LG Freiburg – Az.: 3 T 40/21 – Beschluss vom 18.05.2021
In Sachen hat das Landgericht Freiburg im Breisgau – 3. Zivilkammer – am 18.05.2021 beschlossen:
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Freiburg vom 17.02.2020 – 2 C 2018/20 – wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Das Amtsgericht ist in dem angefochtenen Beschluss zu Recht davon ausgegangen, dass die Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung des Beklagten fehlt.
Entgegen der Ansicht des Beklagten wurde das streitgegenständliche Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung der Klägerin vom 27.4.2020 aufgrund des Vorfalls vom 20.2.2020 wirksam beendet. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 Buchst. b des Mietvertrags liegen vor. Eine vorherige Abmahnung des Beklagten war gemäß § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB entbehrlich. Das Amtsgericht hat die Gewährung von Prozesskostenhilfe durch den angefochtenen Beschluss zu Recht versagt.
1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass § 4 Abs. 4 des Mietvertrags der fristlosen Kündigung des Klägers nicht entgegensteht, da der Ausnahmefall des § 4 Abs. 4 b) vorliegt. Danach kann der Kläger als Wohnungsunternehmen „das Mietverhältnis ohne Einhaltung einer Frist schriftlich kündigen, wenn der Mieter schuldhaft in solchem Maße seine Verpflichtungen verletzt, insbesondere den Hausfrieden so nachhaltig stört, dass dem Wohnungsunternehmen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann“. Dieser Fall liegt hier vor.
2. Der Kläger war zur fristlosen Kündigung durch das Schreiben vom 27.04.2020 berechtigt, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 1 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 Buchst. b des Mietvertrags vorlagen:
Die Vorfälle vom 20.02.2020 sind zwischen den Parteien unstreitig. Weiterhin ist unstreitig, dass der Beklagte nach Konfrontation mit den Vorwürfen durch den Kläger den Diebstahl vollumfänglich eingeräumt und die entwendeten Gegenstände bis auf die SIM Karte des Handys zurückgegeben hat, wobei sich das Notfallhandy des Klägers in zerlegtem Zustand befand. Bei einem Diebstahl des Mieters zulasten des Vermieters wird allgemein ein Kündigungsgrund bejaht, eine Ausnahme kann allenfalls aufgrund der Umstände des Einzelfalls im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit und Interessenabwägung gemäß § 543 Abs. 1 eingreifen, etwa dann, wenn dem Vermieter hierdurch kein oder nur ein unerheblicher Nachteil erwachsen ist (BeckOK MietR/K. Schach, 23. Ed. 1.2.2021, BGB § 543 Rn. 9; Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 187, BGB § 543 Rn. 187).
Entgegen der Ansicht des Beklagten kommt es bei der vorzunehmenden Interessenabwägung und Prüfung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht lediglich auf den – im vorliegenden Fall geringen – verbliebenen finanziellen Schaden beim Kläger an, sondern auch auf den damit einhergehenden massiven Vertrauensbruch. Auch die Tatsache, dass das Strafverfahren gegen den Beklagten gemäß § 153 a StPO eingestellt wurde, mithin die Schuld des Beklagten aus strafrechtlicher Sicht als gering angesehen wurde und kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestand führt nicht zu einem Wegfall des Kündigungsrechts des Klägers gemäß § 543 Abs. 1 ZPO. Im Rahmen des §§ 153 a StPO geht es um die Pflichten der Strafverfolgungsbehörden und das Genugtuungsinteresse der Öffentlichkeit, die mit den Interessen des Klägers als Vermieter im Rahmen des § 543 Abs. 1 BGB nicht deckungsgleich sind.
Auch unter Berücksichtigung der Interessen des Beklagten, insbesondere der Dauer des Mietverhältnisses und seiner psychischen Erkrankung kann dem Kläger die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden:
Die Entwendung des Hausschlüssels des Hausmeisters, das Eindringen in das Büro der Altenpflegerin und das Entwenden mehrerer Gegenstände von nicht unerheblichem Wert, auf die der Kläger zudem zu Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen dringend angewiesen ist, stellt einen schweren Vertrauensbruch und eine so nachhaltige Störung des Hausfriedens dar, dass die Voraussetzung des § 543 Abs. 1 BGB vorliegen. Dabei ist auch die besondere Ausgestaltung des vorliegenden Mietverhältnisses als betreutes Wohnen zu berücksichtigen, die eine besonders enge Zusammenarbeit des Klägers mit dem Beklagten und die Erbringung von Hilfe-, Betreuung-und Pflegeleistungen des Klägers für den Beklagten nach sich zieht. Diese Ausgestaltung erfordert in erhöhtem Maße ein intaktes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien. Dieses Vertrauensverhältnis hat der Beklagte durch den vorsätzlichen Diebstahl vom 20.2.2020 nachhaltig zerstört.
Das Beschwerdegericht teilt auch die Ansicht des Amtsgerichts, dass der Vortrag des Beklagten, bei dem begangenen Diebstahl handele es sich um „eine krankheitsbedingte Reaktion auf ein Verhalten der Klägerin“ weder substantiiert noch erheblich ist, so dass die hierfür angebotenen Beweise (Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und Einvernahme des Betreuers Werner Langenfelder als Zeuge) nicht erheblich waren. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die – streitige – Äußerung der Mitarbeiterin des Klägers den Diebstahl des Beklagten in milderem Licht erscheinen lassen könnte.
3. § 314 Abs. 3 BGB steht der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung des Klägers vom 27.4.2020 nicht entgegen, da die Vorschrift nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auf den Ausspruch einer fristlosen Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses keine Anwendung findet (BGH, Versäumnisurteil vom 13. Juli 2016 – VIII ZR 296/15). Es liegen angesichts der 2 Monate nach dem Vorfall erklärten fristlosen Kündigung auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass diese gegen Treu und Glauben gemäß § 202 40 BGB verstößt. Eine illoyale Verspätung der Kündigung ist ebenso wenig erkennbar wie die Voraussetzungen der Verwirkung sowohl hinsichtlich des Zeit- als auch des Umstandsmoments (BGH, Beschluss vom 13. April 2010 VIII ZR 206/09).
4. Auch der Einwand des Beklagten, die Kündigung des Klägers vom 27.4.2020 habe gemäß § 543 Abs. 3 BGB einer vorherigen Abmahnung des Beklagten bedurft, bleibt ohne Erfolg. Gemäß § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BGB ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich, wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestandes wird insbesondere bei Fallgestaltungen aus dem strafrechtlichen Bereich, in denen die Pflichtverletzung nicht rückgängig gemacht werden kann und eine Abmahnung, zukünftig Straftaten nicht zu wiederholen, ein Vertrauensverhältnis nicht wiederherstellen kann, bejaht (BeckOK MietR/K. Schach, 23. Ed. 1.2.2021, BGB § 543 Rn. 66-68). Etwas Anderes kann nur dann gelten, wenn es sich um eine einmalige Straftat handelt, die für sich betrachtet kein besonderes Gewicht hat und sich die Unzumutbarkeit erst aus der Wiederholung ergibt (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019 Rn. 189, BGB § 543 Rn. 189).
Im vorliegenden Fall hat der Beklagte eine vorsätzliche, erhebliche Straftat, begangen die aufgrund des mehraktigen Vorgehens (Entwendung des Hausmeisterschlüssels, sodann Eindringen in das Altenpflegebüro und entwenden der Gegenstände) einer erhöhten kriminellen Energie bedurfte. Daher ist – auch angesichts der oben ausgeführten besonderen Ausgestaltung des Mietverhältnisses als betreutes Wohnen – von einem nicht reparablen Vertrauensbruch auszugehen, der aus besonderen Gründen auch unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigt.
5. Insofern wurde das Mietverhältnis bereits durch die fristlose Kündigung vom 27.4.2020 beendet. Es kommt mithinauf die Wirksamkeit der weiteren Kündigung in der Replik vom 15.2.2021 nicht mehr an.
6. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO. Es besteht kein Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.