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Mietspiegel – Wie ist eine Wohnung einzuordnen?

AG Hamburg – Az.: 48 C 261/20 – Urteil vom 16.12.2021

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Kläger 8.634,64 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Teilbetrag von 6.095,04 Euro seit 20.11.2020 sowie auf den Teilbetrag von 2.539,60 Euro seit 22.7.2021 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von weiteren 729,23 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger 11 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 89 % zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Kläger begehren die Rückzahlung von entrichteten Mietteilbeträgen.

Die Kläger und die Beklagte zu 1) sind durch einen Wohnraummietvertrag über Wohnräume in der [###]straße in [###] Hamburg vom 27.3.2019 miteinander verbunden. Als Mietbeginn war der 1.4.2019 vereinbart.

Die Wohnungsgröße beträgt 71,21 m². Als Nettokaltmiete wurden im Mietvertrag 995 Euro vereinbart. Das Gebäude war 1968 bezugsfertig.

Die Beklagten zu 2) bis 4) sind Gesellschafter der Beklagten zu 1).

Mit am 6.12.2019 bei der von den Beklagten beauftragten Hausverwaltung eingegangenem Schreiben rügten die Kläger einen Verstoß gegen § 556d BGB und machten geltend, dass von ihnen lediglich eine um 10% erhöhte ortsübliche Vergleichsmiete, welche ausgehend vom Rasterfeld K3 des Hamburger Mietenspiegels 2019 6,22 Euro pro m² betrage, also eine Nettokaltmiete von 6,84 Euro pro m² zu zahlen sei.

Die Kläger haben zunächst Überzahlungsbeträge in Höhe von 6095,04 Euro nebst Rechtshängigkeitszinsen geltend gemacht. Mit am 21.7.2021 zugestelltem Schriftsatz haben sie die Klageforderung um weitere Überzahlungsbeträge erweitert.

Die Kläger beantragen zuletzt, die Beklagten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger 9650,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie weitere vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 794,92 Euro zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie tragen vor, die an die Kläger vermietete Wohnung habe sich schon seit Vertragsschluss und bis jetzt in einem Teilmarkt befunden, in dem kein angespannter Wohnungsmarkt vorliege. Die ortsübliche Vergleichsmiete sei auch bei Einschlägigkeit eines Rasterfeldes des Hamburger Mietenspiegels anhand von Vergleichsmieten zu bestimmen. Jedenfalls sei bei Neuvermietungen der für das Rasterfeld geltende maximale Oberwert der Spanne anzusetzen und um 10% zu erhöhen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 22.7.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage ist in tenoriertem Umfang begründet.

1. Das Gericht versteht den Klagantrag in Hinblick auf dessen zeitlichen Bezugsrahmen dahingehend, dass mit Klagerhebung überzahlte Beträge für die Monate Dezember 2019 bis einschließlich November 2020, also für zwölf Monate, geltend gemacht wurden (Seite 6 der Klage) und die Klagerweiterung den anschließenden Zeitraum bis einschließlich Mai 2021 umfassen soll (Seite 2 des Schriftsatzes der Kläger vom 14.7.2021), die Klage sich mithin insgesamt auf den Zeitraum Dezember 2019 bis einschließlich Mai 2021 bezieht. Darauf hat das Gericht mit Beschluss vom 24.9.2021 hingewiesen.

2. Der tenorierte Anspruch besteht gemäß § 556g Abs. 1 S. 3 BGB.

Danach hat der Vermieter dem Mieter zu viel gezahlte Miete nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung herauszugeben.

Die Kläger schuldeten ab Januar 2020 eine Nettokaltmiete in Höhe von monatlich 487,07 Euro. Sie haben mit der Entrichtung einer monatlichen Nettokaltmiete von 995 Euro monatlich einen Betrag von 507,92 Euro zu viel gezahlt. Der Überzahlungbetrag für 17 Monate von Januar 2020 bis einschließlich Mai 2021 beläuft sich auf die tenorierte Gesamtforderung.

a) Die zulässige Miethöhe bei Mietbeginn richtet sich für das streitgegenständliche Mietverhältnis nach § 556d Abs. 1 BGB und beträgt in Bezug auf die Nettokaltmiete 487,07 Euro.

Dies entspricht dem um 10% erhöhten ortsüblichen Vergleichsmietenbetrages nach dem einschlägigen Rasterfeld K3 des Hamburger Mietenspiegels 2019, welcher einen Mittelwert von 6,22 Euro bei einer Gesamtspanne von 5,41 Euro bis 6,90 Euro aufweist.

b) § 556d Abs. 1 BGB ist anwendbar. Der vermietete Wohnraum liegt in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt, wie dies die Mietpreisbegrenzungsverordnungen vom 3.7.2018 (HmbGVBl. 2018, 225) und vom 23.6.2020 (HmbGVBl. 2020, 341) auf Grundlage von § 556d Abs. 2 BGB bestimmen. Hinsichtlich der Wirksamkeit dieser Verordnungen bestehen keine Bedenken. Die Verordnungen differenzieren nicht nach Teilmärkten, sondern weisen das gesamte Stadtgebiet als angespannten Wohnungsmarkt aus. Die Verordnungen halten sich auch ohne Ausweisung von Teilmärkten auf verhältnismäßige Weise innerhalb der Ermächtigung.

c) Für die danach hinsichtlich der Miethöhe begrenzend maßgebliche ortsübliche Vergleichsmiete nach § 558 Abs. 2 BGB ist auf die Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 BGB zurückzugreifen. Danach ist von den im Hamburger Mietenspiegel 2019, einem qualifizierten Mietenspiegel, enthaltenen Werten auszugehen, die gemäß § 292 ZPO grundsätzlich durch Beweis des Gegenteils widerleglich sind.

Die Vermutungswirkung des § 558d Abs. 3 BGB bezüglich der im Hamburger Mietenspiegel ausgewiesenen ortsüblichen Vergleichsmieten greift auch im Rahmen des § 556d BGB (Schmidt-Futterer, 14. Aufl., § 556d Rn. 49). Die Schutzzwecke beider Normenkomplexe weisen in dieselbe Richtung. Der Gesetzgeber verwendet denselben Rechtsbegriff und bezieht sich in § 556d Abs. 1 BGB ausdrücklich auf das Begriffsverständnis des § 558 Abs. 2 BGB. Ortsübliche Vergleichsmieten als Bezugsgröße für die zulässige Miethöhe im Sinne des § 556d BGB anders zu bestimmen als bei Mieterhöhungsverlangen liefe dem zuwider. Ein uneinheitliches Begriffsverständnis fände im Gesetz keinen Halt.

d) Auszugehen ist demnach vom Mittelwert (6,22 Euro pro m²) des zwischen den Parteien jedenfalls hinsichtlich Lage, Baualtersklasse, Größe und Ausstattungsmerkmalen unstreitig einschlägigen Rasterfeldes K3 des Hamburger Mietenspiegels.

Hingegen ist nicht vom maximalen Oberwert der Spanne, hier von 6,90 Euro, auszugehen.

Bei der näheren Bestimmung des Wertes innerhalb der vom Hamburger Mietenspiegel durch Angabe von Unter-, Mittel- und Oberwert vorgesehen Spanne sind die zu § 558d Abs. 3 BGB entwickelten Beweislastgrundsätze ebenfalls einheitlich zu übertragen. Das bedeutet, dass in Abwesenheit wohnwerterhöhender bzw. wohnwertmindernder Faktoren der Mittelwert anzusetzen ist. Wohnwerterhöhende Faktoren sind indes nicht vorgetragen.

Allerdings ist zutreffend, dass die Vermutung sich grundsätzlich auf eine Preisspanne ortsüblicher Vergleichsmieten beziehen kann, sofern der anwendbare qualifizierte Mietenspiegel eine solche Spanne vorgibt. Letztlich kommt es jedoch auf einen Punktwert innerhalb dieser Spanne an. Wie dieser Punktwert zu bestimmen ist, unterliegt richterlicher Einschätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO (Schmidt-Futterer, 14. Aufl., § 556d Rn. 50). Der Mietenspiegel selbst gibt Orientierungsleitlinien für diese Ermessensausübung vor, freilich ohne diese schematisch zu determinieren. Insofern umfasst die Vermutungswirkung des Gesetzes auch die Anwendungshinweise des Mietenspiegels, welche Ermessensleitlinien für das Gericht darstellen. Die im Mietenspiegel enthaltenen Werte sind regelmäßig auf eine Weise zu konkretisieren, die im Einklang mit den im Mietenspiegel enthaltenen Erörterungen steht. Mit einer bloßen Spanne wäre dem Rechtsanwender schließlich nicht geholfen und die Vermutungswirkung könnte ihren Zweck nicht vollständig erfüllen.

Allerdings ist auch bei Neuvermietungen keineswegs pauschal vom Maximalwert der Spanne auszugehen. Wie eine konkrete Wohnung innerhalb der angegebenen Spanne einzuordnen ist, hängt vielmehr davon ab, inwieweit sie sich hinsichtlich bestimmter Kriterien von einer normalen Wohnung mit Standardausstattung qualitativ absetzt (vgl. Erläuterungen zum Hamburger Mietspiegel, Ziffer 6). In Abwesenheit solcher Kriterien greift der Mittelwert. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um eine Neuvermietung oder um ein Erhöhungsverlangen handelt. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass neu vermietete Wohnungen regelmäßig einen überdurchschnittlichen Wohnwert aufweisen. Des Weiteren ist es methodisch zweifelhaft und ohne gesetzliche Stütze, bei Neuvermietungen davon auszugehen, dass der Mieter den maximalen Oberwert mit Vertragsschluss „akzeptiere“. Auch die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass die einschlägige ortsübliche Vergleichsmiete im Sinne eines letztlich anzuwendenden Einzelwertes bei innerhalb eines Mietenspiegels vorgesehenen Spannen durch Zu- und Abschläge zu ermitteln ist (BT-Drs. 18/3121, Seite 32), also nicht pauschal vom Maximalwert ausgegangen werden kann.

Anders mag dies sein, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete nicht auf Basis der Vermutungswirkung eines qualifizierten Mietenspiegels, sondern auf andere Weise, etwa anhand von Vergleichsmieten, bestimmt wird, und dies eine ortsübliche Vergleichsmiete für das konkret in Streit stehende Mietverhältnis in Form einer (eher engen) Spanne ergibt, wie dies etwa bei Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete für ein bestimmtes Objekt durch Sachverständigengutachten regelmäßig der Fall ist. Dann bezieht sich die ermittelte Spanne bereits auf das konkrete Mietobjekt und hat der Vermieter daher in der Tat einen Anspruch auf den Maximalwert der konkret ermittelten Spanne, weil dieser (noch) Teil der ortsüblichen Vergleichsmiete ist, die der Vermieter berechtigterweise verlangen kann. Anders als in vorbezeichneten Konstellationen weist der Hamburger Mietenspiegel indes keinen konkreten Objektbezug auf, sondern enthält Spannen ortsüblicher Vergleichsmieten in Bezug auf allgemeine Merkmale wie Lage, Baualtersklasse und Größe, sodass innerhalb dieser (eher weiten) Spanne durch Abwägung wohnwerterhöhender und wohnwertmindernder Faktoren ein Einzelwert herauszubilden ist.

Den Ansatz eines Stichtagszuschlags wegen eines für 2021 zu erwartenden Mietenspiegels mit dem Erhebungsstichtag im April 2021 hält das Gericht nicht für angebracht, weil der Beginn des streitgegenständlichen Mietverhältnisses im April 2019 lag.

e) Dem Ansinnen der Beklagten, die ortsübliche Vergleichsmiete nicht anhand des Hamburger Mietenspiegels, sondern anhand von Vergleichsmieten aus dem Bestand bzw. durch Sachverständigenbeweis zu bestimmen, war nicht nachzugehen.

Die Beklagten sind der Vermutungswirkung des Mietenspiegels nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

Gemäß § 558d Abs. 1, 2 BGB basiert ein qualifizierter Mietenspiegel auf anerkannter wissenschaftlicher Methodik und aktueller, breiter Datenbasis. Ihm kommt nach dem Gesetz die Qualität eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, was seine Vermutungswirkung gemäß § 292 ZPO rechtfertigt.

Soll das Eingreifen jener Vermutungswirkung in Frage gestellt und einem angebotenen Beweis des Gegenteils nachgegangen werden, so ist zunächst qualifiziert und im Einzelnen vorzutragen, dass und inwiefern der Hamburger Mietenspiegel die Bahnen wissenschaftlich anerkannter Grundsätze verlässt – dies vor dem Hintergrund, dass die Hamburger Rechtsprechung diesen Mietenspiegel durchgehend zugrundelegt.

3. Die Beklagten zu 2) bis 4) haften neben der beklagten Gesellschaft als Vermietern wie Gesamtschuldner (§ 128 S. 1 HGB analog).

4. Ein Erstattungsanspruch steht den Klägern nur für die nach Zugang ihrer Rüge fällig gewordenen Überzahlungen ab Januar 2020 zu. Für einen Zugang vor dem 6.12.19 sind die Kläger beweisfällig geblieben. Dem Rechtsstreit ist § 556g Abs. 2 BGB in der bis zum 31.3.2020 geltenden Fassung zugrunde zu legen (Art. 229 § 51 EGBGB).

II.

Die Nebenforderungen ergeben sich aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288, 291 BGB.

Die Beklagte zu 1) befand sich nach der ihr zugegangenen Rüge und nachfolgender Mahnung durch den Mieterverein vom 21.2.2020 zum Zeitpunkt des vorgerichtlichen Tätigwerdens des Bevollmächtigten der Kläger in Verzug.

Die geltend gemachte vorgerichtliche Anwaltsgebühr ist nur zu einem Gegenstandswert von bis 8000 Euro berechtigt. Mit der vorgerichtlichen Tätigkeit machte der Bevollmächtigte berechtigterweise Rückforderungen für drei überzahlte Monatsbeträge (1523,76 Euro) geltend sowie Feststellung, welche mit dem Zwölffachen eines Monatsbetrags (6095,04 Euro) anzusetzen sind.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

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