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Mietvertragskündigung bei zweifachem Mietzahlungsverzug

LG Berlin, Az.: 65 S 112/17, Urteil vom 08.06.2017

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg vom 30. Januar 2017 – 20 C 226/16 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

1. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.

Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Räumung und Herausgabe der von ihm inne gehaltenen Räumlichkeiten aus § 546 Abs. 1 BGB besteht nicht, denn das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist durch die von der Klägerin ausgesprochenen Kündigungen weder fristlos noch fristgemäß beendet worden.

a) Die Kündigungen mit Schreiben vom 7. Juli 2016 und 15. Juli 2016 haben das Mietverhältnis nicht fristgemäß nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB beendet.

Nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB kann der Vermieter das Mietverhältnis kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat; ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

Unstreitig hat der Beklagte die Mieten für die Monate Juni und Juli 2016 nicht an die Klägerin, sondern – über das Jobcenter – an die bisherige Vermieterin gezahlt. Er hat damit seine Hauptpflicht aus § 535 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin als Vermieterin verletzt.

Mietvertragskündigung bei zweifachem Mietzahlungsverzug
Foto: alho007/Bigstock

Anders als § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB rechtfertigt ein Zahlungsverzug in dieser Höhe allein jedoch nicht die Kündigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB (und im Übrigen auch nicht nach § 543 Abs. 1 BGB).

Zu beantworten ist vielmehr weitergehend die Frage, ob es sich um eine schuldhafte, nicht unerhebliche Pflichtverletzung handelt, die ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses zu begründen geeignet ist. Die Beantwortung der Frage ist Ergebnis einer wertenden Betrachtung, die umfassend die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Sie entzieht sich einer Verallgemeinerung, denn die Vielgestaltigkeit der Lebenswirklichkeiten und möglichen, im Rahmen der wertenden Betrachtung zu beachtenden Geschehensabläufe und Zustände schließen dies – bei lebensnaher Betrachtung nahe liegender Weise – aus (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15, in: WuM 2016, 682, nach juris Rn. 9; Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14, in: WuM 2015, 152, nach juris Rn. 21).

Die Besonderheit der hier gegebenen Umstände vermögen im Ergebnis der wertenden Gesamtbetrachtung ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses mangels Erheblichkeit der Pflichtverletzung nicht zu begründen.

Offen bleiben kann, ob dem Beklagten die Schreiben der Klägerin zugegangen sind, die ihn über den Eigentümer-/Vermieterwechsel und die neue Bankverbindung informierten sowie die weiteren Schreiben, in denen der Beklagte auf Mietrückstände hingewiesen wurde. Für den Zugang zumindest einzelner Schreiben spricht, dass der Beklagte selbst – anwaltlich noch nicht vertreten – mit Schreiben an das Amtsgericht vom 8. August 2016 einräumte, dass er es leider versäumt habe, dem Jobcenter den Eigentümerwechsel und die neue Kontoverbindung mitzuteilen sowie ankündigte, sich umgehend mit der bisherigen Vermieterin, der Klägerin und dem Jobcenter in Verbindung setzen zu wollen, um den Mietrückstand so schnell wie möglich auszugleichen und zu erreichen, dass die Miete nunmehr regelmäßig an die neue Vermieterin gezahlt werde. Soweit der Zugang der Schreiben später durch den Beklagten – nunmehr anwaltlich vertreten – allgemein bestritten wurde, überzeugt das nicht, denn das Schreiben, auf das sich sodann zur Erläuterung des Umstandes bezogen wird, dass der Beklagte am 8. August 2016 – vor Zugang der Klageschrift am 12. August 2016 – die Kenntnis vom Vermieterwechsel einräumte, trägt die Behauptung inhaltlich nicht: es handelt sich um die schlichte Mitteilung der Erreichbarkeit der Hausverwaltung.

Maßgeblich ins Gewicht fällt hier, dass Ergebnis der – zugunsten der Klägerin unterstellten – Nachlässigkeit des Beklagten nicht die Nichtzahlung der Mieten (mit allen damit verbundenen Risiken eines endgültigen Zahlungsausfalls) ist, sondern die Zahlung an die Vorvermieterin, eine große städtische Wohnungsbaugesellschaft. Auch der Klägerin musste dabei bewusst sein, dass diese – wie tatsächlich unstreitig geschehen – an sie weitergeleitet würden, die Pflichtverletzung des Beklagten sich demnach im Ergebnis für sie als unpünktliche Mietzahlung, nicht aber als drohender Zahlungsausfall darstellen würde. Eine zeitlich sehr begrenzte Zahlungsverzögerung im Zusammenhang mit einem Vermieterwechsel allein, der zu keiner Zeit das Risiko eines Zahlungsausfalls in sich trägt und auch sonst keine Besonderheiten aufweist, erreicht nicht das für den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB erforderliche Gewicht.

Selbst wenn dies hier zugunsten der Klägerin unterstellt würde, ergäbe sich keine andere rechtliche Bewertung.

Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht hier berücksichtigt, dass der Mietvertrag, in dessen Regelungen die Klägerin nach § 566 BGB eingetreten ist, dem Beklagten einen weitergehenden Bestandsschutz gewährt. In § 3.2 des Mietvertrages verpflichtet sich der Vermieter, das Mietverhältnis von sich aus grundsätzlich nicht aufzulösen. Er kann das Mietverhältnis nur in Ausnahmefällen ordentlich kündigen, wenn berechtigte Interessen eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machen (vgl. dazu: BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13, in: WuM 2013, 739, nach juris).

Eine Notwendigkeit, das Mietverhältnis ausnahmsweise aufzulösen, ergibt sich aus der Zahlungsverzögerung im Zusammenhang mit dem Vermieterwechsel nicht. Die Kammer folgt der zutreffenden Wertung des Amtsgerichts nach eigener rechtlicher Prüfung.

Schließlich wäre der Klägerin ein Festhalten an der Kündigung nach § 242 BGB auch dann verwehrt, wenn ihre abweichende Wertung der Regelung des Mietvertrages als zutreffend zugrunde gelegt würde.

Auch insoweit bedarf es einer Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, wobei auch das Verhalten des Mieters nach Ausspruch der Kündigung Bedeutung gewinnen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 17.02.2015 – VIII ZR 236/14, in: NZM 2015, 487, nach juris Rn. 5; Besch. v. 06.10.2015 – VIII ZR 321/14, WuM 2016, 225, nach juris Rn. 10).

Hier hat der Beklagte sich bereits vor Zustellung der Räumungsklage auf die ihm zur Kenntnisnahme übersandte Mitteilung an das Bezirksamt nach § 36 Abs. 2 SGB XII hin um den Ausgleich des Mietrückstandes und künftig pünktliche Zahlungen des Jobcenters an die Klägerin bemüht. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass er die berechtigten Interessen der Klägerin als Vermieterin erkannt hat und zu respektieren gewillt ist, zudem gewillt ist, die Auswirkungen seiner Pflichtverletzung für die Klägerin umgehend zu mildern.

2. Auch die fristlos und fristgemäß ausgesprochene Kündigung vom 23. November 2016 hat das Mietverhältnis aus den oben dargestellten Gründen nicht beendet, denn die Voraussetzungen der § 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB i. V. m. § 3.2 des Mietvertrages liegen nicht vor.

Unstreitig sind die Mietzahlungen von der Vorvermieterin an die Klägerin weitergeleitet worden, so dass wiederum der Gesichtspunkt der Unpünktlichkeit des Eingangs der Mietzahlungen bei der Klägerin maßgeblich ist.

Wie ausgeführt, sind auch im Rahmen des § 543 Abs. 1 BGB die Umstände des Einzelfalls umfassend zu berücksichtigen, um die Frage zu beantworten, ob eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar ist.

Zutreffend hat das Amtsgericht hier berücksichtigt, dass die – unstreitigen, durch ein Schreiben des Jobcenters vom 4. November 2016 unterlegten – Versäumnisse des Jobcenters bei der Bearbeitung der Mitteilung des Beklagten über den Vermieterwechsel diesem nicht nach § 278 Satz 1 BGB zuzurechnen sind, denn das Jobcenter ist nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters (vgl. BGH, Beschl. v. 17.02.2015 – VIII ZR 236/14, NZM 2015, 487, nach juris Rn. 6).

Hier ist das oben bereits in die Wertung einbezogene Verhalten des Beklagten nach Ausspruch der Kündigungen vom Juli 2016 zudem als Verhalten vor Ausspruch der Kündigungen (November 2016) zu berücksichtigen. Er hat seine Pflichten aus dem Mietvertrag zweifelsfrei und eingestandenermaßen verletzt; die Pflichtverletzungen erreichen aus den bereits dargestellten Gründen aber nicht ein Gewicht, das die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für Klägerin nach § 543 Abs. 1 BGB zu begründen geeignet, die Erheblichkeitsschwelle des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB überschreiten und die Kündigung des Mietverhältnisses ausnahmsweise notwendig machen würde.

3. Schließlich hat auch die Kündigung vom 28. November 2016 wegen – behauptet – vorsätzlich wahrheitswidrigen Vortrags das Mietverhältnis weder fristlos noch fristgemäß nach §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB beendet.

Zuzugeben ist der Klägerin, dass unter Verstoß gegen § 138 Abs. 1 ZPO bewusst wahrheitswidriger Vortrag den gesonderten Ausspruch einer Kündigung rechtfertigen kann (vgl. auch LG Berlin, Urt. v. 09.10.2013 – 65 S 140/13, in: WuM 2014, 93, nach juris Rn. 19). Maßstab sind allerdings auch insoweit die Voraussetzungen der §§ 543 Abs. 1, 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB, in deren Prüfung – wie dargestellt und wie auch sonst – die Umstände des Einzelfalls einzubeziehen sind. Danach ist hier zu berücksichtigen, dass der Beklagte sein Versäumnis unumwunden und vor Zustellung der Räumungsklage nicht nur eingeräumt, sondern auch auszuräumen versucht hat. Die Frage des Zugangs der außergerichtlichen Schreiben ist für den Ausgang des Rechtsstreits nicht erheblich. Hinzu kommt, dass ein bewusst wahrheitswidriger Vortrag nicht unterstellt werden kann. Dass dem Beklagten alle Schreiben zugegangen sind, ergibt sich nicht auch unter Berücksichtigung seiner Angaben im Schreiben vom 8. August 2016 nicht, das spätere Bestreiten kann sich daher auch als Ungenauigkeit darstellen. Unabhängig davon hat der Beklagte selbst der Wahrheit vorgetragen, so dass sich das spätere Bestreiten als widersprüchlich darstellt, was zu seinen Lasten ginge, wenn es darauf ankäme. Die Klägerin lässt im Rahmen ihrer Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts Berlin vom 15.04.2014 (Beschl., 67 S 81/14, nach juris) unberücksichtigt, dass dieser ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde lag, vor allem aber die – maßgeblichen – Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht insoweit entwickelt hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.09.2006 – 1 BvR 1898/03, NJW-RR 2007, 840, nach juris; Bezugnahme in: LG Berlin, Urt. v. 09.10.2013 – 65 S 140/13, a.a.O.). Danach muss der Rechtsschutzsuchende die Möglichkeit haben, gegenüber den Organen der Rechtspflege, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen, jene Handlungen vornehmen können, die nach seiner von gutem Glauben bestimmten Sicht geeignet sind, sich im Prozess zu behaupten. Dies trägt dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, effektiven Rechtsschutz und dem Recht auf rechtliches Gehör Rechnung. Die Grenze dessen, was in laufenden Gerichtsverfahren im Rahmen der Rechtsverfolgung und –verteidigung zulässig ist, ist allenfalls unter anderem dann überschritten, wenn es sich um bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen handelt.

Eine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung bzw. eine ausnahmsweise gegebene Notwendigkeit der Beendigung des Mietverhältnisses ergibt sich danach nicht.

2. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage des Gesetzes, seiner Materialien und höchstrichterlich bereits entwickelter Maßstäbe.

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