LG Berlin – Az.: 65 S 71/20 – Urteil vom 31.07.2020
In dem Rechtsstreit hat das Landgericht Berlin – Zivilkammer 65 – aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2020 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Pankow Weißensee vom 26. Februar 2020 – 102 C 336/19 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, eine Erhöhung der Nettokaltmiete für die Wohnung im (…) Berlin, 1. Etage links von bisher 297,74 Euro um 44,66 Euro auf monatlich 342,40 Euro (zuzüglich Nebenkostenvorauszahlungen) mit Wirkung ab dem 1. September 2019 zuzustimmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 78% und der Beklagte zu 22%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 2, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist teilweise begründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
a) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Nettokaltmiete von bisher monatlich 297,74 Euro (4,68 Euro/m2) um 44,66 Euro auf 342,40 Euro (5,39 Euro/m2) mit Wirkung ab 1. September 2019 aus § 558 Abs. 1 BGB.
§ 3 Abs. 1 MietenWoG steht dem Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten nicht entgegen.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln ist – vorbehaltlich hier nicht gegebener weiterer Regelungen – eine Miete verboten, die die am 18. Juni 2019 (Stichtag) wirksam vereinbarte Miete überschreitet.
Das hier gegenständliche Mieterhöhungsverlangen datiert vom 14. Juni 2019.
Die Kammer hat bereits entschieden, dass § 3 Abs. 1 MietenWoG einem Mieterhöhungsverlangen nicht entgegenstehen kann, dessen Wirkungen nach § 558b Abs. 1, 2 BGB (iVm § 894 ZPO) vor dem definierten Stichtag eintreten (vgl. LG Berlin [ZK 65], Urt. v. 27.05.2020 – 65 S 233/19, zVv; vgl. ebenso: AG Charlottenburg, Urt. v. 04.03.2020 – 213 C 136/19, Schultz, Grundeigentum 2020, 168, [172]; wohl auch: Tietzsch, WuM 2020, 121, [129]; aA LG Berlin [ZK 67], Beschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274/19, für eine Mieterhöhung mit Wirkung zum 01.06.2020). Die Kammer hat in dem vorgenannten Verfahren (65 S 233/19) wegen der abweichenden Auffassung einer anderen Kammer des LG (noch) die Revision zugelassen. Inzwischen ist die Entscheidung des BGH vom 29. April 2020 (VIII ZR 355/18) veröffentlicht, aus der sich ergibt, dass der für Wohnraummietsachen zuständige VIII. ZS des BGH die Rechtsfrage wie vorstehend dargestellt beantwortet hat.
Dem Ansatz zugrunde liegt, dass der Landesgesetzgeber mit dem in § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln definierten Stichtag ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. zuletzt: Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, Begründung der Beschlussempfehlung v. 21.01.2020, S. 6) verhindern wollte, dass die Umsetzung der (geplanten) Vorschrift bereits vor ihrem Inkrafttreten durch Ausnutzung der bisherigen Rechtslage vereitelt wird. Er sah die Gefahr, dass Vermieter die lange Dauer der politischen Diskussion und des sich anschließenden Gesetzgebungsverfahrens nutzen könnten, um noch vor Inkrafttreten des Gesetzes eine Mieterhöhung zu erwirken.
Aus Sicht der Kammer greifen die den o. g. Entscheidungen des BGH und der Kammer zugrunde liegenden Erwägungen auch, wenn das Mieterhöhungsverlangen vor dem Stichtag erstellt worden ist, die Wirkung der Vertragsänderung – wegen § 558b Abs. 1 BGB (iVm § 894 ZPO) aber erst nach dem Stichtag eintritt (vgl. Kammer, Urt. v. 10. Juni 2020 – 65 S 55/20).
Ein Mieterhöhungsverlangen, das vor dem Senatsbeschluss vom 18. Juni 2019 abgefasst wurde, begründet die vom Landesgesetzgeber beschriebene Gefahrenlage ebenso wenig wie ein solches, dessen Wirkungszeitpunkt (zusätzlich) vor dem Stichtag liegt, denn es ist – in beiden Fällen – in Unkenntnis des Senatsbeschlusses an den Mieter gerichtet worden.
Der Landesgesetzgeber geht in der Begründung des Gesetzentwurfes zur Neuregelung gesetzlicher Vorschriften zur Mietenbegrenzung davon aus, dass (erst) ab dem 18. Juni 2019 mit dem Beschluss der „Eckpunkte für ein Berliner Mietengesetz (Mietendeckel)“ durch den Senat und dessen – eben deshalb veranlasster – Veröffentlichung öffentlich bekannt war, dass der Tag des Senatsbeschlusses als Anknüpfungspunkt für das künftige in § 3 Abs. 1 MietenWoG geregelte Verbot dienen soll. Frühestens ab diesem Zeitpunkt waren Inhalte der beabsichtigten Regelungen in ihren Umrissen vorhersehbar (vgl. LT-Drs. 18/2347, S. 24).
Die zuständige Senatsverwaltung wurde auch erst mit dem Senatsbeschluss mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfes beauftragt und damit die Einleitung des (förmlichen) Gesetzgebungsverfahrens für einen „Mietendeckel“ konkret in Aussicht gestellt. Im Zeitpunkt des Senatsbeschlusses vom 18. Juni 2019 gab es noch nicht einmal einen Referentenentwurf; dieser lag erst Ende August 2019 vor.
Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es nicht vertretbar, an den Beginn der allgemeinen (politischen) Diskussion eines Regelungsthemas so weitreichende Rechtsfolgen zu knüpfen – wie hier – ein an den Vermieter gerichtetes Verbot, seinen Anspruch aus geltenden Vorschriften des sozialen Wohnraummietrechts des BGB zu verfolgen. Eben dies war – den Gesetzesmaterialien zufolge – auch nicht der Sinn und Zweck der Stichtagsregelung. Zudem hat der Landesgesetzgeber sich ausdrücklich im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grenzen bewegen wollen, die der Grundsatz des Vertrauensschutzes und das Verhältnismaßigkeitsprinzip ihm auch bei unterstellter Annahme einer unechten Rückwirkung setzen (vgl. Änderungsantrag v. 21. Januar 2020, aaO, S. 6).
b) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung der Erhöhungsbeträge. Die Zahlungen sind (bislang) nicht fällig.
Offenbleiben kann mangels Entscheidungserheblichkeit, ob und (in zeitlicher Hinsicht) inwieweit § 3 Abs. 1 MietenWoG einer Verurteilung des Beklagten zur Zahlung entgegenstünde.
Soweit der Beklagte nach den Feststellungen unter a) verurteilt wird, der begehrten Erhöhung der Nettokaltmiete zuzustimmen, so wird die Abgabe der Willenserklärung nach § 894 ZPO fingiert; sie gilt allerdings erst mit Rechtskraft der Entscheidung als abgegeben. Der Mieter wird mit (Rück-)Wirkung auf den nach § 558b Abs. 1 BGB zu berechnenden Zeitpunkt zur Zustimmung verurteilt; er schuldet den Erhöhungsbetrag jedoch erst ab Rechtskraft des Urteils. Erst in diesem Zeitpunkt entsteht der Zahlungsanspruch und wird fällig (vgl. BGH, Urt. v.4. Mai 2005 – VIII ZR 94/04; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 558b Rn.52).
Die Voraussetzungen für eine Verurteilung nach § 259 ZPO sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Nach §§ 257, 259 ZPO kann auf künftige Zahlung geklagt werden, wenn die Besorgnis gerechtfertigt ist, dass der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde.
Entgegen der Auffassung der Klägerin rechtfertigt der Umstand allein, dass der Beklagte der Mieterhöhung nicht zugestimmt hat, nicht die Annahme der Nichterfüllung der daraus erwachsenden Zahlungspflicht (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 14. Aufl. 2019, § 558b Rn. 68). Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein Mieter der erst in dem vom Gesetzgeber vorgesehenen gerichtlichen Verfahren, § 558b BGB, zur Zustimmung verurteilt wird, die Erhöhungsbeträge nicht zahlt. Vor dem Hintergrund des Gebührenstreitwertes und infolgedessen der hohen Kostenrisiken würde ein Mieter gegebenenfalls von der Verfolgung seiner nach dem Gesetz vorgesehenen Rechte absehen, wenn er befürchten müsste, dass er auf künftige Zahlung in Anspruch genommen wird, ohne dass er – abgesehen von der Verfolgung der ihm zustehenden Rechte – dazu Veranlassung gegeben hätte.
Soweit die Klägerin meint, dass das MietenWoG bis zur Klärung seiner Verfassungsmäßigkeit die Besorgnis begründe, dass Mieter sich der Zahlung entziehen, so fehlt es an einem konkreten Anknüpfungspunkt des unterstellten Verhaltens in Bezug auf den hiesigen Beklagten. Im Übrigen ergibt sich noch nicht einmal ein sachlicher Anhaltspunkt mit Blick darauf, dass der Landesgesetzgeber selbst den Mietern dazu rät, möglicherweise unter das Gesetz fallende Beträge unter Vorbehalt an den Vermieter zu leisten. Im Übrigen hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, dass sie sich insoweit Risiken außerhalb des Vertragsverhältnisses aussetzen würde, nämlich denen des § 11 Abs. 1 Nummer 4 MietenWoG. Soweit der Klägervertreter im Termin der mündlichen Verhandlung vor der Kammer versucht hat vom Beklagtenvertreter – ungeachtet der Abwesenheit des Beklagten selbst – eine Erklärung zu erreichen, die ihre Besorgnis bestätigt, so ist eine solche nicht abgegeben worden.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
3. Die Revision ist zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung gemäß § 543 Abs. 1, 2 Nr. 2 ZPO nicht (mehr) zuzulassen. Soweit die Kammer von der Entscheidung der ZK 67 des LG Berlin abweicht (LG Berlin [ZK 67], Beschluss vom 12.03.2020 – 67 S 274/19), hat der BGH die unterschiedliche Beantwortung der Rechtsfrage für die hier gegenständliche Fallkonstellation bereits geklärt. Sie ist – wie die Kammer entschieden hat – nicht entscheidungserheblich, weil der Anwendungsbereich des MietenWoG (noch) nicht eröffnet ist. Die Kammer bewegt sich im Rahmen der vom BGH entwickelten Maßstäbe.