LG Berlin – Az.: 67 S 109/19 – Urteil vom 22.08.2019
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19. März 2019 verkündete Urteil des Amtsgerichts Spandau – 5 C 25/19 – abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Tatbestand entfällt gemäß §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2 ZPO.
II.
Die Berufung ist begründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß §§ 985, 546 Abs.1 BGB nicht zu, da die ordentliche Kündigung vom 3. April 2018 das Mietverhältnis nicht gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB beendet hat.
Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. An diesen Voraussetzungen fehlt es.
Es kann insoweit dahinstehen, ob der Beklagten eine schuldhafte Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Duldung der Beseitigung der Folgen zweier – unstreitig nicht von ihr zu verantwortender – Wassereinbrüche im Keller der Mietsache zur Last fällt. Denn die Weigerung des Mieters zur Duldung von Instandsetzungsmaßnahmen ist nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des BGH zwar auch ohne vorherige Erwirkung eines Duldungstitels durch den Vermieter grundsätzlich geeignet, eine Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil v. 15. April 2015 – VIII ZR 281/13, NJW 2015, 2417, beckonline Tz. 20). Für die Beurteilung der Erheblichkeit der Pflichtverletzung ist jedoch insoweit – wie bei jeder anderen verhaltensbedingten Kündigung auch – stets die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erforderlich (vgl. BGH, a.a.O., Tz. 32). Dazu zählen die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses, das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr und der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens. Daneben können besondere persönlichen Umstände des Mieters oder ein pflichtwidriges (Vor-)Verhalten des Vermieters zusätzliche Berücksichtigung finden (st. Rspr. der Kammer, vgl. nur Urt. v. 16. Juni 2016 – 67 S 125/16, NZM 2017, 361, juris Tz. 18).
Gemessen an diesen Grundsätzen waren die der Beklagten zur Last gelegten Pflichtverletzungen noch nicht hinreichend erheblich, um eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zu rechtfertigen:
Zugunsten der Beklagten streitet dabei nicht nur das über mittlerweile knapp 36 Jahre ohne grundlegende Beanstandungen geführte Mietverhältnis. Es kommt entscheidend hinzu, dass die Beklagte die Durchführung von Mangelbeseitigungsmaßnahmen nicht grundsätzlich verweigert, sondern den Klägern und deren Sohn mehrfach – zum Teil in Anwesenheit von Handwerkern – den Zutritt zur Mietsache gewährt hat. Die Beseitigungsbemühungen der Kläger waren zudem weder besonders dringlich noch kostenintensiv. Der Eintritt erheblicher wirtschaftlicher Schäden oder sonstiger Unannehmlichkeiten war mit ihrem zeitweisen Aufschub ebenfalls nicht verbunden, zumal sie mit dem zur Wohnung gehörigen Keller lediglich einen Nebenraum der Mietsache betrafen. Davon ausgehend fallen auch die – nach Auffassung der Kläger – unterlassenen oder unzureichenden Mängelbeseitigungsmaßnahmen durch die Beklagte selbst nicht hinreichend ins Gewicht.
Dass die Beklagte die von den Klägern beabsichtigten Maßnahmen als zur dauerhaften Mangelbeseitigung ungeeignet bezeichnet hat, stellt ebenfalls keine hinreichend erhebliche Pflichtverletzung dar. Denn auch damit hat sie nicht die Mangelbeseitigung selbst ernsthaft und endgültig verweigert, sondern lediglich die Geeignetheit der ergriffenen Maßnahmen in Zweifel gezogen. Das rechtfertigt die Beendigung des Mietverhältnisses nicht, erst recht nicht vor dem Hintergrund, dass es sich bei den Klägern um die Eltern der Beklagten handelt. Fallen dem Mieter Pflichtverletzungen zur Last, die darin begründet sind, dass er sich dem Vermieter gegenüber sachlich unzutreffend oder herabsetzend geäußert hat, wiegen diese bei enger familiärer Verbundenheit zwischen Vermieter und Mieter weniger schwer als in den Fällen, in denen keine besondere persönliche Beziehung zwischen den Mietvertragsparteien besteht. Diese Wertung entspricht dem Grundsatz, dass im engsten Familienkreis jedem ein persönlicher Freiraum gewährt werden soll, in dem er sich selbst überlassen ist und sich mit seinen engsten Verwandten ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen frei aussprechen und seine Emotionen frei ausdrücken, geheime Wünsche oder Ängste offenbaren und das eigene Urteil über Verhältnisse oder Personen freimütig kundgeben kann, ohne eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen. Das gilt sowohl für die Sache als auch für die Form der Darstellung (vgl. BGH, Urt. v. 20. Dezember 1983 – VI ZR 94/82, NJW 1984, 1104, juris Tz. 21 f.; OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 17. Januar 2019 – 16 W 54/18, MMR 2019, 381, beckonline Tz. 18 m.w.N.). Gemessen daran müssen die Kläger die Äußerungen ihrer Tochter zur Mängelursache und zur geboten Art und Weise ihrer erfolgreichen Beseitigung hinnehmen, ohne zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt zu sein, selbst wenn diese Äußerungen in der Sache nicht zutreffend oder gar persönlich herabsetzend gewesen sein sollten. Dasselbe gilt für die Äußerungen der Beklagten gegenüber dem Bauamt, dem Gesundheitsamt und den von den Klägern hinzugezogenen Handwerkern.
Keine den Klägern günstigeren Beurteilung rechtfertigt schließlich die von der Beklagten gegenüber der Klägerin zu 1) erhobenen Strafanzeige wegen „Körperverletzung“. Es bedarf insoweit keiner abschließenden Entscheidung der Kammer, ob dieser Kündigungsvorwurf nur im Falle seiner – tatsächlich unterbliebenen – Erwähnung im Kündigungsschreiben hätte Berücksichtigung finden können oder die Kläger ihn gemäß § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB als nachträglich entstandenen Kündigungsgrund ohne Ausspruch einer neuerlichen Kündigung nachschieben durften. Selbst wenn die Beklagte die Klägerin zu 1) wegen des in der streitgegenständlichen Wohnung vorhandenen Schimmelbefalls angeblich wahrheitswidrig der Körperverletzung beschuldigt haben sollte, würde auch diese Pflichtverletzung keine Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigen. Denn die Beklagte ist – auch ausweislich ihres Verhaltens in der mündlichen Verhandlung – selbst fest davon überzeugt, einem gesundheitsgefährdenden Schimmelbefall ausgesetzt zu sein, der von den Klägern bislang pflichtwidrig nicht beseitigt wurde. Ihr fällt deshalb bei der Anzeigenerstattung allenfalls eine fahrlässige Pflichtverletzung zur Last. Eine solche fällt weniger schwer ins Gewicht als eine vorsätzliche Pflichtverletzung des Mieters (vgl. Kammer, Urt. v. 3. Juli 2018 – 67 S 20/18, ZMR 2018, 935, beckonline Tz. 17). Eine lediglich fahrlässige Pflichtverletzung indes ist mit Blick auf die sonstigen zu Gunsten der Beklagten streitenden weiteren Umständen des Einzelfalles auch in der Gesamtschau sämtlicher behaupteter Pflichtverletzungen nicht geeignet, die kündigungsbedingte Beendigung des seit 1986 zwischen der Beklagten und den Klägern als ihren Eltern währenden Mietverhältnisses zu rechtfertigen.
Die Entscheidung über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 10 Satz 1, 711 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, bestanden gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht.