LG Berlin, Az.: 63 S 110/10
Urteil vom 15.10.2010
1. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 18. Januar 2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Schöneberg – 13 C 159/09 – abgeändert und neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, einer Erhöhung der Nettokaltmiete für die von ihr bei der Klägerin gemietete Wohnung im Hause xxx in xxx Berlin von zur Zeit 245,48 Euro monatlich um 16,16 Euro monatlich auf 261,64 Euro monatlich ab dem 1. Juni 2009 zuzustimmen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin 60 % und die Beklagte 40 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Von einer Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
1. Die Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
Die Beklagte ist aufgrund der Mieterhöhungserklärung vom 3. März 2009 gemäß § 558 Abs. 1 BGB verpflichtet, einer Erhöhung der Nettomiete für die von ihr innegehaltene Wohnung von 245,48 EUR um 16,16 EUR auf monatlich 261,64 EUR ab dem 1. Juni 2009 zuzustimmen. Diese Miete übersteigt die ortsübliche Miete nicht.
Die ortsübliche Miete ist anhand des Berliner Mietspiegels 2009 zu ermitteln, der ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne von § 558 d BGB ist. Aufgrund der in § 558 d Abs. 3 BGB enthaltenen gesetzlichen Vermutung ist in Verbindung mit § 292 ZPO davon auszugehen, dass die innerhalb der Spanne liegenden Mietwerte die ortsübliche Miete für die Wohnungen des jeweiligen Mietspiegelfelds widerspiegeln. Einschlägig für die 56,51 qm große Wohnung ist das Rasterfeld E5, das eine Spanne von 4,27 EUR/qm bis 5,41 EUR/qm und einen Mittelwert von 4,72 EUR/qm ausweist.
Die Bestimmung der konkreten ortsüblichen Miete innerhalb der Spanne kann durch eine Schätzung erfolgen. Die Voraussetzungen gemäß § 287 Abs. 2 ZPO sind gegeben. Bei der Beauftragung eines Sachverständigen fallen Kosten an, die zur Höhe der streitigen Mieterhöhung außer Verhältnis stehen. Diese sind jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn neben dem qualifizierten Mietspiegel eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung zur Verfügung steht. Auch wenn dieser die Vermutungswirkung des § 558 d Abs. 3 BGB nicht zukommt, hindert dies ihre Heranziehung als Schätzgrundlage nach § 287 ZPO nicht. Die Orientierungshilfe wird vom umfassenden Sachverstand der an der Mietspiegelerstellung beteiligten Experten getragen werden und berücksichtigt die bisherigen Erkenntnisse der Praxis und der Rechtsprechung. Ihr liegt wie dem Mietspiegel eine umfassende Datenmenge zugrunde, die den Verhältnissen auf dem Berliner Wohnungsmarkt hinreichend Rechnung trägt (BGH, Urteil vom 20. April 2005 – VIII ZR 110/04, GE 2005, 663).
Zu den einzelnen Merkmalen der Orientierungshilfe hat nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast jede Partei die tatsächlichen Voraussetzungen der für sie jeweils günstigen wohnwerterhöhenden bzw. wohnwertmindernden Merkmale vorzutragen und ggf. zu beweisen.
Hinsichtlich der einzelnen Merkmalgruppen gilt hierbei Folgendes:
Gruppe 1 (Bad/WC)
Diese Merkmalgruppe 1 (Bad/WC) ist unstreitig negativ zu bewerten.
Gruppe 2 (Küche)
Diese Merkmalgruppe ist neutral. Zwar wurden ausweislich der Übergabeverhandlung vom 07.03.1994 Spüle und Herd entfernt und es mag auch sein, dass sich die Beklagte später auf eigene Kosten eine Küche angeschafft hat; entscheidend ist jedoch, dass die Parteien in der Übergabeverhandlung vereinbart haben, dass der Vermieter die entfernten Gegenstände „kostenlos ersetzt” (vgl. LG Berlin, Urt. v. 23.11.2001 – 65 S 56/01, MM 2002, 98). Allerdings ist der Beklagten zuzugestehen, dass die Übergabevereinbarung im Wortlaut missverständlich formuliert ist, soweit dort von einem Ersatz von Spüle und Herd „bei evtl. Neuvermietung” die Rede ist, obwohl der Mietvertrag mit der Beklagten zum Zeitpunkt der Übergabeverhandlung bereits abgeschlossen war. Gleichwohl kann die Vereinbarung nur dahingehend verstanden werden, dass auch die Beklagte einen Anspruch gegen die Vermieterin auf Bereitstellung von Herd und Spüle hat, da die Parteien gewöhnlich in einer Übergabeverhandlung keine Regelungen treffen, die erst für einen eventuellen Nachmieter – und damit eine an der Übergabevereinbarung nicht beteiligte Partei – relevant werden.
Für die Spanneneinordnung ist daher nicht von den beiden negativen Merkmalen „Keine Kochmöglichkeit” und „Keine Spüle” auszugehen, da die Beklagte jedenfalls einen mietvertraglichen Anspruch auf Bereitstellung dieser Gegenstände hat. Wie sich der Wohnungsbeschreibung entnehmen lässt, verfügte der Gasherd auch über einen Backofen; andernfalls wären nicht ein Backblech und ein Grillrost übergeben worden. Daher liegen keine negativen Merkmale vor.
Hinsichtlich des positiven Merkmals „Wandfliesen im Arbeitsbereich” hat die Klägerin keinen Beweis angeboten, obwohl die Beklagte dieses Merkmal substantiiert dahingehend bestritten hat, dass ihr verstorbener Ehemann die Fliesen an den Küchenwänden angebracht hat. Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich das Vorliegen dieses Merkmals auch nicht aus der Wohnungsbeschreibung.
Gruppe 3 (Wohnung)
Diese Merkmalgruppe ist negativ. In der Gruppe liegen unstreitig mindestens zwei negative Merkmale vor. Soweit sich die Berufung dagegen wendet, dass das Amtsgericht das positive Merkmal des rückkanalfähigen Breitbandkabelanschlusses nicht zugesprochen hat, kommt es hierauf im Ergebnis nicht an, da das vom Amtsgericht zuerkannte positive Merkmal eines großen und geräumigen Wintergartens nicht gegeben ist.
Der Wintergarten in Form eines „verglasten Balkons” ist 3,1 qm groß. Dies ist nicht groß und geräumig. Nach der Rechtsprechung des Landgerichts Berlin kann hiervon erst ab einer Größe von 4 qm ausgegangen werden (LG Berlin, Urt. v. 03.12.2009 – 67 S 411/08, GE 2010, 204). Das Erfordernis der Größe und Geräumigkeit bezieht sich nicht nur auf den Balkon, sondern auch auf (Dach-)Terrasse, Loggia und Wintergarten, da diesen nicht per se ein höherer Wohnwert zukommt als einem Balkon.
Gruppe 4 (Gebäude)
Diese Merkmalgruppe ist positiv zu bewerten, wobei insofern auf die zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts Bezug genommen werden kann.
Gruppe 5 (Wohnumfeld)
Diese Merkmalgruppe ist neutral. Unstreitig ist das negative Merkmal der hohen Lärmbelastung gegeben, dem nicht das positive Merkmale „bevorzugte Citylage” entgegengehalten werden kann. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen werden.
Jedoch wird die hohe Lärmbelastung durch das positive Merkmal „Sichtbegrenzende Gestaltung der Müllstandsfläche; nur den Mietern zugänglich” ausgeglichen. Die Müllstandsfläche ist sichtbegrenzend im rückwärtigen Hofbereich gelegen. Die Fläche als solche ist nicht abschließbar. Lediglich der Zugang zum Innenhof ist mit einem abschließbaren Tor versehen, welches jedoch im Regelfall offen steht. Gleichwohl ist nach Auffassung der Kammer davon auszugehen, dass die Müllstandsfläche nur den Mietern zugänglich ist im Sinne des einschlägigen Spannenmerkmals.
Nach dem Mietspiegel 2007 war für das positive Merkmal u.a. Voraussetzung, dass die Müllstandsfläche abschließbar war. Der Zweck dieser Regelung bestand darin, dass von einer Wohnwerterhöhung im Hinblick auf die Müllstandsfläche nur dann ausgegangen werden sollte, wenn sichergestellt war, dass keine Fremden ihren Müll in die vom Vermieter bereitgestellten Behälter werfen und somit letztlich auf Kosten der Mieter entsorgen konnten. Nach dem Wortlaut des Mietspiegels war jedoch erforderlich, dass die Müllstandsfläche als solche abschließbar war, weshalb die Kammer das positive Merkmal verneint hat, wenn die (als solche nicht verschließbare) Müllstandsfläche sich lediglich in einem verschließbaren Hof der Wohnanlage befand (LG Berlin, Urt. v. 05.06.2009 – 63 S 355/08, GE 2009, 1046). Diese Konstellation muss nunmehr nach dem aktuellen Mietspiegel 2009 anders beurteilt werden, da die an der Mietspiegelerstellung beteiligten Experten nicht länger auf die Abschließbarkeit der Müllstandsfläche abstellen, sondern es als ausreichend erachten, wenn die Fläche nur den Mietern zugänglich ist. Hierfür reicht es jedoch aus, wenn sich die Müllstandsfläche in einem Hof oder sonstigen Bereich der Wohnanlage befindet, der seinerseits abschließbar ist. Auch in diesem Fall ist weitgehend sichergestellt, dass keine unbefugten Dritten ihren Müll auf Kosten der Mieter entsorgen.
Auf den Umstand, dass das (abschließbare) Hoftor stets offen steht, kommt es nicht an. Wie bei sämtlichen positiven Merkmalen des Mietspiegels ist die wohnwerterhöhende Wirkung unabhängig davon anzunehmen, ob der Mieter das Merkmal tatsächlich nutzt oder nicht. Maßgeblich ist allein der vom Vermieter vertraglich geschuldete bzw. bereitgestellte Zustand. Hier hat die Klägerin durch das Schloss am Hoftor die Voraussetzung geschaffen, die es den Mietern ermöglicht, die Müllstandsfläche für Dritte unzugänglich zu machen. Wenn die Mieter von dieser Möglichkeit, das Hoftor zu verschließen, keinen Gebrauch machen, führt dies ebensowenig zum Fortfall des positiven Merkmals wie es unter der Geltung des Mietspiegels 2007 zum Fortfall des Merkmals geführt hätte, wenn von den Mietern eine abschließbare Müllstandsfläche stets unverschlossen gelassen worden wäre.
Danach liegen zwei negative, zwei neutrale und eine positive Merkmalgruppe vor, so dass der vom Mietspiegel ausgewiesene Mittelwert um 20 % der Spanne zum Unterwert zu vermindern ist.
Die ortsübliche Nettomiete gemäß § 558 Abs. 1 BGB berechnet sich danach wie folgt:
Mietspiegel 2009
Rasterfeld E5 (Mittelwert) 4,72 Euro/qm
abzüglich 20 % der Spanne zum Unterwert (4,27 EUR/qm)
– 0,09 Euro/qm
4,63 Euro/qm × 56,51 qm Wohnungsgröße
ortsübliche Nettomiete 261,64 Euro
In dieser Höhe ist das Erhöhungsverlangen begründet und liegt unter der aufgrund der Kappungsgrenze von 20 % gemäß § 558 Abs. 3 BGB zulässigen Miete, die sich unter Berücksichtigung der am 1. Juni 2006 in Höhe von 245,48 EUR geschuldeten Miete auf 294,58 EUR beläuft.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.