AG Wedding – Az.: 8 C 392/18 – Urteil vom 21.12.2018
1. Die Anträge des Verfügungsklägers werden zurückgewiesen.
2. Der Verfügungskläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zugangsgewährung zu einer Wohnung. Am 15. November 2018 bewarb sich der Verfügungskläger mittels Wohnungsbewerbungsformular (Bl. 13 d.A.) um eine Wohnung der Verfügungsbeklagten in der …, … Berlin. In der Folge kam es zur Unterzeichnung eines schriftlichen Mietvertrags zwischen den Parteien. Am 29. November 2018 wurde in Anwesenheit des Verfügungsklägers und der Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten, Frau …, die Wohnungsübergabe durchgeführt. Hierbei stellte der Verfügungskläger fest, dass sich die Wohnung in einem ihm nicht genehmem Zustand befand. Auf dem Übergabeprotokoll (Bl. 12 d.A.) nahm die Zeugin … folgende handschriftliche Eintragung vor:
„Bedenkzeit bis 3.12.18 Rücktritt möglich“.
Das Übergabeprotokoll wurde von beiden Parteien unterzeichnet. Am 03. Dezember 2018 suchte der Verfügungskläger eine Geschäftsstelle der Verfügungsbeklagten auf und teilte mit, dass er von dem zugesagten Rücktrittsrecht Gebrauch machen wolle, und übergab die ihm zuvor ausgehändigten Schlüssel. Auf dem Wohnungsbewerbungsformular wurde folgende Eintragung vorgenommen:
„03.12.2018: Hr. … zieht seine Bewerbung zurück.“
Diese Eintragung wurde von dem Verfügungskläger und der Mitarbeiterin der Verfügungsbeklagten, Frau …, unterschrieben.
Am 07. Dezember 2018 wandte sich der Verfügungskläger per Fax an die Verfügungsbeklagte (Bl. 3. d.A.) und erklärte, dass es zu einer Kurzschlusshandlung gekommen sei und er den Mietvertrag fortsetzen werde und bat kurzfristig um die Haus- und Wohnungsschlüssel.
Dieser Bitte kam die Verfügungsbeklagte nicht nach.
Der Verfügungskläger beantragt,
1. die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, dem Verfügungskläger den Besitz an der von diesem angemietet in Wohnung in der …, … Berlin, Erdgeschoss links, wieder einzuräumen und zu diesem Zweck die Schlüssel bzw. einen Schlüsselersatz diesem mit Zustellung der einstweiligen Verfügung auszuhändigen sowie
2. die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, den Mietvertrag fortzusetzen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt, die Anträge zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte behauptet, die Wohnung sei bereits wieder vergeben.
Entscheidungsgründe
Die Anträge auf Erlass der einstweiligen Verfügung waren zurückzuweisen, da der Verfügungskläger keinen Verfügungsanspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes an der Wohnung glaubhaft gemacht hat.
Aufgrund des im Wesentlichen unstreitigen Sachverhalts hat der Verfügungskläger gegen die Verfügungsbeklagte weder einen Anspruch aus § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB noch aus § 861 Abs. 1 BGB.
Der Verfügungskläger hat gegen die Verfügungsbeklagte keinen Anspruch auf Besitzeinräumung an der Wohnung in der …, …. Berlin, aus einem Mietvertrag gemäß § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Zwar bestand zwischen den Parteien zunächst ein Mietvertrag über die genannte Wohnung, jedoch ist dieser durch eine Mietaufhebungsvereinbarung unwirksam geworden. Ein Mietaufhebungsvertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, in dem sich beide Parteien darüber verständigen, ein bestehendes Mietverhältnis aufzulösen, und kommt durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme, zustande.
Bei der Übergabe der Wohnung wurde dem Verfügungsbeklagten individualvertraglich ein Recht zugestanden, sich von dem bereits geschlossenen Mietvertrag wieder zu lösen. Dies stellt ein Angebot gemäß § 145 BGB zum Abschluss eines Mietaufhebungsvertrags dar. Ein solcher Mietaufhebungsvertrag ist jederzeit – sogar formlos – möglich. Zwar ist eine Erklärung nur dann als Angebot zum Abschluss eines Mietaufhebungsvertrags aufzufassen, wenn durch die betreffende Erklärung mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt, dass sich der Erklärende hierdurch binden will (vgl. Blank in Blank/Börstinghaus, 5. Auflage 2017, § 542 Rn. 216). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Mit dem handschriftlichen Vermerk auf dem Wohnungsübergabeprotokoll hat die Verfügungsbeklagte hinreichend zum Ausdruck gebracht, dem Verfügungskläger ein zeitlich befristetes Loslösungsrecht zu gewähren.
Dieses Angebot hat der Verfügungskläger dadurch angenommen, dass er am 03. Dezember 2018 gegenüber der Verfügungsbeklagten erklärte, von diesem Recht Gebrauch zu machen, die Schlüssel zurückgab und auch den handschriftlichen Vermerk auf der Wohnungsbewerbung, dass er seine Bewerbung zurückziehe, durch seine Unterschrift quittierte. Dieses Verhalten ist ohne weiteres gemäß §§ 133, 157 BGB als Annahme des Angebots auf Abschluss des Mietaufhebungsvertrags auszulegen.
Der Mietaufhebungsvertrag ist auch nicht nach § 138 BGB nichtig, da er nicht sittenwidrig ist. Dass überhaupt die Möglichkeit zum Abschluss dieses Vertrags geschaffen wurde, ist ein Entgegenkommen der Verfügungsbeklagten gegenüber dem Verfügungskläger, sodass keinesfalls von einer Sitten- oder wenigstens treuwidrigen Verhaltensweise der Verfügungsbeklagten auszugehen ist.
Diese Annahme ist auch nicht durch Anfechtung gemäß § 142 BGB als von Anfang nichtig zu betrachten. Zwar kann das Schreiben vom 07. Dezember 2018 als Anfechtungserklärung gemäß § 143 Abs. 1 BGB verstanden werden. Jedoch steht dem Verfügungskläger kein Anfechtungsgrund nach § 119 oder § 123 BGB zu. Zunächst liegt kein Inhalts- oder Erklärungsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 BGB vor, da nicht ersichtlich ist, dass sich der Verfügungskläger am 03. Dezember 2018 nicht über die rechtliche Tragweite seines Verhaltens bewusst war oder überhaupt keine rechtserhebliche Erklärung abgeben wollte, vielmehr wollte der Verfügungskläger zu diesem Zeitpunkt genau diese Erklärung abgeben, dass er sein Interesse an der Wohnung verloren habe. Sofern sich der Verfügungskläger darauf beruft, nachträglich festgestellt zu haben, dass sein Verhalten am 03. Dezember 2018 lediglich eine möglicherweise zu unbedachte Kurzschlussreaktion gewesen sei, handelt es sich dabei lediglich um einen im Rahmen des § 119 BGB unbeachtlichen Motivirrtum.
Es ist ferner nicht ersichtlich, dass der Verfügungskläger zur Abgabe der Willenserklärung am 03. Dezember 2018 durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist. Es ist unstreitig, dass der Verfügungskläger aus freien Stücken das Büro der Verfügungsbeklagten aufsuchte und die entsprechende Erklärung abgab.
Der Verfügungskläger hat den Mietaufhebungsvertrag auch nicht gemäß § 355 Abs. 1 BGB widerrufen, da ihm kein Widerrufsrecht zusteht. Insbesondere steht ihm kein Widerrufsrecht nach § 312b Abs. 1 BGB zu, da der Vertrag nicht außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurde. Ein allgemeines Widerrufsrecht für jegliche Rechtsgeschäfte, an denen Verbraucher beteiligt sind, existiert nicht.
Schließlich ist der Mietaufhebungsvertrag auch nicht durch Rücktritt erloschen, da dem Verfügungskläger auch kein Rücktrittsrecht zusteht.
Letztlich verstößt das Festhalten an der Mietaufhebungsvereinbarung auch nicht gegen § 242 BGB. Zwar hat der Verfügungskläger seine persönliche Notlage hinreichend deutlich gemacht und das Gericht bezweifelt keinesfalls die schwierige Situation, in der sich der Verfügungskläger befindet. Jedoch kommt eine Korrektur rechtlicher Zustände aufgrund allgemeiner Billigkeitserwägungen im Rahmen des § 242 BGB nur in äußersten Ausnahmefällen in Betracht, wobei stets auch die Interessen aller Parteien zu berücksichtigen sind. Ein solcher Ausnahmefall hätte hier allenfalls möglicherweise dann vorliegen können, wenn die streitgegenständliche Wohnung weiterhin zur Verfügung gestanden hätte und sich die Verfügungsbeklagte ohne nachvollziehbaren Grund geweigert hätte, das Mietverhältnis neu zu begründen. Jedoch hat die Verfügungsbeklagte in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dazu vorgetragen, dass die Wohnung bereits unmittelbar nach dem 03. Dezember 2018 wieder anderweitig vermietet worden sei. Dem Verfügungskläger ist es daher nicht gelungen, ein treuwidriges Verhalten der Verfügungsbeklagten glaubhaft zu machen.
Ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes folgt auch nicht aus § 861 Abs. 1 BGB, da unstreitig ist, dass der Verfügungskläger zunächst freiwillig den Besitz an der streitgegenständlichen Wohnung aufgab, sodass kein Fall verbotener Eigenmacht vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 6 ZPO.