gleichem Maß außerhalb des Risikobereichs von Mieter und Vermieter liege. Demzufolge sei der Mietanspruch gemäß § 389 BGB in Höhe von 1.757,98 Euro infolge der von der Beklagten erklärten Hilfsaufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch wegen einer im März 2020 überzahlten Miete erloschen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Begehrens sowie ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung. Sie rügt, das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beklagten das Festhalten am unveränderten Vertrag für den Geltungszeitraum der Schließungsanordnung nicht zumutbar gewesen sei. Die Unzumutbarkeit sei von der Beklagten trotz ihres Bestreitens und ihrer weiteren Einwendungen nicht bewiesen worden. Das Maß der Unzumutbarkeit sei letztlich nur bei substantiierter Darlegung des Mieters erreicht, in der eigenen Existenz gefährdet oder jedenfalls in einem solchen Ausmaß wirtschaftlich betroffen zu sein, dass ein weiteres Festhalten am unveränderten Mietvertrag unter Berücksichtigung aller übrigen Umstände als unzumutbar erscheine. Diesem Erfordernis sei die Beklagte nicht nachgekommen. Den behaupteten Nettoumsatzrückgängen im März bzw. April 2020 seien jedenfalls die ersparten Mitarbeiterkosten durch die Inanspruchnahme von Kurzarbeit oder etwaige Rücklagen gegenzurechnen. Auch Verhandlungen mit Lieferanten hätten eventuell zu Ersparnissen bei der Beklagten führen können. Auch sei es für die Beklagte grundsätzlich möglich gewesen, den OnlineHandel auszuweiten oder dies zumindest zu versuchen. Auch ergebe sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, ob ein Anspruch auf staatliche Leistungen bestanden habe oder aus welchen Gründen dieser nicht bestanden habe. Jedenfalls wäre ein ernsthaftes Bemühen der Beklagten um die Erlangung staatliche Hilfe vorauszusetzen.

Sie beantragt, das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 23.02.2021 zum Az. 12 O 359/20 aufzuheben, soweit die Klage in Höhe eines Betrages von 4.223,34 Euro abgewiesen worden ist und Gunsten ausgeurteilten 3.562,02 Euro weitere 4.223,34 Euro zu zahlen, zuzüglich Zinsen aus 4.223,34 Euro seit dem 06.04.2020.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Sie trägt ergänzend vor, dass es einer Existenzgefährdung oder einer entsprechenden wirtschaftlichen Lage ihrerseits nicht bedürfe. Unabhängig davon sei es Tatsache, dass der Textilhandel ab März 2020 historische Einbrüche erlitten habe. Soweit die Berufung in Zweifel ziehe, dass sie keine öffentlichen Hilfen erhalten habe, verweist sie auf die Website des Wirtschaftsministeriums und führt aus, dass sie die dort aufgestellten Kriterien nicht erfülle. Im Übrigen seien entsprechende Hilfen nicht zu berücksichtigen. Beim Wareneinkauf könne sie kein Geld ersparen. Der Vorlauf der Warenbestellung betrage etwa neun Monate. Zum Kurzarbeitergeld sei anzumerken, dass sie, soweit möglich, ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt habe. Sie habe das bezahlen und abnehmen müssen, was sie bestellt hatte. Dadurch seien deutlich zu viele Textilien auf dem Markt gewesen, was zu erheblichen Rabatten im Abverkauf geführt habe. Das Instrument der Kurzarbeit habe sie schon im Eigeninteresse soweit es gegangen sei, genutzt. Im Übrigen sei Kurzarbeitergeld nicht zu berücksichtigen, da es sich schon nicht um eine öffentliche Förderung, sondern um eine durch Beiträge finanzierte Entgeltersatzleistung aus der Arbeitslosenversicherung handele. Im Übrigen komme es nach ihrer Auffassung gar nicht darauf an, ob und in welcher Höhe sie Kosten erspart habe oder hätte ersparen können. Es sei anzumerken, dass die Klägerin mit keinem Wort auf ihre eigene Situation eingehe, obwohl diese, wenn man eine Abwägung für notwendig erachte, ebenfalls zu berücksichtigen sei. Beispielsweise hätte die Klägerin sich dazu äußern können, ob die betreffende Miete über eine Versicherung erstattet worden sei.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten über den bereits erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus ein weiterer Anspruch auf Zahlung der für April 2020 beanspruchten Miete in Höhe von 1.455,24 Euro, damit insgesamt ein Anspruch in Höhe von 5.017,26 Euro, aus § 535 Abs. 2 BGB zu.

1. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Miete für April 2020 ist in Höhe eines Betrages von 7.785,36 Euro entstanden. Die Parteien haben unter dem 19./21.07.2005 einen wirksamen Mietvertrag geschlossen. Die Höhe der zu zahlenden monatlichen Miete ist zwischen den Parteien unstreitig.

2. Der Anspruch ist jedoch aufgrund der pandemiebedingten Schließung des Geschäftslokals der Beklagten in dem Zeitraum 01.04.2020 bis einschließlich 19.04.2020 in Höhe eines Betrages von 1/3 der auf diesen Zeitraum entfallenden Miete (=4.930,69 Euro), mithin in Höhe von 1.643,56 Euro, erloschen.

a) Dabei kann sich die Beklagte zunächst nicht mit Erfolg auf ein ihr zustehendes Recht zur Minderung der Miete gemäß § 536 Abs. 1 BGB berufen. Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (s. Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21), der der Senat folgt, die mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht durch Art. 240 § 2 EGBGB, mit dem die Kündigungsmöglichkeit des Vermieters wegen eines coronabedingten Zahlungsverzugs des Mieters ausgesetzt wurde, ausgeschlossen. Jedoch hat die auf der Allgemeinverfügung des Landes NRW vom 15. und 17.03.2020 beruhende Schließung der Filiale der Beklagten nicht zu einem Mangel des Mietgegenstandes im Sinne von § 536 Abs. 1 S. 1 BGB geführt.

Denn eine pandemiebedingte Betriebsuntersagung stellt kein Gebrauchshindernis dar, das auf Beschaffenheit, Zustand oder Lage der Mietsache beruht, sondern betrifft vielmehr allein das Verwendungsrisiko des Mieters. Auch lässt sich die Mangelhaftigkeit der Mietsache nicht damit begründen, dass durch die behördliche Schließungsanordnung faktisch der Zugang zu den Mieträumen für potentielle Kunden der Beklagten verhindert oder beschränkt gewesen ist, da die Zugangsbeeinträchtigung nicht auf einer konkreten baulichen Gegebenheit der Mietsache, sondern auf einer hoheitlichen Maßnahme beruht. Ferner ergibt sich das Vorliegen eines Mangels im Sinne von § 586 Abs. 1 S. 1 BGB nicht daraus, dass die Mietvertragsparteien im vorliegenden Fall als Mietzweck die „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäftes für Textilien aller Art, sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“ vereinbart hätten. Denn ohne besondere Umstände, die hier nicht ersichtlich sind, gehören nur rechtliche Umstände, die die körperliche Beschaffenheit, den Zustand oder die Lage der Mietsache betreffen oder Einfluss auf sie haben, zu der vom Vermieter geschuldeten Leistung. Für öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder Gebrauchshindernisse, die sich aus betriebsbezogenen Umständen ergeben oder in der Person des Mieters ihre Ursache haben, hat der Vermieter hingegen ohne eine anderslautende Vereinbarung nicht einzustehen (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21 a.a.O.).

b) Die Beklagte ist auch nicht deshalb von ihrer Verpflichtung zur Mietzahlung befreit, weil der Klägerin ihre vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand ganz oder teilweise unmöglich gewesen wäre, §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB.

Auch hier folgt der Senat der Auffassung des Bundesgerichtshofs in dem zitierten Urteil, die unabhängig davon, ob diese Regelungen von den speziellen Regelungen des mietrechtlichen Gewährleistungsrechts (§§ 536 ff. BGB) verdrängt werden, das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen der §§ 326 Abs. 1, 275 Abs. 1 BGB verneint. Der Klägerin sei es während des streitgegenständlichen Zeitraums trotz der behördlichen Schließungsanordnung nicht unmöglich gewesen, der Beklagten den Gebrauch der Mietsache entsprechend dem vereinbarten Mietzweck zu gewähren. Eine Einstandspflicht für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie habe sie nicht übernommen (BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, a.a.O.).

c) Im Falle einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID- 19- Pandemie beruht, besteht jedoch nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21 a.a.O.) grundsätzlich ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB.

(1) Ein Ausschluss der Anwendung des § 313 Abs. 1 BGB wegen Art. 240 § 2 EGBGB kommt nicht in Betracht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.

(2) Gemäß § 313 Abs. 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten. Dabei kann eine Anpassung nur insoweit verlangt werden, als dem einen Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(a) Durch die COVID-19- Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert. Denn unstreitig hat keine der Parteien bei Abschluss des Mietvertrags die Vorstellung gehabt, während der vereinbarten Mietzeit werde es zu einer Pandemie und damit verbundenen erheblichen hoheitlichen Eingriffen in den Geschäftsbetrieb der Beklagten kommen, durch die die beabsichtigte Nutzung der Mieträume eingeschränkt wird. Betroffen ist dabei insoweit die sogenannte große Geschäftsgrundlage, d.h. die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-) Katastrophe ändern und die soziale Existenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien ist dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID- 19- Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit vom 18.03.2020 bis einschließlich 19.04.2020 hat schließen müssen (so BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, a.a.O.).

(b) Aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Mietvertrag ergibt sich auch nicht, dass die Beklagte im vorliegenden Fall das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung ihres Einzelgeschäftes übernommen hat.

(c) Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch davon auszugehen, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung vorausgesehen und bedacht hätten. Es ist anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zulasten des Mieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Mietanpassung vorgesehen hätten (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, a.a.O.).

(d) Letztlich ist der Beklagten auch ein unverändertes Festhalten an der vertraglich vereinbarten Miethöhe unter Abwägung aller Umstände einschließlich der vertraglichen Risikoverteilung im Ergebnis nicht zumutbar.

(aa) Zwar trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache. Dazu gehört bei der gewerblichen Miete vor allem die Chance, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2005, XII ZR 66/03, NJW 2006, 899).

In dem Fall, dass die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters jedoch auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID- 19- Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum beruht, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID- 19- Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann (BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, a.a.O.).

(bb) Dabei verkennt der Senat nicht, dass dies nicht bedeutet, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb kommt eine Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht.

Aus diesem Grund ist zunächst von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese bestehen bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen ist ferner, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensation der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können zu berücksichtigen sein.

Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist dagegen nicht erforderlich.

Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

(cc) Dabei obliegt es grundsätzlich der Vertragspartei, die sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufe, nachzuweisen, dass ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar ist. Im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung muss daher der Mieter darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machten und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen habe, um drohende Verluste auszugleichen. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelingt ihm dies nicht, muss er sich so behandeln lassen, als hätte er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten. Wendet hingegen der Vermieter ein, dass die vom Mieter behaupteten Verluste nicht auf der COVID- 19- Pandemie beruhten, trifft ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast (so BGH, Urteil vom 12.01.2022, XII ZR 8/21, a.a.O.).

(dd) Gemessen daran hält der Senat eine Anpassung des Mietvertrags dergestalt, dass die Miete für den Zeitraum der pandemiebedingten Schließung um 1/3 zu kürzen ist, im Ergebnis für angemessen.

Die Beklagte hat nach Überzeugung des Senats zunächst substantiiert dargelegt, dass in ihrer konkreten Filiale aufgrund der pandemiebedingten Schließung des Geschäftslokals in dem Zeitraum vom 18.03.2020 bis 19.04.2020 einschließlich ein erheblicher Umsatzrückgang zu verzeichnen gewesen ist. So hat die Beklagte mit der Anlage B 10 zum Schriftsatz 22.10.2021 eine für die Jahre 2018, 2019 sowie 2020 monatliche Aufstellung ihrer Umsätze überreicht, aus der sich ein Rückgang der Umsätze für die betreffenden Monate März und April 2020 im Vergleich zu den Vorjahren von ca. 50% ergibt. Gleichfalls hat sie mit Schriftsatz vom 04.03.2022 konkret darzulegen vermocht, dass auch nach Wiedereröffnung der Filiale am 20.04.2020 die erlittenen Verluste nicht wieder aufgeholt werden konnten. Die Klägerin hat die von der Beklagten benannten Zahlen nicht bestritten.

Ebenso hat die Beklagte substantiiert darlegen können, dass ihre Anstrengungen zur Kompensation der Verluste nur zu einem geringen Teil erfolgreich waren.

Der von der Beklagten während der Filialschließung betriebene OnlineHandel konnte zwar im Zeitraum der pandemiebedingten Geschäftsschließung eine Umsatzsteigerung verzeichnen. Die Beklagte hat jedoch substantiiert unter Nennung konkreter Zahlen aufgezeigt, dass diese Steigerung dermaßen gering ausgefallen ist, dass sie den Verlust nicht ansatzweise hat kompensieren können. So konnte im März 2020 in dem betreffenden Zeitraum (auf die konkrete Filiale bezogen) lediglich eine Umsatzsteigerung von 189,00 Euro und im April 2020 von 755,00 Euro verzeichnet werden. Soweit die Klägerin einwendet, die Beklagte habe versäumt, ihren OnlineHandel etwa durch Rabattaktionen oder Minderung oder Erlass der Versandkosten ab einem Mindestbestellbetrag, auszuweiten, ist ihr entgegen zu halten, dass die Beklagte nachvollziehbar ausgeführt hat, dass eine Ausweitung ihres OnlineHandels vor dem Hintergrund, dass das Diskont-Textilgeschäft grundsätzlich ein stationäres Geschäft sei, nicht in Betracht kommt.

Durch Verhandlungen mit Lieferanten oder durch anderweitige Verwendung bereits bestellter Ware hat die Beklagte nach Überzeugung des Senats keine Kosten einsparen können. Die Beklagte hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass der Vorlauf der Warenbestellung etwa neun Monate betrage und sie wegen zusätzlich angefallener Lager- und Logistikkosten, der teilweisen Unverkäuflichkeit von Saisonwaren und der zwingend zu gewährenden Nachlässe auf Vorjahresartikel nichts erspart hat und nichts hat ersparen können.

Auch konnte die Beklagte ihre erlittenen Verluste nicht durch die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe kompensieren, da sie als Großkonzern bekanntermaßen nicht berechtigt war, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen und dies auch nicht getan hat. Im Übrigen ist dieser Umstand zwischen den Parteien unstreitig.

Ebenso ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Beklagte keine Leistungen aus einer etwaigen Betriebsversicherung entgegengenommen hat. Zudem hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 10.01.2022 entschieden (IV ZR 144/21), dass die (Betriebsausfall-)Versicherungen im Fall von coronabedingten Betriebsschließungen nicht zu einer Zahlung verpflichtet sind. Entsprechendes gilt für die Klägerin. Auch sie hat keine Leistungen aus einer Versicherung erhalten bzw. erhalten können.

Auf der anderen Seite kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Beklagte lediglich die Miete für April 2020 nicht gezahlt hat, damit offenbar in der Lage war, alle weiteren geschuldeten Mieten pünktlich in voller Höhe zu zahlen.

Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beklagte an allgemeinen Betriebskosten, worunter auch die Personalkosten fallen, in dem Zeitraum der Betriebsschließung im März 2020 zwar lediglich einen zu vernachlässigenden Prozentsatz, in dem Zeitraum der Betriebsschließung im April 2020 jedoch immerhin mehr als die Hälfe hat einsparen können.

3. In der Folge ist der Anspruch der Klägerin durch die von Seiten der Beklagten erklärten Aufrechnung mit einem ihr zustehenden Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB wegen überzahlter Miete für den Monat März 2020 in Höhe eines Betrages von 1.124,54 Euro erloschen, § 389 BGB.

Denn der Beklagten steht auch für den Zeitraum 18.03.2020 bis 31.03.2020, in dem sie ihr Geschäftslokal ebenso pandemiebedingt hat schließen müssen, nach den oben genannten Grundsätzen des § 313 BGB ein Recht zur Anpassung der Miete auf 2/3 der für diesen Zeitraum geschuldeten Summe (= 3.373,63 Euro) zu.

II.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.2022 in dem Verfahren XII ZR 8/21, keine grundsätzliche Bedeutung mehr hat, die Fortbildung des Rechts nicht mehr nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs verlangt und der Senat mit seiner Entscheidung nicht von höchstrichterlichen oder anderen obergerichtlichen Urteilen abweicht, § 543 Abs. 2 ZPO.

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