AG Hamburg – Az.: 48 C 305/21 – Urteil vom 29.04.2022
1. Das Versäumnisurteil vom 30.12.2021 wird mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin € 783,33 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 18.01.2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 78,33 % und die Klägerin 21,67 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der Gegnerpartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenerpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Beschluss
4. Der Streitwert wird auf € 1.000,00 festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Rückzahlung der Kaution nach Rückgabe einer Kleingartenparzelle.
Die Beklagte ist Pächterin einer mit einer Holzhütte bebauten Kleingartenzelle des Kleingartenvereins […].
Die Parteien schlossen am 11. September 2021 eine „Private Vereinbarung“ zur Überlassung der Parzelle vom 11. September 2021 bis zum 31. Dezember 2021 an die Klägerin zur alleinigen Nutzung gegen Zahlung von „monatlich 500 €“. In der Vereinbarung heißt es weiter auszugsweise: „Der Aufenthalt kann in Abstimmung […] auf unbestimmte Zeit verlängert werden.“
Die Klägerin leistete vereinbarungsgemäß eine Kaution in Höhe von € 1.000,00. Weitere Zahlungen leistete sie nicht.
Am 24. September 2021 fand ein Telefonat zwischen der Klägerin und dem 1. Vorsitzenden des Kleingartenvereins […] statt. Am 29. September 2021 fand im Vereinshaus ein Gespräch zwischen der Klägerin und dem Vorstand des Kleingartenvereins statt.
Am 04. Oktober 2021 erklärte die Klägerin per Email an die Beklagte die Kündigung des Unterpachtvertrages und dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Sie forderte die Beklagte zur Rückzahlung der Kaution auf. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26. Oktober 2021 ließ die Klägerin nochmals eine Zahlungsaufforderung an die Beklagte richten.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2022 ließ die Beklagte die Aufrechnung gegen die Kautionsforderung mit Entgeltforderungen für die Überlassung in Höhe von jeweils € 500,00 für die Monate September und Oktober 2021 erklären.
Die Klägerin behauptet, sie sei gar nicht erst in das Objekt eingezogen. Bereits im Zuge des Telefonats am 24. September 2021 sei ihr gegenüber ein Betretungsverbot für die Pachtzelle ausgesprochen worden, welches anlässlich der Unterredung im Vereinshaus am 29. September 2021 nochmals bekräftigt worden sei. Der Beklagten sei es aufgrund ihres Pachtvertrages mit dem Verein verboten gewesen, die Parzelle unterzuverpachten. Dies sei der Beklagten bereits bei Abschluss des Unterpachtvertrages bekannt gewesen, worüber sie jedoch nicht aufgeklärt habe. Es habe eine Nebenabrede bestanden, wonach für den September kein Entgelt geschuldet sein sollte.
Gegen die Beklagte ist am 30. Dezember 2021 ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren ergangen. Darin ist die Beklagte zur Rückzahlung nebst Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verurteilt worden. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 06. Januar 2022 Einspruch eingelegt.
Die Klägerin beantragt, das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten.
Die Beklagte beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, die mit der Klägerin getroffene Vereinbarung über die Nutzungsüberlassung sei mit dem Vereinsvorstand besprochen und von diesem genehmigt gewesen. Es sei den Beteiligten klar gewesen, dass die in Streit stehende, zunächst zeitlich begrenzte Überlassung an die Klägerin beabsichtigt ist. Ein möglicherweise ausgesprochenes Betretungsverbot sei unberechtigt und unbeachtlich, jedenfalls nicht auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen gewesen. Es habe eine Nebenabrede mit der Klägerin bestanden, wonach das Entgelt durch Ableistung von Arbeiten auf der Pachtzelle abgegolten sein sollte.
Entscheidungsgründe
Der gemäß §§ 338-340 ZPO zulässige Einspruch mit Wirkung nach § 342 ZPO hat in der Sache teilweise Erfolg.
Die zulässige Klage ist in tenoriertem Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
1. Der nach (konkludenter) Abrechnung mit Schriftsatz vom 17. Januar 2022 fällig gewordene Anspruch auf Kautionsrückzahlung ist in Höhe von € 216,67 durch Aufrechnung nach §§ 388 S. 1, 389 BGB erloschen.
a) Der Beklagten steht für den Zeitraum 11. September 2021 bis einschließlich 23. September 2021, also für 13 Tage, ein Entgelt (§ 535 Abs. 2 BGB) für die Überlassung der Kleingartenparzelle in Höhe von 43,33 % (= 13/30 Tage) des vereinbarten monatlichen Entgelts von € 500,00, mithin in Höhe von € 216,67, zu.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Vertrag über die entgeltliche Nutzungsüberlassung ist nicht gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1, 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB wegen Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen.
Eine für die Annahme von Arglist erforderliche Kenntnis der Beklagten davon, dass ihr die Überlassung der Pachtzelle an die Klägerin zu den vereinbarten Bedingungen aufgrund ihres Pachtvertrages mit dem Kleingartenverein untersagt war, steht nicht zur Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO fest.
Insbesondere lassen die Angaben des Zeugen […] nach Würdigung durch das Gericht keinen Schluss auf das Vorliegen dieser inneren Tatsache zu. […]
Soweit die Klägerin behauptet hat, sie habe zu keinem Zeitpunkt die Pachtzelle in Besitz genommen, ist dies unerheblich. Die Beklagte schuldete gemäß § 535 Abs. 1 S. 1 BGB nur die Gewährung der Gebrauchsmöglichkeit. Ob ein Gebrauch tatsächlich stattfindet, bleibt ohne Auswirkung auf Entstehung und Fälligkeit des Überlassungsentgelts.
Die Klägerin ist für ihre Behauptung, für den September 2021 sei nach einer Nebenabrede kein Entgelt geschuldet gewesen, beweisfällig geblieben. Nach dem Vertragsdokument ist eine monatliche Zahlung von € 500 geschuldet, ohne dass der September ausgenommen ist. Es greifen insoweit die Grundsätze der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit von Vertragsurkunden.
Für die über ein Rechtsgeschäft aufgenommenen Urkunden besteht die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit (BGH, Urteil vom 10. Juni 2016 – V ZR 295/14 mit Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 05. Juli 2002 – V ZR 143/01); es wird also vermutet, dass das, was im beurkundeten Text steht, der Vereinbarung entspricht und nur das vereinbart ist. Die Partei, die sich auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände – sei es zum Nachweis eines vom Urkundstext abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus der Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) – beruft, trifft die Beweislast für deren Vorliegen (BGH, Urteil vom 05. Juli 2002 – V ZR 143/01 – juris Rn. 7). Diese Grundsätze gelten nicht nur bei formbedürftigen Rechtsgeschäften, sondern auch dann, wenn die Parteien zu Beweiszwecken ein nicht formbedürftiges Rechtsgeschäft urkundlich fixieren (Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 125 Rn. 21; Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2021, § 125 Rn. 41; OLG Köln, Urteil vom 19. Dezember 1997 – 19 U 142/97).
Auf Basis der vorbeschriebenen Grundsätze ist nach Auslegung (§§ 133, 157 BGB) des im Vertragsdokument niedergelegten übereinstimmenden Parteiwillens nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte allerdings anzunehmen, dass die Klägerin für den Monat September nicht das volle Entgelt von € 500,00, sondern nur einen auf die restlichen Tage des Monats entfallenden Anteil davon schulden sollte.
Vereinbaren die Parteien eines Miet- oder Pachtvertrages ein nach Zeitabschnitten bemessenes Entgelt (hier: monatlich) und beginnt das Vertragsverhältnis inmitten eines laufenden Zeitabschnitts (hier: 11. Kalendertag des Monats), so ist anzunehmen, dass für den laufenden Zeitabschnitt ein nach der noch übrigen Zeit anteilig bemessenes Entgelt geschuldet ist, sofern die sonstigen Absprachen und Umstände keine andere Deutung gebieten.
Jedes andere Verständnis entbehrte jeglicher Grundlage und entspräche nicht dem billigerweise anzunehmenden Willen der Parteien. Ein Grund, weshalb für den September, nachdem schon 10 Tage verstrichen waren, das volle Entgelt zu zahlen gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich. Ein solches Verständnis widerspräche vielmehr der allgemeinen Verkehrssitte, wonach bei Mietbeginn etwa zur Monatsmitte regelmäßig die Zahlung der halben Miete vereinbart wird.
b) Beginnend ab dem 24. September 2021 war die Zahlungspflicht der Klägerin um 100 % gemindert.
Dies folgt aus §§ 536 Abs. 3, Abs. 1 S. 1 BGB. Der vertragsgemäße Gebrauch der Pachtzelle war durch das Recht des Hauptverpächters, namentlich des Kleingartenvereins, vertreten durch den Vorstand, die weitere Nutzung durch die Klägerin zu untersagen, vollständig aufgehoben.
Im Falle einer subjektiven rechtlichen Unmöglichkeit der Gebrauchsüberlassung wegen entgegenstehender Rechte Dritter ist ab tatsächlicher Gebrauchsüberlassung die Vorschrift des § 536 Abs. 3 BGB speziell gegenüber allgemeinen Vorschriften, insbesondere gegenüber den §§ 275, 326, 119 BGB.
Ein Rechtsmangel ist anzunehmen, wenn das Recht eines Dritten einem vertragsgemäßen Gebrauch der Sache entgegensteht und dieses Recht in einer Weise geltend gemacht wird, dass es sich einschränkend auf die Möglichkeit tatsächlichen Gebrauchs auswirkt, wobei die Androhung von Besitzentziehungsmaßnahmen ausreicht (BGH, Beschluss vom 29. November 2006 – XII ZR 175/04 –, juris Rn. 4; BGH, Urteil vom 18. Januar 1995 – XII ZR 30/93 –, juris Rn. 12; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl, § 536 Rn. 292).
Folgendes steht zur Überzeugung des Gerichts gemäß § 286 ZPO fest:
Es war der Beklagten aufgrund des § 1 ihres Pachtvertrages mit dem Verein verboten, die Pachtzelle im Rahmen der geschlossenen Vereinbarung an die Klägerin zu überlassen. Es war der Beklagten nicht vom Verein gestattet, die Pachtzelle an die Klägerin zu überlassen. Der Verein, vertreten durch den 1. Vorsitzenden […], sprach der Klägerin gegenüber am 24. September 2021 aus, dass die Gebrauchsüberlassung an die Klägerin unbefugt geschehen sei und die Klägerin die Nutzung der Pachtzelle zu unterlassen habe.
[…]
2.a) Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten stehen der Klägerin nicht zu.
Mag die unbefugte Gebrauchsüberlassung an die Klägerin auch eine Pflichtverletzung im Sinne des § 280 Abs. 1 BGB gegenüber dieser darstellen, ließ diese den Bestand des Vertragsverhältnisses und damit auch den Rechtsgrund für die Kaution als solchen unberührt. Die Klägerin war danach nicht berechtigt, bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 16. Oktober 2021 die Rückzahlung der Kaution zu fordern.
b) Zinsen auf die restliche Kaution stehen der Klägerin in Form von Prozesszinsen nach § 291 BGB nur in zugesprochenem Umfang zu.
Die Verzinsung beginnt, wenn die Fälligkeit der Forderung nach Rechtshängigkeit eintritt, erst mit Fälligkeit der Geldschuld, hier am Folgetag nach der (konkludenten) schriftsätzlichen Abrechnung der Beklagten über die Kaution durch Aufrechnungserklärung.