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Mietvertragskündigung fehlende Nutzungsmöglichkeit – Wegfall Geschäftsgrundlage

AG Saarbrücken – Az.: 36 C 195/21 – Urteil vom 17.11.2021

In dem Rechtsstreit wegen Räumung hat das Amtsgericht Saarbrücken aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28.10.2021 für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, die im Rückhaus ### im ersten Obergeschoss linksgelegene Wohnung nebst Kellerabteil (Kellergeschoss, hinten rechts) sofort zu räumen und an die Klägerinnen herauszugeben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4000 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

Die Kläger verlangen vom Beklagten Räumung und Herausgabe der an ihn vermieteten Wohnung.

Der Beklagte bewohnt seit 2006 die streitgegenständliche Wohnung, die sich auf dem Grundstück ### im Hinterhaus befindet. Der Mietvertrag wurde ursprünglich mit der Großmutter der Klägerinnen abgeschlossen. Es ist eine Miete von 213,71 Euro und eine Nebenkostenvorauszahlung von 66,26 Euro, zusammen 280 Euro Warmmiete vereinbart.

Das Hausanwesen wurde mit Kaufvertrag vom Dezember 2012 veräußert. Die Erwerber traten im Juli 2013 vom Kaufvertrag zurück, nachdem mitgeteilt worden war, dass die Immobilie zur Wohnnutzung nicht geeignet sei. Der zwischen der Großmutter der Klägerinnen und der Erwerberin geführte Rechtsstreit vor dem Landgericht Saarbrücken endete im April 2017 mit einem Vergleich über die Rückabwicklung des Kaufvertrages.

Der Beklagte war für die Großmutter und später ab 2017 für die Klägerinnen als Verwalter des Miethauses tätig.

Ursprünglich befanden sich im Hinterhaus Lager-, Werkstatt- und Garagenräume. Der Bauantrag zur Nutzungsänderung zu Wohnnutzung vom 15.10.1983 wurde mit Bescheid der Landeshauptstadt Saarbrücken vom 14.11.1983 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage war nicht erfolgreich und endete mit der Nichtzulassung der Berufung durch das Bundesverwaltungsgericht am 14.5.1990.

Mit Bescheid vom 31.8.1990 untersagte die Landeshauptstadt Saarbrücken die Nutzung des Hinterhauses zu Wohnzwecken und ordnete die Räumung binnen sechs Monaten an. Die Anordnung wurde nicht vollstreckt.

Mit weiterem Bescheid vom 17.1.2019 untersagte die Landeshauptstadt Saarbrücken den Klägerinnen die Nutzung der zu Wohnzwecken ausgebauten Räume im Hinterhaus fünf Monate nach Bekanntgabe der Anordnung, ordnete den Sofortvollzug an und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 2500 Euro an. Der Widerspruch der Klägerinnen und ihr Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung gegen diesen Bescheid wurden zurückgewiesen (Anlage K 1). Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 2.5.2019 zurückgewiesen.

Der von den Klägerinnen im Mai 2019 gestellte Bauantrag wurde zurückgewiesen, gegen die Ablehnung des Bauantrages vom 30.7.2019 wurde Widerspruch eingelegt, der nicht zum Erfolg führte (Anlage K 2). Die Entscheidung wurde unter anderem mit der Gefahr begründet, dass im Bereich dieses Grundstückes Methangas austrete und eine Gefahr für Gesundheit und Leben gegeben sei.

Mit Schreiben vom 26.4.2021 hat die Landeshauptstadt Saarbrücken die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt (Anlage K6).

Die Klägerinnen behaupten, der Beklagte verhalte sich gegenüber dem zehnjährigen Sohn der Klägerin zu 1) distanzlos und unangemessen.

Sie behaupten weiter, in der Zeit von Januar 2020 bis Mai 2021 sei ein Zahlungsrückstand von 2012,34 Euro aufgelaufen.

Unter Bezugnahme auf Entscheidungen der Landeshauptstadt Saarbrücken kündigten die Klägerinnen das Mietverhältnis mit sofortiger Wirkung (Anlage K3). In einer weiteren außerordentlichen Kündigung (Anlage K8) stützen die Klägerinnen die Kündigung auf das behauptete Verhalten des Beklagten gegenüber dem Sohn der Klägerin zu 1). Eine weitere außerordentliche Kündigung der Klägerinnen vom 27.5.2021 ist, mit dem behaupteten Zahlungsrückstand des Beklagten begründet worden (Anlage K9).

Die Klägerinnen beantragen, den Beklagten zu verurteilen, die im Rückhaus ### im ersten Obergeschoss linksgelegene Wohnung nebst Kellerabteil (Kellergeschoss, hinten rechts) sofort zu räumen und an sie herauszugeben, hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, die im Rückhaus ### im ersten Obergeschoss linksgelegene Wohnung nebst Kellerabteil (Kellergeschoss hinten rechts) zu räumen und an sie herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung beantragte mit Schriftsatz vom 28.10.2021 der Beklagte vorsorglich die Einräumung einer Räumungsfrist von 6 Monaten und mit Schriftsatz vom 22.10.2021, Eingang bei Gericht am 4.11.2021 reichte der Beklagte eine Widerklage über 35.663,60 Euro ein.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerinnen haben gegenüber dem Beklagten einen Räumungs- und Herausgabeanspruch gemäß den §§ 546, 313 BGB.

1. Der Räumungs- und Herausgabeanspruch der Klägerinnen gem. § 546 BGB beruht nach ihrer Kündigungserklärung auf dem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB.

Die Gründe, auf die die außerordentliche Kündigungserklärung der Klägerinnen gestützt wird, unterliegen nicht dem Einflussbereich des Beklagten, sodass eine Kündigung nicht auf § 543 Abs. 1 BGB gestützt werden kann. Die außerordentliche Kündigung des Vertrages ist aber unter den Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 3 BGB möglich (allgemein hierzu: BGH, ZMR 1996, 309; OLG . Dresden, ZMR 2013, 429; Staudinger/Emmerich, BGB, 2021, § 543 BGB, RN 6).

Haben sich die Umstände, die die Parteien übereinstimmend zur Grundlage des Mietvertrages gemacht haben, so schwerwiegend verändert, dass bei vorheriger Kenntnis dieser Umstände ein solcher Mietvertrag nicht abgeschlossen worden wäre, so entsteht ein Kündigungsrecht. Grundlage des Mietvertrages, der zwischen dem Rechtsvorgängerin der Klägerinnen und dem Beklagten 2006 abgeschlossen worden ist, war die rechtliche und tatsächliche Nutzbarkeit der vermieteten Wohnung. Hiervon sind auch beide Vertragsparteien ausgegangen. Im Jahr 2006 war zwar der Vermieterseite grundsätzlich eine bereits 1990 ergangene Nutzungsuntersagung bekannt. Jedoch hat die Behörde keine Maßnahmen zur Durchsetzung dieser Anordnungen vorgenommen, obwohl bereits seit 1984 eine Wohnnutzung vorlag. Zur Zeit des Vertragsabschlusses im Jahre 2006 hat keine der Vertragsparteien angenommen, dass die Nutzungsuntersagung vollstreckt werde. Dies war gemeinsame Grundlage des Vertragsabschlusses.

Die im Jahr 2019 erneut ausgesprochene Nutzungsuntersagung, die auch nach Beschreiten des Rechtsweges durch die Klägerinnen Bestand hat, stellt einen nach Vertragsschluss eingetretenen schwerwiegenden Umstand dar, bei dessen Kenntnis das Mietverhältnis nicht begründet worden wäre.

Eine Störung wird dann als schwerwiegend angesehen, wenn nicht ernsthaft zweifelhaft ist, dass eine der Parteien oder beide den Vertrag bei Kenntnis der Änderung nicht oder nicht mit diesem Inhalt abgeschlossen hätten (allgemein: Grüneberg/Palandt, BGB, 2021, § 313 Rn. 18). Dieser Fall wird dann angenommen, wenn sich die von einem Vertrag als feststehend zugrunde gelegte Vorschrift, Rechtsprechung oder Standesrichtlinie später ändert (allgem.: BGH, NJW 2001, 3618). Als vergleichbar anzusehen ist im vorliegenden Fall der Umstand, dass nach rund 20 Jahren die zuständige Behörde erneut eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen hat und eine Baugenehmigung zur Abwendung der unerlaubten Nutzung abgelehnt hat. Zuvor hatte die Behörde eine in 1990 angeordnete Nutzungsuntersagung nicht weiterverfolgt und umgesetzt, sodass die ursprüngliche Vermieterin die Vorstellung hatte, das Hinterhaus weiter für Wohnzwecke nutzen zu können. Die spätere Verfolgung dieses Unterlassungsanspruchs durch die Behörde sowie die Ablehnung einer Baugenehmigung, die die Klägerinnen auch nach Beschreiten des Rechtsweges nicht verhindern konnten, stellt sich somit als schwerwiegende Veränderung der Umstände dar.

Auch die Voraussetzung des § 313 Abs. 2 BGB ist erfüllt. Danach steht es einer wesentlichen Veränderung der Umstände gleich, wenn die maßgeblichen Grundlagen des Vertrages sich als falsch herausstellen. Unter der Annahme einer Nutzungsmöglichkeit des Hinterhauses wurde der Mietvertrag 2006 geschlossen. Die rechtskräftig gewordenen Nutzungsuntersagung im Jahre 2019/2020 belegt, dass es sich hierbei um eine fehlerhafte Vorstellung gehandelt hatte.

Ein Dauerschuldverhältnis wie ein Mietverhältnis ist bei einer Nutzungsuntersagung durch eine Vertragsanpassung in Form einer Kündigung zu beenden. Eine sonstige Vertragsanpassung kommt vorliegend nicht in Betracht. Die Klägerinnen haben durch Beschreiten des Rechtsweges alles ihnen Zumutbare unternommen, um eine weitere Nutzungsmöglichkeit der Wohnungen im Hinterhaus durchzusetzen. Im Hinblick auf die bereits angekündigten Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Landeshauptstadt Saarbrücken ist für die Klägerinnen als einzige Maßnahme die Beendigung des Mietverhältnisses möglich und zumutbar.

2. Die vom Beklagten eingewendeten besonderen mietvertraglichen Absprachen aufgrund des rückdatierten Mietvertrages von 2012/13 und die Zusatzvereinbarung von 2017, die im Wesentlichen eine Unkündbarkeit des Mietverhältnisses mit dem Beklagten beinhalten, führen nicht zu einer anderen Entscheidung.

Es kann offenbleiben, ob der Mietvertrag in der konkreten schriftlich vorgelegten Form, datiert auf den 1.4.2006 (Anlage K 10), wirksam ist oder nicht. Unter der Annahme seine Wirksamkeit war jedenfalls aus den bereits dargelegten Gründen seitens der Vermieterin auch im Jahre 2012/13 sowie seitens der Klägerinnen im Jahr 2017 die Annahme einer grundsätzlichen Nutzbarkeit der Wohnungen im Hinterhaus zugrunde gelegt. Erst im Jahr 2019 wurde die Landeshauptstadt Saarbrücken tätig und erließ eine Nutzungsuntersagung und wies den Bauantrag der Klägerinnen zurück. Zur Zeit der vertraglichen Regelungen waren somit alle Vertragsparteien von der Vorstellung der weiteren Nutzbarkeit der Mietwohnung ausgegangen. Aus den bereits dargelegten Gründen hat sich dies als unzutreffend herausgestellt.

Die Klägerinnen waren deshalb berechtigt, das Mietverhältnis nach Wegfall der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB gegenüber dem Beklagten zu kündigen. Nach der wirksamen Kündigung ist der Beklagte nach § 546 BGB zur Räumung und Herausgabe der Wohnung verpflichtet.

3. Über den Antrag auf Gewährung von Räumungsschutz und über die Widerklage ist nicht zu entscheiden, weil beide hierauf gerichteten Schriftsätze nach Schluss der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangen sind.

4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 708 Nr.7, 711 ZPO.

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