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Kündigungszugang – bis um 18:00 Uhr eingeworfene Briefe sind am selben Tag zugegangen

Bayerischer Verfassungsgerichtshof – Az.: Vf. 117-VI-91 – Entscheidung vom 15.10.1992

Die Verfassungsbeschwerden werden abgewiesen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen das Endurteil des Landgerichts München II vom 14. November 1991 Az. 8 S 983/91, mit dem die Berufung der Beschwerdeführer gegen ein ihre Räumungsklage abweisendes Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck zurückgewiesen wurde. Ihnen liegt nach den Akten des Ausgangsverfahrens folgender Sachverhalt zugrunde:

1. Die Beschwerdeführer haben mit Besitz- und Lastenübergang zum 1. Dezember 1990 ein vermietetes Reihenhaus in Germering bei München erworben. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1990 kündigten sie den Mietern des Hauses wegen Eigenbedarfs zum 30. Juni 1991. Die Räumungsklage der Beschwerdeführer wies das Amtsgericht Fürstenfeldbruck mit Endurteil vom 25. April 1991 Az. 3 C 391/91 ab, weil die Klage vor Ablauf der Widerspruchsfrist des § 556 a Abs. 6 BGB nicht zulässig sei; die beklagten Mieter, die der Kündigung bisher nicht widersprochen hätten, hätten keinen Anlaß zur Besorgnis gegeben, sie würden das Haus nicht fristgerecht räumen.

2. Mit Schreiben vom 30. April 1991 widersprachen die beklagten Mieter der Kündigung vom 21. Dezember 1990 und verlangten die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Dieses Schreiben wurde nach ihrem unbestrittenen Vortrag am 30. April 1991 um 18.05 Uhr von ihrem Sohn in den Briefkasten der Beschwerdeführer geworfen.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 1991 haben die Beschwerdeführer das Mietverhältnis vorsorglich auch fristlos wegen Beschädigung der Mietsache und Unterlassung von Schönheitsreparaturen gekündigt.

3. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts legten die Beschwerdeführer Berufung zum Landgericht München II ein. Zur Begründung machten sie u.a. geltend, der Kündigungswiderspruch sei ihnen nicht fristgerecht zugegangen, weil er außerhalb der üblichen Postleerungszeiten eingeworfen worden sei. Zum Eigenbedarf gaben sie an, sie müßten aus der von den Eltern des Beschwerdeführers Thomas K. gemieteten Wohnung ausziehen, weil der hierüber bestehende Zeitmietvertrag abgelaufen sei und die Eltern die Wohnung selbst benötigten. Die Beklagten beriefen sich auf die Rechtzeitigkeit des Kündigungswiderspruchs und bestritten die Eigenbedarfsgründe der Beschwerdeführer, die nicht ausreichend dargelegt seien.

Kündigungszugang - bis um 18:00 Uhr eingeworfene Briefe sind am selben Tag zugegangen
(Symbolfoto: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Mit Endurteil vom 14. November 1991 wies das Landgericht die Berufung der Beschwerdeführer als unbegründet zurück und verlängerte den Mietvertrag zwischen den Parteien bis zum 31. August 1993. Die Beschwerdeführer hätten zwar ein berechtigtes Interesse an der Kündigung im Sinn des § 564 b BGB. Die Beklagten hätten als Mieter der Kündigung aber fristgemäß widersprochen und zu Recht die Fortsetzung des Mietverhältnisses aus sozialen Gründen gemäß § 556 a BGB gefordert. Der Kündigungswiderspruch vom 30. April 1991 sei den Beschwerdeführern mit dem Einwurf in deren Hausbriefkasten um 18.05 Uhr noch an diesem Tag und damit noch innerhalb der Widerspruchsfrist zugegangen. Als zugegangen gelte eine schriftliche Erklärung, wenn sie derart in den Machtbereich des Erklärungsempfängers gelange, daß bei normalen Verhältnissen von seiner Kenntnisnahme ausgegangen werden könne, bei Einwurf in den Briefkasten mit dem Zeitpunkt, zu dem üblicherweise mit der Leerung gerechnet werden könne. Wer mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen müsse, habe durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen, daß ihn die zu erwartende Erklärung erreiche. Eine solche Obliegenheit könne sich je nach der Lage des Falles aus schuldrechtlichen Sonderbeziehungen wie dem Abschluß eines Mietvertrags ergeben. Die Beschwerdeführer hätten unter diesem Gesichtspunkt damit rechnen müssen, daß der Kündigungswiderspruch der Beklagten noch am 30. April 1991 eingehen werde. Denn die Beklagten hätten im Verfahren vor dem Amtsgericht darauf hingewiesen, daß die Widerspruchsfrist des § 556 a Abs. 6 BGB noch nicht abgelaufen sei. Bei dieser prozessualen Situation hätten die Beschwerdeführer damit rechnen müssen, daß die Beklagten die Widerspruchsfrist voll ausschöpfen würden. Auf Grund der besonderen prozessualen Situation seien die Beschwerdeführer gehalten gewesen, durch eine einfache Nachschau in ihrem Briefkasten am Abend des 30. April 1991 den tatsächlichen Zugang des Widerspruchsschreibens sicherzustellen. Eine Untätigkeit gehe zu ihren Lasten und könne den Zugang in rechtlicher Hinsicht nicht in Frage stellen.

Bei der Abwägung des Interesses der Beschwerdeführer an der sofortigen Beendigung des Mietverhältnisses und des Interesses der Beklagten an einer Fortsetzung sei zu berücksichtigen, daß die Beklagten noch zwei minderjährige Kinder im Haushalt hätten, deren Mutter krank sei, und die Beschwerdeführer gewußt hätten, daß sie ein vermietetes Haus gekauft hätten. Der Zeitmietvertrag der Beschwerdeführer sei zwar abgelaufen. Gleichwohl seien die Beschwerdeführer aber nicht so dringend sofort auf die streitige Wohnung angewiesen, weil sie bei den Eltern des Beschwerdeführers Thomas K. wohnten. Das Interesse der Beklagten am Erhalt ihrer Wohnung überwiege zum gegenwärtigen Zeitpunkt insbesondere im Hinblick auf etwaige Schulschwierigkeiten eines ihrer Kinder. Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände komme nur eine Verlängerung des Mietverhältnisses bis zum 31. August 1993 in Betracht, da zu diesem Zeitpunkt das Schuljahr beendet sein werde und die Mieter sich innerhalb dieser Frist auf die geänderte Situation einstellen könnten.

Für die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 1991 fehle es an der gemäß § 553 BGB erforderlichen Abmahnung. Dem Vortrag der Beschwerdeführer, es seien mehrfach Abmahnungen erfolgt, seien die Beklagten entgegengetreten, ohne daß die Beschwerdeführer ihren Sachvortrag in dieser Beziehung näher, insbesondere unter Beifügung von Beweismitteln, substantiiert hätten.

II.

1. Mit den Verfassungsbeschwerden beantragen die Beschwerdeführer, das Endurteil des Landgerichts München II vom 14. November 1991 als verfassungswidrig aufzuheben. Sie rügen, das Urteil verletze das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV), das rechtliche Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV). Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor:

a) Die Auffassung des Landgerichts, der Kündigungswiderspruch vom 30. April 1991 sei durch Einwerfen in den Hausbriefkasten um 18.05 Uhr noch an diesem Tage zugegangen und fristgerecht, verletze das Willkürverbot. Die Begründung, die Beschwerdeführer hätten den Zugang auch nach den üblichen Postleerungszeiten ermöglichen müssen, sei offensichtlich sachfremd.

Auch die Abwägung ihrer Interessen als Vermieter an der sofortigen Beendigung des Mietverhältnisses und der Interessen der Mieter an seiner Fortdauer sei sachfremd. Das Landgericht habe seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, daß der Umzug wegen Schulschwierigkeiten eines Kindes der Beklagten nicht vor Schuljahresende erfolgen dürfe, dabei aber nicht in Betracht gezogen, daß das Schuljahr schon im Jahre 1992 ende. Ferner habe das Gericht in sachfremder Weise zu Lasten der Beschwerdeführer berücksichtigt, daß sie in einer den Eltern des Beschwerdeführers Thomas K. gehörenden Wohnung wohnten, obwohl es nicht bezweifelt habe, daß der hierüber abgeschlossene Zeitmietvertrag abgelaufen sei. Dadurch habe das Gericht Dritte belastet, die am Verfahren nicht beteiligt gewesen seien und die die Wohnung dringend benötigten. Es habe sie durch den Druck der von dem Urteil geschaffenen Lage dazu genötigt, auf ihre Rechte zu verzichten. Eine solche Abwägung sehe § 556 a BGB nicht vor. Es verstoße gegen Art. 118 Abs. 1 BV, wenn Rechtsverhältnisse zwischen Verwandten eine durch das Recht nicht gebotene andere Beurteilung erführen als gleichgelagerte Rechtsverhältnisse ohne verwandtschaftlichen Hintergrund.

b) Das Urteil verletze als unzulässige Überraschungsentscheidung auch das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer. Das Landgericht hätte vor seiner Entscheidung darauf hinweisen müssen, daß es bezüglich des Zugangs des Kündigungswiderspruchs von einer gefestigten Rechtsprechung abweichen werde. Die Beschwerdeführer hätten dann vortragen können, daß sie mit einem Einwurf des Schreibens nach der Posteinwurfszeit nicht mehr hätten rechnen müssen, weil die zum Briefkasten führende Haustüre nach dieser Zeit verschlossen sei und weil die Beklagten noch fünf Tage zuvor geäußert hätten, sie böten keinen Anlaß, an ihrem pünktlichen Auszug zu zweifeln.

Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liege auch insofern vor, als das Landgericht die fristlose Kündigung vom 7. Oktober 1991 mit der Begründung als wirkungslos angesehen habe, die erforderliche Abmahnung sei bestritten und nicht bewiesen, obwohl die Abmahnung in dem bereits vorgelegten Kündigungsschreiben vom 21. Dezember 1991 enthalten gewesen sei. In diesem Schreiben sei die Unterlassung der Schönheitsreparaturen gerügt worden; der Ankündigung, daß der vertragswidrige Gebrauch zur Kündigung führen könne, habe es nicht bedurft. Das Gericht habe nicht darauf hingewiesen, daß die Abmahnung den rechtlichen Anforderungen nicht genüge. Es habe das Schreiben vom 21. Dezember 1991 insoweit willkürlich nicht zur Kenntnis genommen. Die Beschwerdeführer hätten nicht damit rechnen können, daß sie das Gericht auf ein verspätetes, erst im Termin erfolgtes Bestreiten hin für beweisfällig erachten würde.

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz, dem gemäß Art. 52 VfGHG Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

a) Mit der Entscheidung, der Kündigungswiderspruch der im Ausgangsverfahren beklagten Mieter sei noch rechtzeitig zugegangen, habe das Landgericht das rechtliche Gehör der Beschwerdeführer nicht verletzt. Dieser Streitpunkt sei in den Schriftsätzen der Parteien und in der mündlichen Verhandlung erörtert worden. Im übrigen habe das Landgericht eine Entscheidung insoweit nicht auf einen tatsächlichen Gesichtspunkt, sondern auf eine bestimmte Rechtsauffassung über den Begriff des Zugangs im Sinn des § 130 BGB gestützt. Ein Verstoß gegen Art. 91 Abs. 1 BV käme hier nur in Betracht, wenn das Gericht hierzu vorher eine andere, den Beschwerdeführern günstigere Rechtsansicht geäußert hätte.

Auch bezüglich der Abmahnung als Voraussetzung für die später erklärte fristlose Kündigung habe das Landgericht keinen Vortrag der Beschwerdeführer übergangen. Die Beschwerdeführer hätten in ihrem Schriftsatz vom 7. Oktober 1991, der die fristlose Kündigung enthalten habe, keinen Beweis für die behaupteten mehrfachen Abmahnungen angeboten. Im Kündigungsschreiben vom 21. Dezember 1990 sei weder von einem Rückstand mit Schönheitsreparaturen noch von einer Kündigung für den Fall ihrer Nichtvornahme die Rede; es handle sich insoweit nicht um eine Abmahnung. In der mündlichen Verhandlung hätten die Beschwerdeführer im übrigen Gelegenheit gehabt, ihren Vortrag bezüglich der Abmahnung zu substantiieren und Beweis dafür anzubieten. Das hätten sie versäumt und damit nicht alle Möglichkeiten ergriffen, um einer etwaigen Verletzung des rechtlichen Gehörs zu begegnen.

b) Die Auffassung des Landgerichts, der Einwurf des Kündigungswiderspruchs in den Hausbriefkasten der Beschwerdeführer am 30. April 1991 um 18.05 Uhr habe den Zugang noch an diesem Tage bewirkt, erscheine nicht willkürlich. Nach der Rechtsprechung sei eine Erklärung allerdings nur dann als zugegangen anzusehen, wenn sich der Empfänger unter normalen Verhältnissen Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen könne und nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm zu erwarten sei, daß er sich diese Kenntnis tatsächlich verschaffe; auch abweichende Meinungen stellten für die Rechtzeitigkeit des Zugangs auf die Verkehrsgewohnheiten ab. Es entspreche allgemeiner Auffassung, daß eine Willenserklärung, die den Briefkasten des Adressaten zu einer Tageszeit erreiche, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme oder Abholung durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden könne, an diesem Tage nicht mehr zugehe. Das müsse jedoch dahin relativiert werden, daß normalerweise bzw. regelmäßig nach diesem Zeitpunkt mit einer Kenntnisnahme nicht mehr gerechnet werden könne; letztlich komme es auf den Einzelfall an. Es sei nicht willkürlich, wenn der Begriff des Zugangs dahin ausgelegt werde, daß im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände auch noch nach dem Zeitpunkt der üblichen Postzustellung mit dem Einwurf von Erklärungen in den Hausbriefkasten gerechnet werden müsse. Solche besonderen Umstände habe das Landgericht ausführlich dargelegt; sie hätten darin bestanden, daß die Beschwerdeführer nach dem Urteil des Amtsgerichts damit hätten rechnen müssen, daß der Kündigungswiderspruch noch bis zum Abend des 30. April 1991 eingehen werde; von einem Verzicht auf das Widerspruchsrecht hätten sie nicht ausgehen können.

Auch die Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien im Rahmen des § 556 a Abs. 1 BGB erscheine nicht willkürlich. Die Überlegung, das Mietverhältnis nicht vor Schuljahresende zu beenden, sei nur einer von mehreren Gesichtspunkten für das Landgericht gewesen; daraus folge nicht, daß das Mietverhältnis nur bis 1. August 1992 hätte verlängert werden dürfen. Entscheidend sei für das Landgericht gewesen, den Beklagten ausreichend Zeit zu geben, sich auf die durch den Verkauf des Hauses veränderten Umstände einzustellen. Die Annahme des Gerichts, den Beschwerdeführern drohe auf Grund der verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihren Vermietern keine Obdachlosigkeit, erscheine lebensnah und nicht willkürlich.

III.

Die Verfassungsbeschwerden (Art. 120 BV, Art. 51 ff. VfGHG) sind zulässig.

Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist das Berufungsurteil des Landgerichts München II vom 14. November 1991, gegen das die Revision nicht stattfindet (vgl. § 545 Abs. 1 ZPO); der Rechtsweg ist daher erschöpft (Art. 51 Abs. 2 Satz 1 VfGHG). Die Beschwerdeführer rügen in zulässiger Weise Verstöße gegen das in Art. 91 Abs. 1 BV verbürgte rechtliche Gehör und gegen das Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV. Auf Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip kann eine Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 4. Aufl. 1992, RdNr. 13 zu Art. 120 und 2 zu Art. 3 BV). Die Frist zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde (Art. 51 Abs. 2 Satz 2 VfGHG) ist gewahrt.

IV.

Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.

1. Wird Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung eingelegt, so kann diese nur in engen Grenzen überprüft werden. Der Verfassungsgerichtshof ist kein Rechtsmittelgericht. Es ist nicht seine Aufgabe, Entscheidungen der Gerichte allgemein auf die Auslegung der Gesetze und die Anwendung des einfachen Rechts auf den konkreten Fall zu kontrollieren. Vielmehr ist nur zu prüfen, ob das Gericht gegen die von den Beschwerdeführern bezeichneten subjektiven Rechte der Bayerischen Verfassung verstoßen hat. Ein solcher Verstoß wäre u.a. dann gegeben, wenn das Gericht ein auch durch die Bayerische Verfassung geschütztes Verfahrensgrundrecht verletzt hätte. Der Verfassungsgerichtshof überprüft in ständiger Rechtsprechung Entscheidungen bayerischer Gerichte, auch wenn sie – wie hier – auf Bundesrecht beruhen und in einem bundesrechtlich geregelten Verfahren ergangen sind, daraufhin nach, ob ein Verfahrensgrundrecht der Bayerischen Verfassung verletzt ist, das – wie hier Art. 91 Abs. 1 BV – mit gleichem Inhalt im Grundgesetz (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährleistet ist. Gegenüber der Anwendung von materiellem Bundesrecht kann der Verfassungsgerichtshof nur prüfen, ob sich das Gericht in willkürlicher Weise außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt und seiner Entscheidung deshalb in Wahrheit gar kein Recht, also auch kein Bundesrecht, zugrunde gelegt hat (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. VerfGH 44, 18/20 m.w.N.).

2. Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht das Grundrecht der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör (Art. 91 Abs. 1 BV).

a) Die Beschwerdeführer sehen zu Unrecht eine gegen Art. 91 Abs. 1 BV verstoßende Überraschungsentscheidung darin, daß das Landgericht den Zugang des Kündigungswiderspruchs der Beklagten des Ausgangsverfahrens noch als fristgemäß angesehen habe, obwohl es vor der Entscheidung nicht auf diese von ihm vertretene Rechtsauffassung hingewiesen habe. Eine so weitgehende Hinweis- und Erörterungspflicht des Gerichts, seine Rechtsmeinung schon vor der Entscheidung so eindeutig offenzulegen, wie das die Beschwerdeführer annehmen wollen, besteht unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht. Aus Art. 91 Abs. 1 BV ergibt sich keine allgemeine und unbegrenzte Aufklärungs- und Hinweispflicht. Das Gericht ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht verpflichtet, die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern, sie auf alle möglicherweise maßgeblichen Umstände hinzuweisen oder vor dem Erlaß seiner Entscheidung darzulegen, welchen Sachverhalt oder welche Rechtsmeinung es seiner Entscheidung zugrunde legen wird; Art. 91 Abs. 1 BV bewahrt die Parteien nicht schlechthin davor, daß das Gericht seine Entscheidung aus Gründen trifft, mit denen sie nicht gerechnet haben. Art. 91 Abs. 1 BV wäre nur dann verletzt, wenn das Gericht einen vor seiner Entscheidung überhaupt nicht erörterten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung machte und dadurch dem Rechtsstreit eine Wendung gäbe, mit der die Parteien nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnten; in einem solchen Fall legt das Gericht seiner Entscheidung letztlich einen Sachverhalt zugrunde, zu dem sich die Parteien nicht äußern konnten (VerfGH 43, 143/146 f.; 44, 58/60).

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die Frage der Rechtzeitigkeit des Zugangs des Kündigungswiderspruchs war Gegenstand eingehender schriftsätzlicher Erörterung der Parteien schon in der Berufungsbegründung und Berufungserwiderung sowie in weiteren Schriftsätzen.

Wie aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer in der Verfassungsbeschwerde und aus ihrem am 21. Oktober 1991 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hervorgeht, wurde die Rechtzeitigkeit des Kündigungswiderspruchs auch in der mündlichen Verhandlung erörtert. Selbst wenn dabei das Gericht seine dann im Urteil niedergelegte Rechtsauffassung hierzu nicht völlig eindeutig zu erkennen gegeben haben sollte, kann nach den dargelegten Grundsätzen von einer gegen das rechtliche Gehör verstoßenden Überraschungsentscheidung keine Rede sein.

b) Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt auch nicht darin, daß das Landgericht die nachträgliche fristlose Kündigung der Beschwerdeführer als unwirksam angesehen hat, weil sie die dafür gemäß § 553 BGB notwendige Abmahnung, die von den Beklagten bestritten worden war, nicht näher substantiiert und unter Beweis gestellt hätten.

Art. 91 Abs. 1 BV verlangt, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Parteien äußern konnten, und daß es ein rechtzeitiges, möglicherweise erhebliches Vorbringen nicht außer Betracht läßt; ein solches Vorbringen muß vom Gericht zur Kenntnis und bei seiner Entscheidung in Erwägung gezogen werden, soweit es nicht ausnahmsweise nach den Vorschriften der Prozeßordnung unberücksichtigt bleiben kann oder muß (vgl. Meder, RdNr. 5 zu Art. 91 BV m.w.N.).

Es ist nicht ersichtlich, inwiefern das Landgericht gegen diese verfassungsrechtlichen Anforderungen des rechtlichen Gehörs verstoßen haben soll, weil es die fristlose Kündigung der Beschwerdeführer mangels ausreichender Substantiierung der hierfür erforderlichen Abmahnung und mangels eines entsprechenden Beweisangebots als unwirksam angesehen hat. Im Schriftsatz vom 7. Oktober 1991, der gleichzeitig die fristlose Kündigung enthielt, hatten die Beschwerdeführer lediglich vorgetragen, entsprechende Abmahnungen seien mehrfach erfolgt. Diesen Sachvortrag hat das Gericht in seiner Entscheidung wiedergegeben (S. 9 der Urteilsgründe) und damit offensichtlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen. Die Beschwerdeführer haben darüber hinaus insoweit nur auf ihr Schreiben vom 21. Dezember 1990 (S. 3 am Ende) Bezug genommen. In diesem Kündigungsschreiben ist lediglich allgemein darauf hingewiesen, daß die Mieter vertraglich zur Übernahme der Schönheitsreparaturen verpflichtet seien, nicht dagegen auf eine konkret bezeichnete Vertragswidrigkeit (vgl. Putzo in Palandt, BGB, 51. Aufl. 1992, RdNr. 6 zu § 553, 8 zu § 550).

Zu einem Hinweis, daß der Vortrag der Beschwerdeführer in bezug auf die Abmahnung nicht ausreichend substantiiert und unter Beweis gestellt sei, war das Gericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nach Art. 91 Abs. 1 BV nicht verpflichtet. Wie dargelegt, ist das Gericht danach nicht gehalten, die Parteien auf alle möglicherweise maßgeblichen Umstände hinzuweisen. Das gilt hier um so mehr, als die Beschwerdeführer anwaltschaftlich vertreten waren und die Beklagten in der mündlichen Verhandlung – wie aus der Niederschrift hervorgeht – die Abmahnung bestritten hatten. Dafür, daß dieses Bestreiten in der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 1991 verspätet gewesen sein sollte (vgl. §§ 282, 296 ZPO), bestehen keine Anhaltspunkte; die Beschwerdeführer hatten eine entsprechende Rüge nicht erhoben (vgl. § 295 ZPO). In der mündlichen Verhandlung wäre es Sache des Prozeßbevollmächtigten der Beschwerdeführer gewesen, substantiiert und unter Beweisangeboten darzulegen, daß eine Abmahnung erfolgt sei. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt daher nicht vor.

3. Die angefochtene Entscheidung verstößt nicht gegen das in Art. 118 Abs. 1 BV enthaltene Willkürverbot.

a) Die Entscheidung des Landgerichts gründet sich in der Sache auf die mietrechtlichen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und damit auf Bundesrecht. Gegenüber der Anwendung von Bundesrecht, das wegen seines höheren Ranges nicht am Maßstab der Bayerischen Verfassung gemessen werden kann, beschränkt sich die Überprüfung darauf, ob das Gericht willkürlich gehandelt hat. Das könnte nur dann festgestellt werden, wenn es sich von objektiv sachfremden Erwägungen hätte leiten lassen und sich damit außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt, also seiner Entscheidung gar kein Bundesrecht zugrunde gelegt hätte (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH 43, 12/17 f.; 44, 18/20). Das Willkürverbot ist durch eine gerichtliche Entscheidung nicht schon dann verletzt, wenn die Rechtsanwendung fehlerhaft ist. Hinzukommen müßte vielmehr, daß die Entscheidung bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre und sich der Schluß aufdrängte, sie beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die gerichtliche Entscheidung dürfte unter keinem Gesichtspunkt rechtlich vertretbar, sie müßte schlechthin unhaltbar, offensichtlich sachwidrig und eindeutig unangemessen sein (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH 43, 12/18; 44, 18/20).

b) Die Rechtsauffassung des Landgerichts, der Kündigungswiderspruch sei als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. Putzo, a.a.O., RdNr. 9 zu § 556 a BGB) am letzten Tag der dafür geltenden Frist (§ 556 a Abs. 6 BGB) dadurch noch rechtzeitig im Sinn des § 130 BGB zugegangen, daß er durch einen Boten um 18.05 Uhr in den Hausbriefkasten der Beschwerdeführer eingeworfen wurde, verletzt – nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen – nicht das Willkürverbot. Sie ist nicht offensichtlich sachwidrig und unangemessen; deshalb kann nicht gesagt werden, das Gericht habe sich damit außerhalb jeder Rechtsanwendung gestellt und in Wahrheit kein Bundesrecht mehr zugrunde gelegt.

Eine Willenserklärung ist im Sinn des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nach Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum dann zugegangen, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen; ob diese Möglichkeit bestand, ist unter Zugrundelegung der „gewöhnlichen Verhältnisse“ und „der Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen (vgl. RGZ 99, 20/23; 144, 289/292; BGHZ 67, 271/275; BAG NJW 1984, 1651; Heinrichs in Palandt, RdNr. 5 zu § 130 BGB; Dilcher in Staudinger, BGB, 12. Aufl. 1980, RdNr. 21 zu § 130). Der Einwurf eines Briefs in den Hausbriefkasten des Empfängers bewirkt nach dieser Auslegung den Zugang an dem Tag, an dem nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung noch zu rechnen ist; erreicht eine Erklärung den Briefkasten des Empfängers zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist die Willenserklärung an diesem Tag nicht mehr zugegangen (vgl. RGZ 142, 402/407; BAG NJW 1984, 1651; Heinrichs, a.a.O., RdNr. 6 zu § 130 BGB; Dilcher, a.a.O., RdNrn. 23, 25 zu § 130 BGB). In Rechtsprechung und Schrifttum finden sich aber auch Hinweise, daß diese Grundsätze „regelmäßig“ gelten und daß es auf die Prüfung des Einzelfalls ankomme (vgl. RGZ 99, 20/23; Förschler in Münchener Kommentar zum BGB, 2. Aufl. 1984, RdNr. 11 zu § 130). Die Frage des Zeitpunkts des Zugangs im Sinn des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB ist letztlich unter dem tragenden Leitgedanken zu beurteilen, wie das Risiko des rechtzeitigen Zugangs einer Willenserklärung zwischen Absender und Empfänger zumutbar und billigem Rechtsempfinden entsprechend zu verteilen ist (vgl. Dilcher, a.a.O., RdNrn. 22, 23, 25 zu § 130 BGB). Die herrschende generelle Begriffsbestimmung des Zugangs im Sinn des § 130 BGB schließt daher die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht von vornherein aus. Das Landgericht hat bei seiner Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Zugangs zwar nicht auf die nach den Gepflogenheiten übliche Zeit der Leerung des Hausbriefkastens durch die Beschwerdeführer abgestellt. Es hat aber unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ohne Willkür entschieden, der Kündigungswiderspruch der Beklagten sei auch noch am Spätnachmittag um 18.05 Uhr rechtzeitig an diesem Tag zugegangen. Es hat festgestellt, die Beschwerdeführer hätten auf Grund der konkreten Prozeßlage damit zu rechnen gehabt, daß die Beklagten, die im anhängigen Prozeß auf die noch offene Widerspruchsfrist hingewiesen hatten, auf ihr Widerspruchsrecht nicht verzichten, sondern die dafür geltende Frist voll ausschöpfen würden. Die daraus gezogene Schlußfolgerung, die Beschwerdeführer seien gehalten gewesen, am Abend des 30. April 1991 durch eine einfache Nachschau im Briefkasten den tatsächlichen Zugang des Widerspruchsschreibens sicherzustellen, ist jedenfalls nicht willkürlich.

c) Ohne Willkür ist das Landgericht schließlich bei der Abwägung der Interessen von Vermietern und Mietern im Rahmen des § 556 a Abs. 2 BGB zu der Entscheidung gelangt, das streitige Mietverhältnis bis zum 31. August 1993 zu verlängern. In diese Abwägung sind einfachrechtlich grundsätzlich alle die gegensätzlichen Interessen am Fortbestand bzw. an der Beendigung des Mietverhältnisses bestimmenden Umstände mit einzubeziehen, soweit sie nicht aus prozessualen oder materiellrechtlichen Gründen ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. Putzo, a.a.O., RdNrn. 14 ff. zu § 556 a BGB); die Interessenabwägung erfaßt auch die Dringlichkeit des Eigenbedarfs des Vermieters. Wenn das Gericht insoweit neben anderen Gesichtspunkten mit berücksichtigt hat, daß die Beschwerdeführer in einer von den Eltern des Beschwerdeführers Thomas K. gemieteten Wohnung wohnen, so daß sie nicht der Gefahr sofortiger Zwangsräumung ausgesetzt seien, ist das nicht willkürlich. Die Beschwerdeführer hatten nicht näher vorgetragen, aus welchen Gründen die Eltern diese Wohnung benötigten und wie dringlich dieser Bedarf sei.

Willkürlich ist auch nicht, daß es das Landgericht auf Seiten der Mieter als berücksichtigungsfähig ansah, das Ende des Mietverhältnisses wegen eventueller Schulschwierigkeiten eines der Kinder nicht auf einen in das laufende Schuljahr fallenden Zeitpunkt festzulegen, dann aber das Ende des Mietverhältnisses nicht auf den 31. August 1992, sondern auf den 31.August 1993 festgesetzt hat.

V.

Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).

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