Übersicht
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Miete nicht gezahlt? Kündigung trotz Nachzahlung – Der BGH zieht eine klare Linie
- Der Fall: Ein langer Atem und wiederholte Mietrückstände
- Der Gang durch die Instanzen: Ein juristisches Tauziehen
- Kündigung im Mietrecht: Die zwei Wege aus dem Vertrag
- Das BGH-Urteil: Klartext aus Karlsruhe
- Die „Berliner Linie“ vs. Karlsruhe: Ein juristischer Dauerstreit
- Was bedeutet das Urteil konkret für Mieter?
- Was bedeutet das Urteil für Vermieter?
- Kritik und Ausblick: Ein „Wink mit dem Zaunpfahl“ an den Gesetzgeber?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Schonfristzahlung und Kündigung
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau ist die Schonfristzahlung?
- Innerhalb welcher Frist muss ich die Miete nachzahlen?
- Macht die Schonfristzahlung jede Kündigung wegen Mietschulden unwirksam?
- Wann ist eine ordentliche Kündigung wegen Mietschulden gerechtfertigt?
- Was sollte ich tun, wenn ich eine Kündigung wegen Mietrückständen erhalte?
- Kann mein Vermieter mir kündigen, auch wenn ich nur einmal die Miete zu spät gezahlt habe?
- Gilt die Schonfristzahlung auch für andere Kündigungsgründe?
- Fazit: Wachsamkeit ist geboten

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Wer seine Mietschulden innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung einer Räumungsklage vollständig bezahlt, verhindert nur die sofortige (fristlose) Kündigung, nicht aber eine ordentliche Kündigung.
- Diese Regel betrifft alle Mieter, die mit der Miete im Rückstand sind und bei denen Vermieter sowohl fristlos als auch ordentlich kündigen.
- Das bedeutet praktisch: Auch wenn die Miete nachgezahlt wird, kann man die Wohnung verlieren, wenn der Vermieter die ordentliche Kündigung wegen wiederholter oder hoher Mietrückstände aufrechterhält.
- Die fristlose Kündigung beendet das Mietverhältnis sofort, während die ordentliche Kündigung erst nach Ablauf einer Kündigungsfrist wirksam wird; für letztere gibt es keine Nachzahlungs-Schutzfrist.
- Vermieter können so die Kündigung absichern, indem sie beide Arten aussprechen und so auch bei Nachzahlung der Miete weiter kündigen können.
- Mieter sollten daher bei Mietrückständen schnell handeln: Rückstände begleichen, rechtlichen Rat einholen und frühzeitig nach einer neuen Wohnung suchen.
- Das Urteil zeigt, dass der Gesetzgeber bewusst keine Schonfrist für die ordentliche Kündigung vorgesehen hat – Vermieter und Mieter müssen sich daran halten.
Quelle: Bundesgerichtshof (BGH) Az.: VIII ZR 106/23 vom 23. Oktober 2024
Miete nicht gezahlt? Kündigung trotz Nachzahlung – Der BGH zieht eine klare Linie
Ein Schreckensszenario für jeden Mieter: Das Geld ist knapp, die Miete kann nicht pünktlich überwiesen werden. Schnell gerät man in Zahlungsverzug. Kommt dann die Kündigung vom Vermieter, ist die Panik groß. Viele wissen: Wer die rückständige Miete schnell nachzahlt, kann eine fristlose Kündigung oft abwenden. Doch was passiert, wenn der Vermieter gleichzeitig auch eine normale, fristgerechte Kündigung ausspricht? Bleibt diese bestehen, auch wenn alle Schulden beglichen sind? Genau diese Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem aufsehenerregenden Urteil erneut beantwortet – mit weitreichenden Folgen für Mieter und Vermieter.
In seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2024 (Aktenzeichen VIII ZR 106/23) stellte Deutschlands oberstes Zivilgericht unmissverständlich klar: Die sogenannte Schonfristzahlung heilt nur die außerordentliche fristlose Kündigung, nicht aber eine parallel ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen derselben Mietschulden. Damit bestätigt der BGH seine bisherige Linie und erteilt den Hoffnungen vieler Mieter sowie einer abweichenden Rechtsauffassung des Landgerichts Berlin eine klare Absage. Für Betroffene bedeutet das: Auch wer seine Mietschulden begleicht, kann unter Umständen seine Wohnung verlieren.
Der Fall: Ein langer Atem und wiederholte Mietrückstände
Im Zentrum des Urteils steht ein Mietverhältnis in Berlin, das bereits seit 1994 bestand. Die Mieter gerieten jedoch wiederholt in finanzielle Schwierigkeiten. Im Oktober 2019, Januar 2020 und erneut im Mai 2021 blieben sie die Miete schuldig. Für die Vermieterin war das Maß voll. Sie reagierte prompt und sprach eine außerordentliche fristlose Kündigung aus. Zur Sicherheit fügte sie aber auch eine hilfsweise ordentliche Kündigung hinzu. Das bedeutet: Sollte die fristlose Kündigung aus irgendeinem Grund unwirksam sein, sollte zumindest die ordentliche Kündigung mit der gesetzlichen Frist greifen. Zusätzlich reichte die Vermieterin eine Räumungsklage bei Gericht ein, um die Mieter zum Auszug zu bewegen.
Die Mieter erkannten den Ernst der Lage. Wenige Wochen, nachdem ihnen die Räumungsklage zugestellt worden war, zahlten sie alle offenen Mietrückstände vollständig nach. Sie beriefen sich dabei auf die sogenannte Schonfristregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB). Diese Regelung soll Mieter vor dem plötzlichen Verlust ihrer Wohnung schützen, wenn sie unverschuldet oder nur vorübergehend in Zahlungsnot geraten sind. Die Idee dahinter: Wer seine Schulden innerhalb einer bestimmten Frist nach Erhalt der Kündigung oder Zustellung der Räumungsklage begleicht, macht die fristlose Kündigung unwirksam.
Der Gang durch die Instanzen: Ein juristisches Tauziehen
Das zuständige Amtsgericht Kreuzberg folgte zunächst der Argumentation der Vermieterin. Es stellte fest, dass die fristlose Kündigung durch die Nachzahlung tatsächlich unwirksam geworden war – genau wie es das Gesetz in der Schonfristregelung vorsieht. Aber, so das Gericht, die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibe davon unberührt. Da die Mieter durch die wiederholten Zahlungsverzüge ihre vertraglichen Pflichten erheblich verletzt hätten, sei auch die ordentliche Kündigung gerechtfertigt. Das Amtsgericht verurteilte die Mieter zur Räumung der Wohnung.
Doch die Mieter gaben nicht auf und legten Berufung beim Landgericht Berlin ein. Und hier nahm der Fall eine überraschende Wendung. Die zuständige 66. Zivilkammer des Landgerichts sah die Sache anders. Sie hob das Urteil des Amtsgerichts auf und argumentierte, dass die Schonfristzahlung auch die ordentliche Kündigung unwirksam mache. Die Richter in Berlin waren überzeugt, es gebe keine zwingende gesetzliche Regelung, die dem entgegenstehe. Sie interpretierten den Schutzgedanken der Schonfristregelung weitreichender und wollten verhindern, dass Mieter trotz vollständiger Schuldenbegleichung ihre Wohnung verlieren.
Damit stellte sich das Landgericht Berlin jedoch nicht zum ersten Mal gegen die etablierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Bereits in zwei früheren, sehr ähnlichen Fällen (Urteile vom 13.10.2021, Az. VIII ZR 91/20 und vom 05.10.2022, Az. VIII ZR 307/21) hatte der BGH entschieden, dass die Schonfristzahlung eben nur die fristlose Kündigung betrifft. Die 66. Kammer des LG Berlin hielt aber beharrlich an ihrer mieterfreundlicheren Auslegung fest. Die Vermieterin ließ das nicht auf sich sitzen und legte Revision beim BGH ein – der Fall landete erneut vor Deutschlands obersten Zivilrichtern.
Kündigung im Mietrecht: Die zwei Wege aus dem Vertrag
Um die Entscheidung des BGH zu verstehen, ist es wichtig, die beiden Kündigungsarten zu unterscheiden, die im Spiel waren:
Die außerordentliche fristlose Kündigung (§ 543 BGB) ist die schärfste Waffe des Vermieters. Sie beendet das Mietverhältnis sofort, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Dafür braucht der Vermieter aber einen „wichtigen Grund“. Ein solcher liegt insbesondere vor, wenn der Mieter mit einem erheblichen Teil der Miete in Verzug ist.
Das Gesetz (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB) definiert genau, wann das der Fall ist: Entweder, wenn der Mieter für zwei aufeinanderfolgende Termine mit mehr als einer Monatsmiete im Rückstand ist, oder wenn er über einen längeren Zeitraum mit einem Betrag im Rückstand ist, der die Miete für zwei Monate erreicht. Wegen der drastischen Folgen – dem sofortigen Wohnungsverlust – hat der Gesetzgeber hier die Schonfristzahlung (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) als Schutzmechanismus eingebaut. Zahlt der Mieter (oder eine öffentliche Stelle wie das Jobcenter) die gesamten Rückstände innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Räumungsklage nach, wird die fristlose Kündigung unwirksam.
Daneben gibt es die ordentliche Kündigung (§ 573 BGB). Diese beendet das Mietverhältnis erst nach Ablauf einer gesetzlichen Kündigungsfrist, die je nach Dauer des Mietverhältnisses zwischen drei und neun Monaten beträgt (§ 573c BGB). Der Vermieter braucht auch hier einen Grund, nämlich ein „berechtigtes Interesse“ an der Beendigung des Mietverhältnisses. Ein solches Interesse liegt laut Gesetz (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB) vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.
Wiederholte oder erhebliche Mietrückstände können eine solche Pflichtverletzung darstellen, selbst wenn sie die strengen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung nicht ganz erfüllen oder wenn eine fristlose Kündigung durch die Schonfristzahlung geheilt wurde. Entscheidend ist, ob die Pflichtverletzung so gravierend ist, dass dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Für die ordentliche Kündigung gibt es keine gesetzliche Schonfristregelung.
Das BGH-Urteil: Klartext aus Karlsruhe
Der BGH machte in seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2024 kurzen Prozess mit der Auffassung des Landgerichts Berlin. Die Karlsruher Richter bestätigten ihre bisherige Rechtsprechung und stellten in zwei zentralen Leitsätzen klar, wie das Gesetz zu verstehen ist.
Der Kern des ersten Leitsatzes besagt: Wenn ein Mieter seine Mietrückstände innerhalb der Schonfrist nachzahlt (oder eine öffentliche Stelle sich zur Zahlung verpflichtet), hat das nur Auswirkungen auf die fristlose Kündigung, die wegen genau dieser Rückstände ausgesprochen wurde. Eine ordentliche Kündigung, die der Vermieter ebenfalls wegen dieser Rückstände (als Pflichtverletzung) ausgesprochen hat, bleibt davon unberührt und wirksam.
Im zweiten Leitsatz wird der BGH ungewöhnlich deutlich und richtet sich erkennbar an das Landgericht Berlin, aber auch an die Rechtspolitik: Diese beschränkte Wirkung der Schonfristzahlung entspricht dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers. Ein Richter ist an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) und darf diese gesetzgeberische Entscheidung nicht durch eigene rechtspolitische Vorstellungen ersetzen. Der BGH betont, dass Gerichte keine Lösungen schaffen dürfen, die im Gesetzgebungsprozess (bisher) nicht durchsetzbar waren.
Die Begründung des BGH im Detail: Wortlaut, Sinn und Wille
Der BGH stützt seine Entscheidung auf eine klassische juristische Auslegung des Gesetzes:
- Wortlaut und Systematik: Die Richter betonen, dass der Wortlaut des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB, der die Schonfristzahlung regelt, eindeutig nur auf die fristlose Kündigung Bezug nimmt. Die gesamte Vorschrift des § 569 BGB steht im Kontext der außerordentlichen fristlosen Kündigung nach § 543 BGB. Sie konkretisiert die Gründe und Voraussetzungen dafür. Die Schonfristzahlung ist in diesem System eine spezielle Ausnahme nur für die auf Zahlungsverzug gestützte fristlose Kündigung. Für die ordentliche Kündigung nach § 573 BGB gibt es schlicht keine vergleichbare Regelung.
- Sinn und Zweck: Der BGH erklärt auch den Zweck der Schonfristregelung. Sie soll primär plötzliche Obdachlosigkeit verhindern, die bei einer fristlosen Kündigung droht, da das Mietverhältnis sofort endet. Bei einer ordentlichen Kündigung hat der Mieter jedoch eine Kündigungsfrist von mindestens drei Monaten (§ 573c Abs. 1 BGB). In dieser Zeit kann er sich um eine neue Wohnung bemühen oder die Gründe für die Kündigung ausräumen (wobei die Nachzahlung allein hier nicht genügt). Die Gefahr der sofortigen Obdachlosigkeit ist also bei der ordentlichen Kündigung deutlich geringer, weshalb der Gesetzgeber hier bewusst keine Schonfristregelung vorgesehen hat.
- Historischer Wille des Gesetzgebers: Besonders hebt der BGH den Willen des Gesetzgebers hervor. Das Gericht weist darauf hin, dass es in der Vergangenheit politische Bestrebungen gab, die Wirkung der Schonfristzahlung auch auf die ordentliche Kündigung auszudehnen. Diese Initiativen waren jedoch im parlamentarischen Prozess erfolglos. Der Gesetzgeber hat sich also bewusst gegen eine solche Ausweitung entschieden.Der BGH macht klar, dass er diesen demokratisch legitimierten Willen respektieren muss. Er weist die Kritik des LG Berlin zurück, er würde sich zu Unrecht auf ein bloßes „Nichthandeln“ des Gesetzgebers stützen. Der BGH stellt klar, dass er nicht jede parlamentarische Äußerung für bare Münze nimmt, aber dass die wiederholte und bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Regelung nicht zu ändern, bei der Auslegung berücksichtigt werden muss. Ein Gericht dürfe nicht durch Urteile das erreichen wollen, was politisch nicht durchsetzbar war.
Experten-Einblick: Gewaltenteilung und Richterrecht
Der BGH betont hier ein wichtiges Prinzip unseres Rechtsstaats: die Gewaltenteilung. Gesetze macht das Parlament (Legislative). Gerichte (Judikative) wenden diese Gesetze an und legen sie aus. Sie dürfen Gesetze zwar weiterentwickeln („Richterrecht“), aber nicht gegen den klaren Willen des Gesetzgebers verstoßen oder grundlegend neue Regeln schaffen, die eigentlich Sache der Politik wären. Die deutlichen Worte des BGH sind auch eine Mahnung an untere Instanzen, sich an die höchstrichterliche Rechtsprechung und die gesetzlichen Vorgaben zu halten.
Die „Berliner Linie“ vs. Karlsruhe: Ein juristischer Dauerstreit
Die Hartnäckigkeit, mit der die 66. Kammer des Landgerichts Berlin an ihrer abweichenden Meinung festhielt, ist ungewöhnlich. Dreimal hat der BGH nun Urteile dieser Kammer zur Schonfristzahlung aufgehoben. Die deutliche Rüge im zweiten Leitsatz des aktuellen Urteils zeigt die Verärgerung der Karlsruher Richter über diese Missachtung ihrer Rechtsprechung. Konsequenterweise hat der BGH den Fall auch nicht zur erneuten Entscheidung an dieselbe Kammer zurückverwiesen, sondern an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin. Damit soll sichergestellt werden, dass die Vorgaben des BGH nun umgesetzt werden.
Dieser Konflikt zwischen dem BGH und einer einzelnen Kammer eines Landgerichts wirft ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Perspektiven im Mietrecht. Während der BGH auf Rechtssicherheit, Gesetzestreue und die klare Trennung von Rechtsprechung und Gesetzgebung pocht, scheint das LG Berlin stärker sozialpolitische Erwägungen und den Mieterschutz in den Vordergrund gestellt zu haben. Es wollte offenbar eine als ungerecht empfundene Lücke im Mieterschutz schließen – auch gegen den Buchstaben des Gesetzes und die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Was bedeutet das Urteil konkret für Mieter?
Die Entscheidung des BGH hat erhebliche praktische Konsequenzen für Mieterinnen und Mieter, die mit ihrer Miete in Rückstand geraten.
Die wichtigste Erkenntnis ist: Die Nachzahlung der Mietschulden innerhalb der Schonfrist ist kein Freifahrtschein! Sie rettet zwar vor der sofortigen Kündigung, aber nicht zwangsläufig vor dem Verlust der Wohnung.
Wenn ein Vermieter wegen Mietrückständen sowohl fristlos als auch hilfsweise ordentlich kündigt, sollten Mieter Folgendes wissen:
- Die fristlose Kündigung wird durch die vollständige Nachzahlung innerhalb der Zwei-Monats-Frist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) unwirksam. Diese Frist beginnt erst mit der Zustellung einer Räumungsklage. Wurde (noch) keine Klage erhoben, kann die Kündigung auch unwirksam werden, wenn eine öffentliche Stelle (z.B. Jobcenter, Sozialamt) sich zur Übernahme der Schulden verpflichtet.
- Die ordentliche Kündigung bleibt jedoch bestehen, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Entscheidend ist hier, ob die Mietrückstände (auch wenn sie nun bezahlt sind) eine „nicht unerhebliche Pflichtverletzung“ darstellen (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
- Ob eine Pflichtverletzung „nicht unerheblich“ ist, hängt vom Einzelfall ab. Kriterien sind die Höhe der Rückstände, die Dauer des Verzugs, das Verschulden des Mieters und ob es sich um wiederholte Zahlungsversäumnisse handelt. Bei wiederholten oder erheblichen Rückständen – wie im entschiedenen Fall – stehen die Chancen schlecht, dass die ordentliche Kündigung als unwirksam angesehen wird.
- Mieter müssen sich also auch nach erfolgter Schonfristzahlung auf einen Räumungsprozess einstellen, in dem dann über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung entschieden wird. Die Kündigungsfrist der ordentlichen Kündigung (mind. 3 Monate) verschafft zwar Zeit, aber keine Sicherheit.
Was können Mieter tun, die in Zahlungsverzug geraten?
Der beste Rat ist natürlich, Mietrückstände gar nicht erst entstehen zu lassen. Wenn es doch passiert:
- Sofort handeln: Suchen Sie das Gespräch mit dem Vermieter, erklären Sie die Situation und versuchen Sie, eine Ratenzahlung zu vereinbaren. Manchmal lässt sich eine Kündigung so vermeiden.
- Hilfe suchen: Wenden Sie sich umgehend an eine Schuldnerberatung, einen Mieterverein oder einen Anwalt für Mietrecht. Prüfen Sie Ansprüche auf Wohngeld oder Bürgergeld. Oft können öffentliche Stellen die Rückstände übernehmen und so zumindest die fristlose Kündigung abwenden.
- Kündigung ernst nehmen: Wenn eine Kündigung (insbesondere eine kombinierte fristlose und ordentliche) im Briefkasten liegt, ist Eile geboten. Lassen Sie die Kündigung sofort rechtlich prüfen.
- Fristen beachten: Die Schonfrist für die Nachzahlung beträgt zwei Monate ab Zustellung der Räumungsklage. Verpassen Sie diese Frist nicht! Aber denken Sie daran: Sie heilt nur die fristlose Kündigung.
- Nicht nur auf Nachzahlung verlassen: Wenn auch ordentlich gekündigt wurde, reicht die Nachzahlung allein nicht aus. Sie müssen sich darauf einstellen, die Wohnung trotz Zahlung verlassen zu müssen, wenn die Pflichtverletzung als erheblich eingestuft wird. Beginnen Sie frühzeitig mit der Suche nach einer neuen Wohnung.
Stellen wir uns die Situation von Familie S. vor. Herr S. verliert unerwartet seinen Job. Das Geld wird knapp, zwei Monatsmieten bleiben offen. Der Vermieter, Herr V., kündigt fristlos und hilfsweise ordentlich. Familie S. ist verzweifelt, kratzt aber mithilfe von Verwandten das Geld zusammen und zahlt die Rückstände innerhalb eines Monats nach Erhalt der Kündigung und der kurz darauf zugestellten Räumungsklage. Sie atmen auf – die fristlose Kündigung ist vom Tisch. Doch Herr V. hält an der ordentlichen Kündigung fest. Da es nicht das erste Mal war, dass Familie S. mit der Miete im Verzug war (wenn auch nie so hoch), argumentiert Herr V., das Vertrauensverhältnis sei zerstört und die Pflichtverletzung erheblich. Nach dem BGH-Urteil hat Herr V. gute Chancen, mit der ordentlichen Kündigung durchzukommen. Familie S. muss sich trotz Nachzahlung nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist eine neue Bleibe suchen.
Was bedeutet das Urteil für Vermieter?
Für Vermieter schafft das Urteil Rechtsklarheit und stärkt ihre Position bei Zahlungsverzug des Mieters.
- Doppelte Absicherung: Vermieter sind gut beraten, bei erheblichen Mietrückständen immer sowohl die außerordentliche fristlose als auch hilfsweise die ordentliche Kündigung auszusprechen. Dies erhöht die Chancen, das Mietverhältnis beenden zu können, selbst wenn der Mieter die Schonfristzahlung nutzt.
- Begründung der ordentlichen Kündigung: Es ist wichtig, die ordentliche Kündigung sorgfältig zu begründen. Sie muss darlegen, warum die (auch nachgezahlten) Mietrückstände eine nicht unerhebliche, schuldhafte Pflichtverletzung darstellen. Dabei sollten frühere Zahlungsstörungen, die Höhe und Dauer der Rückstände sowie eventuelle Abmahnungen angeführt werden.
- Räumungsklage: Auch wenn die fristlose Kündigung durch Nachzahlung unwirksam wird, kann die Räumungsklage auf die weiterhin wirksame ordentliche Kündigung gestützt werden. Der Prozess geht dann weiter, nur eben auf Basis der ordentlichen Kündigung.
Kritik und Ausblick: Ein „Wink mit dem Zaunpfahl“ an den Gesetzgeber?
Obwohl der BGH juristisch stringent argumentiert, stößt die Entscheidung nicht überall auf Zustimmung. Mietervereine kritisieren, dass die Regelung Mieter benachteilige, die ihre Schulden begleichen und dennoch ihre Wohnung verlieren können. Sie sehen den sozialen Schutzgedanken des Mietrechts untergraben.
Interessanterweise deuten einige Beobachter, wie der Berliner Mieterverein, den sehr deutlichen zweiten Leitsatz des BGH – der die Bindung des Richters an den Willen des Gesetzgebers betont – als versteckten Hinweis. Könnte es sein, dass der BGH selbst die aktuelle Rechtslage für sozialpolitisch unbefriedigend hält, sich aber an das geltende Recht gebunden sieht? War die Betonung des „bisher“ nicht erreichbaren Ziels im Gesetzgebungsverfahren ein „recht deutlicher ‚Wink mit dem Zaunpfahl'“ an die Politik, hier tätig zu werden und die Schonfristregelung zugunsten der Mieter auszuweiten?
Ob der Gesetzgeber diesen Wink aufgreift, bleibt abzuwarten. Aktuell müssen Mieter und Vermieter jedoch mit der klaren Linie des BGH leben: Die Schonfristzahlung heilt nur die fristlose Kündigung. Wer auch ordentlich gekündigt wurde, muss trotz Nachzahlung um seine Wohnung bangen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Schonfristzahlung und Kündigung
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau ist die Schonfristzahlung?
Innerhalb welcher Frist muss ich die Miete nachzahlen?
Macht die Schonfristzahlung jede Kündigung wegen Mietschulden unwirksam?
Wann ist eine ordentliche Kündigung wegen Mietschulden gerechtfertigt?
Was sollte ich tun, wenn ich eine Kündigung wegen Mietrückständen erhalte?
Kann mein Vermieter mir kündigen, auch wenn ich nur einmal die Miete zu spät gezahlt habe?
Gilt die Schonfristzahlung auch für andere Kündigungsgründe?
Fazit: Wachsamkeit ist geboten
Das Urteil des BGH (Az. VIII ZR 106/23) ist eine wichtige Klarstellung im Mietrecht, die sowohl Mieter als auch Vermieter kennen sollten. Es zementiert die Auffassung, dass die Schonfristzahlung bei Mietrückständen ein Rettungsanker nur für die fristlose, nicht aber für die ordentliche Kündigung ist. Mieter dürfen sich nach einer Nachzahlung nicht in falscher Sicherheit wiegen, wenn der Vermieter beide Kündigungsarten ausgesprochen hat. Vermieter erhalten Rechtssicherheit für die Strategie der kombinierten Kündigung. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung pünktlicher Mietzahlungen und die Notwendigkeit, bei finanziellen Engpässen frühzeitig das Gespräch und professionelle Hilfe zu suchen. Ob der Gesetzgeber die Kritik aufgreift und die Regeln zugunsten der Mieter ändert, bleibt eine offene Frage für die Zukunft. Bis dahin gilt die klare Linie aus Karlsruhe.