LG Köln – Az.: 24 O 102/17 – Urteil vom 20.06.2017
1.) Der Beklagte wird verurteilt, die im Hause A-Straße in 51491 Overath im oben gelegenen Neubau durch den Nebeneingang oberhalb der Treppe befindlichen, selbst genutzten Räume
- im Obergeschoss gemäß dem anliegenden Grundriss: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Wohnküche, Bad und Balkon
- in der darüber liegenden Zwischenebene links die Gästetoilette und rechts einen Raum
- im Speicher befindlichen großen Raum und 2 kleine Kammern
von seinem persönlichen Eigentum
(d.h. ohne die im Eigentum der Klägerin stehenden
- Einbauküche mit Herd, Spülmaschine, Dunstabzugshaube, Kühlschrank, 1 Tisch, 2 Hocker, die Edelstahlarmaturen, der Pendelleuchte mit Kristallen
- im Bad ohne die sanitäre Ausstattung und den Hängeschrank sowie die am Fenster angebrachten Plissees,
- im Gäste-WC ohne die sanitäre Ausstattung und die Deckenleuchte,
- ohne die in der ganzen Wohnung angebrachten Einbauleuchten,
- ohne die in der ganzen Wohnung angebrachten Edelstahl-Fenstergriffe und Gardinenstangen aus Edelstahl sowie den Gardinen,
- ohne die in der ganzen Wohnung angebrachten Lichtschalter und Steckdosen)
zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
2.) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.029,35 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2016 zu zahlen.
3.) Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, im Hinblick auf Ziffer 1.) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 EUR, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
5.) Der Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist wird abgelehnt.
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin der Immobilie A-Straße in Overath. In dem Gebäude befinden sich eine obere und eine untere Wohnung.
Die Parteien waren zunächst liiert und lebten gemeinsam in der Immobilie. Es existiert ein von den Parteien unterschriebener, auf den 03.05.2011 datierter Mietvertrag, durch den der Beklagte eine Wohnung mit ca. 130 m² anmietete (Anlage B1, Bl. 82ff. GA). 2015 trennten sich die Parteien. Der Beklagte bezog die untere, die Klägerin die obere Wohnung. Wegen Streitigkeiten zog die Klägerin aus der oben gelegenen Wohnung aus. Sie forderte den Beklagten auf, das Gebäude zu verlassen. Im Verfahren 68 C 187/16 beim AG Bergisch Gladbach wurde der Beklagte zur Räumung der unteren Wohnung verurteilt. Die Zwangsvollstreckung erfolgte am 24.01.2017. Der Beklagte verschaffte sich gewaltsam Zutritt zur oberen Wohnung. Die Klägerin ließ den Beklagten durch anwaltliches Schreiben erfolglos zur Räumung der oberen Wohnung auffordern.
Die Klägerin behauptet, es habe nie einen Mietvertrag gegeben. Die Urkunde vom 03.05.2011 sei nur zum Schein unterzeichnet worden, damit der Beklagte Wohngeld beantragen könne. Der Vertrag beziehe sich ohnehin nicht auf die obere, sondern auf die untere Wohnung, was sich schon der Flächenangabe entnehmen lasse. Sie ist der Ansicht, der Mietvertrag sei wenn dann durch die einvernehmliche Aufteilung des Besitzes nach der Trennung konkludent aufgehoben worden. Jedenfalls sei der Vertrag aufgrund der von ihr wiederholt ausgesprochenen Kündigungserklärungen beendet worden. Kündigungsgründe ergäben sich aus Zahlungsrückständen und aus § 573a BGB. Hierzu behauptet die Klägerin, sie sei zwischenzeitlich in die untere Wohnung eingezogen.
Die Klägerin behauptet weiter, sie habe die Kosten ihres Prozessbevollmächtigten von 1.029,35 EUR bezahlt.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen; hilfsweise: ihm eine in das Ermessen des Gerichts gesetzte Räumungsfrist zu gewähren.
Der Beklagte behauptet, eigentlich habe er die Immobilie erwerben wollen, wozu ihm aber die Mittel gefehlt hätten. Um sich gegenüber der Klägerin abzusichern, sei der Mietvertrag vom 03.05.2011 geschlossen worden. Hierauf habe er auch Mieten gezahlt. Ein Zahlungsrückstand bestehe nicht, weil ihm Gegenforderungen zustünden, mit denen er aufrechne. Er ist der Ansicht, er habe mangels Nebenkostenabrechnungen einen Anspruch auf Rückzahlung der Nebenkostenvorauszahlungen. Die Beklagte sei nach § 812 BGB verpflichtet, ihm einen Ausgleich für die von ihm geleisteten Arbeiten zu erbringen, die er an dem Haus vorgenommen habe. Hierzu behauptet er, er habe Materialkosten von insgesamt 15.130,00 EUR gehabt. Seine Arbeit habe zu einer erheblichen Wertsteigerung der Immobilie geführt.
Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten bereits bezahlt habe.
Nach Rechtshängigkeit hat sich zunächst die Klägerin gewaltsam Zutritt zur oberen Wohnung verschafft. Im Anschluss hat sich erneut der Beklagte den Besitz verschafft.
Die Akte 68 C 187/16 des AG Bergisch Gladbach ist beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1.) Die Klägerin hat gegen den Beklagen einen Anspruch auf Herausgabe der oberen Wohnung aus § 861 Abs. 1 BGB.
Der Beklagte hat der Klägerin den Besitz an der Wohnung im Wege verbotener Eigenmacht entzogen, § 858 BGB. Der Beklagte war nicht aufgrund des Mietvertrags vom 05.03.2011 berechtigt, die Tür zur oberen Wohnung aufzubrechen. Der Mietvertrag würde dem Beklagten für den Fall seiner Wirksamkeit ein vertragliches Recht zum Besitz einräumen. Entgegen dem missverständlichen Wortlaut des § 863 BGB berechtigt ein solches Recht zum Besitz aber nicht dazu, dieses Recht eigenmächtig durchzusetzen (allg. Meinung, vgl. Palandt-Herrler, BGB, 76. Aufl., 2017, § 863 BGB Rn. 2; Joost, in: MüKo-BGB, 7. Aufl., 2017, § 858 BGB Rn. 8; ders. a.a.O. § 863 BGB Rn. 6). Nur ein Selbsthilfe- oder Wegnahmerecht stünde der verbotenen Eigenmacht im Wege, ein Recht zum Besitz hingegen nicht. Solche Selbsthilferechte sind im deutschen Zivilrecht jedoch die Ausnahme. Grundsätzlich gibt es ein Gewaltmonopol des Staates, an den sich der Bürger zur Durchsetzung seiner Rechte wenden muss.
Der Anspruch der Klägerin ist nicht nach § 862 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, sich erst im Februar 2017 den Besitz an der oberen Wohnung verschafft zu haben. Selbst wenn die Klägerin ihm gegenüber zunächst fehlerhaft besessen haben sollte, hätte sie den Besitz seit 2015 und damit für mehr als ein Jahr gehabt, so dass er nach § 862 Abs. 2 BGB vom Gesetz geschützt würde. Im Übrigen ist für eine verbotene Eigenmacht der Klägerin im Jahr 2015 nichts ersichtlich. Der Beklagte ist dem Vortrag, im Jahr 2015 seien die Wohnungen zunächst einvernehmlich aufgeteilt worden, nicht substantiiert entgegengetreten.
Unerheblich sind auch die im Prozess erfolgten, wechselseitigen Besitzentziehungen, denn der Beklagte hat als Erster eine verbotene Eigenmacht begangen und danach nicht für mehr als ein Jahr besessen, wodurch er nach § 862 Abs. 2 BGB erst eine geschützte Position erlangt hätte (vgl. zu mehrfachen wechselseitigen Besitzentziehungen auch Palandt-Herrler, BGB, 76. Aufl., 2017, § 861 BGB Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).
Der Beklagte kann sich auch nicht auf ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 2 BGB berufen, unabhängig davon, ob die Geltendmachung eines solchen Rechts durch § 863 BGB ausgeschlossen wird (vgl. zum Meinungsstand Joost a.a.O. § 863 BGB Rn. 5). Die vom Beklagten vorgetragenen Verwendungen hat er nicht während der erst seit Februar 2017 andauernden Besitzzeit an der oberen Wohnung vorgenommen und es ist auch nicht ersichtlich, in welchem Umfang sie sich überhaupt auf die obere Wohnung beziehen. Zudem hat der Beklagte den Besitz an der oberen Wohnung im Wege der vorsätzlichen unerlaubten Handlung erlangt.
2.) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 1.029,35 EUR vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten aus §§ 823 Abs. 2, 858 BGB. Ob die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten bereits bezahlt hat, ist unerheblich, denn ein ansonsten bestehender Freistellungsanspruch hätte sich nach § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch umgewandelt. Wegen der ernsthaften und endgültigen Verweigerungshaltung der Beklagten bedarf es keiner Fristsetzung, die eine bloße Förmelei wäre (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Aufl., 2017, § 250 BGB Rn. 2). Der Gegenstandswert ist jedenfalls ausreichend hoch, um einen Anspruch in Höhe von 1.029,35 EUR zu rechtfertigen, denn § 41 GKG findet keine Anwendung. Voraussetzung hierfür wäre, dass von der Klägerin ein Mietverhältnis behauptet wird (Dörndorfer, in: Binz/Dörndorfer, GKG, 3. Aufl., 2014, § 41 GKG Rn. 2). Die Klägerin geht aber gerade davon aus, dass es kein Mietverhältnis gibt und ein solches auch nie gegeben hat, weshalb sich der Gegenstandswert nach § 6 ZPO richtet.
3.) Das Gericht hat in Ausübung des nach § 721 ZPO bestehenden Ermessensspielraums davon abgesehen, dem Beklagten eine Räumungsfrist zu gewähren. Der Beklagte hat sich die Wohnung im Wege verbotener Eigenmacht verschafft. § 940a ZPO zeigt, dass in dieser Situation das Interesse des gestörten Besitzers an einer schnellen Entscheidung höher zu bewerten ist als die Interessen des Störers. Der Beklagte hatte zudem während des Räumungsverfahrens vor dem AG Bergisch Gladbach betreffend die untere Wohnung genügend Zeit, um sein behauptetes Recht aus dem Mietvertrag vom 05.03.2011 an der oberen Wohnung gerichtlich geltend zu machen. Auch hat er keine Tatsachen dazu vorgetragen, warum ihm eine kurzfristige Räumung nicht zuzumuten sein sollte.
4.) Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.