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Mietvertragskündigung ohne Genehmigung Zweckentfremdung für Abriss

AG Stuttgart – Az.: 35 C 303/21 – Urteil vom 18.06.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 2.392,80 Euro

Tatbestand:

Die Klägerinnen nehmen den Beklagten auf Grund einer von ihnen ausgesprochenen Verwertungskündigung auf Räumung und Herausgabe von Wohnraum in Anspruch.

Die Parteien sind durch einen vor etwa 40 Jahren mündlich abgeschlossenen Mietvertrag über die streitgegenständliche Wohnung in der … in …, welche von dem Beklagten in seiner Funktion als Hausmeister angemietet worden war, miteinander verbunden. Die monatliche Nettomiete beträgt 199,40 Euro.

Mit Schreiben vom 04.12.2019 kündigten die Klägerinnen das Mietverhältnis ordentlich zum 31.08.2020 (Anlage K1, Bl. 5 ff. d.A.), da sie beabsichtigten das Gebäude abzureißen, in welchem sich die streitgegenständliche Wohnung befindet, um an dieser Stelle einen zeitgerechten Neubau zu errichten. Öffentlich-rechtliche Genehmigungen für die Verwirklichung dieses Vorhabens lagen den Klägerinnen zu diesem Zeitpunkt nicht vor.

Die Klägerinnen machen geltend, dass sie durch eine Sanierung der Gebäude, im Vergleich zu deren Abriss und Neuerrichtung, an der wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wären und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würden. Das in den 30er Jahren errichtete Gebäude weise diverse bauliche Mängel auf. Der Kostenaufwand im Rahmen einer Sanierung stehe in keinem Verhältnis zu dem zu erzielenden Nutzen.

Der Beklagte hat der Kündigung mit Schreiben vom 19.06.2020 widersprochen (Anl. K 3, Bl. 27 f. d.A.) und hat geltend gemacht, dass dem Beklagten ein Umzug auf Grund seines Alters, der langen Mietdauer und auf Grund von gesundheitlichen Problemen nicht zumutbar sei.

Die Klägerinnen beantragen:

Der Beklagte wird verurteilt, die von ihm im Erdgeschoss bewohnte Wohnung in der V. Str. 34 13, … S., bestehend aus 3 Zimmern, Küche mit Duschkabine zu räumen und geräumt nebst Schlüsseln an die Klägerinnen herauszugeben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, dass die Kündigung schon formal unwirksam sei, da in ihr ein erheblicher Nachteil nicht dargelegt werde. Ein solcher liege auch der Sache nach nicht vor. Ein etwaiger Sanierungsstau sei von den Klägerinnen selbst verursacht, da man die gebotenen Instandhaltungen unterlassen habe. Auf Grund des Alters und der fortgeschrittenen Demenz des Beklagten sei das Mietverhältnis aber selbst im Falle einer Begründetheit der Kündigung auf unbestimmte Zeit fortzusetzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Akte, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 19.03.2021 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 29a Abs. 1 ZPO, § 23 Nr. 2 lit. a) GVG vor dem sachlich und örtlich zuständigen Gericht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Kündigung vom 04.12.2019 stellt eine unzulässige Vorratskündigung dar, welche einen Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht zu begründen vermag.

I.

Der Klägerin steht kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung aus §§ 546, 985 BGB zu. Der Verwertungskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) bleibt jedenfalls die materielle Wirksamkeit versagt. Die Kündigung ist unwirksam, weil sie sich wegen des Fehlens einer Zweckentfremdungsgenehmigung zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung, als unzulässige Vorratskündigung darstellt.

1. Die Einholung einer Zweckentfremdungsgenehmigung für den geplanten Abriss war gem. § 2 Zweckentfremdungsverbotsgesetz (ZwEWG) i.V.m. §§ 4 Abs. 1; 3 Abs. 1 Nr. 5 Zweckentfremdungsverbotssatzung der Stadt Stuttgart (ZwEVS) erforderlich. Gründe die für eine Genehmigungsfreiheit sprechen könnten (etwa § 2 Abs. 3 Nr. 5 a) ZwEVS) sind von der Klägerin weder vorgebracht noch sonst ersichtlich.

Mietvertragskündigung ohne Genehmigung Zweckentfremdung für Abriss
(Symbolfoto: Zakhar Mar/Shutterstock.com)

Da die erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung bei Ausspruch der Kündigung nicht vorlag, ist die Kündigung unwirksam. Dies entspricht der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (etwa: OLG Hamburg, NJW 1981, 2308 Rn. 30; OLG Frankfurt, NJW 1992, 2300 Rn. 22; AG München, BeckRS 2020, 10247 Rn. 23 ff., AG Köln, ZMR 2018, 510Rn. 21, 40 f; MünchKomm-BGB/Häublein, 8. Aufl., § 573 Rn. 120; Staudinger/Rolfs, BGB, Neubearb. 2018, § 573 Rn. 155; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl., § 573 Rn. 240; PK-BGB/Tiedemann, § 573 Rn. 145, 151 [Stand 21.12.2020]; BeckOK-BGB/Hannappel, § 573 Rn. 84 [Stand: 01.11.2020]; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 11. Aufl., § 573 Rn. 66 a.A. aber: LG Mannheim, NJW-RR 2004, 731; BeckOGK-BGB/Geib, § 573 Rn. 114 [Stand: 01.01.2021]), welcher sich das erkennende Gericht anschließt.

Denn der Vermieter, der für seine Verwertung des Grundstücks zunächst einen Abriss des Gebäudes beabsichtigt, welchen er – wie hier – ohne behördliche Genehmigung nicht vornehmen darf, kann sich – solange er nicht über die Zweckentfremdungsgenehmigung verfügt, die ihm die Realisierung seiner Absicht erst erlauben würde – nicht auf gegenwärtig beachtliche Gründe berufen (vgl. eingehend Häublein, NZM 2011, 668, 670 sowie etwa AG München, BeckRS 2020, 10247 Rn. 24; AG Köln, ZMR 2018, 510 Rn. 21; PK-BGB/Tiedemann, § 573 Rn. 145, 151 [Stand 21.12.2020]). Soweit dies für das Fehlen der erforderlichen Baugenehmigung abweichend beurteilt wird (OLG Frankfurt, NJW NJW 1992, 2300 Rn. 21 ff.; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 14. Aufl., § 573 Rn. 280 m.w.N.), erklärt sich sich diese Differenzierung dadurch, dass es sich bei Baugenehmigung und Zweckentfremdungsgenehmigung um zwei voneinander getrennte Verwaltungsverfahren handelt, mit welchen ganz unterschiedliche Zwecke verwirklicht werden. So hat es ein Bauherr in Fällen der vorliegenden Art, welche naturgemäß Bauvorhaben in Gebieten betreffen, in denen Wohnbau bauplanungsrechtlich zulässig ist, weit gehend selbst in der Hand, ob die Baugenehmigung erteilt wird. Denn die Baugenehmigung stellt sich letztlich als „Instrument zur bloßen Kontrolle eines prinzipiell vom Gesetz gebilligten, weil sozial erwünschten oder doch wertneutralen Verhaltens dar“ (BayVGH, Urteil vom 31. Mai 2010 – Az.: 12 B 09.2484, Rn. 32). Ihre Erteilung kann deshalb notfalls durch Anpassung der Planungen an Vorgaben der Baurechtsbehörde durch den Bauherren entscheidend beeinflusst werden. Demgegenüber wird die Zweckentfremdung von Wohnraum in den ausgewiesenen Gebieten „als sozial unerwünscht missbilligt. Sie soll grundsätzlich verhindert werden, um einer Gefährdung der Versorgung mit Wohnraum entgegenzuwirken. Eine Genehmigung kommt immer nur als Ausnahme vom allgemeinen Verbot in Betracht, denn seiner Tendenz nach zielt das Verbot auf jede Zweckentfremdung jedes Wohnraums“ (BayVGH, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, NJW 1983, 640 Rn. 21 – restriktive Tendenz). Da die Erteilung der Zweckentfremdungsgenehmigung, welche zudem das „Ob“ des Bauvorhabens betrifft, somit in wesentlich geringerem Maße in der Hand des Vermieters liegt, erfordert es die angemessene Berücksichtigung der Mieterbelange der Absicht des Vermieters, das Gebäude im Zuge einer Verwertung abreißen zu wollen, vor Vorliegen der Genehmigung die rechtliche Beachtlichkeit zu versagen.

2. Ob die Kündigung vom 04.12.2019 daneben wegen Verstoßes gegen § 573 Abs. 3 BGB auch formal unwirksam ist, oder ob Beklagte gem. §§ 574, 574a BGB unabhängig davon die Fortsetzung des Mietverhältnisses beanspruchen könnte, bedarf vorliegend daher keiner Entscheidung.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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