LG Berlin, Az.: 63 S 203/14
Beschluss vom 24.10.2014
Wohnraummiete: Einstweilige Verfügung auf; Darlegungs- und Beweislast des Vermieters für Unerheblichkeit der Einwirkung
In dem Rechtsstreit haben die Verfügungskläger die Kosten des Rechtsstreits bei einem Wert von 2.600,00 EUR zu tragen.
Gründe
Nachdem auf Antrag der Verfügungskläger das Amtsgericht am 27.03.2014 eine einstweilige Verfügung erlassen hat, mit der dem Verfügungsbeklagten untersagt worden war, die durch die Nutzung eines hofseitig aufgestellten Gerüsts entstehende Zuführung von Geräuschen, Erschütterungen, Staub und anderen Immissionen in die im I. OG gelegene Wohnung der Verfügungskläger zu unterlassen und aufgegeben worden ist, das Baugerüst zu entfernen, die es auf seinen Widerspruch hin mit dem angefochtenen Urteil vom 28.05.2014 aufrechterhalten hat, hat der Verfügungskläger hiergegen Berufung eingelegt, mit der er unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung die Aufhebung der einstweiligen Verfügung und Abweisung des zugrunde liegenden Antrags begehrt hat.
Infolge des im September 2014 erfolgten Abbaus des Gerüsts im Bereich der streitgegenständlichen Wohnung haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Nunmehr war gem. § 91 a Abs. 1 ZPO über die Kosten des Rechtsstreits nach billigem Ermessen und unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung geht zu Lasten der Verfügungskläger, weil der Verfügungsbeklagte voraussichtlich in der Berufung obsiegt hätte.
Hierbei kann dahin stehen, ob die mithilfe des Gerüsts durchgeführten Arbeiten im Dachgeschossbereich des Hauses mit Schreiben vom 17.02.2014 angekündigten Modernisierungsarbeiten i.S.v. § 555 b BGB oder mit Schreiben vom 20.03.2014 mitgeteilten Instandsetzungsarbeiten i.S.v. § 555 a BGB waren, zumal durch Rücknahme der Berufung bei dem Landgericht Berlin zum Az. 63 S 336/14 durch Urteil des Amtsgerichts Schöneberg vom 03.09.2014 – 12 C 193/14 nunmehr feststeht, dass die Modernisierungsankündigung vom 17.02.2014 unwirksam ist.
Denn ein Verfügungsanspruch hätte sich in keinem Fall aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB ergeben, weil die Verfügungskläger in ihrem Besitz nicht widerrechtlich gestört waren.
Der in jeder Hinsicht geschützte Besitz des Mieters i.S. v. § 854 BGB beschränkt sich vor allem auf die ihm zur alleinigen Nutzung überlassenen Gebäudeteile und damit im Wesentlichen auf die Wohnung und deren Zugang, Kellerräume und sonstige etwa zur Mietsache zugehörige Räumlichkeiten, er erstreckt sich indes nicht ohne weiteres auf mit nutzbare Gemeinschaftsflächen, wie das Treppenhaus, den allen Mietern zugänglichen Garten oder die Außenfassade, weil dem Mieter insoweit keine uneingeschränkte Sachherrschaft möglich ist und auch mietvertraglich nicht übertragen wird (vgl. KG Berlin v. 20.08.2012 – 8 U 168/12, GE 2012, 1561). Zwar ist der Besitzschutz nicht ausschließlich auf Arbeiten in den Wohnräumen des Mieters beschränkt, sondern bezieht sich grundsätzlich auf alle Maßnahmen, die den Mietgebrauch beeinträchtigen (vgl. Lehmann-Richter, NZM 2011, 572 m.w.N.). Davon unabhängig ist der Mieter nicht schutzlos gegenüber etwaigen Beeinträchtigungen des Gebrauchs der Wohnung: Das rein schuldrechtliche Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter gebietet nämlich die Gewährung und Aufrechterhaltung des vertragsmäßigen Zustands der Mietsache für die Dauer der Mietzeit (§ 535 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB). Dieser Zustand kann z.B. während der Durchführung der Arbeiten durch eine Verschattung der Räume aufgrund des Gerüsts sowie Lärmbeeinträchtigungen und andere Unannehmlichkeiten durchaus beeinträchtigt sein, hieraus folgen für den Mieter jedoch ausschließlich mietrechtliche Gewährleistungsansprüche (§§ 536 ff. BGB), die – weil in ihrer Durchsetzung weder gefährdet noch erschwert – nicht im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens zu sichern sind (LG Berlin v. 26.02.2013 a.a.O.; Eisenschmid a.a.O. § 555 a Rn 8)., zumal sich nicht jeder Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 BGB zugleich als Besitzstörung i.S. v. §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB darstellt.
Die widerrechtliche Besitzbeeinträchtigung muss sich allerdings direkt auf den geschützten alleinigen Besitz beziehen und unmittelbar auf ihn einwirken, was z.B. durch das Eindringen von Immissionen in die Wohnung denkbar ist und darf nicht unerheblich sein (so wohl auch: LG Berlin v. 13.05.2014 – 67 S 105/14, GE 2014, 1138 ; a.A.: Eisenschmid in Schmidt-Futterer, 11. Aufl. 2013, § 555 d Rn 87, der auch mittelbare Einwirkungen für ausreichend erachtet).
Soweit Einigkeit darüber besteht, dass hierbei die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung der Darlegungs- und Beweislast des Störers unterfällt (BGH, Urt. v. 16. Oktober 1970 – V ZR 10/68, WM 1970, 1460), mithin Unsicherheiten bei der Beurteilung der Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der Störung zu Lasten des Störers gehen (BGH, Urt. v. 8. Oktober 2004 – V ZR 85/04, NVwZ 2005, 116, auch: LG Berlin v. 13.05.2014 a.a.O), beruht dies auf der Anwendung des Rechtsgedankens des unmittelbar nur zwischen Eigentümern geltenden § 906 BGB auch auf das Verhältnis zwischen Eigentümer und Mieter als Besitzer (LG Berlin v. 26.02.2013 – 63 S 429/12, MDR 2013, 643).
Vorliegend lässt indes bereits das Vorbringen der Verfügungskläger selbst keine die Grenze der Erheblichkeit erreichenden Beeinträchtigungen erkennen:
– Soweit Geräuschbelästigungen durch Hämmern, Klopfen, Bohren auf dem Dachboden und den Transport von Baumaterial über einen Lastenaufzug, lautstarke Unterhaltungen von Bauarbeitern und Sägegeräusche durch Arbeiten auf dem Innenhof geltend gemacht werden, ist dem Vortrag der Verfügungskläger keinerlei Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass es sich hierbei um eine intensivere Belästigung handelt, als wenn aufgrund sonstiger Umstände – etwa Straßenbauarbeiten, Arbeiten auf dem Nachbargrundstück, Arbeiten in den Nachbarwohnungen – vorübergehende Störungen von außen einträten.
– Die pauschal vorgetragenen Sichtbeeinträchtigungen und Verdunkelungen sowie Baustaub auf den Fensterbänken durch das Gerüst stellen ebenso wie eine erhöhte Einbruchsgefahr und die hierdurch reklamierte psychische Belastung der Verfügungskläger keinen seiner Intensität nach konkretisierten Eingriff in die ungestörte Ausübung des Besitzes dar.
– Sofern es sich bei den stattgefundenen Arbeiten im Dachgeschoß mithin um Instandhaltungsarbeiten i.S.v. § 555 a BGB gehandelt haben sollte, so zählen zu diesen nicht nur die reinen Baumaßnahmen, die unmittelbar dem angestrebten Erfolg dienen. Auch vorbereitende Arbeiten, wie z. B. das Aufstellen von Gerüsten an der Außenfront, sind i.R.d. § 555 a BGB – wie auch die mit den Baumaßnahmen verbundenen Immissionen, also die Belästigungen durch Lärm, Erschütterungen und Schmutz – hinzunehmen (Eisenschmid in Schmitt-Futterer, 11. Aufl. 2013, § 555 a Rn 7 und 21 m.w.N.).
Soweit mit Schreiben vom 20.03.2014 der Beginn der Maßnahmen für den 24.03.2014 angekündigt worden war, dürfte diese Frist zum einen bereits deshalb ausreichen, weil sowohl die Ankündigungspflicht selbst als auch die Angemessenheit der Frist u.a. davon abhängen, ob die Wohnung des Mieters betreten werden muss und welche sonstigen Auswirkungen auf diese mit den Arbeiten zusammenhängen (Eisenschmid a.a.O. Rn 38), weswegen sie hier die erforderliche Dauer nicht unterschritten hätte; zum anderen hätte sie sich ansonsten entsprechend verlängert, was ohne Auswirkungen auf den hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt betreffend den hypothetischen Erfolg der einstweiligen Verfügung bleibt.
– Hätte es sich jedoch um Modernisierungsarbeiten i.S.v. § 555 b BGB gehandelt, die im Dachgeschoß vorbereitet wurden, so hätte es für die Annahme einer Besitzstörung Anhaltspunkte dafür geben müssen, dass die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte – wie z. B. in der TA Lärm – überschritten oder gegen Maßstäbe aus Verordnungen aufgrund § 48 BImSchG verstoßen würde. Das wird von den Verfügungsklägern weder behauptet und ergibt sich auch aus ihren Beschreibungen der Belästigungen nicht. Danach ist also – auch unter Zugrundelegung einer den Verfügungsbeklagten treffenden Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Normen und Richtlinien – unstreitig von keinem Verstoß auszugehen.
Soweit mithin die Ausführung unter Einhaltung aller öffentlich-rechtlichen und technischen Regeln und Gesetze erfolgt, mangelt es an einer widerrechtlichen Störung des dem Mieter überlassenen und geschützten Besitzes an seiner Wohnung und stellen sich die Eingriffe des Eigentümers an seinem Eigentum als zulässige Handlungen dar, ohne dass es darauf ankommt, ob ein materiell-rechtlicher Duldungsanspruch besteht (LG Berlin v. 26.02.2013 a.a.O.).