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Kinderlärm nach 22:00 Uhr – Mietvertragskündigung?

LG Berlin – Az.: 65 S 104/21 – Beschluss vom 30.07.2021

Der Antrag der Beklagten vom 26. Mai 2021 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Berufungsverfahren gegen das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 28.04.2021 – 2 C 125/19 wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war zurückzuweisen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Beklagten bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die beabsichtigte Berufung der Beklagten wäre zwar zulässig, aber unbegründet. Die Entscheidung des Amtsgerichts Neukölln beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von ihnen bewohnten Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB.

Die vom Kläger mit Schreiben vom 08. Mai 2019 ausgesprochene fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis fristgemäß zum 28. Februar 2020 beendet, § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1, 573c Abs.1 BGB. Unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung, ist hier jedenfalls wirksam ordentlich gekündigt worden. Nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat; ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

Kinderlärm nach 22:00 Uhr – Mietvertragskündigung?
(Symbolfoto: Ivonne Wierink/Shutterstock.com)

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Beklagten haben ihre mietvertraglichen Pflichten – konkretisiert durch die Hausordnung – verletzt, indem sie entgegen dem nachbarlichen Rücksichtnahmegebot in einem Altbau im Zeitraum von Oktober 2018 bis März 2019 erhebliche Lärmbelästigungen zu verschulden hatten. Diese Pflichtverletzung ist auch nicht unerheblich; das Amtsgericht hat insofern vor allem die Zeugenaussage der Zeugin ### zugrunde gelegt, die laute Streitigkeiten und Kindergeschrei zu Ruhezeiten angegeben hat, die aus der Wohnung der Beklagten kamen. Nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das mit der Rechtsfindung ersuchte Gericht – in diesem Fall das Amtsgericht – unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachtet. Das Rechtsmittelgericht kann diese Überzeugungsfindung nur auf offensichtliche Widersprüche oder Unrichtigkeiten, Verstöße gegen Denk- oder Naturgesetze überprüfen; es darf hingegen nicht seine eigene Überzeugung an die Stelle der Überzeugung des beweiswürdigenden Gerichts setzen (OLG München, Beschl. v. 04.07.2017 – 28 U 635/17 Bau, zitiert nach beck-online). Das Amtsgericht darf sich dabei auf den gesamten Akteninhalt sowie einzelne Zeugenaussagen stützen. Unerheblich dafür ist, dass die Zeugin ### bereits aus der Wohnung ausgezogen ist, denn in dem streitgegenständlichen Zeitraum, auf den sich die Kündigung bezieht, hat sie dort noch gewohnt und kann ihre Wahrnehmungen bekunden. Im Gegenteil ist der Umstand, dass sie nach eigener Aussage aufgrund der von ihr als unerträglich empfundenen Lärmbelästigungen aus der Wohnung ausgezogen ist, ein Anzeichen dafür, dass die Geräusche sehr erheblich und beeinträchtigend für die anderen Mieter waren. Hinzukommen aus Sicht der Kammer die gegenüber der Zeugin ausgesprochenen Beleidigungen „Schamuta“ und das aggressive sowie unsittliche Verhalten (Spucken in den Hausflur) des Beklagten zu 1.) gegenüber der Hausgemeinschaft, was sowohl die Aussage dieser Zeugin als auch die schriftlichen Beschwerden der ehemals unter den Beklagten wohnenden Mietern nahe legen, auf deren Grundlage zahlreiche Abmahnungen seitens der Klägerin ausgesprochen worden sind.

Das Amtsgericht hat zudem berücksichtigt, dass Kinderlärm auch in Ruhezeiten nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Von Kindern ausgehender Lärm wird nach § 22 Abs. 1a BImSchG grundsätzlich privilegiert, wobei diese Regelung nach der Rechtsprechung des BGH darauf angelegt ist, über seinen eigentlichen Anwendungsbereich und das damit vielfach umklammerte zivilrechtliche Nachbarrecht hinaus auch auf das sonstige Zivilrecht – insbesondere das Mietrecht – auszustrahlen. Diese Ausstrahlungswirkungen, die zugleich die Verkehrsanschauung zu Art und Maß der als sozialadäquat hinzunehmenden Geräuschimmissionen prägen, haben zur Folge, dass bei Kinderlärm der in § 22 Abs. 1a BImSchG beschriebenen Art jedenfalls bei Beachtung des Gebots zumutbarer gegenseitiger Rücksichtnahme in der Regel als den Mietgebrauch nicht oder nur unerheblich beeinträchtigend einzustufen ist (BGH, Urt. v. 29.04.2015 – VIII ZR 197/14, NJW 2015, 2177 [2179]. Diese Rechtsprechung zum Vorliegen eines Mangels der Mietsache gegenüber den anderen Mietern kann auch für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung im Fall der Mangelbeseitigung durch den Vermieter in Form einer Kündigung des lärmverursachenden Mieters herangezogen werden.

Das in der Norm zum Ausdruck gebrachte Toleranzgebot der Gesellschaft ggü. Kinderlärm im Allgemeinen findet seine Grenze dort, wo nächtliche Ruhezeiten durch die Einwirkung Erwachsener, die zum Kindeswohl handeln und ihre Kinder schlafen legen, eingehalten werden könnten, dies aber nicht geschieht.

Berücksichtigt hat das Amtsgericht entgegen der Behauptung im Berufungsbegründungsentwurf auch die Aussagen der Zeugen ### und ### sowie zur Kenntnis genommen, dass diese die Lärmbelästigungen nicht bestätigen konnten. Rechtsfehlerfrei hat das Amtsgericht aber berücksichtigt, dass beide Zeugen jeweils durch eine weitere Etage von der Beklagtenwohnung getrennt wohnten und sich daher logisch und im naturwissenschaftlichen Sinne nachvollziehbar erklären lässt, weshalb sie keine derartigen Geräusche wahrgenommen haben.

Sofern die Beklagten sich auf einen Verfahrensfehler und eine Verletzung rechtlichen Gehörs wegen der mangelnden Hinzuziehung eines Dolmetschers für den Zeugen ### berufen, ist zu bedenken, dass auch die Einschätzung, ob es einen Zeugen für beweiserheblich hält, dem jeweiligen Tatgericht überlassen ist. Davon unabhängig ist den Beklagten zwar zuzugestehen, dass das Amtsgericht grundsätzlich zur Hinzuziehung eines Dolmetschers verpflichtet ist, wenn der (beweiserhebliche) Zeuge die deutsche Sprache nicht beherrscht, was hier nach der Feststellung in der Verhandlung der Fall gewesen ist. Ein derartiger Verstoß kann auch eine Verletzung rechtlichen Gehörs bedeuten. Es lag auch keine Verspätung nach § 296 ZPO vor, da die Beklagten in der Tat nicht verpflichtet gewesen sind, auf die Notwendigkeit eines Dolmetschers hinzuweisen. Die Partei kann sich auf den Verstoß in der Berufungsinstanz allerdings nicht mehr berufen, weil sie den Mangel gemäß § 295 ZPO nicht rechtzeitig gerügt hat (Zimmermann, in: MüKo ZPO, 5. Aufl. 2017, § 185 GVG Rn. 13). Die nach dieser Vorschrift in Bezug genommene nächste mündliche Verhandlung ist nach einer Beweisaufnahme die sich sogleich anschließende Verhandlung nach § 370 ZPO (Greger, in: Zöller, 33. Aufl. 2020, § 295 Rn. 8). Rügeloses Verhandeln in Kenntnis des Mangels hat jedoch die gleiche Wirkung wie ein Verzicht. Ausweislich des Sitzungsprotokolls, § 165 ZPO, hat das Gericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine weitere Beweisanhörung nicht erfolgen wird (Bl. 162 d.A.); anschließend verhandelten die Parteien gemäß § 370 ZPO.

Auch sonst sind keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, die im Rahmen der nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB weitergehend vorzunehmenden wertenden Betrachtung unter Würdigung und Gewichtung der konkreten Umstände des Einzelfalls die Bewertung tragen würden, dass ungeachtet der schuldhaften, nicht unerheblichen Pflichtverletzung – das heißt ungeachtet des Vorliegens des Tatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB – ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses dennoch (ausnahmsweise) nicht gegeben ist (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15, WuM 2016, 682; Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, WuM 2015, 152; dem folgend: u. a. Kammer, Beschl. v. 04.10.2018 – 65 S 79/18, NJW-RR 2019, 334; Urt. v. 28.06.2018 – 65 S 45/18, ZMR 2019, 270; Urt. v. 08.06.2017 – 65 S 112/17, WuM 2017, 534).

Besondere Umstände, die der Durchsetzung des Räumungsanspruchs nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Einzelfall entgegenstehen können, sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

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