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Mietvertragskündigung bei grundloser Strafanzeige gegen Vermieter

LG München I – Az.: 14 S 284/17 – Urteil vom 04.04.2017

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 07.12.2016, Az. 452 C 14701/16 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Amtsgerichts München ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.05.2017 bewilligt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Zusammenfassend bzw. ergänzend hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

Die Parteien streiten nunmehr in zweiter Instanz um Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten mit Vertrag vom 07.08.1974 angemieteten 2-Zimmer-Wohnung in München, M. Die Klägerin ist im Wege der Rechtsnachfolge auf Vermieterseite in das Mietverhältnis eingetreten. Zwischen den Parteien herrscht seit Jahren Streit darüber, ob andere Nutzer von Wohnungen im streitgegenständlichen Anwesen Trocknerabluft in den Frischluftschacht des innenliegenden Bades der Beklagten in der im zweiten Stock gelegenen Wohnung einleiten. Wegen aus ihrer Sicht unzutreffenden tatsächlichen Äußerungen der Beklagten mahnte die Klägerin die Beklagte mehrfach ab, es existierte ein umfangreicher Schriftsatzwechsel, in dem u. a. auf Seiten der Beklagten auch der Mieterverein München involviert war. Ob tatsächlich Trocknerabluft über den Frischluftschacht in das Bad der Beklagten gelangt, ist zwischen den Parteien nach wie vor streitig und ungeklärt.

Im Februar 2014 wurde im streitgegenständlichen Anwesen die zentrale Schließanlage ausgewechselt und erneuert. Für jede Wohnung wurden insgesamt 3 Schlüssel ausgegeben. Gegenüber der Fa. N, welche den Austausch der zentralen Schließanlage durchführte, bestätigte die Beklagte mit Datum 21.02.2014 den Erhalt – aller – drei Schlüssel. Aus der vorgelegten Schlüsseldokumentation (Anlage K 9, Bl. 60 d. A.) ergibt sich, dass die Montage am 21.02.2014 erfolgte und die Beklagte den Erhalt der Schlüssel mit dem Datum 21.02.2014 mit eigenhändiger Unterschriftsleistung bestätigte.

Am 12.05.2016 erstattete die Beklagte Strafanzeige gegen die Klägerin beim Kommissariat 64 des Polizeipräsidiums München wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch und stellte gleichzeitig Strafantrag gegen die Klägerin. Aus der schriftlichen Zeugenvernehmung der Beklagten (Bl. 70 f. d. A.) ergibt sich, dass die Beklagte eigenen Angaben nach am 08.05.2016 gegen 22.30 Uhr nach einer einwöchigen Urlaubsabwesenheit in ihre Wohnung zurückgekehrt sein soll und hierbei den Verlust eines Stapels von Dokumenten festgestellt haben möchte, den sie zur Vorbereitung einer Instandsetzungsklage gegen die Klägerin vor der Urlaubsreise auf einer Heimorgel abgelegt haben will.

Wörtlich ergibt sich aus der Zeugenvernehmung der Beklagten vom 12.05.2016 Folgendes:

„Als ich am 08.05.2016 dann wieder in die Wohnung kam, fiel mir sofort auf, dass der Stapel Papier weg war.

Ich vermute, dass meine Vermieterin mit einem Zweitschlüssel in die Wohnung rein ist und den Stapel Papier gestohlen hat. Vermutlich will sie damit eine Instandsetzungsklage, welche ich nächste Woche stellen möchte, verhindern. Ohne diese Unterlagen wird eine Klageerhebung nämlich erheblich erschwert.

Vor ca. zwei Jahren wurden bei sämtlichen Wohnungen im Haus die Schlösser ausgetauscht. Dies lief natürlich zunächst über die jeweiligen Eigentümer der verschiedenen Wohnungen. Ich gehe davon aus, dass sich Frau B dabei einen Zweitschlüssel machen hat lassen und mit diesem nun unbefugt in meine Wohnung eingedrungen ist. Einbruchsspuren gibt es an meiner Tür nämlich nicht. Auch sind außer den Unterlagen nichts weiteres weggekommen.

Außerdem wurden von meinem Laptop Dokumente gelöscht. Bei den Dokumenten handelte es sich um die oben bereits genannten Antwortschreiben von mir auf die Abmahnungen. Ich gehe davon aus, dass das Frau B während meines Urlaubs gemacht hat. Der Laptop ist nicht passwortgeschützt und stand während meines Urlaubs die ganze Zeit im Wohnzimmer auf meinem Couchtisch.“

Nachdem die Klägerin von der Erstattung dieser Strafanzeige Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 10.06.2016 das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich. Das Kündigungsschreiben wurde der Beklagten noch am gleichen Tag mittels Boten zugestellt. Wörtlich heißt es in dem Kündigungsschreiben:

„Die Beschuldigungen entbehren jeglicher Grundlage. Ich war nie während Ihrer Abwesenheit und gegen Ihren Willen in Ihrer Wohnung, zumal ich über gar keinen Schlüssel dafür verfüge. Die falsche Anschuldigung werte ich als schwerwiegende Verletzung Ihrer sich aus dem Mietvertrag ergebenden Verpflichtungen. Sie macht es für mich unzumutbar, das Mietverhältnis mit Ihnen fortzusetzen, zumal ich befürchten muss, auch in Zukunft wieder von Ihnen verleumdet oder mit einer Strafanzeige überzogen zu werden“.

Mit Verfügung vom 28.06.2016 stellte die Staatsanwaltschaft München I das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Noch vor Zugang der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft hatte die Beklagte mit Datum vom 29.06.2016 ein weiteres Schreiben an das Polizeipräsidium München verfasst, in dem sie „ergänzende Informationen zu meiner Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch, Dokumenten- Diebstahl und Löschen von Dateien auf meinem Laptop durch meine Vermieterin und Wohnungseigentümerin I. B.“ mitteilte.

Wörtlich heißt es in dem Schreiben vom 29.06.2016 u. a.:

„Laut telefonischer Auskunft des Schlüsseldienstes N vom 17.05.2016, der 2014 an allen Wohnungen im Haus M in München-Moosach ein neues Türschloss eingebaut hat, wurden für meine Wohnung 3 Schlüssel vergeben. Ich erhielt jedoch nur 2 Schlüssel!!! Folglich hat meine Mieterin und Wohnungseigentümerin I B ohne mein Wissen und ohne meine Zustimmung 1 Schlüssel einbehalten, um unbefugt in meine Wohnung einzudringen, Dokumente zu stehlen und Dateien auf meinem Laptop zu löschen.

Folgende Dokumente hat meine Vermieterin I B in der Zeit vom 30.04.2016 bis 08.05.2016 aus meiner Wohnung gestohlen: …

Um diese Instandsetzungsklage zu verhindern, hat meine Vermieterin I B belastendes Beweismaterial beiseitegeschafft.“

Nachdem der anwaltliche Vertreter der Klägerin am 09.09.2016 Akteneinsicht in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte genommen hatte und hierbei festgestellt wurde, dass die Beklagte die Klägerin mit dem oben genannten Schreiben erneut des Diebstahls und des Hausfriedensbruches bezichtigt hatte, kündigte die Klägerin mit Schriftsatz vom 09.09.2016 das Mietverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich.

Objektive Anhaltspunkte oder Indizien für einen Diebstahl und Hausfriedensbruch durch die Klägerin gibt es nicht. Die Klägerin bestreitet die Tathandlung und trägt vor, die Wohnung der Beklagten nie in deren Abwesenheit betreten zu haben und auch nicht im Besitz eines Schlüssels zu sein.

Das Amtsgericht gab der Räumungsklage mit Endurteil vom 07.12.2016 statt. Hiergegen richtet sich die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 03.01.2017 eingelegte und gleichzeitig begründete Berufung, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter verfolgt.

Die Beklagte begründet die Berufung im Wesentlichen damit, dass jeder Bürger berechtigt sei, Straftaten zur Anzeige zu bringen. Die Beklagte sei bei Erstattung ihrer Strafanzeige davon ausgegangen, dass der angezeigte Sachverhalt der Wahrheit entspräche. Auch habe das Amtsgericht die Beweislast verkannt, die Beklagte müsse nur Beweis dafür anbieten, dass sie ohne Leichtfertigkeit der Auffassung sein durfte, dass sie Opfer einer von der Klägerin begangenen Straftat geworden sei. Zudem habe das Amtsgericht die Verhältnismäßigkeit der Kündigung verkannt. Angesichts eines 40 Jahre andauernden Mietverhältnisses könne nicht alleine aufgrund der Erstattung einer Strafanzeige gekündigt werden.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren: Das Endurteil des Amtsgerichts München vom 07.12.2016 wird dahingehend abgeändert, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Klägerin beantragt: Zurückweisung der Berufung.

Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2017 beide Parteien persönlich angehört. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird im Übrigen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.04.2017 sowie die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen, da das Amtsgericht die Beklagte zu Recht zur Räumung und Herausgabe der von ihr angemieteten Wohnung in München, M verurteilt hat. Jedenfalls die fristlose Schriftsatzkündigung der Klägerin vom 09.09.2016 hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis beendet. Die Beklagte ist daher gemäß § 546 Abs. 1 zur Räumung und Herausgabe der von ihr innegehaltenen Wohnung verpflichtet.

1) Gemäß § 543 Abs. 1 S. 1 BGB kann jede Vertragspartei das Mietverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich fristlos kündigen. Gemäß § 543 Abs. 1 S. 2 BGB liegt ein wichtiger Grund vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere eines Verschuldens der Vertragspartei und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. In der Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, dass eine grundlose Strafanzeige gegen den anderen Vertragspartner eine schwerwiegende Verletzung der Treuepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB darstellen kann. Eine fristlose Kündigung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die erstattete Strafanzeige als leichtfertig und unangemessen zu bewerten ist oder auf frei erfundenen Tatsachen beruht (BVerfG NZM 2002, 61; BGH Urteil vom 21.12.1960, VIII ZR 50/60 unter 3d; LG Karlsruhe, Urteil vom 17.06.2014, Az. 9 S 483/13; LG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2014, Az. 21 S 48/14; Schmidt-Futterer/Blank § 543 BGB, Rn. 193; BeckOGK BGB/Mehle § 543 Rn. 59). Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, der eine fristlose Kündigung rechtfertigt, ist von den Umständen des Einzelfalles, insbesondere auch vom Verhalten des Angezeigten abhängig (BVerfG NZM 2002, 61). Die Erstattung einer Strafanzeige gegen die andere Vertragspartei kann, sofern die Tatsache nicht erweislich wahr ist, regelmäßig eine üble Nachrede im Sinne des § 186 StGB darstellen.

In den Fällen der Erstattung einer Strafanzeige hat der Vermieter hinsichtlich des Nachweises des Kündigungsgrundes lediglich darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Gekündigte die Anzeige erstattet hat. Sodann ist es Aufgabe des Anzeigenden – hier der Beklagten – darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Vermieter – hier die Klägerin – die angezeigte Tat entweder tatsächlich begangen hat oder sie jedenfalls im Rahmen der Anzeigeerstattung und leichtfertig, insbesondere aber in Wahrnehmung berechtigter Interessen nach § 193 StGB gehandelt hat (Schmidt-Futterer/Blank, § 543 BGB Rn. 194, LG Karlsruhe, Urteil vom 17.06.2014, Az. 9 S 483/13 unter Rn. 10). Die Gegenauffassung, wonach ein ungeklärter Sachverhalt zu Lasten des Kündigenden gehen müsse, weil dieser die Kündigungsgründe darzulegen und zu beweisen habe, trifft nicht zu (so aber LG Frankfurt oder Urteil vom 15.04.2013, Az. 16 S 230/12; AG Hamburg, Urteil vom 14.04.2016, 42 C 61/15). Da sich Hintergründe und Motive einer Strafanzeige regelmäßig der Kenntnis des Angezeigten entziehen werden und er insbesondere keinerlei Angaben dazu wird machen können, ob der Anzeigende die Strafanzeige in Wahrnehmung berechtigter Interessen entsprechend § 193 StGB gemacht hat, hat zwingend der Kündigungsempfänger – hier die Beklagte – darzulegen und zu beweisen, dass sie nicht leichtfertig eine Strafanzeige gegen die Klägerin erstattet hat. Ob im Einzelfall dem Angezeigten ein höheres Beweismaß trifft, er insbesondere den angezeigten Sachverhalt substantiiert zu bestreiten hat, ist eine Frage der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles. So wird man ein substantiiertes Bestreiten des angezeigten Sachverhaltes insbesondere dann annehmen können, wenn im Rahmen einer Betriebskostenabrechnung des Vermieters eine Strafanzeige wegen Betruges erfolgt oder nach einer – tatsächlich erfolgten Auseinandersetzung – zwischen den Parteien etwa im Hausflur eine Strafanzeige wegen Nötigung oder Körperverletzung erfolgt.

Da vorliegend über die bloßen Angaben der Beklagten hinaus keinerlei objektiven Anhaltspunkte oder Indizien für eine Täterschaft der Klägerin vorliegen, konnte diese sich auf ein Bestreiten der Tat zurückziehen. Es oblag damit der Beklagten der Beweis, dass die Klägerin entweder die ihr vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen hat oder aber sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen eine Strafanzeige erstattet hat. Beweis hierfür hat die Beklagte indes schon nicht angetreten. Lediglich vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass sich an dem nachfolgend dargestellten Ausführungen im Ergebnis nichts ändert, wenn man der Beklagten nicht nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis die volle Beweislast dafür auferlegt, dass sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hat, sondern sie nur eine sekundäre Behauptungslast trifft. Auch dann rechtfertigt der Verstoß unter Berücksichtigung der eigenen Ausführungen der Beklagten und des unstreitigen Vortrags die Kündigung.

2) Gemessen an diesen Vorgaben hat die Beklagte leichtfertig eine auf bloße Vermutungen gestützte Strafanzeige gegen die Klägerin wegen Diebstahls und Hausfriedensbruch erstattet. Sie hat ferner mit Schreiben vom 29.06.2016 in Kenntnis des Bestreitens der Tat und nach Erhalt einer fristlosen Kündigung diese ihre nicht bewiesenen und auf bloße Vermutung gestützten Behauptungen ausdrücklich aufrechterhalten und sogar noch verstärkt.

a) Bis auf die Vermutung oder subjektive Überzeugung der Beklagten von der Täterschaft der Klägerin hinsichtlich des angezeigten Diebstahls und Hausfriedensbruchs gibt es keinen einzigen objektiven Anhaltspunkt oder gar nur ein Indiz dafür, dass dieser Diebstahl – zumal durch die Klägerin – tatsächlich begangen worden ist. Nach den bestrittenen Angaben der Beklagten sind zwar einzelne Dokumente abhanden gekommen und wurden insgesamt vier Textdateien auf dem Laptop der Beklagten gelöscht, es finden sich allerdings keinerlei Einbruchsspuren und auch keine sonstigen objektiven Beweismittel dafür, dass der Diebstahl tatsächlich begangen wurde. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer glaubhaft und glaubwürdig angegeben, niemals ohne Beisein der Beklagten in deren Wohnung gewesen zu sein und auch nicht in Besitz eines Schlüssels für die streitgegenständliche Wohnung zu sein. Es ist auch keinerlei Motiv für eine derartige Tatbegehung durch die Klägerin ersichtlich: Die Klägerin ist selbst in Besitz des angeblich abhanden gekommenen wechselseitigen Schriftverkehrs, zudem hätte sich die Beklagte unschwer einen Großteil der angeblich gestohlenen Dokumente (etwa Schreiben des Mietervereins) sich unschwer wieder beschaffen können. Auch liegt auf der Hand, dass die von der Beklagten geplante „Instandsetzungsklage“ nicht durch vorgerichtlichen wechselnden Schriftverkehr, sondern im Zweifel nur durch eine Beweisaufnahme mittels Sachverständigengutachten erfolgreich geführt werden kann. Damit bestehen im Ergebnis weder Anhaltspunkte noch ein Motiv für eine Tatbegehung durch die Klägerin.

b) Die Beklagte hat die auf reinen Vermutungen basierende Strafanzeige auch nicht in Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB, sondern leichtfertig erstattet.

Im Rahmen der Erstattung einer Strafanzeige auf falsche oder nicht erweislicher Tatsachen hat eine Güter- und Interessenabwägung stattzufinden. Der Anzeigende hat die Wahrheitsfrage sorgfältig zu prüfen und darf seinen Vorwurf nicht auf haltlose Vermutungen stützen, wobei das Maß der zu beachtenden Sorgfalt situations- und konfliktsabhängig ist (vgl. Leipziger Kommentar zum StGB/Hilgendorf § 193 Rn. 3). Auch in strafrechtlicher Hinsicht trifft den Täter eine Informationspflicht, so dass er rechtswidrig im Sinne des § 193 StGB handelt, wenn er leichtfertig oder nur auf haltlose Vermutungen hin nicht erweisliche Tatsachen verbreitet oder Dritten gegenüber kundtut (vgl. Leipziger Kommentar zum StGB/Hilgendorf § 193 Rn. 21). Leichtfertigkeit in dem oben genannten Sinne wird allgemein dann bejaht, wenn der Anzeigende bei gewissenhafter, ihm möglicher und zumutbarer Prüfung hätte erkennen müssen, dass die Unterlagen für seine Behauptungen unzulänglich oder unzuverlässig sind oder dass er nur auf haltlose Vermutungen hin die Ehre eines anderen gröblich antastet (OLG Köln NJW 1997, 1247).

Gemessen daran hat die Beklagte bereits ihre Strafanzeige vom 12.05.2016, vor allen Dingen aber die Wiederholung ihrer Anschuldigungen gegen die Klägerin in dem Schreiben an die Ermittlungsbehörden vom 29.06.2016 auf völlig haltlose Vermutungen gestützt und Tatsachen behauptet, die sie fälschlicherweise als richtig hingestellt, an deren Richtigkeit aber sie zumindest selbst hätte zweifeln müssen.

In ihrem Schreiben vom 29.06.2016 hat die Beklagte zur Untermauerung ihres Diebstahlvorwurfs gegen die Klägerin u. a. wörtlich Folgendes ausgeführt:

„Ich erhielt jedoch nur zwei Schlüssel!!! Folglich hat meine Vermieterin und Wohnungseigentümerin I B ohne mein Wissen und ohne meine Zustimmung einen Schlüssel einbehalten, um unbefugt in meine Wohnung einzudringen.“

Dieser Vorwurf der Beklagten, der nicht einmal mehr als Verdacht formuliert war und sich direkt gegen die Klägerin als Täterin richtete, fußte auf völlig haltlosen Spekulationen, zumal die Beklagte selbst unter dem 21.02.2014 schriftlich gegenüber dem Schlüsseldienst den Erhalt sämtlicher drei ausgegebener Schlüssel für die streitgegenständliche Wohnung bestätigt hatte. Sie hat überdies schriftlich den ausdrücklichen Vorwurf wiederholt, die Klägerin habe zur Verhinderung einer Instandsetzungsklage belastendes Beweismaterial „beiseite geschafft“. Auch dies gründete rein auf die subjektive Annahme der Beklagten, ohne dass es – auch aus Sicht der Beklagten ohne Weiteres erkennbar – auch nur ein einziges Indiz oder einen einzigen objektiven Anhaltspunkt für eine Tatbegehung durch die Klägerin gab. Die Wiederholung der nicht erwiesenen Straftaten gemäß Schreiben vom 29.06.2016 wiegt umso schwerer, als die Beklagte bei der gebotenen Anspannung ihres Gedächtnisses und ihres Gewissens ohne Weiteres hätte erkennen können, dass ihr alle drei Schlüssel ausgehändigt worden waren und sie spätestens durch den Zugang des Kündigungsschreibens vom 10.06.2016 zu diesem Zeitpunkt auch wusste, dass die Klägerin die Tatbegehung bestreitet und den Besitz eines Schlüssels oder Nachschlüssels ausdrücklich in Abrede gestellt hatte. Auch bei ihrer Behauptung, wonach die Klägerin sich jederzeit ohne ihr Wissen einen Nachschlüssel hätte besorgen können, handelt es sich um eine völlig ins Blaue hinein behauptete Vermutung, für die keinerlei objektive Anhaltspunkte bestehen. Geht man weiter davon aus, dass die Beklagte auch ohne Weiteres hätte erkennen können, dass es nicht nur keine Indizien, sondern auch kein Motiv für eine derartige Tatbegehung durch die Klägerin gab, so stellte die Erstattung einer Strafanzeige und die Stellung eines Strafantrages gegen die Klägerin als Beschuldigte eine grobe Verfehlung und leichtfertige Stellung einer Strafanzeige dar, die ins Blaue hinein und ausnahmslos mit völlig haltlosen Vermutungen begründet wurde. Dies gilt im Übrigen auch für die reine Vermutung der Beklagten in der Strafanzeige vom 12.05.2016, wonach die Klägerin von ihrer Urlaubsabwesenheit deshalb gewusst haben müsse, weil das Gebäude sehr hellhörig sei, eine Nachbarin ein Telefonat mit ihrem Rechtsanwalt mitbekommen haben müsse und dies ihrer Vermieterin – der Klägerin – offenbar gesagt habe. Auch für die behauptete Kenntnis der nicht im Haus wohnenden Klägerin von der urlaubsbedingten Abwesenheit der Beklagten gibt es nicht einen einzigen objektiven Anhaltspunkt, geschweige denn einen von der Beklagten hierfür angebotenen Beweis. Soweit die Beklagte in ihrer Anhörung als Partei in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 05.04.2017 behauptet hat, sie habe die Schlüsseldokumentation der Fa. Neumann (Anlage K 9, Bl. 60 d. A.) blanko vorab unterschrieben und später nur zwei Schlüssel erhalten, ist dies völlig unglaubwürdig und widerspricht überdies dem hierzu in erster Instanz erfolgten Vortrag der Beklagten. Zum einen ist schon völlig unglaubwürdig, dass ein Mieter blanko vorab den Erhalt von drei Schlüsseln bestätigt, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Auswechslung der zentralen Türschlossanlage noch gar nicht erfolgt sein soll. Zudem ließ die Beklagte auf die bereits in erster Instanz vorgelegte Anlage mit Schriftsatz vom 26.09.2016 (Bl. 73/74) ausdrücklich vortragen, die Frage der Schlüssel sei „offenbar nicht mehr aufklärbar“. Sie, die Beklagte, habe „keinerlei Erinnerung“ mehr an eine persönliche Übergabe von drei Schlüsseln – von wem auch immer gegen Unterschriftsleistung. Davon, dass die Beklagte blanko vorab den Erhalt von drei Schlüsseln quittiert haben soll, davon aber später nur zwei erhalten haben will, war in erster Instanz nicht ansatzweise die Rede.

Die Kammer ist daher der Überzeugung, dass die Beklagte in diesem Punkt das Gericht vorsätzlich mit der Unwahrheit bedient hat. Der diesbezügliche Vortrag ist völlig unglaubwürdig. Die Beklagte passt vielmehr ihre Einlassung scheibchenweise an das an, was ihr gerade nachgewiesen werden kann.

Nach alledem liegt eine auf bloße Vermutungen gestützte leichtfertige Strafanzeige vor, die nicht der Wahrnehmung berechtigter Interessen diente.

3) Die auf haltlose Vermutungen gestützte Strafanzeige stellt vorliegend auch eine so erhebliche Pflichtverletzung dar, dass für die Klägerin unter Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Hierbei kann dahinstehen, ob bereits die Erstattung einer leichtfertigen Strafanzeige am 12.05.2016 in Anbetracht eines 40 Jahre andauernden Mietverhältnisses und des Alters der Beklagten eine fristlose Kündigung gerechtfertigt hätte. Zur Überzeugung der Kammer führt jedenfalls die ausdrückliche Aufrechterhaltung der Strafanzeige unter Wiederholung der haltlosen Vermutungen im Schreiben vom 29.06.2016 in Kenntnis der bereits erfolgten ersten fristlosen Kündigung eine so massive Pflichtverletzung dar, dass dies eine fristlose Kündigung seitens der Klägerin rechtfertigt. Die Beklagte hätte zu diesem Zeitpunkt ohne Weiteres erkennen können, dass ihr bei Auswechslung der zentralen Schließanlage sämtliche drei Schlüssel für ihre Wohnung übergeben worden waren und es keinerlei objektiven Anhaltspunkte dafür gab, dass die Klägerin in Besitz eines Wohnungsschlüssels war. Die Beklagte wusste zu diesem Zeitpunkt auch durch den Erhalt der Kündigung, dass die Klägerin die Tat bestritt und insbesondere auch den Besitz eines Nachschlüssels oder Drittschlüssels in Abrede gestellt hat. Wenn die Beklagte sich in dieser Situation trotz der für sie offen zu Tage liegenden fehlenden Verdachtslage und des Fehlen jeglichen Sachbeweises dazu entschließt, ihre Vorwürfe in einem weiteren Schreiben an die polizeilichen Ermittlungsbehörden zu verstärken und zu untermauern, begeht sie auch im Hinblick darauf, dass jedermann zur Erstattung einer Strafanzeige berechtigt ist und bloß objektiv unwahre Strafanzeige eines Bürgers auch im allgemeinen Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens und an der Aufklärung von Straftaten liegen kann unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles eine so schwere Ehr- und Pflichtverletzung aus dem Mietverhältnis, dass dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann.

4) Einer Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 BGB bedurfte es vorliegend nicht, da diese nach § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Im Übrigen ist im Hinblick auf die hier maßgebliche Kündigungserklärung vom 09.09.2016 die zuvor erfolgte Kündigung vom 12.05.2016 in eine Abmahnung umzudeuten (BGH ZMR 1972, 306, BeckOGK/Mehle, § 542 Rn. 105). Da die Abmahnung regelmäßig den Zweck verfolgt, dem Abgemahnten für den Fall eines weiteren Vertragsverstoßes Konsequenzen anzudrohen, erfüllt eine – unterstellt unwirksame – Kündigung auf gleichen oder ähnlichen Kündigungsgründen jedenfalls diesen Zweck. Der Beklagten muss daher nach Zugang der ersten Kündigung auch klar gewesen sein, dass die Klägerin keinesfalls weitere gleiche oder ähnliche Pflichtverletzungen dulden wird.

5) Die Kündigung vom 09.09.2016 ist auch formgerecht erfolgt. Die Schriftsatzkündigung des Klägervertreters entsprach der gesetzlichen Formvorschrift des § 568 Abs. 1 und konnte auch nicht gemäß § 174 BGB zurückgewiesen werden. Bereits mit Klageschrift vom 12.07.2016 hatte der Klägervertreter eine Original-Prozessvollmacht (Bl. 4 d. A.) vorgelegt, aus deren Ziffer 3 sich die Berechtigung zur Abgabe und Entgegennahme von – auch einseitigen – Willenserklärungen wie eine Kündigung ausdrücklich ergab.

Damit ermächtigte die im Original bei der Akte befindliche Prozessvollmacht den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

Im Ergebnis hat die fristlose Kündigung der Klägerin vom 09.09.2016 das bestehende Mietverhältnis beendet. Die Beklagte ist zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gem. § 546 Abs. 1 BGB verpflichtet. Lediglich ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass die Kündigungserklärung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB auch als ordentliche wirksam wäre, die diesbezügliche Kündigungsfrist aber erst am 30.06.2017 ablaufen dürfte.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.

IV. In Anbetracht des lange andauernden Mietverhältnisses und des Umstandes, dass die Lage auf dem Münchner Wohnungsmarkt gerichtsbekannt schwierig ist, hat die Kammer der Beklagten trotz des Umstandes, dass eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung im Raum steht, eine weitere Räumungsfrist bis 31.05.2017 bewilligt. Diese ist den Umständen nach erforderlich, im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzung aber auch ausreichend.

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