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Mietvertragskündigung bei Beschmieren der Hausfassade mit vermieterfeindlichen Schriftzügen

AG Neukölln – Az.: 2 C 42/19 – Urteil vom 11.06.2019

1. Der Beklagte wird verurteilt, die ca. 57 m² große Wohnung … Berlin, … zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.

2. Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 15.09.2019 gewährt.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.100,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Mit Mietvertrag vom 28.12.2009 mieteten der Beklagte zusammen mit Frau … die im Tenor zu 1. näher bezeichnete Wohnung. Frau … zog im Jahr 2013 aus der Wohnung aus.

2014 erwarb die Klägerin, eine …gesellschaft der …, das Grundstück vom damaligen Eigentümer und Vermieter und wurde im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Die Miete für die streitgegenständliche Wohnung betrug monatlich zuletzt nettokalt 342,58 €, inklusive Vorauszahlungen auf Heizkosten 462,58 €.

Zwischen April 2018 und Januar 2019 wurden an 11 Tagen auf den Wänden im Hausflur und Treppenhaus, an der Straßenfassade und auf der Klingelplatte des Wohngebäudes diverse aufgebrachte Schriftzüge, unter anderem mit dem Inhalt „… enteignen“, … verdrängen“, „…“, entdeckt. Wegen Einzelheiten wird auf die Klageschrift nebst Fotodokumentation als Anlage K2 (Bl. 3 ff., 15 ff. d.A.) verwiesen. Die Klägerin ließ diese Schriftzüge nach ihrer Entdeckung entfernen, wofür Kosten in Höhe von ca. 1.600,- € entstanden. Sie beauftragte ein Sicherheitsunternehmen mit der Observierung des Grundstücks, um den Verursacher zu ermitteln.

Am 28.01.2019 gegen 23.30 Uhr wurde der Beklagte von einem Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens dabei entdeckt, wie er mit einem schwarzen dicken Stift den Schriftzug „… bleibt“ und ein …symbol auf die Straßenfassade gegenüber der Klingelplatte aufbrachte und auf die Wand des Hausflurs „… enteignen“ schrieb.

Mit Schreiben vom 22.02.2019, das an die Adresse der streitgegenständlichen Wohnung zuging, erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten und Frau … die fristlose und hilfsweise die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses aufgrund der geschilderten Vorkommnisse. Der Beklagte verfasste am 22.02.2019 und 10.03.2019 ein Schreiben an die Klägerin, in denen er sich für die Tat am 28.01.2019 entschuldigte. In der Klageschrift vom 27.02.2019 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten erneut die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei Verursacher sämtlicher Schmierereien, welche dieselbe Handschrift aufwiesen. Sie behauptet zudem, dass der Beklagte nach dem Vorfall am 28.1.2019 versucht habe, den Schriftzug „… enteignen“ mit einem Lösungsmittel o.Ä. zu entfernen, was nur partiell gelungen sei.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die ca. 57 m² große Wohnung … Berlin, … zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben, sowie hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, die ca. 57 m² große Wohnung …, … Berlin, … zum 30.11.2019 zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.

Mietvertragskündigung bei Beschmieren der Hausfassade mit vermieterfeindlichen Schriftzügen
(Symbolfoto: Von Ivo Antonie de Rooij/Shutterstock.com)

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, sowie hilfsweise:

1. das Urteil wird gemäß § 721 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt,

hilfsweise wird das Urteil gemäß § 712 Abs. 1 S. 2 ZPO auf die in § 720a Abs. 1, 2 ZPO bezeichneten Maßregeln beschränkt, da der Beklagte zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist,

2. dem Beklagten wird eine nach § 721 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellte und möglichst lange, mindestens jedoch bis Mai 2020, Räumungsfrist gewährt.

Der Beklagte behauptet, er habe die Schmierereien bis auf die am 28.01.2019 nicht vorgenommen. Anhand der eingereichten Lichtbilder sei erkennbar, dass unterschiedliche Schriftzüge, Schriftarten und T verwendet worden seien. Angesichts des Widerstandes gegen die Vermietungspraxis börsenorientierter Immobilienkonzerne gebe es in Berlin genug andere Personen, die eine Motivlage gegen die Klägerin hätten. An einigen Tagen der Entdeckung der Schriftzüge sei der Beklagte nicht in Berlin gewesen, wofür er Zeugen anbietet. Er behauptet, er habe den Schriftzug am 28.01.2019 nur durch warmes Wasser ohne Einsatz von Lösungsmitteln rückstandslos entfernt. Er ist der Ansicht, die Handlung stelle daher keine Sachbeschädigung im Sinne des § 303 StGB dar, da hierfür eine Substanzverletzung notwendig sei.

Der Beklagte ist der Ansicht, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, da sie …gesellschaft einer Firmengruppe sei und die Eigentumsverhältnisse daher unklar seien.

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2019 erstmals den Zugang der Kündigung vom 22.02.2019 gegenüber Frau … bestritten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von dem Beklagten bewohnten streitgegenständlichen Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie ist durch den Erwerb des Grundstücks, auf dem sich das Wohngebäude mit der streitgegenständlichen Wohnung befindet, und die Eintragung im Grundbuch, welche die Klägerin durch Vorlage einer Kopie des Grundbuchs nachgewiesen hat, Eigentümerin geworden und gemäß § 566 Abs. 1 BGB auf Vermieterseite in die Rechte und Pflichten des Mietverhältnisses eingetreten.

Das Mietverhältnis wurde durch die Kündigung vom 22.02.2019 beendet.

Es liegt ein die außerordentliche Kündigung rechtfertigender Grund nach § 543 Abs. 1 BGB vor. Ein wichtiger Grund im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Der Kündigungstatbestand des § 543 Abs. 1 BGB ist hier erfüllt, da der Beklagte am 28.01.2019 die Straßenfassade und die Hauswand im Flur des Wohngebäudes mittels eines dicken schwarzen Stifts mit Schriftzügen versah, unter anderem mit dem Inhalt „… enteignen“. Es kann dabei dahinstehen, ob der Beklagte auch für die übrigen Vorkommnisse verantwortlich ist. Der Beklagte hat durch seine Tat nicht nur das Eigentum der Klägerin vorsätzlich und widerrechtlich verunstaltet, sondern dieses auch gegen deren offensichtliche Interessen als politisches Kampfmittel missbraucht. Diese Missachtung der berechtigten Interessen der Klägerin stellt eine Vertragsverletzung dar, die eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Klägerin unzumutbar macht.

Es kann daher dahinstehen, ob eine Strafbarkeit nach § 303 StGB gegeben ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist eine Sachbeschädigung nach § 303 Abs. 2 StGB auch dann gegeben, wenn das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert wird. Die Unerheblichkeit hat der Gesetzgeber für Veränderungen angenommen, die ohne Aufwand binnen kurzer Zeit von selbst wieder vergehen oder entfernt werden können, wie Kreide- oder Wasserfarbenauftrag (BT-Drs. 15/5313, S. 3). Entscheidend soll dabei sein, dass die Veränderung des Erscheinungsbildes dazu geeignet ist, einen die Bagatellgrenze übersteigenden Zeitraum zu bestehen (s. Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 303 Rn. 10). Es kann jedenfalls bezweifelt werden, ob mittels des unstreitig benutzten dicken schwarzen Stifts, auch wenn dessen Auftrag nach Vortrag des Beklagten durch warmes Wasser entfernt werden konnte, eine nur unerhebliche Veränderung hervorgerufen wurde.

Die Handlung des Beklagten muss sich Frau … zurechnen lassen. Bei mehreren Mietern genügt es, wenn der wichtige Grund in der Person eines der Mieter vorliegt, also die Vertragsverletzung von einem der Mieter begangen wurde (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.03.1987, Az. 15 U 183/86).

Die Kündigung war nicht deswegen unwirksam, weil offen geblieben ist, ob sie auch Frau … als Mitmieterin des Beklagten tatsächlich zugegangen ist. Zwar kann ein Mietverhältnis, an dem auf Mieterseite mehrere Personen beteiligt sind, wirksam nur gegenüber allen Vertragspartnern gekündigt werden. Die Klägerin durfte die Kündigung jedoch auch gegenüber Frau … an die Adresse der streitgegenständlichen Wohnung senden. Bei einer zu Wohnzwecken angemieteten Wohnung darf grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein Mieter, solange er noch Partei des Mietvertrags ist, dort auch seinen Aufenthalt hat. Es wurde nicht vorgetragen, dass Frau … der Klägerin ihren Auszug angezeigt und ihre neue Adresse mitgeteilt hat. Aus diesem Grund ist es dem Beklagten auch nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf einen fehlenden Zugang des Kündigungsschreibens an die Mitmieterin zu berufen (vgl. BGH, Urt. v. 19.09.2018, Az.: VIII ZR 261/17; Beschl. v. 14.09.2010, Az.: VIII ZR 83/10). Ein Mieter kann sich nicht darauf berufen, eine Kündigung des Vermieters nicht erhalten zu haben, wenn er nicht gleichzeitig geltend macht, dass er den Vermieter über seine neue Anschrift unterrichtet hat (LG Mannheim, Urt. v. 19.03.1997, Az.: 4 S 198/95). Dies gilt erst recht für den Mitmieter, der den Zugang von Schreiben an einen ausgezogenen Mitmieter bestreitet, und auch dann, wenn dem Vermieter dessen neue Anschrift später bekannt geworden ist (AG Schöneberg, Urt. v. 12.02.2002, Az.: 19 C 464/00). Die Berufung auf den mangelnden Zugang der Kündigung gegenüber der ausgezogenen Mitmieterin, die selbst nicht Partei des Rechtsstreits ist, stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar. Die Notwendigkeit des Zugangs eines Schreibens dient dem Schutz der Person, der das Schreiben zugestellt werden soll. Dem Beklagten ist die Kündigung unstreitig zugegangen. Das Bestreiten des Zugangs an Frau …, das erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte, nachdem das Gericht auf die bestehenden Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen hat, dient offensichtlich nur dem Zweck, die Kündigung zu Fall zu bringen und die Durchsetzung des Räumungsanspruchs zu verhindern.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 7, 711 ZPO.

Das Urteil war gegen Sicherheitsleistung für vollstreckbar zu erklären.

Dem Antrag nach § 712 ZPO war nicht zu entsprechen. Voraussetzung für das Entfallen der Abhängigkeit der Schutzanordnung von einer Sicherheitsleistung ist, dass der Schuldner hierzu nicht in der Lage ist. Eine bloße Erschwerung oder Ähnliches genügt nicht. Notwendig ist daher Vermögenslosigkeit oder Kreditunwürdigkeit (Götz, in: MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 712 Rn. 5), beides ist hier nicht vorgetragen worden. Die Vollstreckung kann nicht auf die in § 720a ZPO bezeichneten Maßregeln beschränkt werden, da es sich nicht um einen auf Geldzahlung gerichteten Titel handelt.

Dem Beklagten wird auf seinen Antrag hin eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO gewährt. Die Interessen beider Parteien sind hierbei gegeneinander abzuwägen. Der Vermieter hat das legitime Interesse an der Durchsetzung seines Räumungstitels nach erfolgreicher fristloser Kündigung. Dennoch ist dem Beklagten auch angesichts der angespannten Wohnungsmarktlage zur Vermeidung von Obdachlosigkeit eine Frist zur Erlangung von neuem Wohnraum zu gewähren. Da der Mieter die laufende Miete voraussichtlich weiterzahlt, aber keine besonderen Härtegründe vorliegen, welche die Einräumung einer besonders langen Räumungsfrist begründen würden, erscheint die Einräumung einer Räumungsfrist von drei Monaten angemessen.

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