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Kündigungsvoraussetzung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB

Die Kündigung eines Mietverhältnisses aufgrund von Beleidigungen und Pflichtverletzungen des Mieters kann nur dann wirksam sein, wenn das Verhalten des Mieters erheblich und schuldhaft ist. In diesem Urteil hat das Landgericht Berlin entschieden, dass die Kündigung eines Mietverhältnisses durch den Vermieter aufgrund von WhatsApp-Nachrichten mit antisemitischen und sonstigen Beleidigungen unwirksam ist, da das Verhalten des Mieters nicht hinreichend erheblich und schuldhaft war.

➔ Zum vorliegenden Urteil Az.: 67 S 179/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Hilfe anfordern


✔ Der Fall: Kurz und knapp

  • Kläger fordern die Räumung und Herausgabe einer Wohnung.
  • Beklagter schickte antisemitische und beleidigende Nachrichten an die Kläger.
  • Amtsgericht wies die Klage ab, da der Beklagte an einer schizophreniformen Psychose leidet.
  • Psychische Erkrankung des Beklagten minderte seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich.
  • Kündigungen wurden aufgrund der verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten für unwirksam erklärt.
  • Berufung der Kläger wurde zurückgewiesen, das Mietverhältnis wurde nicht beendet.
  • Gericht entschied, dass die Kündigungen nicht formwirksam waren, insbesondere fehlte eine qualifizierte elektronische Signatur.
  • Fehlende Abmahnung des Beklagten durch die Kläger vor der Kündigung wurde negativ gewertet.
  • Gericht legte fest, dass für die Wirksamkeit der Kündigung ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten nicht nachgewiesen wurde.
  • Urteil hat weitreichende Bedeutung für zukünftige Fälle, in denen psychische Erkrankungen die Schuldfähigkeit beeinflussen.

Berliner Mieter trotz Beleidigungen vor Räumung geschützt

Mietverträge können unter bestimmten Voraussetzungen vom Vermieter gekündigt werden. Hierbei spielen vor allem Pflichtverletzungen des Mieters eine entscheidende Rolle. Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann der Vermieter den Mietvertrag ordentlich kündigen, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

Diese Bestimmung soll einen Interessenausgleich zwischen Vermieter und Mieter schaffen. Einerseits soll der Vermieter die Möglichkeit haben, auf gravierende Pflichtverletzungen des Mieters zu reagieren. Andererseits ist der Kündigungsschutz des Mieters zu beachten, da das Mietrecht einen besonderen Schutz des Wohnraums vorsieht.

Die genauen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung aufgrund einer Pflichtverletzung sind oft komplex. In der Rechtspraxis gibt es zahlreiche Urteile, die sich mit dieser Thematik befassen. Im Folgenden soll ein aktuelles Gerichtsurteil zu § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB näher beleuchtet werden.

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✔ Der Fall vor dem Landgericht Berlin


Landgericht Berlin weist Berufung der Vermieter gegen Räumungsklage zurück

Das Landgericht Berlin hat in einem aktuellen Urteil die Berufung der klagenden Vermieter gegen die Abweisung ihrer Räumungsklage durch das Amtsgericht Mitte auf deren Kosten zurückgewiesen. Geklagt hatten die Vermieter auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung in Berlin, die vom Beklagten bewohnt wird.

Der Beklagte hatte am 22. Januar 2022 an einen der Vermieter WhatsApp-Nachrichten mit antisemitischen und sonstigen Beleidigungen versandt. In der Folge erklärten die Kläger mehrere verhaltensbedingte Kündigungen. Das Amtsgericht wies die Klage jedoch nach Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens ab. Es kam zu dem Schluss, dass das Mietverhältnis durch keine der ausgesprochenen Kündigungen beendet wurde.

Zwar habe der Beklagte pflichtwidrig gehandelt, doch sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er laut Gutachten an einer schizophreniformen Psychose leide und anzunehmen sei, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt zumindest deutlich vermindert war. Eine weitere Kündigung per Anwaltsschriftsatz vom Juni 2023 erklärte das Amtsgericht zudem mangels qualifizierter elektronischer Signatur für formunwirksam.

Gericht bejaht weder Erheblichkeit der Pflichtverletzung noch Verschulden des Mieters

Die Berufung der Vermieter hatte keinen Erfolg. Das Landgericht bestätigte, dass keine der streitgegenständlichen Kündigungen das Mietverhältnis wirksam beendet hat. Die Pflichtverletzungen waren nach Ansicht des Gerichts noch nicht derart erheblich, dass sie eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gerechtfertigt hätten.

Dabei fiel wesentlich ins Gewicht, dass der schwerbehinderte Mieter zuvor nicht abgemahnt wurde, das Mietverhältnis seit nahezu 20 Jahren im Wesentlichen beanstandungsfrei bestand und der Mieter bei Abfassung der Nachrichten offensichtlich emotional entgleist und die Beleidigungen aufgrund des wirren Inhalts erkennbar pathologischer Natur waren.

Unabhängig davon fehlte es laut Gericht auch am erforderlichen Verschulden des Mieters. Zwar hatten die Vermieter dies behauptet, konnten den Beweis dafür aber nicht erbringen. Der Sachverständige kam in seinen Gutachten vielmehr zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der unter einer substanzbedingten schizophreniformen Psychose leidende Mieter die Nachrichten wahrscheinlich unter erheblicher Alkoholisierung und möglicher Amphetamineinwirkung versandt hat. Eine jedenfalls eingeschränkte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ließ sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen.

Keine Rechtfertigung der Kündigung auch durch sonstige Gründe

Auch die weiteren von den Vermietern zweitinstanzlich vorgebrachten Kündigungsgründe griffen nicht durch: Eine Kündigung wegen unredlichen Prozessverhaltens des Mieters hielt das Gericht nicht für gerechtfertigt, da sich die angeblichen unwahren Behauptungen des Beklagten nur auf unwesentliche Nebenaspekte bezogen. Zudem sei der Vortrag durch die unbegründete Räumungsklage und mehrere unwirksame Kündigungen der Vermieter herausgefordert worden.

Soweit die Kläger eine weitere Kündigung auf nicht näher spezifizierte Beleidigungen und Verhaltenspflichtverletzungen des Mieters stützten, sahen die Richter diese aufgrund mangelnder Substantiierung ebenfalls als unwirksam an. Im Übrigen hatten die Vermieter ihre darauf gestützte Berufung in der mündlichen Verhandlung ohnehin zurückgenommen.

Landgericht lässt Revision zur Beweislastfrage zu

Das Landgericht ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu, soweit es um die Beweislast für das Verschulden des Mieters bei der Pflichtverletzung geht. Hier weicht die Entscheidung von der Rechtsprechung des BGH ab, der den Mieter insoweit in der Beweislast sieht. Die Kammer folgte dagegen der Linie des Bundesarbeitsgerichts, wonach die Beweislast beim Kündigenden liegt. Diese Frage hält das Gericht für grundsätzlich klärungsbedürftig.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Das Urteil verdeutlicht, dass für eine wirksame Kündigung wegen Pflichtverletzung die Erheblichkeit der Verfehlung und das Verschulden des Mieters zwingend erforderlich sind. Trotz beleidigender Nachrichten des Mieters wertete das Gericht die langjährige Vertragstreue, eine Schwerbehinderung und die wahrscheinlich eingeschränkte Schuldfähigkeit des Mieters zugunsten des Fortbestands des Mietverhältnisses. Der BGH muss nun grundsätzlich klären, ob im Streitfall der Vermieter oder der Mieter die Beweislast für das Verschulden trägt.


✔ FAQ – Häufige Fragen

Thema: Kündigung wegen Pflichtverletzung des Mieters


Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Kündigung wegen Pflichtverletzung des Mieters erfüllt sein?

Für eine wirksame Kündigung wegen Pflichtverletzung des Mieters nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

Der Mieter muss seine vertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt haben. Dabei genügt bereits leichte Fahrlässigkeit. Der Mieter hat sich auch das Verschulden von Untermietern oder bei ihm wohnenden Personen zurechnen zu lassen. Ein Verschulden des Mieters ist im Gegensatz zur fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs zwingend erforderlich. Unverschuldete Zahlungsunfähigkeit entlastet den Mieter. Für fehlendes Verschulden ist der Mieter darlegungs- und beweispflichtig.

Die Pflichtverletzung darf nicht unerheblich sein. Die Erheblichkeit ist im Rahmen einer umfassenden Abwägung zu klären, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Entscheidend ist, ob die Vertragsverletzung den Vermieter in seinen Belangen so beeinträchtigt, dass die Kündigung als angemessene Reaktion erscheint. Zu berücksichtigen sind insbesondere

  • die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Mietverhältnisses,
  • das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung,
  • eine mögliche Wiederholungsgefahr und
  • der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens.

Je nach Schwere des Vertragsverstoßes kann bereits der einmalige Vertragsverstoß die Kündigung rechtfertigen. Im Regelfall wird dem Vermieter aber anzuraten sein, den Mieter abzumahnen.

Bei der Beurteilung sind die gegenseitigen Belange der Mietvertragsparteien umfassend abzuwägen. Auch ein vom Vermieter verfolgtes gemeinnütziges, vornehmlich karitatives Nutzungsinteresse kann im Einzelfall ein Gewicht erreichen, das es rechtfertigt, dem Erlangungsinteresse des Vermieters trotz der für den Mieter verbundenen Nachteile den Vorzug zu geben.

Als Beispiel für eine erhebliche Pflichtverletzung kann die beharrliche Verweigerung der Duldung von Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen durch den Mieter dienen, wie das Verweigern des Zutritts zur Wohnung für den Einbau von Rauchwarnmeldern oder den Austausch des Warmwasserzählers.


Wann ist eine Pflichtverletzung des Mieters als „erheblich“ im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen?

Nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis ordentlich kündigen, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Ob eine Pflichtverletzung „erheblich“ ist, hängt von einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ab. Dabei sind die Interessen von Mieter und Vermieter gegeneinander abzuwägen.

Einmalige geringfügige Verstöße reichen in der Regel nicht aus. Vielmehr müssen die Vertragsverletzungen von einigem Gewicht sein, ohne jedoch die Schwelle der „Unzumutbarkeit“ wie bei der fristlosen Kündigung nach § 543 BGB erreichen zu müssen. Anhaltspunkte für eine Erheblichkeit können die Nachhaltigkeit und Häufigkeit der Pflichtverletzungen sowie eine Wiederholungsgefahr sein.

Als Beispiele für erhebliche Pflichtverletzungen werden in der Rechtsprechung etwa genannt

  • das beharrliche Leugnen der Pflichtverletzung durch den Mieter,
  • die beharrliche Weigerung, erforderliche Schönheitsreparaturen auszuführen oder
  • die nachhaltige Störung des Hausfriedens.

Auch die unpünktliche Mietzahlung über einen längeren Zeitraum kann eine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB rechtfertigen, selbst wenn die Rückstände noch nicht die Schwelle des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB (zwei Monatsmieten) erreichen.

Zu beachten ist, dass sich der Mieter ein schuldhaftes Verhalten von Mitbewohnern oder Besuchern, die als seine Erfüllungsgehilfen anzusehen sind, nach § 278 BGB zurechnen lassen muss. Es kommt also nicht nur auf ein persönliches Fehlverhalten des Mieters an.

Welche Möglichkeiten hat der Mieter, sich gegen eine Kündigung wegen Pflichtverletzung zur Wehr zu setzen?

Hier sind einige Möglichkeiten, wie sich Mieter gegen eine Kündigung wegen Pflichtverletzung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zur Wehr setzen können

Widerspruch gegen die Kündigung einlegen

Hält der Mieter die Kündigung für unberechtigt, sollte er innerhalb der gesetzlichen Frist von einem Monat ab Zugang der Kündigung schriftlich Widerspruch beim Vermieter einlegen. Im Widerspruch muss er darlegen, warum er die Kündigung für unwirksam hält, z.B. weil

  • die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht vorliegt,
  • sie nur unerheblich ist oder
  • kein Verschulden des Mieters gegeben ist.

Klage gegen die Kündigung erheben

Bleibt der Vermieter trotz Widerspruchs bei der Kündigung, muss der Mieter innerhalb von 2 Monaten nach Zugang der Kündigung Klage beim zuständigen Amtsgericht auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung erheben. Lässt der Mieter diese Frist verstreichen, wird die Kündigung rechtswirksam, selbst wenn sie materiell unberechtigt war. In dem Prozess muss dann geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegen.

Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen

Selbst wenn die Pflichtverletzung an sich eine Kündigung rechtfertigt, kann der Mieter einer Beendigung widersprechen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Kündigung für ihn oder seine Familie eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde, § 574 BGB. Als Gründe kommen z.B. hohes Alter, Krankheit oder Behinderung in Betracht. Die Härte muss aber die Interessen des Vermieters an der Beendigung überwiegen.

Anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen

Da es sich um komplexe Rechtsfragen handelt, ist dem betroffenen Mieter dringend zu raten, sich in einer solchen Situation anwaltlich beraten und vertreten zu lassen. Nur ein im Mietrecht versierter Rechtsanwalt kann die Erfolgsaussichten fundiert einschätzen und die notwendigen Schritte fristgerecht einleiten. Für Mieter mit geringem Einkommen besteht die Möglichkeit, Beratungs- oder Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB: Regelt das Recht des Vermieters zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses, wenn der Mieter seine Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Im konkreten Fall wurde geprüft, ob die Beleidigungen des Mieters eine erhebliche Pflichtverletzung darstellen.
  • § 543 Abs. 1 BGB: Bestimmt die Voraussetzungen für die außerordentliche fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses. Das Gericht entschied, dass die Pflichtverletzungen des Mieters nicht ausreichend für eine fristlose Kündigung waren.
  • § 985 BGB: Regelt den Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer. Die Kläger forderten die Herausgabe der Wohnung aufgrund der behaupteten Pflichtverletzungen des Mieters.
  • § 546 Abs. 1 BGB: Verpflichtet den Mieter zur Rückgabe der Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses. Das Gericht stellte fest, dass das Mietverhältnis nicht durch die ausgesprochenen Kündigungen beendet wurde.
  • § 314 ZPO: Festlegt die Bindungswirkung der tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils. Das Landgericht Berlin berief sich auf diese Feststellungen, um die Entscheidung des Amtsgerichts zu bestätigen.
  • § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB: Regelt die Schadensersatzpflicht bei Pflichtverletzungen, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Das Gericht entschied, dass diese Norm nicht auf Kündigungstatbestände anzuwenden ist.
  • BGH, Urteil vom 13. April 2016 – VIII ZR 39/15: Eine wichtige Referenz zur Beweislastverteilung bei der Frage des Verschuldens des Mieters. Das Gericht folgte dieser Rechtsprechung nicht und entschied zugunsten der Beweislast des Vermieters.
  • Gutachten zur schizophreniformen Psychose: Diente als entscheidendes Beweismittel, das die verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Mieters zum Tatzeitpunkt nachwies, wodurch die Kündigungen als unwirksam bewertet wurden.


⇓ Das vorliegende Urteil vom Landgericht Berlin

LG Berlin II – Az.: 67 S 179/23 – Urteil vom 05.03.2024

Die Berufung der Kläger gegen das am 18. Juli 2023 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zzgl. 10% abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zzgl. 10% leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren von dem Beklagten die Räumung und Herausgabe einer Wohnung in ###.

Der Beklagte versandte am 22. Januar 2022 an den Kläger zu 1) WhatsApp-Nachrichten mit antisemitischen und sonstigen Beleidigungen, auf die wegen der Einzelheiten ihres Inhalts Bezug genommen wird (Bl. I/23 d.A.). Die Kläger erklärten in der Folge mehrere verhaltensbedingte Kündigungen.

Das Amtsgericht hat die Klage nach Einholung eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. I/99-129 d.A.), abgewiesen. Das streitgegenständliche Mietverhältnis sei durch keine der ausgesprochenen Kündigungen beendet worden. Zwar habe der Beklagte pflichtwidrig gehandelt, doch sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Sachverständigen an einer schizophreniformen Psychose leide und anzunehmen sei, dass seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt jedenfalls deutlich vermindert gewesen sei. Die anwaltliche Schriftsatzkündigung vom 1. Juni 2023 sei mangels qualifizierter elektronischer Signatur formunwirksam. Wegen der Einzelheiten des Urteils, insbesondere auch zum erstinstanzlichen Vorbringen und zu den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen, wird auf das amtsgerichtliche Urteil (Bl. I/155-159 d.A.) Bezug genommen.

Gegen das ihnen am 19. Juli 2023 zugestellte Urteil haben die Kläger mit am 20. Juli 2023 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und die Berufung mit am 27. Juli 2023 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Die Kläger rügen im Wesentlichen, das Amtsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die erstinstanzlichen Kündigungen nicht zu einer Beendigung des Mietverhältnisses geführt hätten. Das Amtsgericht habe verkannt, dass es auf ein Verschulden des Mieters für die Wirksamkeit einer Kündigung nicht zwingend ankäme. Zudem habe das Amtsgericht die Beweislast für das Verschulden rechtsfehlerhaft ihnen auferlegt, anstatt den beklagten Mieter für fehlendes Verschulden als beweisbelastet zu erachten. Es habe zudem unzutreffende Tatsachenfeststellungen getroffen. Soweit sie erstinstanzlich die Kündigung auch wegen unredlichen Prozessverhaltens erklärt hätten, sei diese vom Amtsgericht für formunwirksam erklärte Kündigung jedenfalls in Form einer – unstreitig – in der Berufungsbegründung sowie außergerichtlich neuerlich und nunmehr formgerecht erklärten Wiederholungskündigung wirksam (Bl. I/186-189 d.A.). Sie könnten die Räumung und Herausgabe schließlich auch wegen einer – ebenfalls unstreitig – mit einer weiteren, zweitinstanzlich mit Schriftsatz vom 22. September 2023 erklärten Kündigung aufgrund wiederholter „Unannehmlichkeiten“, „Beleidigungen“ und sonstiger Belästigungen durch den Beklagten verlangen (Bl. II/1-3 d.A.).

Die Kläger beantragen, den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, die von ihm bewohnte 1-Zimmer-Wohnung des Hauses X geräumt an sie herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbingen.

Die Kammer hat ergänzenden Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 29. August 2023 (Bl. I/251-252 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten vom 29. Oktober 2023, die ergänzenden schriftlichen Bekundungen des Sachverständigen vom 1. Februar 2024 (Bl. II/69-70 d.A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 5. März 2024 (Bl. II/75-79 d.A.) Bezug genommen.

Die Kläger haben ihre Berufung, soweit sie auf die Kündigung vom 22. September 2023 gestützt ist, in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2024 zurückgenommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf sämtliche zwischen den Parteien erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB nicht zu, da keine der streitgegenständlichen Kündigungen das Mietverhältnis beendet hat. Das hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.

Die Kündigungen vom 24. Januar und 11. Februar 2022 sind sowohl als ordentliche als auch als außerordentliche Kündigungen unwirksam, da weder die Voraussetzungen der §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB noch die des § 543 Abs. 1 BGB erfüllt sind.

Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB besteht ein Recht des Vermieters zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses insbesondere dann, wenn der Mieter seine Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Daran fehlt es.

Die zum Gegenstand der Kündigungen erhobenen Pflichtverletzungen des Beklagten sind – noch – nicht derart erheblich, dass sie eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen. Abzustellen ist für die Beurteilung der Erheblichkeit auf sämtliche Umstände des Einzelfalls (st. Rspr. der Kammer, vgl. nur Beschluss vom 8. Februar 2022 – 67 S 298/21, WuM 2022, 226, beckonline Tz. 14; Beschluss vom 11. März 2024 – 67 S 289/23, BeckRS 2024, 7346, Tz. 8 m.w.N.). Diese hat das Amtsgericht aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, auf die die Kammer Bezug nimmt und der insoweit im Wesentlichen nichts hinzuzufügen ist, mit dem Ergebnis der nicht hinreichenden Erheblichkeit der dem Beklagten zur Last gelegten Beleidigungen gegeneinander abgewogen. Dabei fällt wesentlich ins Gewicht, dass der schwerbehinderte Beklagte vor Ausspruch der Kündigung von den Klägern nicht abgemahnt worden ist, das Mietverhältnis ausweislich der die Kammer gemäß § 314 ZPO bindenden tatbestandlichen Feststellungen des Amtsgerichts zum Zeitpunkt der Kündigung bereits seit nahezu zwanzig Jahren im Wesentlich unbeanstandet andauerte, der Beklagte bei Abfassung der zum Gegenstand der Kündigungen erhobenen Nachrichten offensichtlich emotional entgleist ist und die dem Beklagten zur Last gelegten – für sich genommenen allerdings schwerwiegenden – Beleidigungen schon aufgrund des wirren und im Einzelnen widersprüchlichen Inhalts der übermittelten Nachrichten vom 22. Januar 2022 ebenso offensichtlich pathologischer Natur waren (vgl. BAG Urt. v. 30. September 1993 – 2 AZR 188/93, EzA § 626 nF BGB Nr. 152 (Arbeitnehmerkündigung); OLG Celle, Beschl. vom 24. August 2011 – 17 UF 3/11, FamRZ 2012, 456; Kammer, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 67 S 280/17, GE 2018, 394, beckonline Tz. 3 (prima facie-Beweis)).

Davon ausgehend bedurfte es keiner Entscheidung der Kammer, ob sich die Kläger vor Ausspruch der Kündigungen gegenüber dem Beklagten ihrerseits pflichtwidrig verhalten haben, indem sie dem Beklagten trotz seiner Bitte vom 23. Dezember 2021 keinen Ersatzschlüssel für den in Verlust geratenen Haustürschlüssel zur Verfügung gestellt haben, und die darin liegende Pflichtwidrigkeit geeignet war, sich kündigungsrechtlich ebenfalls zu Gunsten des Beklagten auszuwirken (vgl. BGH, Urt. v. 25. Oktober 2023 – VIII ZR 147/22, DWW 2024, 12, Tz. 34 f.).

Unabhängig von der nicht hinreichenden Erheblichkeit des dem Beklagten zur Last gelegten Verhaltens fehlt es aber auch an einem für die Anwendbarkeit des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB konstitutiven Verschulden des Beklagten. Zwar haben die Kläger ein solches behauptet, doch haben sie als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei auf das substantiierte – und den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast genügenden – Bestreiten des Beklagten den Beweis schuldhaften Verhaltens nicht zu führen vermocht.

Auch deshalb sind die Kündigungen unwirksam.

Die kündigungsrechtliche Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für das dem Gekündigten zur Last gelegte Verschulden ist im Einzelnen streitig: Während der VIII. Zivilsenat des BGH und das ganz überwiegende Schrifttum den gekündigten Wohnraummieter als für fehlendes Verschulden darlegungs- und beweisbelast erachten (vgl. BGH, Urt. v. 13. April 2016 – VIII ZR 39/15, ZMR 2016, 523; Rolfs, in: Staudinger, BGB, Stand: 8. November 2023, § 573 Rz. 45 m.w.N.), legen der II. Zivilsenat des BGH und das BAG dem Kündigenden die volle Beweislast für ein schuldhaftes Verhalten des Gekündigten auf und weisen dem Gekündigten lediglich eine sekundäre Darlegungslast für von ihm behauptete Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen zu (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 20. Februar 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560; Urt. v. 28. Oktober 2002 – II ZR 353/00, NJW 2003, 431, ZIP 1995, 560; BAG, Urt. v. 3. November 2011 − 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607, beckonline Tz. 23 m.w.N.).

Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung (vgl. Kammer, Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, ZMR 2016, 695; Beschluss vom 20. Oktober 2016 – 67 S 214/16, WuM 2016, 741). Dafür streitet nicht nur der Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, sondern auch der Wille des Gesetzgebers. Denn der Gesetzesbegründung zu § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (BT-Drucks. 14/4553, S. 65) und den Gesetzgebungsverfahren zu dessen Vorgängerregelungen ist kein Anhalt dafür zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Beweislast für zwischen den Parteien streitiges Verschulden entgegen dem Wortlaut der Norm sowie abweichend von allgemeinen kündigungsrechtlichen Grundsätzen und der gegenteiligen Rechtsprechung des BAG zur Arbeitnehmerkündigung sowie der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zur Geschäftsführerkündigung gerade im Rahmen der Kündigung des grundrechtlich besonders geschützten Wohnraummietverhältnisses ausnahmsweise dem Gekündigten zuweisen wollte (vgl. BVerfG, Beschl. vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93, NJW 1993, 2035). Ebensowenig hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, die Beweislastverteilung innerhalb des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht einheitlich verteilen, sondern sie stattdessen nur für die Pflichtverletzung und deren Erheblichkeit dem Vermieter und im Übrigen dem Mieter zuweisen zu wollen.

Aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB, der für den Fall einer dem Schuldner gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Last fallenden Pflichtverletzung und eines dem Gläubiger dadurch entstehenden Schadens ausnahmsweise keine Ersatzpflicht anordnet, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, folgt nichts anderes. Denn die Norm ist schon ausweislich ihres Wortlauts ausschließlich auf Schadensersatzansprüche, nicht jedoch auf die Kündigungstatbestände der §§ 543, 573 und 626 BGB anwendbar. Bereits deshalb trifft die gegenteilige Wertung, es könne § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB „entnommen werden“, dass der Mieter im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB für fehlendes Verschulden beweispflichtig sei, nicht zu (so aber BGH, Urt. v. 13. April 2016 – VIII ZR 39/15, ZMR 2016, 523). Zudem beansprucht die Annahme, Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe seien als Ausnahmetatbestände, die einen Sachverhalt, der regelmäßig rechts- oder vertragswidrig ist, ausnahmsweise rechtfertigen oder entschuldigten, von demjenigen zu beweisen, der sich auf sie berufe, ausschließlich für Schadensersatzansprüche Geltung (vgl. BAG, Urt. v. 27. Mai 2015 – 5 AZR 88/14, NZA 2015, 1053, beckonline Tz. 29). Diese haftungsrechtliche Beweislastverteilung gilt nicht für die stets vom Kündigenden nachzuweisenden Voraussetzungen für die Ausübung eines Gestaltungsrechts (vgl. BAG, Urt. v. 27. Mai 2015, a.a.O.; Preis, in: Stahlhacke/Preis/Vossen, in: Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 11. Aufl. 2015, § 22 Rz. 560 m.w.N.; Vossen, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 7. Aufl. 2024, § 626 Rz. 175 m.w.N.). Genau um ein solches aber handelt es sich bei der von einem Vermieter ausgesprochenen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses.

Dieses Gesetzesverständnis steht im Einklang mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers. Der mit Wirkung zum 1. Januar 2002 eingeführte § 280 BGB ist die grundlegende Norm der Schadenshaftung, nicht aber des Kündigungsrechts (vgl. Lorenz, in: BeckOK BGB, Stand: 1. Februar 2002, § 280 Rz. 1 m.w.N.). Er soll ausweislich der eindeutigen Begründung des Gesetzgebers ausschließlich Schadensersatzansprüche regeln, nicht aber das Recht zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen beeinflussen (vgl. BT-Drucks 14/6040, S. 135). Dementsprechend hat der Gesetzgeber § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich und ausschließlich als Beweisregel für Schadensersatzpflichten des Schuldners ausgestaltet, nicht aber als eine solche für das arbeits-, mietrechtliche und sonstige Kündigungsrecht (vgl. BT-Drucks 14/6040, S. 136).

Dasselbe folgt aus gesetzessystematischen Erwägungen:

Der Gesetzgeber hat mit der zeitgleich zu § 280 BGB am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Vorschrift des § 619a BGB angeordnet, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber Ersatz für den aus der Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden Schaden nur zu leisten hat, wenn er die Pflichtverletzung zu vertreten hat. § 619a BGB ist eine vom Gesetzgeber bewusst geschaffene Sonderregelung zur Darlegungs- und Beweislast für vertragliche Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers gegen seine Arbeitnehmer. Sie soll den Arbeitnehmer haftungsrechtlich davor schützen, dass er sein fehlendes Vertretenmüssen darlegen und beweisen muss, wie es § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB für Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung einer vertraglichen Pflicht aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB vorsieht (vgl. Feuerborn, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. Februar 2024, § 619a Rz. 2 m.w.N.). Durch die Einführung des § 280 BGB sollten „die gesicherten Grundsätze des Arbeitsrechts“ nach dem Willen des Gesetzgebers aber ohnehin „keinen Schaden nehmen“ (vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 11); vielmehr sollte der „arbeitsrechtlichen Besitzstand ungeschmälert erhalten“ bleiben (vgl. BT-Drs. 14/6857, S. 48). Zu den gesicherten Grundsätzen des Arbeitsrechts und dem arbeitsrechtlichen Besitzstand gehörten vor Einführung der §§ 280, 619a BGB aber nicht nur die richterrechtlich entwickelten Grundsätze zur Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers, sondern auch die durch die gefestigte Rechtsprechung des BAG dem Arbeitgeber kündigungsrechtlich zugewiesene Beweislast für das Fehlen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen auf Seiten des gekündigten Arbeitnehmers (vgl. nur BAG, Urt. v. 6. August 1987 – 2 AZR 226/87, NJW 1988, 438; BAG Urt. v. 18. Oktober 1990 – 2 AZR 204/90, RzK I 10h Nr. 30).

Diesen kündigungsrechtlichen „Besitzstand“ hat der Gesetzgeber durch die Neukonzeption des Schuldrechts und die Schaffung der Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht als gefährdet angesehen, sondern lediglich die von der Rechtsprechung des BAG geprägten Grundsätze der Arbeitnehmerhaftung (vgl. BT-Drs. 14/7052, S. 204).

Dementsprechend bestand für den Gesetzgeber keinerlei Veranlassung, § 619a BGB zur Verhinderung von mit der Einführung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB verbundenden Nachteilen kündigungsrechtlicher Natur einzuführen, sondern ausschließlich zur Vermeidung haftungsrechtlicher Nachteile für die bislang durch die haftungsrechtliche Rechtsprechung des BAG privilegierten Arbeitnehmer. Diese Ausgangslage gebietet ebenfalls den Schluss, dass der Gesetzgeber § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht den Charakter einer allgemein gültigen Beweislastregel und erst recht keiner solchen beimessen wollte, die bei kündigungsrechtlichen Auseinandersetzungen über den Bestand von Dauerschuldverhältnissen die Beweislast für die fehlende Rechtswidrigkeit oder fehlendes Verschulden in regelmäßig prozessentscheidender Weise zu Lasten des Gekündigten verschiebt. Damit aber scheidet § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als kündigungsrechtliche Beweislastregel nicht nur im Arbeitsrecht, sondern auch im Mietrecht aus.

Aus § 827 Satz 1 und 2 BGB, der dem Schädiger haftungsrechtlich die Beweislast für die eigene Unzurechnungsfähigkeit und dafür zuweist, dass er schuldlos in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand geraten ist, folgt kündigungsrechtlich nichts anderes. Das ergibt sich bereits aus der in § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausdrücklich getroffenen tatbestandlichen Regelung, die ein anspruchsbegründendes Verschulden des Gekündigten voraussetzt und – anders als etwa § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB – die Vorschrift des § 827 BGB gerade nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Es kommt hinzu, dass § 827 BGB allenfalls auf solche Kündigungstatbestände analog anwendbar ist, die es für die Wirksamkeit der Kündigung ausreichen lassen, dass der Gekündigte seine Pflichtverletzung zu vertreten hat (vgl. BGH, Urt. v. 22. März 1968 – V ZR 3/67, NJW 1968, 1132). Um einen solchen Tatbestand handelt es sich bei § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB aber gerade nicht, da er ein persönliches Verschulden des Gekündigten voraussetzt, das – anders als bei Anwendung des strengeren § 276 Abs. 1 BGB – etwa bei unvorhergesehenen wirtschaftliche Engpässe des Mieters nicht gegeben ist (vgl. BGH, Urt. v. 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04, ZMR 2005, 356). Folgerichtig wird § 827 BGB zur Begründung einer dem Gekündigten nachteiligen Beweislastverteilung für fehlendes Verschulden weder vom BAG noch vom BGH herangezogen.

Dieser kündigungsrechtlichen Wertung entspricht die von der Kammer geteilte Rechtsprechung des BAG, die in sonstigen Regelungszusammenhängen geltenden Beweislastregeln kündigungsrechtlich die Geltung versagt, soweit sie nicht im Kündigungstatbestand vom Gesetzgeber für ausdrücklich anwendbar erklärt worden sind (vgl. BAG Urt. v. 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21, BAGE 177, 25, beckonline Tz. 30 m.w.N. (zu § 186 StGB); Kerwer, in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2022, § 1 KSchG Rz. 560; Müller NJOZ 2019, 1105, 1115). Diese Beweislastgrundsätze gelten auch bei der verhaltensbedingten Kündigung eines Wohnraummieters.

Bei dem hier zu beurteilenden Kündigungssachverhalt würde allerdings selbst im Falle einer grundsätzlich gegenteiligen Beweislastverteilung nichts anderes gelten, da der im Einzelnen und in der Gesamtschau jeweils wirre Inhalt der vom Beklagten am 22. Januar 2022 übermittelten Nachrichten auch prima facie auf seine Unzurechnungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Abfassung und Versendung schließen lässt (vgl. OLG Celle, Beschl. vom 24. August 2011 – 17 UF 3/11, FamRZ 2012, 456; Kammer, Beschluss vom 19. Dezember 2017 – 67 S 280/17, GE 2018, 394, beckonline Tz. 3).

Den demnach ihnen obliegenden Beweis schuldhaften Handelns des Beklagten haben die Kläger nicht zur Überzeugung der Kammer geführt: Denn der Sachverständige ist als Ergebnis der von ihm in beiden Rechtszügen erstatteten Gutachten zu dem aus den jeweiligen Gründen der Gutachten widerspruchsfreien und jeweils überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der unter einer Mehrfachabhängigkeit mit regelmäßigem Konsum von Alkohol, Cannabis und Amphetaminen sowie einer substanzbedingten schizophreniformen Psychose leidende Beklagte die zum Gegenstand der Kündigung erhobenen WhatsApp-Nachrichten unter erheblicher Alkoholisierung und einer möglichen zusätzlichen Amphetamineinwirkung verfasst und versandt hat. Der Sachverständige konnte weder mit Sicherheit bejahen, dass der Beklagte über die Einsicht verfügte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder über die Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, noch konnte er ausschließen, dass die Einsicht und Fähigkeit des Beklagten zum Tatzeitpunkt vollständig aufgehoben waren. Da der Sachverständige die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Schuldunfähigkeit des Beklagten der Kammer gegenüber mit immerhin 20% eingeschätzt hat, war eine richterliche Überzeugung von einer jedenfalls eingeschränkten Schuldfähigkeit des Beklagten nicht mit einer Gewissheit zu gewinnen, die Zweifeln hinreichend Schweigen geboten hätte. Letztere indes wäre für die Kläger erforderlich gewesen, um den Beweis schuldhaften Handelns des Beklagten mit Erfolg zu führen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 16. April 2013 – VI ZR 44/12, NJW 2014, 71 Tz. 8).

Mangels Verschuldens und der wegen der übrigen gegen die Erheblichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten sprechenden Umstände des Einzelfalls hat dessen Verhalten auch nicht die Voraussetzungen erfüllt, die erforderlich gewesen wären, um eine verschuldensunabhängige und auf die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB gestützte Kündigung zu rechtfertigen. Waren die Kündigungen aber bereits als ordentliche Kündigungen unwirksam, lagen die Voraussetzungen zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses gemäß § 543 Abs. 1 BGB erst recht nicht vor.

Soweit die Kläger mit nicht qualifiziert elektronisch signiertem Anwaltsschriftsatz vom 1. Juni 2023 eine weitere Kündigung ausgesprochen haben, war diese bereits mangels Einhaltung der Schriftform und der elektronischen Form gemäß §§ 568 Abs. 1, 126 Abs. 1, Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB formunwirksam. Auch das hat das Amtsgericht zutreffend erkannt.

Das Mietverhältnis ist auch nicht durch die zweitinstanzliche Kündigung vom 26. Juli 2023 beendet worden, da auch insoweit die Voraussetzungen der § 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht erfüllt sind.

Soweit die Kläger dem Beklagten darin unzutreffenden Prozessvortrag zur Last gelegt haben, ist ein solcher zwar grundsätzlich geeignet, eine Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Oktober 2023 – VIII ZR 147/22, NZM 2024, 30, beckonline Tz. 17). Einer durch das unredliche Prozessverhalten des Mieters begründeten Pflichtverletzung kommt das für den Ausspruch einer Kündigung hinreichende Gewicht aber grundsätzlich – und auch hier – erst dann zu, wenn sein wahrheitswidriger Prozessvortrag zumindest ein (Gegen-)Vorbringen des Vermieters betrifft, das für die Schlüssigkeit der Räumungsklage unerlässlich ist und für deren Erfolg nicht hinweggedacht werden kann. Dies gilt unabhängig, aber erst recht angesichts des für die Gesamtabwägung maßgebenden Grundsatzes, dass die Vertragspartei, die die andere zu einer Vertragsverletzung herausgefordert hat, deswegen grundsätzlich nicht kündigen kann (vgl. Kammer, Beschluss vom 15. April 2014 – 67 S 81/14, NZM 2014, 668).

Gemessen daran vermag der von den Klägern in Abrede gestellte Prozessvortrag des Beklagten eine Kündigung des Mietverhältnisses nicht zu rechtfertigen. Denn der Tatsachenvortrag des Beklagten bezog sich nicht nur auf den für den Erfolg der Räumungsklage unwesentlichen Nebenaspekt der Medikamenteneinnahme, sondern war zudem durch die Erhebung der unbegründeten Räumungsklage und mehrerer unwirksamer Kündigungen herausgefordert.

Eine den Klägern günstigere Beurteilung rechtfertigt schließlich nicht die Schriftsatzkündigung vom 22. September 2023, die auf nicht näher substantiierte weitere Beleidigungen und sonstige angebliche Verhaltenspflichtverletzungen des Beklagten gestützt ist. Auch diese Kündigung ist unwirksam, da der Beklagte die ihm zur Last gelegten Pflichtverletzungen nicht begangen hat. Zwar haben die Kläger solche behauptet, doch sind sie ihrer prozessualen Pflicht zur hinreichenden Substantiierung des Kündigungsvorwurfs nach Ort, Zeit und näheren Umständen des angeblichen Geschehensverlaufs trotz entsprechender Auflage der Kammer nicht nachgekommen. Sie können eine auf diese Kündigung gestützte Räumung allerdings auch deshalb nicht verlangen, weil sie ihre Berufung, soweit sie auf der genannten Kündigung beruht, in der mündlichen Verhandlung vom 5. März 2024 zurückgenommen haben.

Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war im Umfang der Zurückweisung der auf die Wirksamkeit der Kündigungen vom 24. Januar und 11. Februar 2022 gestützten Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen. Die Kammer weist die Beweislast für mieterseitiges Verschulden im Rahmen der §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 543 Abs. 1 BGB im Einklang mit der kündigungsrechtlichen Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH (Urt. v. 20. Februar 1995 – II ZR 9/94, ZIP 1995, 560; Urt. v. 28. Oktober 2002 – II ZR 353/00, NJW 2003, 431, ZIP 1995, 560) sowie der ständigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 3. November 2011 − 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607, beckonline Tz. 23 m.w.N.) dem Kündigenden zu. Damit weicht sie von der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH ab, der den gekündigten Mieter für von ihm behauptete Entschuldigungsgründe als beweisbelastet erachtet (vgl. BGH, Urt. v. 13. April 2016 – VIII ZR 39/15, ZMR 2016, 523).

Die Beurteilung der übrigen Kündigungen wirft keine abstrakten Rechtsfragen von grundsätzlicher oder revisionsrechtlich vergleichbarer Bedeutung auf. Die Kammer hat deshalb insoweit von der Zulassung der Revision abgesehen.

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