AG Hamburg – Az.: 40b C 223/16 – Urteil vom 29.11.2019
1. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 37% und die Beklagte 63% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 14.207,30 € festgesetzt.
Tatbestand
Nachdem durch inzwischen rechtskräftiges Teil-Versäumnisurteil vom 16.04.2019 festgestellt worden ist, dass der ursprüngliche Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, streiten die Parteien nunmehr über einen im Wege der Klagerweiterung geltend gemachten erneuten Räumungsantrag der Klägerin bezüglich der von der Beklagten bewohnten Wohnung im A. …, … H.
Zum 01.05.1999 trat die Beklagte in das bis dahin zwischen Herrn W. E. und Herrn H. K. bestehende Mietverhältnis über die im A. …, Erdgeschoss rechts, … H., belegene Wohnung ein. Für die Einzelheiten des Mietvertrags wird auf die Anlagen B 1 und B 2 Bezug genommen. Die Klägerin trat später durch Erwerb der Liegenschaft in den Mietvertrag ein, der frühere Mitmieter, Herr K., ist inzwischen verstorben. Die monatliche Nettokaltmiete beträgt seit dem 01.10.2015 € 440,18.
Die Parteien stritten zunächst über Mietrückstände, die Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung und die aufgrund dieser Mietrückstände am 17.10. und 09.11.2016 ausgesprochenen fristlosen Kündigungen wegen Zahlungsverzuges (Anlagen K 2 und K 4). Nachdem die Beklagten die Mietrückstände zuzüglich Zinsen und geltend gemachter vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 5.021,14 nach Klagzustellung beglichen hatten, erklärte die Klägerin den ursprünglichen Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Beklagte widersprach der Erledigungserklärung und beendete das Mandat mit ihrem ursprünglichen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt K., unmittelbar vor einem für den 20.04.2018 anberaumten Verhandlungstermin. In ihrem Schriftsatz vom 19.04.2018 lehnte sie den Vorsitzenden wegen Befangenheit ab. In ihrem Schriftsatz vom 20.04.2018 bezeichnet sie die Ausführungen der Klägerseite als „schlicht abwegig“ und führt aus, sie hielten „sogar einer Überprüfung durch einen halbwegs gebildeten juristischen Laien nicht stand“. Die Vorlage des Anlagenkonvoluts K 11 bezeichnet sie als „eine weitere arglistige Täuschung, mithin weiterer versuchter Prozeßbetrug“ (Bl. 244 d. A.). Die Klägervertreter seien tatsächlich nicht legitimiert.
Mit Beschluss vom 19.06.2018 wurde das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen (Bl. 260 d. A.). Auch die von der Beklagten erhobene sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss wurde mit Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 26.07.2018 zurückgewiesen (Az.: 332 T 62/18).
Mit den als Anlagen K 12 und K 13 vorgelegten Schreiben vom 23.05. und 04.06.2018 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit der Beklagten erneut fristlos und hilfsweise fristgemäß und erhob die nunmehr streitgegenständliche Räumungsklage. Sie stützt die Kündigung auf den ihr gegenüber erhobenen Vorwurf des „weiteren versuchten Prozessbetrugs“ und den gegenüber den Klägervertretern erhobenen Vorwurf der „Beihilfe“ hierzu und des von diesen ebenfalls begangenen Prozessbetrugs.
Nach einem von der Beklagten im Verfahren 332 T 62/18 am 27.02.2019 eingereichten Schriftsatz, für dessen Einzelheiten auf Bl. 466 ff. der Akte Bezug genommen wird, kündigte die Klägerin das Mietverhältnis mit Schreiben vom 19.03.2019 erneut fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 31.12.2019 (Anlage K 14, Bl. 488 d. A.). Zur Begründung führt sie aus, dass die Beklagte behauptet habe, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe „eine Lüge vorgetragen“ und werfe ihm eine „weitere arglistige Täuschung, weiteren versuchten Prozessbetrug“ vor und dies mehrfach. Zwischenzeitlich sind zahlreiche weitere „sofortigen Beschwerden“ und Befangenheitsanträge der Beklagten an Amts- und Landgericht zurückgewiesen und zuletzt als unzulässig verworfen worden.
Sie beantragt nunmehr, nachdem der ursprüngliche Rechtsstreit von ihr vollen Umfangs für erledigt erklärt worden ist, im Wege der Klagerweiterung erneut die Beklagte zu verurteilen, die Wohnung in dem Mehrfamilienhaus A. …, Erdgeschoss rechts, bestehend aus 2 Zimmern, Küche, Flur, Bad nebst WC, 1 Keller, 1 Balkon, nebst dazugehöriger Mansarde rechts vorn, … H., zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Die Beklagte ist trotz ordnungsgemäßer Ladung mit Zustellungsurkunde vom 18.06.2019 (Bl. 566 d. A.) zum Termin am 30.08.2019 nicht erschienen. Ihren Antrag auf Terminsverlegung vom 02.07.2019 hat das Gericht mit Beschluss vom 30.08.2019 abgelehnt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 27.08.2019, der per Fax am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, auf ihre bereits gestellten Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Bezug genommen und angekündigt, nicht zum Termin zu erscheinen. Sodann hat sie mit Schriftsatz vom 17.09.2019 (Bl. 606 ff. der Akte) „sofortige Beschwerde“ gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Terminsverlegung und auf Anberaumung des Verkündungstermins erhoben. Außerdem hat sie den Vorsitzenden mit ausführlicher Begründung, für deren Einzelheiten auf den Schriftsatz vom 17.09.2019 Bezug genommen wird, erneut wegen Befangenheit abgelehnt.
Sie widerspricht sowohl der fristlosen als auch der hilfsweisen fristgemäßen Kündigung und hält diese für unbegründet und formal mangelhaft.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist, soweit über sie nach Erlass des inzwischen rechtskräftigen Teil-Versäumnisurteils vom 16.04.2019 noch zu entscheiden war, unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung im A. …, … H., zu.
I. Das Gericht ist befugt, in der Sache zu entscheiden, da die weiteren Ablehnungsgesuche der Beklagten mit Schriftsätzen vom 27.08. und 17.09.2019 aus den bereits im Beschluss vom 05.04.2019 genannten Gründen (Bl. 504 d. A.) in entsprechender Anwendung von § 26a Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen sind. Sie wiederholen lediglich die bereits in den vorangegangenen Ablehnungsgesuchen (u.a. vom 20.04.2018 und 27.02.2019), über die bereits rechtskräftig entschieden worden ist, vorgebrachten Gründe. Dies führt zur Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs (vgl. Zöller-Vollkommer, 32. Auflage, 2018, § 42 Rdn 6a mit weiteren Nachweisen). Zudem sind die Ablehnungsgesuche rechtsmissbräuchlich, da sie, dies belegen sowohl die Kettenablehnungen am Amts- wie auch beim Landgericht, offensichtlich nur dazu dienen, das Verfahren zu verzögern (vgl. hierzu Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 42 Rdn 6 mit weiteren Nachweisen).
II. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von der Beklagten angemieteten Wohnung im Ahlfeld 2, 22415 Hamburg, zu, da die Kündigungen der Klägerin vom 23.05.2018, 04.06.2018 und 19.03.2019 das Mietverhältnis der Parteien nicht wirksam beendet haben. Insofern kann ein entsprechender Anspruch weder aus § 546 BGB noch aus § 985 BGB folgen.
Die genannten Kündigungen haben nicht zur Beendigung des Mietverhältnisses geführt, da weder ein Grund zur fristlosen Kündigung gem. §§ 543, 569 BGB gegeben ist noch das der Beklagten in den Kündigungsschreiben vorgeworfene Verhalten eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB rechtfertigt.
Die vorgenannten Kündigungen haben das Mietverhältnis nicht fristlos aus wichtigem Grund gem. § 543 Abs. 1 BGB beendet. Dies setzte voraus, dass es der Klägerin angesichts der Äußerungen der Beklagten in ihren Schriftsätzen im laufenden Verfahren unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien, und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Diese Voraussetzungen sind auch angesichts der sich im laufenden Verfahren ständig wiederholenden Vorwürfe der Beklagten in Richtung der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten nicht gegeben.
Mit dem OLG Brandenburg, Urteil vom 22.08.2012 – 3 U 67/11, ist davon auszugehen, dass Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung gegenüber dem Prozessgegner oder dessen Bevollmächtigten zugleich Vertragsverletzungen sein und unter Umständen ein Kündigungsrecht begründen können. Dem Prozessgegner „eine weitere arglistige Täuschung, mithin weiteren versuchten Prozessbetrug“ vorzuwerfen (u. a. mit Schriftsatz der Beklagten vom 19.04.2018 und in der Folge wiederholend) kann eine Äußerung mit ehrverletzendem Charakter sein. Bei Formulierungen in einem an das Gericht gerichteten Schriftsatz in einem laufenden Verfahren ist jedoch zu beachten, dass der Äußernde gem. § 193 StGB grundsätzlich im Rahmen der Wahrnehmung berechtigter Interessen handelt und somit in der Regel keine Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. OLG Brandenburg, a.a.O.; Schmidt-Futterer/Blank, § 543 Rdn 187). Es müsste dann ein Fall sog. „Schmähkritik“ vorliegen, was nur dann der Fall ist, wenn die Diffamierung der Personen im Vordergrund steht, ein Sachzusammenhang mit den rechtserheblichen Fragen also nicht mehr zu erkennen ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da die Beklagte ihren Vorwurf in den Sachzusammenhang mit der Rüge der fehlenden Bevollmächtigung stellt, auch wenn diese Rüge angesichts der vorgelegten Originalvollmacht der Klägervertreter nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar ist. Die Redundanz der gegenüber der Klägerseite und dem Gericht erhobenen Vorwürfe zeigt, dass die Intention der Äußerungen keineswegs eine persönliche Diffamierung der Verfahrensbeteiligten ist, sondern Teil einer Prozesstaktik, die auf Verzögerung des Verfahrens gerichtet ist. Jeder mit dem Verfahren befasste Richter wird unverzüglich von der Beklagten mit den immer gleichen Gründen abgelehnt und des Rechtsmissbrauchs und der arglistigen Täuschung bezichtigt. Dieses Vorgehen belegt, dass sich auch die Äußerungen gegenüber der Klägerseite und ihren Verfahrensbevollmächtigen nicht individuell gegen die jeweilige (juristische) Person richten.
Aus denselben Erwägungen führen auch die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen gem. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht zum Erfolg. Nach Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen führen die im Rahmen des Prozesses erhobenen Vorwürfe nicht zu einem berechtigten Interesse der Klägerseite an der Beendigung des Mietverhältnisses, auch wenn sie den Tatbestand einer schuldhaften Pflichtverletzung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB womöglich erfüllen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und bestimmt sich nach dem Maß des jeweiligen Unterliegens. Die Streitwerte der ursprünglich erhobenen Zahlungs- und Räumungsanträge waren um den erneut erhobenen nunmehr zu bescheidenden Räumungsantrag zu addieren. Dies ergibt angesichts der geschuldeten Nettokaltmiete in Höhe von € 440,18 einen Gesamtstreitwert von € 14207,30. Die Klägerin unterliegt in Höhe des nunmehr erfolglosen (weiteren) Räumungsantrages und daher mit einem Streitwert von € 5282,16, im Übrigen hat die Beklagte die Kosten zu tragen, soweit sie durch rechtskräftiges Teil-Versäumnisurteil verurteilt worden ist. Dies führt zu der tenorierten Kostenverteilung.
IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.